Urteil
Rücknahme bzw. Widerruf von Bescheiden zur Bewilligung von Leistungen des Integrationsamtes zur Teilhabe am Arbeitsleben nach der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung - Ausschluss von Vertrauensschutz - Nichtangabe eines Antrags auf Ruhegeld - Grobe Fahrlässigkeit

Gericht:

VG Würzburg 3. Kammer


Aktenzeichen:

W 3 K 09.105 | 3 K 09.105


Urteil vom:

12.10.2009


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

I.

1.

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme bzw. den Widerruf zweier Zuwendungsbescheide.

Seit einem Motorradunfall Anfang September 2005 ist der Kläger schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 % (Bescheid des Versorgungsamtes vom 10. Februar 2006). Vor seinem Unfall arbeitete der Kläger freiberuflich als selbständiger Architekt. Seit dem Unfall war er nicht mehr beruflich tätig.

Mit Schreiben vom 28. März 2006 beantragte der nunmehr querschnittsgelähmte Kläger beim Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS)/Integrationsamt, Region Unterfranken, eine Förderung für die behindertengerechte Ausstattung seiner Wohnung gemäß § 22 Schwerbehindertenausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV). In dem Schreiben war angekreuzt, dass er selbständig und seit 1993 berufstätig sei. Der Antrag war mit folgender Formulierung begründet: "die beantragten Maßnahmen ermöglichen mir einen Zutritt bzw. ein Verlassen der Wohnung ohne fremde Hilfe um somit eigenständig Besorgungen (Unterhaltssicherung) oder Tätigkeiten (Arbeit!) auszuüben." Zudem befand sich am Ende des Bescheids, jedoch noch vor der Unterschrift des Klägers, der Zusatz: "... Mir ist bekannt, dass auch Anträge auf Renten oder ähnliche Leistungen, die nach Einreichung dieses Antrags gestellt werden, von der Anzeigepflicht erfasst werden."

Daraufhin gewährte das ZBFS mit Bescheid vom 7. April 2006 dem Kläger einen Zuschuss in Höhe von 3.500,00 EUR. Der Betrag wurde am 23. Mai 2006 auf das Konto des Klägers überwiesen. Ausweislich des Bescheides handelte es sich um einen Zuschuss zur Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz im Rahmen der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gemäß SGB IX. Laut Ziffer 4 des Bescheids ist der Zuschuss zweckgebunden. Laut Ziffer 11 a) wird die Bewilligung gegenstandslos, wenn die Voraussetzungen für die Verwendung des Zuschusses entfallen. Weiterhin wurde dem Kläger aufgetragen, dem ZBFS umgehend mitzuteilen, wenn der Verwendungszweck oder sonstige für die Bewilligung der Hilfe maßgeblichen Umstände sich ändern oder diese wegfallen würden.

Mit Schreiben vom 3. April 2006 beantragte der Kläger weiterhin auch Leistungen als Hilfe zum Erreichen des Arbeitsplatzes gemäß § 20 SchwbAV. Auch hier gab der Kläger an, dass er als freiberuflich selbständiger Architekt seit 1993 tätig sei und führte weiterhin aus, er benötige das behindertengerecht umgebaute Fahrzeug zur Sicherung seines Unterhalts. Unter Ziffer 6 Unterziffer 2 war auf die Frage danach, ob der Antragsteller Anträge auf gleichartige Leistungen, Gewährung von Renten oder ähnlichen Bezügen gestellt habe, über die noch nicht entschieden sei, das Antwortfeld "Nein" angekreuzt. Zudem befand sich am Ende des Antragsformulars derselbe Zusatz wie im oben erwähnten Antrag vom 28. März 2006.

Mit Bescheid vom 20. April 2006 wurde dem Kläger ein Zuschuss zur Beschaffung der behinderungsbedingten Zusatzausstattung des KFZ in Höhe von 5.218,96 EUR bewilligt. Der Bescheid enthielt Hinweise, die im Wesentlichen denjenigen im Bescheid vom 7. April 2006 entsprachen. Der Betrag wurde am 28. September 2006 auf das Konto des Klägers überwiesen.

