Urteil
Erfolglose Beschwerde gegen eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

Gericht:

OVG NRW 6. Senat


Aktenzeichen:

6 B 11/13 | 6 B 11.13


Urteil vom:

07.03.2013


Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird unter entsprechender Änderung des angefochtenen Beschlusses für beide Rechtszüge auf jeweils bis 19.000,00 Euro festgesetzt.

Rechtsweg:

VG Aachen - 1 L 543/12

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hätte stattgeben müssen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die im Bescheid vom 27. September 2012 über die Versetzung des Antragstellers in den Ruhestand enthaltene Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben, hilfsweise die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 1 K 2480/12 geführten Klage gegen den genannten Bescheid wiederherzustellen, abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs genüge den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Lasten des Antragstellers, weil die angefochtene Verfügung über die Zurruhesetzung offensichtlich rechtmäßig sei. Der Antragsteller sei im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides dienstunfähig im Sinne von § 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BeamtStG gewesen. Da die Leiterin der Justizvollzugsanstalt B. erst nach der Bekanntgabe des Bescheides erfahren habe, dass der Antragsteller sich vom 17. September 2012 bis 8. Oktober 2012 in einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme im T. B. befunden habe, habe diese Tatsache auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides keinen Einfluss. Darüber hinaus stelle die Erforderlichkeit von Rehabilitationsmaßnahmen die Annahme einer Dienstunfähigkeit nicht in Frage. Dies gelte auch hinsichtlich der Bescheinigung des amtsärztlichen Untersuchungsdienstes vom 1. August 2012 durch Herrn Dr. A., wonach die Rehabilitationsmaßnahme dringend notwendig und erfolgversprechend sei. Die Rehabilitationsmaßnahme habe nur eine Schmerzbekämpfung wegen orthopädischer Beschwerden und eine Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit bezweckt. Die Annahme der Dienstunfähigkeit fuße jedoch auf dem Zusammenspiel einer Vielzahl verschiedener Erkrankungen; dass allein die orthopädischen Beschwerden in der Vergangenheit zu den häufigen Dienstausfällen geführt hätten oder für sich allein zu einer Dienstunfähigkeit geführt haben könnten, habe der Antragsteller nicht substantiiert vorgetragen. Auf die Frage, ob der Antragsteller aktuell uneingeschränkt dienstfähig sei, komme es für die Prognose nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nicht an.

Die hiergegen von der Beschwerde erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Erfolglos beruft sich die Beschwerde darauf, die Zurruhesetzung sei auch unter dem Aspekt der vorliegenden Schwerbehinderung des Antragstellers bei einem GdB von 100 gesondert zu prüfen gewesen. § 25 Abs. 2 SchwbG, den die Beschwerde in Bezug nimmt, ist mit Ablauf des 30. Juni 2001 außer Kraft getreten. Die nunmehr nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX vor einer Entscheidung gebotene Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung hat ausweislich des Verwaltungsvorgangs stattgefunden.

Der von der Beschwerde vermissten Zustimmung des Integrationsamtes bedurfte es ebenfalls nicht. Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Soweit § 128 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 2046, vorsah, dass vor einer vorzeitigen Versetzung eines Beamten in den Ruhestand das Integrationsamt gehört wird, ist diese Vorschrift bereits mit Wirkung vom 1. Mai 2004 aufgehoben worden. Damit hat der Gesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass schwerbehinderte Beamte bei einer nicht selbst beantragten Versetzung in den Ruhestand eines zusätzlichen, d.h. die für Beamte geltenden Regelungen ergänzenden Schutzes durch eine Beteiligung des Integrationsamtes nach §§ 85, 92 SGB IX nicht bedürfen.

OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2012 - 1 A 644/12 -, juris Rdnr. 7, vgl. auch Beschluss vom 7. Januar 2013 - 6 A 2371/11 -, NRWE Rdnr. 6.

