Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob ein Riss der Supraspinatussehne rechts als - weitere - Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennen ist und dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls über den 13.06.2016 hinaus ein Anspruch auf Verletztengeld aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht. Außerdem streiten die Beteiligten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, Vorauszahlungen auf Verletztengeld für die Zeit ab dem 14.06.2016 in Höhe von 7.500,-
EUR zu erstatten.
Der 19... geborene, als selbständiger Transportunternehmer im Güternahverkehr tätige Kläger ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Er erlitt am 08.01.2015 einen Arbeitsunfall, als er auf dem Heimweg von einem Kunden als angeschnallter Fahrer beim Ausweichen eines entgegenkommenden Fahrzeuges mit seinem eigenen Fahrzeug von der Straße abkam und in den Straßengraben fuhr. Seinen eigenen Angaben zufolge lösten die Airbags seines Fahrzeugs dabei nicht aus. Der Chirurg
Dr. F. erhob am Unfalltag u.a. mit voller Kraft frei bewegliche Arme ohne sensomotorische Defizite. Die radiologische Untersuchung der Halswirbelsäule und des Brustkorbes ergab keinen Hinweis für eine knöcherne Verletzung, einen Pneumothorax oder einen Pleuraerguss.
Dr. F. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein HWS-Distorsionstrauma und eine Thoraxprellung links (
vgl. Durchgangsarztbericht vom 08.01.2015). Am 12.01.2015 stellte sich der Kläger bei dem Chirurgen
Dr. O. vor und klagte nunmehr über Schmerzen im Bereich des rechten Schultergelenks. Eine von ihm angegebene Schwellung in Höhe des Schultereckgelenkes erachtete
Dr. O. als Ganglion bei ansonsten schmerzfreiem AC-Gelenk. Wesentliche Entzündungszeichen, eine Überwärmung, eine Rötung oder eine Funktionseinschränkung konnte
Dr. O. nicht objektivieren. Die von ihm durchgeführte Röntgenuntersuchung ergab deutliche Zeichen einer AC-Gelenksarthrose mit entsprechendem Weichteilschatten (
vgl. Nachschaubericht vom 12.01.2015). Eine weitere Nachuntersuchung bei
Dr. O. erfolgte am 21.01.2015 wegen zunehmender Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule. Dabei erhob
Dr. O. eine beidseits aktiv und passiv schmerzfreie Beweglichkeit beider Schultergelenke ohne Impingement-Zeichen (
vgl. Nachschaubericht vom 21.01.2015). Bei der Wiedervorstellung am 04.02.2015 gab der Kläger gegenüber
Dr. O. eine Schmerzzunahme seit einigen Tagen nach Schneeräumen an (
vgl. Zwischenbericht vom 04.02.2015). Die von ihm veranlasste kernspintomografische Untersuchung der Halswirbelsäule ergab einen altersentsprechend unauffälligen Befund ohne morphologisch fassbare Traumafolgen (
vgl. Arztbrief des Radiologen
Dr. St. vom 30.01.2015). Der Neurologe
Dr. P. führte in seinem Befundbericht vom 26.02.2015 ergänzend aus, er habe keine Hinweise für eine traumatische Verletzung des zentralen oder peripheren Nervensystems oder der hirnversorgenden Gefäße objektiviert. Die vom Kläger angegebenen sensiblen Missempfindungen der Hände seien Folge eines beidseitigen Karpaltunnel-Syndroms.
Am 26.02.2015 erstattete der Kläger der Beklagten eine Unfallanzeige, in welcher er als verletzte Körperteile allein "HWS" anführte. Am 09.03.2015 nahm er seine Erwerbstätigkeit wieder auf.
Wegen unklarer Schmerzen im Bereich der rechten Schulter stellte der Kläger sich am 06.06.2016 bei dem Orthopäden
Dr. F. vor. Der Radiologe
Dr. K. erhob bei der kernspintomografischen Untersuchung der rechten Schulter am 13.06.2016 eine erheblich aufgetriebene, ansatznah weitgehend rupturierte Supraspinatussehne ohne Retraktion mit kräftiger Umgebungsreaktion und eine erheblich aktivierte und schon fortgeschrittene AC-Gelenksarthrose (
vgl. Schreiben vom 14.06.2016).