Am 27. März 2006 beantragte der Kläger bei der Bayerischen Versorgungskammer - Architektenversorgung - ein Ruhegeld bei vorübergehender Berufsunfähigkeit. In dem Antrag war ein Feld angekreuzt, wonach der Antragsteller wahrheitsgemäß versichere, dass er ab 03. September 2005 keinerlei berufliche Tätigkeit mehr ausübe bzw. ausüben werde. Dieses Ruhegeld wurde ihm sodann mit Bescheid vom 12. Juli 2006 rückwirkend ab dem 3. Januar 2006 zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2006 bewilligt. In der Folgezeit wurde die Gewährung des Ruhegeldes bis zum 31. Dezember 2007 und mit Bescheid vom 5. November 2007 schließlich bis zum 31. Dezember 2010 verlängert. Am 19. Oktober 2007 hatte der Kläger bei der Bayerischen Versorgungskammer ein ärztliches Attest vorgelegt, wonach eine regelmäßige Erwerbstätigkeit des Klägers für nicht möglich gehalten wurde.

Das ZBFS erfuhr Ende August 2008 von dem Antrag des Klägers bei der Bayerischen Versorgungskammer. Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 3. September 2008 nahm der Beklagte mit Bescheid vom 12. Januar 2009 die Zuwendungsbescheide vom 7. April sowie vom 20. April 2006 zurück. Hilfsweise wurden die Zuwendungsbescheide widerrufen. Weiterhin verlangte der Beklagte die Erstattung der beiden ausgezahlten Beträge sowie die Verzinsung der Beträge von dem Tage der Auszahlung an in Höhe von jeweils 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz jährlich. Bezüglich der Ziffern 1 bis 5 des genannten Bescheides wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Der Beklagte stützte die Rücknahme der Bescheide in erster Linie auf §§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X.

Die Bescheide seien von Anfang an rechtswidrig gewesen, da der Kläger zu keinem Zeitpunkt hätte wieder arbeiten können. Dies ergebe sich jedenfalls daraus, dass der Kläger fast zeitgleich mit der Beantragung der gewährten Leistung beim ZBFS/Integrationsamt auch einen Antrag bei der Bayerischen Versorgungskammer auf Ruhegeld gestellt hatte. Schützenswertes Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Förderbescheide bestehe nicht, weil der Kläger vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig Angaben gemacht habe, die in wesentlicher Weise unrichtig wären. Schon aus den Antragsformularen des ZBFS sowie aus den Beratungskontakten hätte der Kläger wissen müssen, dass die Leistung nur als sogenannte Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben gewährt worden sei und seiner Arbeitsfähigkeit damit eine zentrale Bedeutung zugekommen sei.

Im Rahmen der Ermessenserwägungen wurde zu Gunsten des öffentlichen Interesses an der Rückforderung des gewährten Zuschusses das Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung von Haushaltsmitteln sowie die Bösgläubigkeit des Klägers angeführt. Zu Gunsten des Klägers wurde angeführt, dass dieser - jedenfalls nach seinen eigenen Angaben- nur von einer Berufsunfähigkeitsrente lebe und über kein nennenswertes Vermögen verfüge.

Der hilfsweise erklärte Widerruf wurde damit begründet, dass selbst bei Annahme der Rechtmäßigkeit der Bescheide die Leistung jedenfalls nicht für den in dem Verwaltungsakt jeweils bestimmten Zweck verwendet worden sei. Wegen der durchgehend gegebenen Berufsunfähigkeit des Klägers hätten die Hilfen des ZBFS niemals ihr Ziel erfüllen können. Weiterhin könne der Widerruf auch auf § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X gestützt werden, da der Kläger nicht mitgeteilt habe, dass ihm von der Bayerischen Versorgungskammer mit Bescheid vom 12. Juli 2006 die Berufsunfähigkeitsrente gewährt worden sei.

2.

