Urteil
Eingliederungshilfeleistungen für die Durchführung eines Hochschulstudiums - Studienassistenz

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen 12. Senat


Aktenzeichen:

L 12 SO 330/20


Urteil vom:

24.11.2021


Tenor:

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 03.09.2020 sowie der Bescheid des Beklagten vom 10.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 geändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger Kosten in Höhe von 2.317,98 Euro zu erstatten.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Rechtsweg:

SG Münster, Urteil vom 3. September 2020 - S 11 SO 107/17

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tatbestand:

Streitig sind Eingliederungshilfeleistungen für die Durchführung eines Hochschulstudiums.

Bei dem am 00.00.1991 geborenen Kläger sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie unter anderem die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "Bl." (Blindheit), "H" (Hilflosigkeit) und "RF" (Rundfunkbeitragsermäßigung) festgestellt. Er bezieht laufend Blindengeld.

Im Juni 2011 legte der Kläger sein Abitur an einem staatlich anerkannten Gymnasium für Blinde und Sehbehinderte in Marburg mit einer Gesamtdurchschnittsnote von 3,0 ab. Vom 01.09.2011 bis 26.11.2014 absolvierte der Kläger bei der Deutschen Blindenstudienanstalt eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung. Diese schloss er mit einer Nachprüfung erfolgreich ab. In der Folgezeit übte er diverse geringfügige Beschäftigungen aus. In der übrigen Zeit war er erwerbslos. Eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt als Fachinformatiker erfolgte trotz Vermittlungsbemühungen seitens der Agentur für Arbeit D und Eigenbemühungen des Klägers nicht.

Unter dem 23.06.2016 beantragte der Kläger beim Beklagten Eingliederungshilfeleistungen. Er beabsichtige die Aufnahme eines Jurastudiums an der Westfälischen-Wilhelms-Universität (WWU) in Münster. Aus diesem Grund benötige er zunächst eine Vorleseassistenz im Umfang von monatlich 80 Stunden à 60 Minuten. Für die Erstellung von Hausarbeiten seien zusätzlich jeweils 120 Stunden erforderlich. Ferner benötige er eine Mitschreibkraft für die Vorlesungen selbst. Schließlich sei ein Mobilitätstraining im Umfang von 15 bis 20 Stunden notwendig. Seinem Antrag fügte er unter anderem Unterlagen seiner Bank bei, aus denen hervorging, dass er im Mai 2016 einen Bausparvertrag mit einer Wertstellung von 1.166,79 Euro besaß (für den 07.07.2018 ist eine Wertstellung von 1.726,50 Euro nachgewiesen).

Der Kläger teilte dem Beklagten in einem Schreiben vom 16.09.2016 mit, dass das Studium bald beginnen werde und er in Vorleistung treten müsse, wenn er bis zum 04.10.2016 keine Entscheidung erhalte.

Mit einer E-Mail vom 03.10.2016 übersandte der Kläger dem Beklagten einen aktuellen Kontoauszug über seine Girokonten. Daraus ergab sich zum 03.10.2016 ein Gesamtguthaben von 2.122,34 Euro, wobei allein 2.094,75 Euro auf das Blindengeld entfielen.

Der Kläger nahm Anfang Oktober 2016 das Studium an der WWU in Münster auf, für dessen Durchführung er Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe von anfänglich 416,00 Euro im Monat erhielt, wobei jeweils die Hälfte dieses Betrages als Darlehen und als Zuschuss gewährt wurden. Der Kläger nahm zwischen Oktober und Dezember 2016 Orientierungs- und Mobilitätsunterricht sowie Betreuungsleistungen durch eine Mobilitätstrainerin und einen Betreuer in Anspruch, wofür Kosten in Höhe von 2.317,98 Euro anfielen, die der Kläger beglich. Die monatliche Miete für die Wohnung des Klägers im Studentenwohnheim beträgt 267,74 Euro. Auf den Bescheid des Studierendenwerks Münster zu den gewährten BAföG-Leistungen, die Rechnungen der Mobilitätstrainer und den Mietvertrag wird Bezug genommen.

Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 10.10.2016 ab. Ein Anspruch nach den eingliederungshilferechtlichen Vorschriften bestehe nicht, weil der Kläger einen angemessenen Beruf bereits erlernt habe und weil ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Berufsausbildung und der Aufnahme des Studiums nicht bestehe; einen solchen Zusammenhang würden auch die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) verlangen.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass er vor dem Ende seiner Ausbildung, etwa Anfang 2014, infolge einer Operation vollständig erblindet sei; bis dahin habe er mit vergrößernden Hilfsmitteln sehend arbeiten können. Durch diese Änderung sei ihm klar geworden, dass er den Beruf des Fachinformatikers nicht ausüben wolle. Er habe die Ausbildung nur auf Zuraten seines persönlichen Umfelds beendet. Er habe sich nach der Ausbildung beworben, aber verschiedentlich Absagen erhalten.

In einer vom Beklagten erbetenen Auskunft vom 21.03.2017 hat die Agentur für Arbeit D mitgeteilt, dass dem Kläger von Mai 2015 bis September 2016 zehn Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden seien, die allerdings nicht zur beruflichen Integration geführt hätten. Grundsätzlich sei aber der Arbeitsbereich im IT-Bereich aufnahmefähig und somit positiv zu beurteilen. Am 23.09.2016 seien auf Wunsch des Klägers die Vermittlungsbemühungen beendet worden, weil er zum 01.10.2016 ein Studium aufnahm. Grundsätzlich stünden weiterhin vermittlungsunterstützende Leistungen zur Verfügung, insbesondere Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber oder technische Arbeitshilfen zur Arbeitsplatzausgestaltung. Ein Hochschulstudium könne dagegen nicht gefördert werden.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2017 zurück. Ein Anspruch scheitere daran, dass der Kläger bereits einen angemessenen Beruf erlernt habe und eine Ausnahme für eine mehrstufige Ausbildung (mit der Notwendigkeit eines engen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhangs zwischen den Ausbildungsabschnitten) nicht bestehe. Behinderungsbedingte Gründe für den Wechsel seien ebenfalls nicht ersichtlich. Mit der erworbenen Ausbildung bestünden gute Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Da es dem Kläger trotz vollständiger Erblindung möglich gewesen sei, die Ausbildung abzuschließen, sei nicht verständlich, warum er den Beruf des Fachinformatikers nicht ausüben könne.

Mit der am 02.05.2017 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren unter Wiederholung seines bisherigen Vortrags weiterverfolgt. Ergänzend hat er ausgeführt, dass er ein Jahr lang intensiv, aber erfolglos versucht habe, im erlernten Beruf eine Anstellung zu finden. Das Studium der Rechtswissenschaften entspreche seinen Fähigkeiten und Neigungen. Mit Hilfsmitteln könne er den Lernstoff für das Studium nicht aufnehmen und keine Hausarbeiten schreiben. Er benötige daher eine Vorleseassistenz und Mitschreibkraft im beantragten Umfang.


Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 zu verurteilen, ihm Eingliederungshilfe als Sachleistung für eine Studienassistenz zur Durchführung seines Hochschulstudiums ab dem Wintersemester 2016/2017 zu gewähren.


Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat sich unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens dahingehend geäußert, dass ein Anspruch nicht bestehe.

Das Sozialgericht hat am 13.02.2020 einen Erörterungstermin durchgeführt und den Kläger befragt. Wegen der Einzelheiten dieser Befragung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 03.09.2020 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Hilfen für ein Hochschulstudium nach § 75 Abs. 1 i.V.m. § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX, in der ab dem 01.01.2020 gültigen Fassung), weil er bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung besitze. Diese sei geeignet, den Lebensunterhalt auf einem Niveau zu sichern, welches öffentliche Transferleistungen unnötig mache. Behinderungsbedingte Gründe (i.S.d. § 112 Abs. 1 S. 4 SGB IX) seien für einen Wechsel der beruflichen Perspektive nicht ersichtlich. Dem Kläger sei es möglich, den erlernten Beruf auszuüben. Auch der Bezug von BAföG-Leistungen bedeute keine zwingende Notwendigkeit der Genehmigung von Eingliederungshilfeleistungen.