Am 04.07.2016 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08.01.2015 Entschädigungsleistungen aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Dabei machte er unter anderem einen Sehnenriss des rechten Schultergelenks als Unfallfolge geltend und trug hierzu vor, Schmerzen an der rechten Schulter seien bereits zeitlich unmittelbar nach dem Unfallereignis aufgetreten. Eine von dem Chirurgen
Prof. Dr. L. vorgeschlagene operative Therapie der Supraspinatussehnenruptur lehnte der Kläger ab (
vgl. Zwischenbericht vom 08.09.2016).
Auf Anfrage der Beklagten teilte
Dr. F. mit, er könne sich zum ursächlichen Zusammenhang zwischen der Ruptur der Supraspinatussehne und dem Arbeitsunfallereignis nicht äußern (
vgl. Schreiben vom 13.10.2016).
Prof. Dr. L. erachtete das Unfallereignis vom Januar 2015 als wesentliche Ursache für die seit dem 14.06.2016 bestehende Arbeitsunfähigkeit. Insoweit sei die AC-Gelenksarthrose "nicht von Relevanz" (
vgl. Schreiben vom 21.10.2016).
Durch Bescheide vom 17.11.2016 und vom 31.01.2017 gewährte die Beklagte dem Kläger vorläufige Vorwegzahlungen auf einen eventuellen Anspruch auf Verletztengeld von 3.000,-
EUR und weiteren 4.500,-
EUR. Beide Bescheide enthielten den Hinweis, es handele sich nicht um eine endgültige Leistungsgewährung. Der Kläger müsse mit einer vollständigen Rückforderung der Vorwegzahlung rechnen, sofern sich nach Abschluss des Feststellungsverfahrens eine fehlende Leistungspflicht der Beklagten ergeben solle.
Nach weiteren Ermittlungen (Verlaufsberichte des Ambulanten Zentrums für Rehabilitation, Vorerkrankungsverzeichnis der A. Private Krankenversicherung
AG, Beizug von bildgebenden Unterlagen der Dres. St. und K.) und gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Chirurgen
Dr. N. anerkannte die Beklagte das Unfallereignis vom 08.01.2015 als Arbeitsunfall und als dessen Folge eine HWS-Distorsion und eine Prellung der linken Brustkorbseite. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe bis zum 08.03.2015 bestanden. Die erneute Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit ab dem 14.06.2016 sei nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Der Kläger habe deshalb ab dem 14.06.2016 keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Zugleich forderte die Beklagte von dem Kläger die Erstattung der Vorwegzahlungen in Höhe von insgesamt 7.500,-
EUR (Bescheid vom 07.02.2017).
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, Ursache seiner Arbeitsunfähigkeit seit dem 14.06.2016 sei nicht die AC-Gelenksarthrose, sondern die Supraspinatussehnenruptur rechts. Diese Gesundheitsstörung sei als weitere Unfallfolge anzuerkennen. Den ursächlichen Zusammenhang insoweit habe
Prof. Dr. L. ausdrücklich bestätigt. Er habe deshalb ab dem 14.06.2016 Anspruch auf Verletztengeld. Vor diesem Hintergrund sei die Rückforderung der Vorwegzahlung in Höhe von 7.500,-
EUR rechtswidrig. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Der Riss der Supraspinatussehne rechts sei keine Unfallfolge. Der Unfallhergang sei schon nicht geeignet gewesen, eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur rechtlich wesentlich zu bewirken. Insbesondere habe keine Zugbeanspruchung mit unnatürlicher Längendehnung der Sehne vorgelegen. Auch der zeitliche Verlauf spreche gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs: So habe der Kläger zwar vier Tage nach dem Unfallereignis erstmals Schulterbeschwerden angegeben; zu diesem Zeitpunkt seien beide Schultergelenke jedoch aktiv und passiv ohne Schmerzen frei beweglich gewesen. Die zu diesem Zeitpunkt radiologisch nachgewiesene deutliche Schultereckgelenksarthrose sei eine typische verschleißbedingte Erkrankung. Eine rupturierte Sehne sei erstmals im Juni 2016, mithin mehr als einem Jahr und fünf Monate nach dem Unfallereignis, objektiviert. Damit sei schon ein entsprechender Gesundheitserstschaden nicht nachgewiesen. Auch die nur geringe Retraktion der Sehne spreche gegen ein länger zurückliegendes Ereignis. Die abweichende Auffassung von
Prof. Dr. L. überzeuge nicht. Ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen der Arbeitsunfähigkeit ab dem 14.06.2018 und dem Unfallereignis vom Januar 2015 sei nicht wahrscheinlich. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Verletztengeld und sei verpflichtet, die erhaltenen Vorwegzahlungen in voller Höhe zu erstatten (Widerspruchsbescheid vom 14.09.2017).