Am 13. Februar 2009 ließ der Kläger beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage erheben mit dem Antrag,

den Bescheid vom 12. Januar 2009 aufzuheben.

Am 4. Juni 2009 wurde zudem noch unter dem gesonderten Aktenzeichen W 3 S 09.444 beantragt,

die aufschiebende Wirkung der o.g. Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht Würzburg gab mit Beschluss vom 21. Juli 2009 diesem Antrag statt, weil die Begründung der Sofortvollzugsanordnung durch den Beklagten nicht ausreichen würde. Im Übrigen wird auf die genannte Gerichtsakte verwiesen.

Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kläger selbst zum Zeitpunkt der Antragstellung gegenüber dem ZBFS nicht von seiner Arbeitsunfähigkeit ausgegangen sei. Vielmehr sei der Kläger davon ausgegangen, dass er in absehbarer Zeit wieder beruflich tätig sein würde. Bei der Beantragung des Ruhegeldes bei der Bayerischen Architektenkammer sei dem Kläger nicht bewusst gewesen, dass es sich hierbei um eine Berufsunfähigkeitsrente handelte. Er habe geglaubt, die Leistungen der Bayerischen Versorgungskammer hätten lediglich als Übergangsgeld bis zu dem Zeitpunkt dienen sollen, zu dem er wieder einen Arbeitsplatz würde gefunden haben. Die vorübergehende Einweisung in das Ruhegeld habe der Kläger nicht mit einer Rentenzahlung gleichgesetzt. Trotz seines Gesundheitszustandes, der im Übrigen auch dem ZBFS bekannt gewesen sei, habe sich der Kläger für berufstauglich gehalten, was auch dadurch belegt werde, dass er sich mehrfach bei verschiedenen Arbeitgebern beworben habe. Für den Kläger als Laien sei es weder erkennbar noch absehbar gewesen, wie sich seine Schwerbehinderung in medizinischer Hinsicht auf seine künftige Berufsfähigkeit auswirken würde. Die Bescheide würden daher nicht auf Angaben beruhen, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig gemacht hat.

Hinsichtlich eines etwaigen Widerrufs berief sich der Kläger darauf, dass die Leistungen zweckgemäß verwendet worden seien.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass die beiden Zuwendungsbescheide vom 07. April 2006 und vom 20. April 2006 von Anfang an rechtswidrig gewesen seien. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger bereits am 27. März 2006, also einen Tag vor dem an das Integrationsamt gerichteten Antrag auf Wohnungshilfeleistungen, bei der Bayerischen Architektenversorgung einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsruhegeld gestellt hat. Damit würde feststehen, dass der Kläger sich selbst bereits Ende März 2006 für unfähig gehalten habe, den Architektenberuf nach dem erlittenen Unfall wieder aufnehmen zu können. Aus dem Attest vom 19. Oktober 2007 würde sich sogar ergeben, dass der Kläger dauerhaft erwerbsunfähig sei, weil eine Besserung seiner Beschwerden auch in Zukunft nicht zu erwarten sei. Die Einlassung des Klägers, er habe die Berufsunfähigkeitsrente nur als eine vorübergehende Leistung erachtet, sei unglaubhaft. Der Kläger habe damit stets entgegen der tatsächlichen Situation seine Lage gegenüber dem ZBFS so dargestellt, als könne er in baldiger Zukunft wieder arbeiten. Die Einlassung des Klägers, er habe bei Beantragung der Berufsunfähigkeitsrente nicht gewusst, für wie lange ihm diese gewährt würde, sowie die vorgetragene Angabe, dass der Kläger die Rente für sich nur als ein sog. Übergangsgeld verstanden habe, seien völlig bedeutungslos.

