Urteil
Rückforderung von Ausbildungsförderung bei Krebserkrankung

Gericht:

OVG Schleswig-Holstein 3. Senat


Aktenzeichen:

3 LB 4/14 | 3 LB 4.14


Urteil vom:

05.06.2014


Grundlage:

  • BAföG § 15 Abs. 2 |
  • BAföG § 53 S. 1

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 15. Kammer - vom 10. Juni 2013 geändert und wie folgt gefasst:

Der Bescheid des Beklagten vom 13. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 wird hinsichtlich des Monats Juli 2011 aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu zwei Dritteln und dem Beklagten zu einem Drittel auferlegt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem jeweiligen Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich auch im Berufungsverfahren gegen eine Rückforderung von Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von insgesamt 1.317 EUR für die Monate Juli bis September 2011.

Der Kläger studierte Betriebswirtschaftslehre (Bachelorstudiengang) an der Fachhochschule Wedel seit dem Wintersemester 2010/2011. Für die ersten beiden Semester von Oktober 2010 bis September 2011 bewilligte der Beklagte antragsgemäß mit Bescheid vom 29. November 2010 Ausbildungsförderung nach dem BAföG in Höhe von monatlich 439 EUR.

Am 9. Juni 2011 erfuhr der Kläger, dass er an Krebs erkrankt war.

Mit seinem Antrag auf Weiterbewilligung von Ausbildungsförderung ab Oktober 2011 reichte der Kläger ein Attest des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf ein, worin ihm eine Tumorerkrankung bestätigt wurde und aufgrund der Belastungen bei einer Neudiagnose einer Tumorerkrankung sowie bei Schmerzen im Bereich der Wunde eine weitere körperliche Schonung bis zum 3. Juli 2011 empfohlen wurde. Die Krebserkrankung hatte die Fachhochschule veranlasst, ihn am 13. Juli 2011 für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2011 wegen Krankheit zu beurlauben. Die Urlaubsbescheinigung enthielt den Hinweis, dass keine Teilnahme an Vorlesungen, Praktika oder Prüfungen möglich sei.

Daraufhin hob der Beklagte mit Bescheid vom 28. Oktober 2011 die BAföG-Bewilligung für das zweite Semester (April bis September 2011) vollständig auf mit der Begründung, für ein Urlaubssemester könne gemäß § 15 Abs. 2 BAföG keine Ausbildungsförderung gewährt werden. Die eingetretene Überzahlung von 2.634 EUR (6 x 439 EUR) sei gemäß § 53 BAföG in Verbindung mit § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Mit weiterem Bescheid vom 29. November 2011 wurde dem Kläger Ausbildungsförderung für Oktober 2011 bis September 2012 (neues zweites sowie drittes Fachsemester) in Höhe von monatlich 422 EUR bewilligt. Ab Dezember 2012 sollten hiervon lfd. monatlich 362,30 EUR ausgezahlt werden, in Höhe von monatlich 59,70 EUR wurde eine Aufrechnung mit der Rückforderung vorgenommen. Die Nachzahlung für die Monate Oktober und November in Höhe von 844 EUR wurde komplett einbehalten.

Gegen den Neufestsetzungs- und Rückforderungsbescheid erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, er könne die geforderte Zahlung nicht erbringen, da er sich weiterhin im Studium befinde und die Mittel zur Sicherungsstellung seines Lebensunterhaltes benötige. Außerdem sei die Rückforderung seiner Meinung nach unbegründet, da das betreffende Semester nicht unter den Regelfall eines "Urlaubssemesters" falle. Er sei schließlich das volle Sommersemester immatrikuliert gewesen und habe an den Vorlesungen - außer während der stationären Krankenhausbehandlung - teilgenommen. Nach dem 3. Juli 2011 habe er wieder regelmäßig an den Veranstaltungen teilgenommen, sich aber außer Stande gesehen, wegen der mit der Krankheit verbundenen erheblichen psychischen Belastung an den Klausuren am Ende des Semesters teilzunehmen. Er habe daher beim Prüfungssekretariat beantragt, ihn von den Klausuren freizustellen. Er habe die Auskunft erhalten, dass dies nur durch die Beantragung eines Urlaubssemesters möglich sei, woraufhin er den entsprechenden Antrag gestellt habe. Die Hochschulleitung habe ausnahmsweise aus Kulanzgründen am 13. Juli 2011 eine rückwirkende Beurlaubung eingeräumt, obwohl das Semester schon fast abgelaufen gewesen sei. Dies sei notwendig gewesen, damit er habe lernen können, mit der neuen krankheitsbedingten Lebenssituation umzugehen. Er sei trotz der rückwirkenden Beurlaubung während der gesamten Zeit Auszubildender gewesen und bitte darum, ihm dies nicht zum wirtschaftlichen Nachteil gereichen zu lassen. Bei Semesterbeginn habe er noch nicht gewusst, dass er schwer erkrankt sei, und habe sich daher nicht vorsorglich um eine Beurlaubung kümmern können. Im Nachhinein die bereits für den Lebensunterhalt verbrauchten Leistungen zurückzufordern, könne nicht rechtmäßig sein.