Deswegen hat der Kläger am 06.10.2017 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Widerspruchsvorbringen.
Das Gericht hat zu Beweiszwecken die von
Dr. O. angefertigten Röntgenaufnahmen und die bildgebenden Befunde der Dres. Stolpe und Kolb beigezogen.
Sodann hat die Kammer Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Orthopäden
Dr. Sch.. Diesem gegenüber hat der Kläger zum Unfallhergang angegeben, er sei, um einen Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Pkw zu vermeiden, reflexartig nach rechts ausgewichen und einen Abhang "hinuntergeschossen" in das Waldstück. Er habe die Hände nach oben genommen und sei zwischen kleineren und schließlich auch größeren Bäumen hindurchgefahren. Zuletzt sei sein Fahrzeug mit einem dickeren Baum kollidiert. Die Airbags seien dabei nicht aufgegangen. Er habe von Anfang an Schmerzen an der rechten Schulter gehabt und meine auch, die Beweglichkeit sei eingeschränkt gewesen.
Dr. Sch. hat als Gesundheitsstörungen eine endgradige Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule bei leichten degenerativen Veränderungen ohne radikuläre Reizerscheinungen, eine leichte Impingement-Symptomatik der rechten Schulter ohne Funktionsbehinderung bei Ruptur der Supraspinatussehne, eine Arthrose des Schultereckgelenks und Reizung der Bizepssehne, eine Arthrose des Schultereckgelenks der linken Schulter ohne Funktionseinschränkung und einen Zustand nach Schnittverletzung am linken Ellenbogen ohne Funktionsbehinderung diagnostiziert. Der Kläger habe ihm gegenüber keine Beschwerden vonseiten der Halswirbelsäule angegeben. Die leichte Funktionseinschränkung sei keine Unfallfolge, sondern beruhe auf leichten degenerativen Veränderungen, die bereits zum Unfallzeitpunkt vorgelegen hätten. Der Supraspinatussehnenriss rechts sei ebenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfallereignisses: Der Unfallhergang sei bereits nicht geeignet gewesen, einen traumatischen Rotatorenmanschettenriss zu bewirken. Außerdem seien Vorschäden im Sinne einer Schultereckgelenksarthrose beidseits nachgewiesen. Gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis spreche überdies der untypische Erstbefund mit aktiv und frei passiv freier Funktion der Schultergelenke einschließlich der bildgebenden Diagnostik, außerdem der Nachweis einer Ruptur ohne typische Zeichen einer Retraktion. Die erneute Behandlungsbedürftigkeit des Klägers ab Juni 2016 sei deshalb nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis vom Januar 2015 zurückzuführen. Der abweichenden Auffassung des
Prof. Dr. L. stimme er nicht zu, weil dieser unkritisch einen ursächlichen Zusammenhang herstelle, ohne den Unfallhergang wie auch die nachfolgenden Untersuchungsbefunde kritisch zu werten. Am Ergebnis seines Gutachtens hat
Dr. Sch. auf Einwände des Klägers in seiner ergänzenden Stellungnahme festgehalten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 07. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2017 abzuändern, "Supraspinatussehnenruptur rechts" als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 08. Januar 2015 festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit ab dem 14. Juni 2016 Verletztengeld aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung in gesetzlicher Höhe unter Anrechnung der Vorwegzahlungen in Höhe von 7.500,-
EUR zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§ 54
Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 4
i. V. m. §§ 55
Abs. 1
Nr. 3 und 56 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG); zum Wahlrecht des Versicherten zwischen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage:
vgl. BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 8/11 R -,
Rdnr. 13 m. w. N. und
BSG vom 05.07.2016 -
B 2 U 5/15 R -,
Rdnr. 11 (jeweils juris)) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54
Abs. 2 Satz 1
SGG). Weder ist eine Supraspinatussehnenruptur rechts als - weitere - Folge des Arbeitsunfalls vom 08.01.2015 festzustellen noch hat der Kläger ab dem 14.06.2016 Anspruch auf Verletztengeld aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung. Er ist deshalb auch verpflichtet, die Vorwegzahlungen der Beklagten auf diese Leistung in Höhe von insgesamt 7.500,-
EUR zurückzuzahlen.
