Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Sie ist aber nicht begründet, denn das Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zutreffend hat die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "aG" und "B" abgelehnt.
Gemäß § 48
Abs. 1
S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Zur Überzeugung des Senats liegt eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen nur insoweit vor, als der Beklagte dem bereits mit Bescheid vom 26. Oktober 2006 Rechnung getragen hat, eine darüber hinausgehende wesentliche Änderung liegt nicht vor; insbesondere liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "aG" und "B" nicht vor.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G", denn sie ist nicht erheblich gehbehindert.
Gemäß
§ 145 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) sind schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises im Nahverkehr im Sinne des
§ 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern. Gemäß § 146
Abs. 1 Satz 1
SGB IX ist ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalls an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein -
d. h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden (
AHP Nr. 30
Abs. 2
S. 2,
S. 137). Nach der Rechtsprechung gilt als übliche Wegstrecke in diesem Sinne eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (
vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987,
9a RVs 11/87, BSGE 62, 273-281 (277) = SozR 3870 § 60
Nr. 2).
Dieser Maßstab ist erstmals von den
AHP 1996 (
Nr. 30
Abs. 2) übernommen und in den zur Zeit gültigen
AHP 2004/2008 beibehalten worden. In den Absätzen 3 bis 5 der
Nr. 30 geben die
AHP an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein schwerbehinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Im Interesse der Gleichbehandlung aller behinderten Menschen erfolgt die Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von Merkzeichen nach Maßgabe der in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (
AHP, herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aktuelle Ausgabe: 2008) niedergelegten Maßstäben. Diese sind zwar kein Gesetz und auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhenden Ausarbeitung, die die möglichst gleichmäßige Anwendung dieser Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die
AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden.
Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich von diesen auszugehen ( Bundessozialgericht -
BSG -, Urteil vom 18. September 2003, BSGE 91, 205-211, SozR 4-3250 § 69
Nr. 2
Rdnr. 18). Deshalb stützt sich der Senat auf die genannten
AHP. Nach
Nr. 30
Abs. 3
AHP sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen
GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem
GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken,
z. B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- und Fußgelenkes in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem
GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden mit einem Einzel-
GdB von 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.
Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen der
Nr. 30
Abs. 3
AHP nicht, die bei ihr vorliegende Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist insgesamt lediglich mit einem Einzel-
GdB von 40 bewertet worden. Funktionsstörungen des Herzens oder der Lunge liegen nicht vor.
Auch das Vorliegen eines in
Abs. 4 und 5 geregelten Sachverhalts lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht nachvollziehen. Nach
Nr. 30
Abs. 4 können hirnorganische Anfälle, nach
Abs. 5
AHP Störungen der Orientierungsfähigkeit die Voraussetzung einer erheblichen Gehbehinderung darstellen. Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem
GdB von 100 immer und mit einem
GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem
GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht. Die Klägerin leidet weder unter hirnorganischen Anfällen noch einer Orientierungsstörung. Nach den Anhaltspunkten liegt eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr aber nur bei einer Beeinträchtigung des Gehvermögens und bei Anfällen oder einer Störung der Orientierungsfähigkeit vor; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG Beschluss vom 10. Mai 1994, 9 BVs 45/93, zitiert nach juris) ist diese Aufzählung abschließend. Zu Recht hat das Sozialgericht daher darauf hingewiesen, dass als nicht in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt psychisch erkrankte Personen gelten, deren Leiden nur mit sonstigen Beeinträchtigungen oder Störungen einhergehen,
z.B. mit Verstimmungen, Antriebsminderung und Angstzuständen, oder wie vorliegend bei Depressionen, psychischen Störungen (Neurosen), Persönlichkeitsstörungen oder einer Suchtkrankheit. Der Senat konnte daher auch von der Einholung eines weiteren Gutachtens auf psychosomatischem oder psychiatrischem Fachgebiet absehen, da die Höhe des
GdB nicht streitig ist und psychiatrische Leiden nicht zur Begründung der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" ausreichen würden.
Die Nichterfüllung eines in
Nr. 30
Abs. 3 bis 5
AHP bestimmten Regelfalles schließt die Feststellung des Merkzeichens "G" jedoch nicht aus. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Nachteilsausgleichs können nämlich auch bei schwerbehinderten Menschen erfüllt sein, bei denen andere als die in
Nr. 30
Abs. 3 bis 5
AHP aufgeführten Behinderungen vorliegen. Nach dem Wortlaut des § 146
Abs. 1 Satz 1
SGB IX ist es erforderlich, gleichzeitig aber auch ausreichend, dass der schwerbehinderte Mensch "infolge einer Einschränkung des Gehvermögens" in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist.