Der Beklagte hob den angefochtenen Rückforderungsbescheid daraufhin auf, beließ dem Kläger mit neuem Bescheid vom 13. Januar 2012 die Ausbildungsförderung für die Monate April bis Juni 2011 und forderte nur noch für drei Monate (Juli bis September 2011) die BAföG-Leistungen zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, trotz der Beurlaubung für das Sommersemester 2011 bleibe die Ausbildungsförderung bei Unterbrechung der Ausbildung infolge einer nachgewiesenen Erkrankung für maximal drei Monate bestehen. Der Rückforderungsbetrag ermäßigte sich dadurch auf 1.317 EUR. Durch die bereits erfolgten Aufrechnungen mit Nachzahlungen bzw. Einbehaltungen im Dezember 2011 und Januar 2012 betrug der Rückforderungsrestbetrag noch 353,60 EUR.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid erneut Widerspruch ein und machte geltend, die Unterbrechung seines Studiums sei ihm nicht zuzurechnen, da die Unterbrechung wegen der Erkrankung eingetreten sei. Nach der Rechtsprechung sei eine Rückforderung von Ausbildungsförderung ausgeschlossen, wenn die Unterbrechung dem Auszubildenden nicht zuzurechnen sei.

Im März 2012 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er zum 1. April 2012 sein Studium an der Fachhochschule beende, worauf hin der Beklagte die BAföG-Bewilligung mit Ablauf des Monats März 2012 einstellte. Den Widerspruch wies er mit Bescheid vom 31. Mai 2012 als unbegründet zurück. In den Entscheidungsgründen heißt es, dass dem Kläger die Arbeitsunfähigkeit infolge der Erkrankung vom 14. Juni 2011 bis 3. Juli 2011 nicht zuzurechnen sei, allein diese Erkrankung habe aber nicht zu einer Unterbrechung der Förderleistungen geführt. Der Kläger habe sich jedoch durch einen ausdrücklichen Antrag an die FH rückwirkend beurlauben lassen. Dies habe im Ergebnis dazu geführt, dass er keine förderungsfähige Ausbildung mehr betrieben habe. Der Antrag sei ihm zuzurechnen. Eine Beurlaubung über den tatsächlichen Zeitraum der Erkrankung hinaus sei nicht erforderlich gewesen. Ändere sich ein für die Leistung von Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand, so werde der Bescheid gemäß § 53 Abs. 1 BAföG zuungunsten des Auszubildenden von Beginn des Monats an geändert, der auf den Eintritt der Änderung folge. Die Beurlaubung führe dazu, dass keine förderungsfähige Ausbildung mehr betrieben worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei der Bescheid somit zu ändern. Der Verwaltungsakt habe daher aufgehoben werden können, bereits erbrachte Leistungen seien gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Er habe die Rechtswidrigkeit der geleisteten Förderungszahlungen durch seinen Antrag auf rückwirkende Beurlaubung selbst verursacht, so dass hier auch keine Vertrauensschutztatbestände Berücksichtigung finden könnten.

Der Kläger hat am 29. Juni 2012 Anfechtungsklage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat, die im Zeitraum von Juli bis September 2011 gewährten Ausbildungsleistungen in Höhe von 1.317 EUR nicht zurückzahlen zu müssen.

