Die als Anfechtungsklage nach § 42
Abs. 1 1. Fall der Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) statthafte Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 26. August 2010 ist im Umfang der gegen ihn erhobenen Klage rechtmäßig und verletzt den Kläger deswegen nicht in seinen Rechten,
vgl. § 113
Abs. 1
S. 1
VwGO.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides über die Gewährung von Blindengeld vom 12. September 2003 für den Zeitraum ab dem 1. Dezember 2006 bis zum 31. März 2010 in dem Umfang, in dem die an den Kläger gerichteten Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege nicht auf das in diesem Zeitraum gezahlte Blindengeld angerechnet wurden, ist § 48
Abs. 1
S. 2
Nr. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB X). Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der Kläger hat unstreitig erst mit der am 16. März 2010 bei dem Beklagten eingegangenen Antwort auf dessen Fragebogen durch seine Ehefrau mitgeteilt, dass er ab dem 1. November 2006 monatliche Leistungen der Pflegeversicherung durch die Techniker Krankenkasse erhielt. Nach § 3
Abs. 2
S. 1 GHBG werden Leistungen bei häuslicher Pflege nach den §§ 36 bis 38
SGB XI in der jeweils geltenden Fassung, auch soweit es sich um Sachleistungen handelt, bei Pflegebedürftigkeit nach § 15
Abs. 1
Nr. 1
SGB XI (Pflegestufe I) mit 70 vom Hundert des Betrages nach § 37
Abs. 1 Satz 3
Nr. 1
SGB XI auf das Blindengeld angerechnet, bei Pflegebedürftigkeit nach § 15
Abs. 1
Nr. 2 und 3
SGB XI (Pflegestufen II und III) mit 35 vom Hundert des Betrages nach § 37
Abs. 1 Satz 3
Nr. 2
SGB XI. Da es sich bei den an den Kläger gerichteten Leistungen der Techniker Krankenkasse im Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch um Leistungen einer Pflegekasse bei häuslicher Pflege nach den Pflegestufen I
bzw. II handelte, hätte eine entsprechende Anrechnung auf das Blindengeld erfolgen müssen.
Die Pflicht des Klägers zur Mitteilung des Bezuges von Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege folgt aus § 60
Abs. 1
S. 1
Nr. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB I). Danach hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Entgegen der Ansicht des Klägers kann in seiner Situation keine Ausnahme von dieser Mitwirkungspflicht gemacht werden: Für den Beklagten lag zum einen nicht auf der Hand, dass der Kläger einen Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse besaß. Dies gilt schon deshalb, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung am 24. Juli 2003 einen solchen Leistungsbezug ausdrücklich verneint hatte. Sein entsprechender Anspruch gegenüber der Pflegekasse ergab sich erst mehr als drei Jahre später ab dem 1. November 2006. Zum anderen kam ein automatischer Informationsaustausch von Amts wegen zwischen dem Beklagten und der Pflegekasse des Klägers ebenfalls nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass ein solcher Informationsaustausch schon rein praktisch schwer umsetzbar sein dürfte, sind die bei der Techniker Krankenkasse vorgehaltenen persönlichen Daten des Klägers vor einer solchen weitläufigen Weitergabe an den Beklagten auch rechtlich geschützt. Dies folgt aus den Bestimmungen über den Sozialdatenschutz nach § 94
SGB XI in Verbindung mit §§ 67d
ff. SGB X. § 60
SGB I beinhaltet insoweit eine unverzichtbare Ergänzung und Begrenzung des Untersuchungsgrundsatzes nach § 20
SGB X. Die Vorschrift hat die Funktion, den Leistungsträger überhaupt erst in die Lage zu versetzen, seiner in § 20
SGB X normierten Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen nachgehen zu können. Sie trägt dabei den datenschutzrechtlichen Vorgaben Rechnung,
Kampe, in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 60
SGB I Rn. 18
ff.Der Kläger ist seiner Mitteilungspflicht grob fahrlässig nicht nachgekommen. Er hat diesbezüglich - entsprechend der Legaldefinition nach § 45
Abs. 2
S. 3
Nr. 3 2. Halbsatz
SGB X - die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Anzulegen ist insoweit ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Dabei wird auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles abgestellt. Für die grobe Fahrlässigkeit ist insbesondere auch bedeutsam, in welchem Umfang bei Bewilligung der Dauerleistung auf eine Mitteilungspflicht hingewiesen worden ist. Ist jemand unmissverständlich darüber belehrt worden, dass er bestimmte für den Leistungsempfang wesentliche Umstände mitzuteilen hat und unterlässt er dies, liegt in aller Regel grobe Fahrlässigkeit vor,
v. Wulffen, Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X), 6. Aufl., § 45 Rn. 52 und § 48 Rn. 23.