Die Bewegungsbeeinträchtigung im Sinne dieser Definitionsnorm muss tatsächlich auf eine sich auf das Gehvermögen auswirkende Behinderung im Sinne des Gesetzes ursächlich zurückzuführen sein (so zuletzt
BSG, Urteil vom 24.04.2008,
B 9/9a SB 7/06 R, zitiert nach juris). In dem genannten Urteil hat das
BSG die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Bandenburg (Urteil vom 08.06.2006, Az.
L 11 SB 1021/05, zitiert nach juris) bestätigt, dass eine Adipositas als gesundheitliche Grundlage einer rechtserheblichen Funktionseinbuße im Sinne von Behinderungen und diese als Ursachen einer Bewegungsbeeinträchtigung angesehen hat.
Dazu hat das
BSG weiter ausgeführt, die
AHP beschrieben in
Nr. 30
Abs. 3 bis 5 Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" als erfüllt anzusehen seien, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen könnten. Das Merkzeichen "G" sei daher auch demjenigen zuzuerkennen, der zwar nicht die in
Nr. 30
Abs. 3 bis 5
AHP aufgezeigten Behinderungen
bzw. Behinderungsgrade aufweise, bei dem aber körperliche Regelwidrigkeiten mit den von ihnen ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen, die seine Bewegungsfähigkeit, insbesondere sein Gehvermögen, ebenso herabsetzten wie in den in den
AHP beispielhaft genannten Fällen. Die
AHP geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist".
Damit tragen die
AHP dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens ( ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen. Von diesen Faktoren filtern die
AHP all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des schwerbehinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen.
Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Eine nennenswerte Einschränkung des Gehvermögens der Klägerin konnte der Sachverständige
Dr. R nicht feststellen, vielmehr hat er ausgeführt, dass die Klägerin in der Lage ist, Wege, die üblicherweise im Ortsverkehr zurückgelegt werden, nämlich Wege von 2000 m, zurückzulegen. Die Klägerin erfüllt damit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht.
Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) liegen nicht vor. Ist die Klägerin bereits nicht erheblich gehbehindert, so liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung erst recht nicht vor. Der Senat verkennt dabei nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (
BSG, Urteil vom 13. Dezember 1994, Az.
9 RVs 3/94, SozR 3-3870 § 4
Nr. 11
S. 45) für das Merkzeichen "aG" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen als für das Merkzeichen "G" gelten. Die Möglichkeit, Wege, die üblicherweise im Ortsverkehr zu Fuß zurückgelegt werden, zurück legen zu können, spricht aber dagegen, dass ein Behinderter bereits von den ersten Schritten an nur mit äußerster Mühe oder fremder Hilfe sich außerhalb eines Kraftfahrzeuges fort bewegen kann.
Auch die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "B" liegen bei der Klägerin nicht vor. Gemäß
§ 146 Abs 2 SGB IX ist ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen notwendig, die bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zunächst zu prüfen, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- oder Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss (
AHP Nr. 32
Abs. 2 Satz 2,
S. 140). Des weiteren muss eine "ständige" Begleitung des Schwerbehinderten erforderlich sein, so dass neben dem Element der Regelmäßigkeit als weitere Voraussetzung ein Element der Dauer vorliegen muss.
An beiden Voraussetzungen fehlt es hier. Nach dem gesamten Akteninhalt lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin Hilfe bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel benötigt. Die lediglich mit einem
GdB von 40 bewerteten Wirbelsäulenbeschwerden begründen eine solche Hilfestellung ebensowenig wie die Depressionen, die außergewöhnliche Schmerzreaktion, die psychischen Störungen, die Persönlichkeitsstörung oder die Suchtkrankheit.
Für die Zuerkennung des Merkzeichens B bedarf es schwerwiegenderer Gefährdungen durch Funktionseinschränkungen als sie die Klägerin aufweist. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der
AHP Nr. 32
Abs. 3, an denen sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten orientiert. Danach ist das Merkzeichen "B" zu gewähren bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern und Blinden. Zwar sind diese Behinderungen keine Regelbeispiele dafür, welches Ausmaß Behinderungen haben müssen, damit der Nachteilsausgleich anerkannt wird. Der Schweregrad der Behinderung muss aber in seinen funktionellen Auswirkungen auf die Sicherheit des Behinderten und Dritter in die Richtung der in den
AHP genannten Personenkreise weisen. Die Funktionseinschränkungen unter denen die Klägerin leidet, sind weit von einem solchen Ausmaß entfernt.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160
Abs. 1 Nrn. 1 und 2
SGG genannten Gründe vorliegt.