Gegen das ihm am 08.10.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.10.2020 Berufung eingelegt. Rechtsgrundlage für die Leistung sei - anders als vom Sozialgericht angenommen - nicht § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Var. 1 SGB IX (Hilfen zur hochschulischen Ausbildung), weil diese Norm nur für nicht abgeschlossene Erstausbildungen gelte. Infolgedessen sei auch § 112 Abs. 1 S. 4 SGB IX (erneute Erbringung hochschulischer Hilfen aus behinderungsbedingten Gründen) nicht einschlägig. Anwendbar sei vielmehr § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Var. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB IX (Weiterbildung für einen Beruf). Eine Nahtlosigkeit zwischen dem Ende der Ausbildung und der Aufnahme des Studiums nach § 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB IX sei nicht erforderlich, weil sich der Kläger insofern auf § 112 Abs. 2 S. 3 Var. 2 SGB IX berufen könne, wonach auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Ausbildung und Studium aus gewichtigen, von der leistungsberechtigten Person nicht beeinflussbaren Gründen verzichtet werden kann. Der Annahme des Sozialgerichts, dass § 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB IX (Weiterführung des Studiums in "dieselbe fachliche Richtung") nicht erfüllt sei, könne nicht zugestimmt werden. Dies bedeutete ansonsten einen Wertungswiderspruch zu § 10 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BAföG. § 112 Abs. 1 S. 4 SGB IX sei teleologisch zu reduzieren und Hilfen für eine hochschulische Ausbildung seien zu gewähren, wenn - wie hier - BAföG-Leistungen gewährt werden. Im Übrigen liege ein sachlich nicht gerechtfertigter Gleichheitsverstoß vor, weil der Kläger bei der Aufnahme eines Informatikstudiums BAföG- und Eingliederungshilfeleistungen beziehen würde. Darin liege auch ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 2 Grundgesetz (GG) und gegen die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.

Der Kläger hat ferner vorgetragen, dass er für die Zulassung zur Zwischenprüfung noch die Hausarbeiten und die praktischen Studienzeiten benötige. Hausarbeiten, Schwerpunktbereichsprüfung und ein sachgerechtes Repetitorium könnten mit den ihm zur Verfügung stehenden Ansätzen nicht mehr bewältigt werden. Die bisherigen Leistungen habe er dank der Struktur der Zwischenprüfung sowie der Wiederholungsregelung in der Prüfungsordnung abliefern können. Auf die vom Kläger vorgelegten Leistungsnachweise des Studiums wird verwiesen.


Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 03.09.2020 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 zu verurteilen, ihm Kosten in Höhe von 2.317,98 Euro zu erstatten.


Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass ein Anspruch nicht bestehe, weil der Kläger in seinem erlernten Beruf arbeiten könne und behinderungsbedingte Gründe für den Wechsel der beruflichen Perspektive nicht bestünden. Eine Ungleichbehandlung zu erwerbslosen, nicht behinderten Menschen bestehe nicht.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 17.11.2021 über den Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.11.2021 benachrichtigt worden. Sie hat keinen Vertreter zur mündlichen Verhandlung entsendet und dies vorab telefonisch am 23.11.2021 angekündigt.