Selbst wenn man unterstellen würde, dass der Kläger nicht gewusst habe, dass die Förderung des ZBFS von dessen Arbeitsfähigkeit abhängen würde, so wäre ihm jedenfalls grob fahrlässiges Handeln im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X anzulasten. Dies habe sich bereits aus den entsprechenden Anträgen ergeben, was der Kläger mit seinen persönlichen Fähigkeiten als Architekt auch hätte erkennen können und müssen. Der hilfsweise erklärte Widerruf wurde damit begründet, dass die vom ZBFS geförderten Umbauten zu keiner Zeit dem Kläger zur Teilhabe am Arbeitsleben gedient hätten, sondern von Anfang an nur seine allgemeine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht hätten. Hierfür sei aber nicht das Integrationsamt, sondern ein Rehabilitationsträger zuständig.

Durch Beschluss vom 17. August 2009 hat das erkennende Gericht dem Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattgegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 12.Oktober 2009 wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Behördenakten des ZBFS und der Bayerischen Versorgungskammer -Architektenversorgung-, sowie auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist vollumfänglich unbegründet. Der angegriffene Aufhebungs- und Rückzahlungsbescheid vom 12. Januar 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

I.

1. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der beiden Zuwendungsbescheide vom 7. April 2006 und vom 20. April 2006 ist § 45 SGB X.

Bei den beiden Zuwendungsbescheiden handelt es sich jeweils um zwei zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte zu Gunsten des Klägers. Die objektive von Anfang an gegebene Rechtswidrigkeit der Zuwendungsbescheide ergibt sich aus folgender Überlegung: Grundlage für Zuwendungen nach § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 SGB IX, §§ 20, 21, 22 SchwbAV ist die Arbeitsfähigkeit des Antragstellers, da Sinn und Zweck der Zuwendung die Förderung einer bereits bestehenden oder auch anstehenden beruflichen Tätigkeit durch den schwerbehinderten Menschen ist. Rein objektiv hat eine Arbeitsfähigkeit des Klägers jedoch zu keinem Zeitpunkt seit dem Unfall bestanden. Nach eigener Aussage des Klägers ist aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen, die sich nicht gebessert haben, bei realistischer Betrachtung auch nicht damit zu rechnen, dass sich die Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zukunft wieder einstellen wird. Der Kläger hat zudem in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass nach seinem Unfall eine selbstständige berufliche Tätigkeit als Architekt, auf die die Zuwendungsbescheide gerade ausgerichtet waren, "allenfalls mit viel Wohlwollen aller am jeweiligen Bauprojekt Beteiligter" möglich gewesen wäre. Grundsätzlich hielt er demnach sogar selbst seine Arbeitsfähigkeit nicht für gegeben.


2. Die Zuwendungsbescheide durften damit unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 45 SGB X zurückgenommen werden.

Der Kläger kann sich indes nicht auf Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X zu seinen Gunsten berufen. Sein Vertrauensschutz ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ausgeschlossen, weil sowohl der Zuwendungsbescheid vom 7. April 2006 als auch der vom 20. April 2006 auf Angaben beruhen, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig gemacht hat.

Dabei betreffen die Falschangaben zum einen die Berufsfähigkeit des Klägers an sich. Der Kläger hat gegenüber dem Integrationsamt seine tatsächliche gesundheitliche Situation nicht offengelegt. Zwar erscheint es noch nachvollziehbar, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung gegenüber dem Integrationsamt hoffte bzw. glaubte, seine persönliche Situation würde sich künftig bessern und er würde wieder arbeiten können.

Zur Überzeugung des Gerichtes hat er aber pflichtwidrig gegenüber dem Integrationsamt nichts von der auch ihm selbst erkennbaren Unsicherheit dieser Einschätzung, die offensichtlich gegeben war, erwähnt. Dass er sich dieser Unsicherheit bewusst war oder zumindest bewusst sein musste, ergibt sich daraus, dass er unter Vorlage eines ärztlichen Attestes gegenüber der Bayerischen Architektenkammer ein Ruhegeld beantragte. Aus dem Attest, datierend vom 27. März 2006 (Blatt 7 der Akte der Bayerischen Architektenversorgung), ergibt sich, dass mit einer Arbeitsaufnahme seitens des Klägers jedenfalls zunächst bis Ende des Jahres 2006 nicht mehr zu rechnen gewesen sei.