Der Einwand des Antragstellers, der Leiterin der Justizvollzugsanstalt B. sei die Tatsache der bevorstehenden Rehabilitationsmaßnahme bereits vor Erlass der streitigen Verfügung bekannt gewesen, weil ihm mit Schreiben vom 12. September 2012 Sonderurlaub für diese Maßnahme genehmigt worden sei, ist zwar zutreffend. Die Beschwerde legt jedoch nicht dar, inwiefern die Tatsache der Erforderlichkeit einer auf orthopädische Beschwerden ausgerichteten Rehabilitationsmaßnahme im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides die Annahme der Dienstunfähigkeit ausschließen sollte.

Für die Frage, ob ein Beamter dienstunfähig im Sinne von §§ 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BeamtStG, 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW ist, ist nicht allein auf die Person des Beamten sowie Art und Ausmaß seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung abzustellen. Vielmehr sind die Auswirkungen seiner Erkrankung auf seine Fähigkeit, die ihm in seinem konkreten Amt obliegenden Dienstpflichten zu erfüllen, und damit auch die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb entscheidend. Es kommt dabei nicht allein und ausschlaggebend - jedenfalls nicht in allen Fällen - auf Art und Ausmaß der einzelnen gesundheitlichen Einschränkungen, den objektiven ärztlichen Befund und dessen medizinische Qualifikation als solche an, sondern vielmehr darauf, ob der Beamte aufgrund seiner Konstitution zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Dabei ist es nicht Sache des begutachtenden Arztes, die Dienstpflichten des jeweiligen Beamten zu bestimmen.

BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1997 - 2 C 7.97 -, BVerwGE 105, 267 ff. = juris Rdnr. 15; OVG NRW, Urteil vom 11. März 2009 - 6 A 2615/05 -, ZBR 2009, 347 ff. = juris Rdnr. 46.

Bei einzelnen schweren Erkrankungen wird sich zwar die Dienstunfähigkeit häufig ohne weiteres aus dem ärztlichen Befund ableiten lassen. Handelt es sich dagegen um eine Vielzahl in relativ kurzen Zeitabständen immer wieder auftretender, wenn auch teilweise unterschiedlicher und für sich betrachtet im einzelnen nicht schwerwiegender Erkrankungen von längerer Dauer, die auf eine Schwäche der gesamten Konstitution und damit verbundene Anfälligkeit des Beamten schließen lassen, so wird der Dienstbetrieb dadurch in einem Maße beeinträchtigt, das es, wenn eine Besserung des Zustandes in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, rechtfertigt, einen Beamten als zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig anzusehen, ohne dass es auf die Schwere und die Art der einzelnen Erkrankungen entscheidend ankommt.

BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1966 - VI C 56.63 -, ZBR 1967, 148, 150.

Das amtsärztliche Gutachten des Dr. A. vom 3. August 2012 nebst ergänzender Stellungnahme vom 12. September 2012 stellt fest, dass beim Antragsteller eine Vielzahl verschiedener, zum Teil chronischer und mit einer erhöhten Infektanfälligkeit einhergehender Erkrankungen vorliegt, und kommt zu dem Ergebnis, dass wegen des sich in den vergangenen Monaten gezeigten Verlaufs auch in Zukunft immer wieder mit aus seiner Sicht erheblichen krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Antragstellers zu rechnen ist. Diese Einschätzung hat der Amtsarzt ausweislich seines Gutachtens (dort S. 2) in Kenntnis der Tatsache getroffen, dass der Antragsteller sich in Kürze einer - von ihm selbst befürworteten - Rehabilitationsmaßnahme unterziehen würde; er hat einer erfolgreichen Durchführung der Maßnahme mithin keinen entscheidenden Einfluss auf seine Prognose beigemessen. Dem tritt die Beschwerde nicht mit substantiiertem Vorbringen entgegen. Ist der Amtsarzt bei seiner Prognose damit von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen, sind Rechtsfehler der auf dieser Grundlage getroffenen Entscheidung, der Antragsteller sei wegen seiner Konstitution zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig, nicht erkennbar. Die Beschwerde legt auch nicht dar, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt der Antragsgegner dennoch verpflichtet gewesen sein sollte, die Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme abzuwarten.

Die mit der Beschwerde vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen des Prof. Dr. med. C. vom 5. Dezember 2012 und 27. Dezember 2012 sowie die ärztliche Bescheinigung des Dr. med. C1. vom 28. November 2012 begründen ebenfalls keine Zweifel an den amtsärztlichen Feststellungen.