Der Kläger hat beantragt,

die Rückforderungsbescheide des Beklagten vom 28. Oktober 2011 und 13. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die angefochtenen Bescheide verteidigt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 10. Juni 2013 durch die Einzelrichterin abgewiesen. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG sei die Ausbildungsförderung für Kalendermonate oder Teile davon zurückzuzahlen, in denen der Auszubildende die Ausbildung aus einem von ihm zu vertretenden Grund unterbrochen habe. Der Tatbestand dieser Vorschrift sei erfüllt. Eine Unterbrechung der Ausbildung liege vor, wenn der Auszubildende die Ausbildung vorübergehend nicht betreibe (objektives Merkmal), das ursprüngliche Ausbildungsziel jedoch nicht aufgebe, sondern die Absicht habe, dieses nach dem Zeitraum der Unterbrechung weiterzuverfolgen (subjektives Merkmal). Zu vertreten habe ein Auszubildender die Unterbrechung seiner Ausbildung, wenn ihm das Fernbleiben von der Ausbildung zuzurechnen sei.

Vorliegend sei unstreitig, dass der Kläger beabsichtigt habe, sein BWL-Studium ab Oktober 2011 wieder weiter zu betreiben und das zweite Fachsemester zu wiederholen. Das bereits angefangene und durch krankheitsbedingte Fehlzeiten belastete zweite Studiensemester habe rückwirkend quasi ungeschehen gemacht werden sollen, um jetzt noch nicht die entsprechenden Leistungsnachweise erbringen zu müssen, sondern mit den Lehrveranstaltungen im nächsten Semester noch einmal neu beginnen zu können. Hochschulrechtlich habe ein Urlaubssemester zur Folge, dass der Student zwar eingeschrieben bleibe und organisatorisch weiter der Hochschule angehöre, jedoch nicht berechtigt sei zur Teilnahme an Lehrveranstaltungen und keine Studienleistungen erbringen könne. Das Urlaubssemester gelte nicht als Fachsemester des Studiengangs und sei nicht auf die Dauer der Ausbildung anzurechnen. Ausbildungsrechtlich verschöben sich dadurch z.B. die maßgeblichen Zeitpunkte für das Ende der Förderungshöchstdauer und die Vorlage der Eignungsbescheinigung nach § 48 BAföG um ein Semester.

Bei einer Unterbrechung durch das Einlegen eines Urlaubssemesters handele es sich grundsätzlich um eine dem Auszubildenden zuzurechnende Unterbrechung, während eine Unterbrechung infolge einer Erkrankung kein Grund sei, den dieser zu vertreten habe. Streitig sei daher vorliegend allein, welche Folge einträte, wenn sowohl eine Beurlaubung als auch eine Erkrankung vorläge, d.h. inwieweit eine Beurlaubung, die ein Auszubildender anlässlich einer Erkrankung vorgenommen habe, von ihm zu vertreten sei. Dabei sei eine differenzierende Betrachtungsweise angebracht. Auch das Bundesverwaltungsgericht habe die Auffassung vertreten, bei der Prüfung der Frage des "Vertretenmüssens" könne nicht allein ausschlaggebend darauf abgestellt werden, dass ein Auszubildender von sich aus die Beurlaubung beantragt und damit jedenfalls in formeller Hinsicht auf die Unterbrechung der Ausbildung veranlasst habe. Vielmehr enthalte dieser Begriff auch das subjektive Element der Vorwerfbarkeit bzw. der Zumutbarkeit, die Unterbrechung zu verhindern. Die für die Entscheidung wesentliche persönliche Situation müsse beurteilt und dabei der subjektive Anlass für die Beurlaubung entscheidungserheblich berücksichtigt werden.