I.
1. Dass der Kläger am 08.01.2015 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit als selbständiger Transportunternehmer (§ 3
Abs. 1
Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (
SGB VII)) einen Arbeits-(Wege-)unfall (§ 8
Abs. 2
Nr. 1
i. V. m. § 7
Abs. 1
SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide ausdrücklich anerkannt und ist zwischen den Beteiligten zu Recht auch nicht umstritten.
2. Nach § 26
Abs. 1 Satz 1
SGB VII haben Versicherte nach Eintritt eines Versicherungsfalls, u.a. eines Arbeitsunfalls, wegen der Unfallfolgen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung u.a. in Form von Verletztengeld (§ 45
ff.).
3. Verletztengeld wird nach § 45
Abs. 1
SGB VII erbracht, wenn Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können (
Nr. 1) und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung u.a. Anspruch auf Arbeitseinkommen hatten (
Nr. 2). Verletztengeld wird von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird (§ 46
Abs. 1
SGB VII) und endet u.a. mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder der Hinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine Heilbehandlungsmaßnahme (§ 46
Abs. 3 Satz 3
Nr. 1
SGB VII). Im Fall der Wiedererkrankung an den Folgen des Versicherungsfalls gelten die §§ 45 bis 47
SGB VII mit der Maßgabe entsprechend, dass anstelle des Zeitpunkts der ersten Arbeitsunfähigkeit auf den der Wiedererkrankung abgestellt wird (§ 48
SGB VII).
Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls liegt anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalles nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen (
vgl. zur st. Rspr. in der gesetzlichen Krankenversicherung: BSGE 26, 288; BSGE 61, 66 und BSGE 85, 271, 273; zur Literatur: Schifferdecker in Kasseler Kommentar, Stand Mai 2018,
§ 44 SGB V,
Rdnr. 41, 45 ff; zur Übernahme dieses Begriffs in die gesetzliche Unfallversicherung:
vgl. BSG, USK 72181;
BSG SozR 3-2200 § 560
Nr. 1;
BSG SozR 3-2700 § 46
Nr. 1 und SozR 4-2700 § 46
Nr. 3; zur unfallversicherungsrechtlichen Literatur: Fischer in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, Stand: 24.05.2016, § 45,
Rdnr. 15; Keller in Hauck/Noftz, SGBVII, Stand 01/2017, § 45,
Rdnr. 6 und Schmitt,
SGB VII, 4. Aufl. 2009, § 45,
Rdnr. 6). Arbeitsunfähigkeit ist danach gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles konkret ausgeübte Tätigkeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann. Dass er möglicherweise eine andere Tätigkeit trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ausüben kann, ist unerheblich. Ohne Bedeutung ist es, ob die Heilbehandlung des Versicherten abgeschlossen ist oder nicht (
vgl. Fischer, a.a.O. und § 46,
Rdnr. 38; Köllner in LPK-SGB VII, 5. Aufl. 2018, § 45,
Rdnr. 10 sowie Keller, a.a.O.,
Rdnr. 7).
Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen deshalb (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung
bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und
ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (
vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58
ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (
vgl. u.a. BSGE 60, 58
ff.;
BSG SozR 3-5670 Anlage 1
Nr. 2108
Nr. 2
m.w.N.;
BSG SozR 4-5671 Anlage 1
Nr. 4104
Nr. 2 und
BSG SozR 4-2700 § 9
Nr. 9). "Hinreichend wahrscheinlich" bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (
vgl. BSGE 45, 285, 286 und
BSG SozR 1300 § 45
Nr. 49).
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (
vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
b) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (
vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (
vgl. hierzu Grüneberg in Palandt,
BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rdnrn. 26 und 68 ff
m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden
bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs
bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (
vgl. BSGE 1, 72, 76).
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das
BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (
B 2 U 1/05 R (= SozR 4-2700 § 8
Nr. 17) und
B 2 U 26/04 R (= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff)) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:
Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist dabei nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben
z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen "Erfolg" rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (
vgl. BSG SozR
Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und
BSG SozR
Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung,
Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8
Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als "wesentlich" anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache "der Erfolg" eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (
vgl. BSGE 12, 242, 245 und
BSG SozR
Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht "wesentlich" und damit keine Ursache
i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden (
vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f;
BSG SozR 2200 § 548
Nr. 75;
BSG SozR 4-2700 § 8
Nr. 15 und
BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860 ff).
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungszusammenhang, vor allem, wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Es gibt aber im Bereich des Arbeitsunfallrechts keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies insbesondere bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 8
Nr. 17,
Rdnr. 18).
4. Orientiert an diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben hat es die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu Recht abgelehnt, eine Ruptur der Supraspinatussehne rechts als - weitere - Folge des Arbeitsunfalls vom 08.01.2015 anzuerkennen und Verletztengeld aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung für die seit dem 14.06.2016 nachgewiesene erneute Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu erbringen. Der Kläger ist deshalb auch verpflichtet, die auf diese Leistung durch die Bescheide vom 17.11.2016 und vom 31.01.2017 erbrachten Vorwegzahlungen in Höhe von insgesamt 7.500,-
EUR zurückzuerstatten.
a) Der Riss der Supraspinatussehne rechts ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 08.01.2015 zurückzuführen. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer (§ 128
Abs. 1 Satz 1
SGG) aus den wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Sachverständigen
Dr. Sch., der im Wege des Urkundenbeweises (§ 118
Abs. 1
S. 1
i.V.m. §§ 415 ff der Zivilprozessordnung) verwerteten Durchgangs- und Nachschauberichte der Dres. F. vom 08.01.2015 und O. vom 12. und 21.01.2015, des Berichts des Radiologen
Dr. K. vom Juni 2016 und der beratungsärztlichen Stellungnahme von
Dr. N..
aa) Wie
Dr. Sch. und
Dr. N. - im Ergebnis übereinstimmend - zutreffend ausgeführt haben, war der Unfallhergang bereits dem Grunde nach nicht geeignet, einen traumatischen Riss der Supraspinatussehne zu bewirken: Nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Seite 431
ff.) gelten als potentiell geeignete Verletzungsmechanismen für einen traumatischen Rotatorenmanschettenriss ein massives plötzliches Rückwärtsreißen oder Heranführen des Armes, wenn dieser zuvor fixiert war,
z. B. beim Rückschlag einer Maschine oder beim Hängenbleiben mit dem Arm bei erheblicher Beschleunigung des Körpers, ein Sturz aus der Höhe nach vorne und Festhalten mit der Hand oder ein Treppensturz und Festhalten mit der Hand am Geländer, so dass der Arm nach hinten gerissen wird, das ungeplante Auffangen eines schweren stürzenden Gegenstandes sowie der Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm mit Aufprall auf Hand oder Ellenbogen. Dagegen können direkte Krafteinwirkungen auf die Schulter wie Sturz, Prellung, Schlag, eine fortgeleitete Krafteinwirkung bei seitlicher oder vorwärtsgeführter Armhaltung (Stauchung), aktive Tätigkeiten, die zu einer abrupten, aber planmäßigen Muskelkontraktion führen (Heben, Halten, Werfen) und plötzliche Muskelanspannungen nicht zu isolierten Verletzungen der geschützt in der Tiefe liegenden Supraspinatussehne
bzw. Rotatorenmanschette führen (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 431, 433).