Der Bescheinigung vom 27. Dezember 2012, wonach beim Antragsteller "zum gegenwärtigen Zeitpunkt volle allgemeine Dienstfähigkeit" vorliege, kommt schon keine hinreichende Aussagekraft zu. Mangels Mitteilung jeglicher medizinischer Tatsachen ist die Schlussfolgerung des Arztes nicht nachvollziehbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die einen Beamten behandelnden Privatärzte regelmäßig nicht in gleicher Weise mit den (besonderen) Anforderungen der verschiedenen Ämter des öffentlichen Dienstes vertraut sind. Hinzu kommt, dass auch nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 3. August 2012 davon auszugehen ist, dass der Antragsteller - wie bereits gezeigt - auch in Zukunft an einzelnen Tagen oder in bestimmten Zeitabschnitten zur Verrichtung seines Dienstes in der Lage sein wird. Zu dieser Schlussfolgerung steht auch die Feststellung eines sehr guten Allgemeinzustandes in der Untersuchung vom 4. Dezember 2012 durch Prof. C2. (Bescheinigung vom 5. Dezember 2012) nicht in Widerspruch.

Die weitere ärztliche Bescheinigung vom 28. November 2012, wonach beim Antragsteller "keine relevanten Einschränkungen der Dienstfähigkeit" bestünden, beschränkt sich ausdrücklich auf die neurologische und psychiatrische Sicht. Dazu, inwiefern allein dies die auf einer Vielzahl von Erkrankungen, insbesondere der chronischen Erkrankungen des Antragstellers fußende Annahme zukünftig erheblicher Ausfallzeiten nachhaltig erschüttern sollte, fehlt es an einem substantiierten Vortrag des Antragstellers. Die Bescheinigung ist darüber hinaus denselben Zweifeln hinsichtlich der Beurteilung des Merkmals der "Dienstfähigkeit" ausgesetzt wie das ärztliche Attest vom 27. Dezember 2012.

Soweit die Beschwerde einwendet, der Antragsteller befinde sich im technischen und nicht im allgemeinen Vollzugsdienst und sehe sich "uneingeschränkt" in der Lage, im Rahmen seines üblichen Dienstes diese technischen Aufgaben wahrzunehmen, greift dies ebenfalls nicht durch. Die Schlussfolgerung, der Antragsteller sei auf Dauer dienstunfähig, beruht auf den bei seiner Beschäftigung im Werkdienst in der Vergangenheit angefallenen Ausfallzeiten; dafür, dass die auf der Grundlage der bisherigen Fehlzeiten getroffene Prognose des Amtsarztes für die Zukunft sich nur auf den allgemeinen Vollzugsdienst, nicht aber auf den Werkdienst bezieht, lässt sich dem Akteninhalt nichts entnehmen. Auch der Antragsgegner geht im Übrigen davon aus, dass der Antragsteller an den (wenigen) Tagen, an denen er nach Auffassung des Amtsarztes in Zukunft nicht erkrankt sein wird, in der Lage sein wird, die ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben wahrzunehmen. Die dem Bescheid zu Grunde liegende Annahme, die zu erwartenden Ausfallzeiten beeinträchtigten den Dienstbetrieb dennoch in einem Maße, welches die Zurruhesetzung des Antragstellers rechtfertige, greift die Beschwerde nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Eine Festsetzung des Streitwerts nach § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift erfasst nur diejenigen Fälle, in denen nicht die Frage des Eintritts in den Ruhestand dem Grunde nach, sondern allein der Zeitpunkt des Eintritts streitig ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Dass der 1952 geborene Antragsteller in absehbarer Zeit aufgrund anderer beamtenrechtlicher Vorschriften aus Altersgründen in den Ruhestand eintreten wird, ist nicht maßgeblich. Der nach § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG auf der Grundlage der Zuordnung des Amtes eines Hauptwerkmeisters zur Besoldungsgruppe A 8 BBesO sich ergebende Wert ist aufgrund des vorläufigen Charakters der begehrten Entscheidung zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Referenznummer:

R/R5807


Informationsstand: 13.09.2013