Diese Angabe machte der Kläger zudem auch in dem Antrag auf Einweisung in das Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit (Blatt 9 der Akte der Bayerischen Architektenversorgung), indem er dort versicherte, dass er ab 3. September 2005 keinerlei berufliche Tätigkeit mehr ausübe bzw. ausüben werde. Auch wenn der Kläger diese Situation nur als vorübergehend erachtet haben mag, wie er sich einlässt, so war ihm dennoch klar, dass zu dem damaligen Zeitpunkt seine Arbeitsfähigkeit zumindest noch nicht gegeben war. Gemäß dem ärztlichen Attest durfte der Kläger damit zwar auf eine künftige Berufsfähigkeit hoffen. Indes konnte er sich dessen jedoch nicht sicher sein und hätte dies gegenüber dem Integrationsamt angeben müssen. Auch wenn der Kläger medizinischer Laie ist, so hatte er dennoch durch das von seinem Bruder ausgestellte ärztliche Attest gegenüber dem Integrationsamt einen Wissensvorsprung, den er hätte offenbaren müssen.

Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass dem Kläger die Bedeutung seiner Arbeitsfähigkeit für die Zuwendungen bewusst war. Er hat selbst die Anträge, von denen der Antrag vom 3. April 2006 sogar bereits mit "Hilfen zum Erreichen des Arbeitsplatzes" überschrieben ist, gestellt. Der Antrag vom 28. März 2006 war mit folgender Formulierung begründet: "Die beantragten Maßnahmen ermöglichen mir einen Zutritt bzw. ein Verlassen der Wohnung ohne fremde Hilfe um somit eigenständig Besorgungen (Unterhaltssicherung) oder Tätigkeiten (Arbeit!) auszuüben."

Der Kläger hat jedoch nicht auf die bestehenden Zweifel bezüglich seiner Arbeitsfähigkeit hingewiesen. Der von der Kammer im Einverständnis mit den Parteien informatorisch befragte Regierungshauptsekretär Exner vom ZBFS hat glaubwürdig geschildert, dass der Kläger keinerlei Angaben in dieser Richtung gemacht habe. Einzelheiten zum Gesundheitszustand seien zwar nicht besprochen worden, allerdings habe der Kläger sich als einigermaßen einsatzfähig dargestellt. Seine damals noch bestehenden körperlichen Beeinträchtigungen seien von dem Kläger nicht erwähnt worden. Im Übrigen habe der Kläger auch sonst trotz seiner Querschnittslähmung wegen seines kräftig wirkenden Oberkörpers einen arbeitstauglichen Eindruck gemacht. Diese Darlegungen erscheinen auch im Hinblick darauf glaubhaft, dass es ansonsten nicht erklärlich wäre, warum das ZBFS bei einer entsprechenden Kenntnis vom Zustand des Klägers dennoch die Leistungen gewährt haben sollte.

Indem der Kläger es also gegenüber dem ZBFS unterließ, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu seinem tatsächlichen Gesundheitszustand, soweit es seine Arbeitsfähigkeit betrifft, zu machen, hat er den Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X verwirklicht. Ihm hätte es sich schon angesichts der Anträge, die er eigenhändig ausgefüllt hatte, geradezu aufdrängen müssen, dass seine Arbeitsfähigkeit von entscheidender Bedeutung für die Zuwendungen durch das Integrationsamt war. Unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit als immerhin akademisch gebildeter Mensch hat der Kläger damit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße verletzt (vgl. von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 45, RdNr. 24).

Insoweit beruhen die Zuwendungsbescheide auch auf den Angaben des Klägers. Zwar liegt es in der Natur der Sache, dass die Zuwendungen nach den §§ 20, 21, 22 SchwbAV auch erst in Zukunft aufzunehmende berufliche Tätigkeiten fördern sollen und nicht nur bereits bestehende. Allerdings gilt dies nicht bei einer solchen Ungewissheit bezüglich einer künftigen Arbeitsaufnahme wie sie hier gegeben war (eine Arbeitsaufnahme vor Ablauf des Jahres 2006 war laut ärztlichem Attest ausgeschlossen).