Unter Beachtung dieser Grundsätze sei vorliegend davon auszugehen, dass der Kläger die Unterbrechung seines Studiums durch das Urlaubssemester zu vertreten habe. Seine Erkrankung sei zwar Anlass gewesen, die Beurlaubung zu beantragen und ersichtlich für die Hochschule auch Grund genug, um die Beurlaubung am 13. Juli 2011 rückwirkend zum 1. April 2011 vorzunehmen, dennoch sei diese Beurlaubung nicht zwingend erforderlich gewesen. Der Kläger habe bis zum 12. Juni 2011 an allen vorgesehenen Lehrveranstaltungen teilgenommen, habe dann aufgrund der überraschenden Diagnose bis zum 3. Juli 2011 gefehlt und ab diesem Zeitpunkt wieder an den Vorlesungen teilgenommen. Der in den drei Wochen Fehlzeit versäumte Unterrichtsstoff sei im Wege des Selbststudiums aufholbar gewesen und der Kläger hätte die vorgeschriebenen Leistungsnachweise jedenfalls teilweise erbringen und teilweise in den folgenden Semestern nachholen können. Dies hätte zwar möglicherweise seine Ausbildung insgesamt verlängert, was am Ende auch Auswirkungen auf die Förderungsfähigkeit hätte haben können, dies sei aber nicht zwingend so, da eine zu Grunde liegende nachgewiesene Erkrankung durchaus die Förderungshöchstdauer verlängern könne. Dass der Kläger sich nach Beendigung seines Krankenhausaufenthaltes entschlossen habe, das zweite Semester noch einmal ganz von vorne zu beginnen, sei daher seine persönliche Entscheidung, deren Folgen er sich insgesamt zurechnen lassen müsse. Hierbei könnten nicht nur die gewollten und als positiv empfundenen Folgen eintreten (Neuanfang an einem Punkt vor dem krankheitsbedingten Ausfall, Nichtmitzählen als Fachsemester, Verschieben der Förderungshöchstdauer und der Fälligkeit der Vorlage der Leistungsbescheinigung für die weitere Förderung), sondern die damit verbundenen negativen Folgen müssten ebenfalls in Kauf genommen werden (Wegfall des Anspruchs auf Ausbildungsförderung, da keine Ausbildung betrieben worden sei, Rückzahlungspflicht für bereits erhaltene Förderleistungen). Die Entscheidung des Klägers sei sicher auch dadurch mitbestimmt worden, dass er im ersten Semester schon kaum Leistungsnachweise erbracht habe. Da er sein Studium schließlich nach dem dritten Fachsemester abgebrochen habe, habe er die positiven Folgen des Urlaubssemesters nicht umfassend in Anspruch nehmen können. Dies ändere jedoch nichts daran, dass er selbst diese Entscheidung getroffen habe, ohne durch die Umstände dazu gezwungen gewesen zu sein. Die negativen Folgen für den Kläger seien auch dadurch gemildert, dass ihm die Ausbildungsförderung für die ersten drei Monate belassen worden sei, weil der Beklagte anerkannt habe, dass die Unterbrechung des Studiums auf seiner Krankheit beruht habe (§ 15 Abs. 2 a BAföG). Es sei jetzt nur noch ein Restbetrag von 353,60 EUR vom Kläger zu erbringen.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat durch Beschluss vom 13. Februar 2014 die Berufung gegen das Urteil vom 10.6.2013 zugelassen.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung wehrt sich der Kläger weiter gegen die Rücknahme der Bewilligung und Rückforderung der geleisteten Zahlungen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei ihm die Unterbrechung seines Studiums nicht vorzuwerfen. Nach einhelliger Auffassung anderer Obergerichte und des Bundesverwaltungsgerichts sei Krankheit kein zu vertretender Grund. Er sei zwar körperlich in der Lage gewesen, die Vorlesungen sowohl vor als auch nach der OP zu besuchen, jedoch psychisch sei das gesamte Zweitsemester von der Spannung getragen, ob es Krebs sei oder nicht und welche weiteren Konsequenzen sich aus einem positiven Befund ergeben würden, sowohl für das derzeitige Studium als auch für sein gesamtes weiteres Leben. Es gehe eben nicht nur um die drei Wochen tatsächliche Fehlzeit. Sein nach wie vor bestehender Lernwille dürfe nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden. Dass er bis kurz vor Beginn als auch unmittelbar nach Abschluss der stationären Behandlung an Vorlesungen wieder teilgenommen habe, ändere nichts an der Schwere der Erkrankung und der Belastung. Es stoße auf mehr als nur Unverständnis, wenn ihm quasi vorgeworfen werde, die Krankheit nur als Vorwand für die Beantragung eines Urlaubssemesters genutzt zu haben oder ohnehin nicht leistungsfähig zu sein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 10. Juni 2013 zu ändern und den Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 13. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Es dürfe unstreitig sein, dass der Kläger sein Studium im Sommersemester 2011 unterbrochen habe. Ebenso dürfe unstreitig sein, dass für Urlaubssemester, gleichgültig ob Hintergrund für die Beurlaubung eine Erkrankung oder ein anderer Grund sei, Ausbildungsförderung nicht zu gewähren sei. Vorliegend gehe es allein um die Frage, ob im Falle eines Urlaubssemesters bei bereits bewilligter und ausgezahlter Ausbildungsförderung diese zurückzufordern sei. Soweit der Kläger auf die Entscheidung des 5. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 1979 verweise, sei zu bedenken, dass sich inzwischen die Regelungen des BAföG und des SGB X geändert hätten. Die oben erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stelle daher auf die Rückzahlungspflicht gemäß § 20 Abs. 2 BAföG ab, wonach Ausbildungsförderung nur für die Kalendermonate zurückzuzahlen sei, in denen die Ausbildung aus einem vom Auszubildenden zu vertretenden Grund unterbrochen worden sei. Infolge von Gesetzesänderungen dürfe zwischenzeitlich jedoch § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG in Verbindung mit § 50 SGB X Anwendung finden, auf ein "Vertreten müssen", komme es danach nicht an. In diesem Sinne habe das Bundesverwaltungsgericht bereits 1998 entschieden. Der Kläger genieße auch keinen weitergehenden Vertrauensschutz. Für drei Monate des Urlaubssemesters sei ihm ohnehin schon Ausbildungsförderung belassen worden. Der Kläger habe es jedoch unterlassen, unverzüglich von seiner Beurlaubung im Sommersemester Mitteilung zu machen. Die Beurlaubung sei am 13. Juli 2011 ausgesprochen worden, er habe dies jedoch erst anlässlich der Stellung des Weiterförderungsantrages mitgeteilt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Rechtsweg:

VG Schleswig Urteil vom 10.06.2013 - 15 A 145/12
BVerwG Beschluss vom 25.06.2015 - 5 C 15.14

Quelle:

Landesrechtsprechung Schleswig-Holstein

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nur bezüglich der Rückforderung der Ausbildungsförderung für den Monat Juli 2011 begründet.

Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf Ausbildungsförderung gemäß § 15 Abs. 2 BAföG nur für die Dauer der Ausbildung. Durch die Beurlaubung für das Sommersemester 2011 hat der Kläger seine Hochschulausbildung unterbrochen. Auch eine rückwirkend ausgesprochene Beurlaubung - sei sie auch durch Krankheit veranlasst - hat förderrechtlich die Folge, dass dem Studenten Ausbildungsförderung für das Urlaubssemester nicht zusteht (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 25.11.1982 - 5 C 102/80 -, BVerwGE 66, 261). Die Voraussetzungen für die (teilweise) Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 29. November2010 lagen somit vor. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass auch die Rückforderung der Ausbildungsförderung rechtmäßig ist.

Das Verwaltungsgericht hat § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG als Rechtsgrundlage für die strittige Maßnahme angenommen. Danach ist der Förderungsbetrag für den Kalendermonat oder den Teil des Kalendermonats zurückzuzahlen, in dem der Auszubildende die Ausbildung aus einem von ihm zu vertretenden Grund unterbrochen hat. Voraussetzung dafür wäre also, dass der Kläger die Unterbrechung seiner Ausbildung zu vertreten hatte. Auch wenn der Kläger von sich aus die Beurlaubung beantragt und damit jedenfalls in formaler Hinsicht auch die Unterbrechung der Ausbildung veranlasst hat, kann darauf nicht ausschlaggebend abgestellt werden. Der Begriff des Vertretenmüssens enthält bei derartigen Regelungen das subjektive Moment der Vorwerfbarkeit (so BVerwG, Urt. v. 21.06.1979, - 5 C 15/78 -, BVerwGE 58, 132). Auch wenn der Kläger tatsächlich nur drei Wochen nicht an den Vorlesungen teilgenommen hat, wird es der Schwere seiner Erkrankung nicht gerecht, wenn ihm ab Anfang Juli wieder volle Studierfähigkeit unterstellt wird. Eine Krebserkrankung - auch wenn die Krankschreibung nur drei Wochen dauert - kann nicht mit einer sonstigen dreiwöchigen Krankheit, etwa einer Grippe, verglichen werden. Spätestens nach der Äußerung des Verdachts, dass es sich um Krebs handeln könnte, müssen die Gedanken des Klägers nur noch um diese Diagnose gekreist sein. Die psychischen Belastungen bei der Neudiagnose einer Tumorerkrankung berücksichtigt auch das Attest des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf und sie waren für die Fachhochschule Anlass genug, den Kläger ausnahmsweise kurz vor Ende der Vorlesungszeit zu beurlauben. Dass der Kläger tatsächlich die Vorlesungen besucht hat, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden; schließlich bedeutet dies auch Ablenkung von der Krankheit. Seiner Bitte, von den zusätzlich belastenden Prüfungsarbeiten befreit zu werden, wollte oder konnte die Fachhochschule nur durch die Beurlaubung entsprechen. § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG scheidet damit als Rechtsgrundlage für die Rückforderung aus, weil der Kläger die Unterbrechung seiner Ausbildung nicht zu vertreten hatte.