Die Kammer ist sich durchaus bewusst, dass es für einen Versicherten mit Blick auf das plötzlich und für ihn unvorhersehbar eintretende Unfallgeschehen im Nachhinein häufig sehr schwierig ist, den Ablauf in allen konkreten Einzelheiten zutreffend wiederzugeben. Andererseits können sowohl die behandelnden/begutachtenden Ärzte als auch der Unfallversicherungsträger und das Gericht mangels - wie hier - gegenteiliger Anhaltspunkte insoweit allein die Angaben des Versicherten zugrunde legen. Danach ist vorliegend, ausgehend von den Hergangsschilderungen des Klägers sowohl gegenüber dem erstbehandelnden Arzt
Dr. F. als auch zuletzt
Dr. Sch., das Unfallgeschehen schon dem Grunde nach nicht geeignet gewesen, einen Supraspinatussehnenriss zu bewirken. Denn insbesondere ein massives plötzliches Rückwärtsreißen der Arme lag danach gerade nicht vor. Auch eine sonstige irgendwie geartete Fehlbelastung der rechten Schulter, insbesondere eine Zugbelastung der Supraspinatussehne aufgrund des Unfallablaufs, ist nicht ersichtlich. Ein unfallbedingter Anprall der rechten Schulter an einem Fahrzeugteil ist ebenfalls nicht erwiesen, ungeachtet dessen, dass ein solcher Hergang ebenfalls nicht geeignet wäre, eine isolierte Verletzung der Supraspinatussehne zu bewirken. Gegen ein Anpralltrauma sprechen überdies die von
Dr. F. erhobenen Erstbefunde noch am Unfalltag mit fehlenden äußeren Verletzungszeichen wie Schwellung oder Bluterguss im Bereich der rechten Schulter (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.,
S. 434). Auch eine eventuelle Stauchung der Schulter aufgrund eines Abstützvorgangs am Lenkrad ist nicht erwiesen. Denn seinen eigenen Angaben gegenüber
Dr. Sch. zufolge hat der Kläger während des Durchfahrens des Abhangs und weiterer Bäume die Hände nach oben genommen. Sein Fahrzeug hat sich überdies - seinen weiteren Angaben zufolge - nicht überschlagen, und auch die Fahrzeugairbags hatten bei dem Unfallereignis nicht ausgelöst, was der Kläger bereits gegenüber
Dr. F. angegeben hatte.
bb) Selbst wenn das erkennende Gericht zugunsten des Klägers einen potentiell geeigneten Unfallhergang zugrunde legen wollte, sprechen nach den auch insoweit überzeugenden und zutreffenden Darlegungen des Sachverständigen
Dr. Sch. zahlreiche weitere Umstände gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und dem nachfolgend objektivierten Riss der Supraspinatussehne im ansatznahen Abschnitt:
(1) So hat
Dr. O. bereits vier Tage nach dem Unfallereignis radiologisch deutliche Zeichen einer AC-Gelenksarthrose mit entsprechendem Weichteilschatten im rechten Schultergelenk als degenerativen Vorschaden objektiviert. Eine Arthrose kann sich jedoch, wie
Dr. Sch. zu Recht ausgeführt hat, nicht innerhalb von vier Tagen entwickeln; vielmehr handelt es sich dabei um einen schleichenden Prozess über mehrere Jahre hin.
(2) Überdies bestehen nach den von
Dr. Sch. erhobenen bildgebenden Befunden gleichstark ausgeprägte Verschleißerscheinungen auch an der linken, nicht von dem Arbeitsunfall betroffenen Schulter.