3. Selbst wenn man unterstellen würde, der Kläger hätte gegenüber dem ZBFS vollständig und wahrheitsgemäß auf die Tatsachen bezüglich seiner Arbeitsfähigkeit hingewiesen, würde sich an dem gefundenen Ergebnis nichts ändern.

Denn der Kläger hat auch in einem anderen Punkt Angaben gemacht, die in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig sind. Er hat weder im Antrag vom 28. März 2006 noch im Antrag vom 3. April 2006 erwähnt, dass er am 27. März 2006, also einen Tag vor dem erstdatierenden Antrag, bei der Bayerischen Architektenversorgung ein Ruhegeld beantragt hatte. Hierzu war er jedoch ausweislich der Antragsformulare verpflichtet.

In dem Antrag vom 3. April 2006 (Blatt 23 der Akte des ZBFS) ist ausdrücklich unter Ziffer 6, Unterziffer 2 folgende Fragestellung aufgenommen: "Haben Sie Anträge auf gleichartige Leistungen, Gewährung von Renten oder ähnlichen Bezügen gestellt, über die noch nicht entschieden ist?" Der Kläger hat hierzu das Antwortfeld "Nein" angekreuzt.

Im Antrag vom 28. März 2006 findet sich eine solche Fragestellung zwar nicht. Es wird lediglich danach gefragt, ob bereits ein Antrag auf gleichartige Leistungen gestellt wurde. Jedoch befindet sich am Ende des Antrags, vor der Zeile für die Unterschrift des Antragstellers, ein Zusatz, wonach der Antragsteller zusichert, dass ihm bekannt sei, dass auch Anträge auf Renten oder ähnliche Leistungen, die nach Einreichung dieses Antrags gestellt werden, von der Anzeigepflicht erfasst würden.

Der Kläger hat sich zwar dahingehend eingelassen, dass er das gewährte Ruhegeld nicht als Rente oder ähnliche Leistungen angesehen habe, weil er davon ausgegangen sei, die Leistungen nur vorübergehend in Anspruch nehmen zu müssen. Dennoch musste er sich aufgrund der zumindest vorübergehenden Regelmäßigkeit der Zahlungen des Renten- bzw. rentenähnlichen Charakters der Leistungen bewusst gewesen sein, zumal er wusste, dass das Ruhegeld unmittelbare Ersatzfunktion für sein früheres Einkommen als selbständiger Architekt hatte.

Wenn er sich dessen nicht bewusst war, so trifft ihn jedenfalls grobe Fahrlässigkeit bezüglich dieser Unkenntnis. Aufgrund seiner geistigen Anlagen musste dem Kläger klar sein, dass er gegenüber dem Integrationsamt auch einen Antrag wie den auf Ruhegeld anzugeben hatte. Der Kläger könnte sich auch nicht darauf berufen, dass die Formulierung im Antragsvordruck vom 28. März 2006 lautet, dass Anträge auf Renten oder ähnliche Leistungen, die nach Einreichung dieses Antrags gestellt werden, von der Anzeigepflicht erfasst werden. Aufgrund der Formulierung "auch" ist es nämlich evident, dass umso mehr Anträge auch auf Renten oder ähnliche Leistungen, die vor Einreichung des Antrags gestellt wurden, von der Anzeigepflicht miterfasst werden.

Jedenfalls auf diesen Falschangaben beruhen die Zuwendungsbescheide. Bei Kenntnis des gestellten Antrags auf Ruhegeld wäre eine Förderung zur Teilhabe am Arbeitsleben durch das Integrationsamt nicht möglich gewesen.