Der Beklagte selbst hat seine Bescheide jedoch auf § 53 Satz 1 BAföG gestützt. Ändert sich danach ein für die Leistung von Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand, so wird der Bescheid zuungunsten des Auszubildenden von Beginn des Monats an geändert, der auf den Eintritt der Änderung folgt. Wegen der rückwirkend ausgesprochenen Beurlaubung bedeutet dies, dass der Kläger ab April 2011 keine förderungsfähige Ausbildung mehr betrieben hat (- auch wenn er tatsächlich bis zur ausgesprochenen Beurlaubung studiert hat -).

Nach § 53 Satz 3 BAföG findet § 48 SGB X keine Anwendung, die Erstattung richtet sich nach § 50 SGB X, der die Gewährung von Vertrauensschutz nicht vorsieht. Das ist im Regelfall auch nicht erforderlich, da bei Änderungen zuungunsten des Auszubildenden die Änderung des Bescheides erst vom Beginn des Monats an erfolgt, der auf den Eintritt der Änderung folgt. Da der Auszubildende im Regelfall Kenntnis von geänderten Umständen hat, die seine Förderungsfähigkeit betreffen, kann er sich im Folgemonat auf den Wegfall der Förderleistungen einstellen. Bei rückwirkenden Änderungen, die auch nicht vorhersehbar sind, stellt sich das anders dar.

Auch wenn § 53 BAföG bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen die Änderung des Bewilligungsbescheides strikt vorschreibt, ohne dem Gedanken des Vertrauensschutzes ausdrücklich Rechnung zu tragen, bedeutet das nicht, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 53 BAföG auch das Mindestmaß des Vertrauensschutzes hätte verweigern wollen, das je nach den Umständen einer nachträglichen, dem Auszubildenden ungünstigen Änderung eines Bewilligungsbescheids verfassungsrechtlich geboten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1992 - 11 C 6/92 -, BVerwGE 91, 306 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht führt in dem eben zitierten Urteil Folgendes aus:

"Das verfassungsrechtliche Gebot des Vertrauensschutzes folgt aus dem Rechtsstaats- und dem darin enthaltenen Rechtssicherheitsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), das dem Bürger eine gewisse Vorhersehbarkeit staatlicher Eingriffe und damit die Möglichkeit verbürgt, sich darauf einzurichten (vgl. z.B. BVerfGE 50, 244 [250]). Danach muss grundsätzlich auch das Vertrauen geschützt werden, das der Auszubildende in den Bestand eines Ausbildungsförderung bewilligenden Bescheids zu setzen und aufgrund dessen er bewilligte und gezahlte monatliche Förderungsbeträge für seinen Lebensunterhalt zu verbrauchen pflegt. Eine ungünstige Änderung des Bescheids, die sich - wie hier die nachträgliche Versagung zuvor vorbehaltlos bewilligter und geleisteter Förderung - Wirkung auch für eine zurückliegende Zeitspanne beimisst, ist daher verfassungsrechtlich nur unter besonderen Umständen zulässig; diese müssen so geartet sein, dass sie das Gewicht des Vertrauensschutzinteresses gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geringer erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 59, 128 [152, 166]).