Der Kläger wurde hier bereits im Rahmen seines am 24. Juli 2003 gestellten Antrags darüber belehrt, dass er jede Änderung von leistungsrelevanten Tatsachen, insbesondere die Gewährung von Leistungen bei häuslicher Pflege nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch
bzw. von entsprechenden Leistungen einer privaten Pflegeversicherung unverzüglich dem Beklagten mitzuteilen habe. Nach der Unterschrift des Klägers unter dem Antrag sowie dem nachstehenden Vermerk der diesen entgegennehmenden Gemeinde Velen ist davon auszugehen, dass der Inhalt dieser Belehrung auch zur Kenntnis des Klägers gelangt ist. Weitere Hinweise auf die Mitteilungsbedürftigkeit des Bezuges von Leistungen bei häuslicher Pflege erfolgten mit dem Schreiben des Beklagten vom 29. August 2003, mit dem Bewilligungsbescheid vom 12. September 2003 sowie in dem in den Jahren 2004 bis 2009 mit Ausnahme des Jahres 2006 zugesandten Merkblatt über die Mitwirkungspflichten des Klägers. Dabei war insbesondere das jährlich zugesandte Merkblatt derartig klar und eindeutig formuliert, dass sich aus ihm ohne Weiteres eine Pflicht des Klägers zur Information des Beklagten für den Fall der Gewährung von Leistungen bei häuslicher Pflege zur Vermeidung einer Überzahlung ergab.
An dieser Pflicht ändern die beim Kläger bestehenden Behinderungen nichts. Trotz seiner Blindheit und Gehörlosigkeit musste er dafür Sorge tragen, dass der an ihn gerichtete Schriftverkehr des Beklagten ihn inhaltlich erreichte. Der Kläger musste sich die Schreiben des Beklagten und die damit verbundenen Hinweise mit der Hilfe naher Angehöriger oder anderer beauftragter Hilfspersonen oder sonstiger Hilfsmittel zugänglich machen und erschließen. Dass dies nicht nur zumutbar, sondern auch praktisch umsetzbar war, zeigt sich beispielsweise daran, dass der Vater des Klägers auf das Schreiben des Beklagten vom 29. August 2003 antwortete. Der Kläger lebt zudem mit seiner zwar gehörlosen, aber nicht erblindeten Ehefrau unter derselben Anschrift. Zusammen mit dieser teilte er dem Beklagten Anfang des Jahres 2004 eine Änderung seiner Bankverbindung mit. Auch war es seine Ehefrau, die dem Beklagten auf seinen Fragebogen vom 26. Februar 2010 antwortete und ihm eröffnete, dass der Kläger Leistungen bei häuslicher Pflege bezieht. Eine solche Mitteilung hätte mit Blick auf die erteilten und ausreichenden Hinweise des Beklagten bereits mit Beginn dieser Leistungen erfolgen müssen. Die fehlende Vornahme von geeigneten Vorkehrungen für den Postverkehr begründet einen eigenen groben Sorgfaltsverstoß auf Seiten des Klägers.
Eine atypische Härte, die in Bezug auf den Kläger der Anwendung des § 48
Abs. 1
S. 2
Nr. 2
SGB X entgegenstehen könnte, ist nicht auszumachen. Ein solcher atypischer Fall ist nicht allein deshalb gegeben, weil nach erfolgter rückwirkender Aufhebung die Überzahlung zurückzuerstatten ist. Die mit der Erstattung verbundene Härte mutet das Gesetz jedem Betroffenen zu. Dies gilt auch hier, zumal der Beklagte in seinem Anhörungsschreiben anbot, dass der Kläger einen konkreten Vorschlag zur ratenweisen Tilgung der Forderung machen solle, und er seinen Rückforderungsanspruch in Übereinstimmung mit § 51
Abs. 2
SGB I gegen den monatlichen Blindengeldanspruch des Klägers bis zu dessen Hälfte aufrechnete. Einen atypischen Fall begründet die Erstattungspflicht selbst bei schlechter Einkommens- und Vermögenslage (Überschuldung) nicht, wenn die Überzahlung - wie nach dem oben Ausgeführten - durch eine grobe Pflichtwidrigkeit verursacht worden ist,
vgl. BSG, Urteil vom 11. Februar 1988 - 7 Rar 55/86 -, juris.
Die in dem angefochtenen Bescheid vom 26. August 2010 angeordnete Erstattung des zu Unrecht bewilligten Betrages von 5.848,50 Euro ist ebenfalls rechtmäßig. Sie stützt sich auf § 50
Abs. 1
S. 1
SGB X. Danach sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, ohne dass der Behörde insoweit ein Ermessen zusteht. Bedenken gegen den geltend gemachten Rückforderungsbetrag sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der unterlegene Kläger hat nach § 154
Abs. 1
VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Nach § 188
S. 2
VwGO werden Gerichtskosten nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167
VwGO in Verbindung mit §§ 708
Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (
ZPO).