(3) Weiter sprechen gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs die von den Dres. F. und O. am Unfalltag und zeitnah hierzu erhobenen Befunde: Danach konnte der Kläger bei der Erstuntersuchung am 08.01.2015 die Arme mit voller Kraft frei bewegen und hat
Dr. F. keine sensomotorischen Defizite objektiviert. Eine vom Kläger am 12.01.2015 morgens bemerkte Schwellung in Höhe des Schultereckgelenks rechts hat
Dr. O. zu Recht als unproblematisches Ganglion
bzw. Lipom bei ansonsten schmerzfreiem AC-Gelenk beurteilt. Insbesondere die von ihm am 21.01.2015 erhobene freie aktive und passive Beweglichkeit beider Schultergelenke ohne Schmerzen und ohne Impingement-Zeichen sprechen gegen eine bereits zu diesem Zeitpunkt vorliegende frische Rissverletzung der Supraspinatussehne. Denn für eine solche Gesundheitsstörung kennzeichnend ist ein starker initialer, in der Folge abklingender Schmerz, der eine sofortige Arbeitsniederlegung mit alsbaldigem Arztbesuch sowie insbesondere eine über mehrere Wochen anhaltende Pseudoparalyse,
d. h. die Unfähigkeit des Verletzten, den Arm aktiv nach vorne und zur Seite anzuheben (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.,
S. 434, 435).
(4) Überdies ist aus den aktenkundigen medizinischen Unterlagen zwischen der Nachuntersuchung bei
Dr. O. am 21.01.2015 und der Wiedererkrankung des Klägers im Juni 2016 eine wesentliche Beschwerdesymptomatik vonseiten des rechten Schultergelenks nicht erkennbar. Der Kläger selbst hat in seiner Unfallanzeige vom 26.02.2015 auch keine Verletzung an der rechten Schulter, sondern ausschließlich im Bereich der Halswirbelsäule, angegeben.
(5) Weiter spricht gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Supraspinatussehnenriss rechts und dem Unfallereignis vom Januar 2015 bereits der zeitliche Ablauf: Denn kernspintomografisch wurde diese Verletzung erst am 13.06.2016, mithin rund eineinhalb Jahre nach dem Unfallereignis, objektiviert.
(6) Überdies hat
Dr. K. in seinem Brief vom 14.06.2016 ausdrücklich eine fehlende Retraktion der Sehnenenden beschrieben. Auch dieser Befund spricht gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.,
S. 435). Denn über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren wäre bei einer unfallbedingten Ruptur mit
Dr. Sch. eine weite Retraktion der Sehne zu erwarten gewesen.
(7) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt im 54. Lebensjahr stand. Die Rotatorenmanschette unterliegt in einem hohen Maß der Texturstörung. Diese führt zu einer herabgesetzten mechanischen Belastbarkeit bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt. Zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr treten demgegenüber die meisten Rotatorenmanschettenschäden mit Krankheitsmerkmalen im Sinne von Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit auf (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin,
a. a. O., Seite 430, 431).
Vor diesem Hintergrund ist auch zur Überzeugung des erkennenden Gerichts ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Supraspinatussehnenriss rechts und dem Unfallereignis vom Januar 2015 nicht wahrscheinlich zu machen.
cc) Die Einwände des Klägers gegen die Darlegungen des Sachverständigen
Dr. Sch. erachtet die Kammer aufgrund dessen ergänzender Stellungnahme als widerlegt und nicht stichhaltig. Insbesondere trifft der Vorwurf des Klägers,
Dr. Sch. sei von einem unrichtigen Unfallhergang ausgegangen, nicht zu. Denn seiner Beurteilung hat der Sachverständige die anamnestischen Angaben des Klägers hierzu, die dieser in seinem Beisein diktiert hat, berücksichtigt.
dd) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger überdies auf die Auskunft des
Prof. Dr. L. vom 21.10.2016. Denn dieser berücksichtigt weder den ungeeigneten Unfallablauf noch insbesondere die Erstbefunde und auch nicht die kernspintomografisch nachgewiesene fehlende Sehnenretraktion. Seine - unbegründet gebliebene - Auffassung, der Riss der Supraspinatussehne sei unfallbedingt verursacht, widerspricht aus den oben unter bb) genannten Gründen auch den herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen und überzeugt die Kammer daher nicht.