Von vornherein wenig schutzwürdig ist ein Vertrauen in den unveränderten Bestand eines begünstigenden Verwaltungsakts ... dann, wenn sich die Änderung im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält, wenn also der Betroffene mit der Änderung rechnen musste."

Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, ist das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der Bewilligung bis Juli 2011 schutzwürdig. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er studiert und die erhaltenen Förderleistungen verbraucht. Er musste nicht damit rechnen, dass er aus Krankheitsgründen ein Urlaubssemester würde einlegen müssen. Es ist ihm auch nicht vorzuwerfen, dass er sich nicht sofort nach der Krebsdiagnose um die Beurlaubung bemüht hat. Da die Krankschreibung voraussehbar nur für eine relativ kurze Zeit erfolgen würde, durfte er zunächst darauf vertrauen, dass er ab Anfang Juli sein Studium wieder würde aufnehmen und die Prüfungen würde ablegen können. Erst danach stellte sich für ihn heraus, dass er nach der Krebsdiagnose der zusätzlichen Belastung der Prüfung nicht gewachsen war. Der Verzicht auf die Beurlaubung mit dem Risiko, die Prüfungen nicht zu bestehen, ist für den Senat in Anbetracht der begrenzten Wiederholungsmöglichkeit nicht bestandener Prüfungen keine zumutbare Alternative. Die Beantragung als Urlaubssemester war vielmehr erforderlich, um eine Chance zu haben, das Studium erfolgreich beenden zu können. Hatte der Kläger danach keine zumutbare Alternative zur Beantragung als Urlaubssemester, kann ihm auch nicht vorgehalten werden, er nutze nur die Vorteile wie das Nichtmitzählen als Fachsemester ohne die Nachteile wie den Wegfall der Förderleistung in Kauf zu nehmen. Für die nach dem Antrag liegenden Monate August und September 2011 ist dies zutreffend, weil er von da an wusste oder wissen musste, dass er keinen Förderanspruch mehr hatte, für die davor liegende Zeit jedoch nicht.

Aus dem vom Beklagten angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.10.1998 (Az. - 5 C 33/97 -) ergibt sich nichts anderes. Die Entscheidung betraf die jahrelange, nicht gemeldete Unterbrechung eines Studiums; der Studierende erkrankte dann während der schon bestehenden Unterbrechung. Die irrige Annahme, auch während einer nicht von ihm zu vertretenden Unterbrechung des Studiums stehe ihm Ausbildungsförderung zu, kann danach keine rechtlich schützenswerte Vertrauensposition herausbilden. Darum geht es hier jedoch nicht. Abgesehen von August und September 2011 hat der Kläger Ausbildungsförderung zu einem Zeitpunkt erhalten, als er die Fördervoraussetzungen der Auszahlung noch tatsächlich erfüllt hatte.

Mit Beantragung und Bewilligung der Beurlaubung im Juli 2011 wusste der Kläger oder hätte in jedem Fall wissen müssen -, dass er im August und September keinen Förderanspruch mehr hatte. Jeder Bescheid über Bewilligung von Ausbildungsförderung enthält den Hinweis, dass eine Unterbrechung der Ausbildung sofort zu melden ist, da sie Auswirkungen auf die Leistung von Ausbildungsförderung hat. Die Rückforderung der Förderung für die Monate August und September 2011 ist damit nicht zu beanstanden. Ein Vertrauensschutz steht dem Kläger für diesen Zeitraum nicht zu. Das vom Kläger insoweit zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.09.1987 (Az. - 5 C 75/84 -) steht dieser Einschätzung schon deswegen nicht entgegen, weil es sich auf die alte Rechtslage bezieht. Außerdem betraf die Entscheidung die Unterbrechung des Studiums aus einem vom Studierenden zu vertretenden Grund.

Die Berufung hat somit hinsichtlich der Rückforderung der Ausbildungsförderung für den Monat Juli 2011 Erfolg, im Übrigen war die Berufung mit der sich aus § 155 Satz 1 VwGO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Frage der Rückforderung von Ausbildungsförderung bei rückwirkend ausgesprochener Beurlaubung, die der Studierende nicht zu vertreten hat, grundsätzliche Bedeutung hat.

Referenznummer:

R/R6950


Informationsstand: 04.08.2016