Der Senat hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung ergänzend befragt. Wegen der Einzelheiten der Befragung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24.11.2021 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Beigeladenen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladene nicht im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.11.2021 erschienen ist. Die Beigeladene ist in der ihr ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 17.11.2021 ordnungsgemäß bekannt gegebenen Terminsmitteilung darauf hingewiesen worden, dass auch ohne ihr Erscheinen verhandelt und entschieden werden kann (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Zwar ist damit die zweiwöchige Ladungsfrist nach §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 S. 1 SGG nicht eingehalten worden. Danach bestimmt der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Allerdings darf die Zweiwochenfrist des § 110 Abs. 1 S. 1 SGG unterschritten werden, da es sich um eine Sollvorschrift handelt. Als Mindestfrist für die Terminsmitteilung gilt die Dreitagesfrist des § 217 Zivilprozessordnung (ZPO), der gemäß § 202 S. 1 SGG entsprechend gilt (vgl. BSG Urteil vom 19.03.1992, 12 RK 62/91, Rn. 10 juris). Diese Dreitagesfrist ist eingehalten.

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

A. Gegenstand des Berufungs-, wie auch des vorangegangenen Klageverfahrens ist der Bescheid vom 10.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 (vgl. § 95 SGG), mit welchem der Beklagte Hilfen zur Durchführung eines Hochschulstudiums (Vorleseassistenz, Mitschreibkraft, Mobilitätstraining) abgelehnt hat. Eine zeitliche Befristung sieht die Verwaltungsentscheidung zwar nicht vor. Inhaltlich ist das Begehren des Klägers im Sinne von § 123 SGG jedoch dahingehend auszulegen, dass der Beklagte die für die Orientierung und Mobilisierung im Zeitraum Oktober bis Dezember 2016 tatsächlich entstandenen Kosten in Höhe von 2.317,98 Euro übernimmt. Der Kläger hat auf Nachfrage des Senats ausdrücklich erklärt, im Zeitraum von 2017 bis 2019 keine weiteren Assistenzleistungen in Anspruch genommen zu haben. Der Kläger macht damit ausweislich seines Vortrags und seines Antrags im Berufungsverfahren allein noch eine Kostenerstattung für die Vergangenheit geltend, nicht aber darüber hinausgehende (zukünftige) Leistungen.

Der Senat kann auch in der Sache entscheiden, ohne dass Verfahrenshindernisse vorliegen würden. Insbesondere waren die vom Kläger beauftragten Leistungserbringer nicht gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG notwendig zum Rechtsstreit beizuladen. Der zunächst streitgegenständliche Anspruch des Klägers auf Sachleistungsverschaffung hat sich in einen Geldleistungsanspruch umgewandelt, wobei es nunmehr nur noch darum geht, ob die verauslagten Beträge erstattet werden müssen. In solchen Fällen ist eine Beiladung der beauftragten Dienstleister nicht notwendig (vgl. BSG Urteil vom 22.03.2012, B 8 SO 30/10 R, Rn. 16 juris).

Die Berufung ist zulässig und begründet.

B. Die Berufung ist allein angesichts der Höhe der Kostenerstattungsforderung von 2.317,98 Euro kraft Gesetzes ohne Zulassung statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG). Weiterhin hat der Kläger seine Berufung auch fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt. Gegen das ihm am 08.10.2020 zugestellte Urteil hat er am 15.10.2020 und damit fristgerecht Berufung eingelegt.

C. Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist im tenorierten Umfang rechtswidrig, weil der Kläger insoweit einen Kostenerstattungsanspruch hat.