4. § 45 Abs. 1 SGB X räumt der Behörde bezüglich ihrer Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsaktes Ermessen ein. Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht gemäß § 114 VwGO auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Ermessensfehlerhaft ist ein Verwaltungsakt insbesondere, wenn die Behörde bei ihrem Handeln von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht, Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art berücksichtigt, die nach Sinn und Zweck des zu vollziehenden Gesetzes oder aufgrund anderer Rechtsvorschriften oder allgemeiner Rechtsgrundsätze dabei keine Rolle spielen können oder dürfen, oder umgekehrt wesentliche Gesichtspunkte außer Acht lässt, die zu berücksichtigen wären (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., RdNr. 12 zu § 114). Insbesondere darf die Behörde nicht schematisch und ohne Berücksichtigung der nach dem Zweck und der Wertung des Gesetzes zu berücksichtigenden besonderen Situation des Einzelfalls entscheiden (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., RdNr. 16 zu § 114).

Etwas anderes gilt jedoch bei sogenannten intendierten Entscheidungen. An dieser Stelle kann daher offen bleiben, ob das Integrationsamt - wie auch im Rahmen der Begründung des Sofortvollzugs - sich dezidiert mit der besonderen persönlichen Situation des Klägers hätte auseinandersetzen müssen. Jedenfalls liegt nämlich ein Fall des intendierten Ermessens vor, der aufgrund der Sachlage regelmäßig nur die hier getroffene Entscheidung zulässt.

In Fällen des Ausschlusses des Vertrauensschutzes lenkt das Gesetz das der Behörde zustehende Ermessen dahin, dass der Verwaltungsakt grundsätzlich zurückzunehmen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müssen, wenn eine ermessenseinräumende Vorschrift dahingehend auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, so versteht sich das Ergebnis der Abwägung nämlich von selbst. Dann bedarf es auch insoweit keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung der Entscheidung. Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falls bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerfreier Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind (vgl. zu alldem BVerwG vom 23.05.1996 Az.: 3 C 13.94). Eine solche außergewöhnliche Situation ist indes dem Gericht nicht ersichtlich und wurde auch nicht vorgetragen.

5. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist ebenfalls gewahrt. Das Integrationsamt hat erst seit dem 29. August 2008, als das Antwortschreiben der Bayerischen Versorgungskammer vorgelegen hat, gesicherte Kenntnis davon bekommen, dass der Kläger bereits mit Antrag vom 27. März 2006 bei der Versorgungskammer Ruhegeld beantragt hatte und damit schon damals Zweifel an seiner Berufsfähigkeit gehabt haben musste.

Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X durften die Bescheide aufgrund des Vorliegens des Tatbestandes des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Da die Voraussetzungen für eine rückwirkende Rücknahme der Bescheide nach § 45 SGB X gegeben sind, war vom Gericht nicht mehr zu prüfen, ob die Entscheidung des Integrationsamtes auch aufgrund des Eintritts einer auflösenden Bedingung rechtmäßig war.

Ebenso wenig bedarf es eines Eingehens auf den hilfsweise erfolgten Widerruf der Zuwendungsbescheide nach § 47 SGB X.


II.

Der Rückforderungsanspruch des Beklagten beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach hat der Kläger die erhaltenen 8.718,96 EUR zurückzuzahlen.

Die Pflicht zur Verzinsung der zu erstattenden Beträge ab dem 23. Mai 2006 bzw. ab dem 28. September 2006 ist ebenfalls rechtmäßig. Gemäß § 50 Abs. 2a Satz 1 SGB X ist der Erstattungsanspruch mit 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz vom Eintritt der Unwirksamkeit an zu verzinsen. Die Geltendmachung der Verzinsung erst ab dem 23. Mai 2006 bzw. dem 28. September 2006, also später als dem Eintritt der Unwirksamkeit, ist damit jedenfalls rechtmäßig.

Dem Kläger bleibt es dabei unbenommen, bei Nachweis entsprechender Einkommens- bzw. Vermögensverhältnisse einen Antrag auf Stundung oder (Teil-) Erlass der dem Integrationsamt zustehenden Forderungen zu stellen.


III.

Der Ausspruch zur Kostenfolge beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.



Beschluss

Der Gegenstandswert wird auf 8.718,96 EUR festgesetzt (§ 23 Abs. 1 Satz 1 RVG, § 52 Abs. 1 GKG).

Referenznummer:

R/R5477


Informationsstand: 30.01.2013