ee) Schließlich führt auch der Umstand, dass der Kläger nach den Eintragungen im Vorerkrankungsverzeichnis seines privaten Krankenversicherungsunternehmens in Bezug auf die rechte Schulter bis zum 08.01.2015 keine ärztliche Behandlung in Anspruch genommen hat, zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Degeneration der Rotatorenmanschette kann bis zu einem Ereignis häufig selbst bei Defektzonen und eindrucksvollen bildgebenden Befunden klinisch stumm bleiben. Der Zeitpunkt der klinischen Manifestation einer Symptomatik lässt daher keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des ihr zugrundeliegenden Defektes zu. Eine "leere Anamnese" kann deshalb weder eine Schadensanlage noch einen Vorschaden ausschließen noch allein für sich die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs begründen (
vgl. LSG Baden-Württemberg vom 23.10.2015 - L 8 U 1345/14 -,
Rdnr. 35 (juris) und Weber in MedSach 1993, 113).
b) Ist deshalb der Riss der Supraspinatussehne rechts nicht als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 08.01.2015 festzustellen, ist auch die ab dem 14.06.2016 ärztlicherseits wegen einer Rotatorenmanschettenläsion (Ziffer M75.1
ICD-10) und eine AC-Gelenksarthrose (Ziffer M19.1
ICD-10) bestätigte Arbeitsunfähigkeit nicht wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08.01.2015 eingetreten. Die unfallbedingte HWS-Distorsion sowie die Prellung der linken Brustkorbseite waren bereits bis zum 09.03.2015 folgenlos ausgeheilt, nachdem der Kläger zu diesem Zeitpunkt seine Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen hat und seinen Angaben gegenüber
Dr. O. zufolge nur noch "Restbeschwerden" bestanden, wegen derer er ein Schmerzmittel einnahm. Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund des Zwischenberichts vom 02.03.2015 wie auch der Mitteilung des
Dr. O. vom selben Tag über den Wiedereintritt von Arbeitsfähigkeit ab dem 09.03.2015, ferner aufgrund der fehlenden Notwendigkeit weiterer ärztlicher Behandlung insoweit. Dieser Heilungsverlauf entspricht überdies den Erkenntnissen der Kammer aus zahlreichen vergleichbaren Unfallversicherungsrechtsstreitigkeiten während der vergangenen 28 Jahre richterlicher Tätigkeit.
Der Kläger hat deshalb ab dem 14.06.2016 keinen Anspruch auf Verletztengeld aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung.
c) Schließlich ist der Kläger verpflichtet, die ihm durch die Bescheide vom 17.11.2016 und vom 31.01.2017 erbrachten Vorwegzahlungen auf eventuelles Verletztengeld von insgesamt 7.500,-
EUR zurückzuzahlen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 42
Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (
SGB I). Sowohl im Bescheid vom 17.11.2016 als auch demjenigen vom 31.01.2017 hatte die Beklagte den Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Leistungsgewährung nicht endgültig erfolgte, sondern es sich um eine Vorwegzahlung handelte, die der Kläger vollständig zu erstatten habe, wenn sich nach Abschluss des Feststellungsverfahrens herausstellen sollte, dass eine Leistungspflicht auf Seiten der Beklagten nicht gegeben ist. Damit kann sich der Kläger auch nicht auf einen eventuellen Vertrauensschutz berufen (
vgl. Mrozynski,
SGB I, 5. Auflage 2017, § 42,
Rdnr. 18). Vielmehr genügt für das Entstehen eines Rückzahlungsanspruchs nach § 42
Abs. 2 Satz 2
SGB I, wenn sich - wie vorliegend - nachträglich das Nichtbestehen des Anspruchs herausstellt. Der Aufhebung der Bewilligungsbescheide bedarf es hierfür nicht (
vgl. BSG SozR 4-1200 § 42
Nr. 2
m.w.N. und
LSG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2013 - L 22 R 1071/11 -,
Rdnr. 44 (juris)).
5. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193
Abs. 1 und 4
SGG.