I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 und Abs. 4, 56 SGG (vgl. BSG Urteil vom 09.12.2008, B 8/9b SO 10/07 R, Rn. 10 juris) statthaft. Die Anfechtungsklage richtet sich weiterhin gegen einen wirksamen Verwaltungsakt, der nicht gemäß § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) (vollständig) erledigt ist. Der angefochtene Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 10.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 hat sich insbesondere nicht durch die mit Wirkung vom 01.01.2020 erfolgte Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilfesystem des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) und seine Überführung in das SGB IX und die Zuständigkeitsregelung in § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX (vollständig) erledigt. Eine solche Erledigung kommt nur für Fälle in Betracht, in denen ein Bescheid angefochten wird, der Bedarfe betrifft, die über den 31.12.2019 hinaus bestehen (vgl. BSG Urteil vom 28.01.2021, B 8 SO 9/19 R, Rn. 16 ff. juris; BSG Beschluss vom 24.06.2021, B 8 SO 19/20 B, Rn. 4 juris; vgl. auch LSG NRW Urteil vom 17.05.2021, L 9 SO 271/19, Rn. 24 juris). Insofern ist zu beachten, dass für die von dem Kläger begehrte Leistung seit dem 01.01.2020 die Träger der Eingliederungshilfe und nicht mehr die Träger der Sozialhilfe zuständig sind. Diese sind auch keine Rehabilitationsträger mehr. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind für die Zeit seit dem 01.01.2020 aus dem Recht der Sozialhilfe herausgelöst worden und werden auf Grundlage eines vom Gesetzgeber neu geschaffenen Leistungssystems und (auf Grundlage von § 94 Abs. 1 SGB IX i.V.m. den zum 01.01.2020 getroffenen landesrechtlichen Bestimmungen) von einem anderen Leistungsträger (Eingliederungshilfeträger) auf Antrag erbracht. Damit ist ein vollständiger Systemwechsel erfolgt, ohne dass eine Funktionsnachfolge zwischen Sozialhilfe- und Eingliederungshilfeträger anzunehmen wäre (BSG Urteil vom 28.01.2021, B 8 SO 9/19 R, Rn. 19 juris). Insofern entfällt die entsprechende Regelungswirkung von Bescheiden für die Zeit ab dem 01.01.2020 gemäß § 39 Abs. 2 SGB X. Dieser im Verlauf des Verfahrens veränderten prozessualen Situation hat der Kläger Rechnung getragen, indem er seinen Antrag im Berufungsverfahren zuletzt auf einen vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts bestehenden Bedarf aus dem Jahr 2016 beschränkt hat und Leistungen für die Zukunft (bzw. ab dem 01.01.2020) nicht geltend macht. Auf die Frage, ob im Einzelfall für die Zeit ab dem 01.01.2020 in anhängigen Gerichtsverfahren eine Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 S. 3 SGG möglich ist, insbesondere, ob ein Feststellungsinteresse besteht, kommt es daher nicht an. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr in solchen Konstellationen nicht in Betracht kommt, weil das Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Sozialhilfeträger zum 01.01.2020 geendet hat (BSG Urteil vom 28.01.2021, B 8 SO 9/19 R, Rn. 19 juris). Auch ein Präjudizinteresse wird nur ausnahmsweise in den Fällen anzunehmen sein, in denen allein abstrakte Rechtsfragen nach altem und neuem Recht identisch beantwortet werden können, nicht aber in Fällen, die - wie hier - eine weitere Prüfung der tatsächlichen Umstände (etwa hinsichtlich des Umfangs oder der Höhe der Leistungen) erfordern.

II. Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtswidrig und der Kläger durch diesen i.S.d. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Hochschulhilfen in Form der Mobilisierung im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2016 in Höhe von 2.317,98 Euro gemäß § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX (in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung, a.F.) i.V.m. §§ 19 Abs. 3, 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII (jeweils in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung, a.F.), § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII (in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung, a.F.) sowie § 13 der aufgrund der Ermächtigung des § 60 SGB XII erlassenen Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV, in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung, a.F.).

1. Der Beklagte war für den Erlass des angefochtenen Bescheides nach § 97 Abs. 2 S. 1 SGB XII i.V.m. § 2a Abs. 1 Nr. 3 des Landesausführungsgesetzes zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW in der bis zum 31.12.2019 gültigen Fassung, a.F.) sachlich zuständig. Hiernach ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für die Hilfe zum Besuch einer Hochschule im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. Ferner war der Beklagte auch der örtlich zuständige Träger, weil der Kläger seinen tatsächlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten hatte (§ 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII).

2. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Kostenerstattung anstelle des primären Sachleistungsanspruchs ist, weil das SGB XII nichts anderes regelt (vgl. § 7 SGB IX), § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX a.F. Danach besteht die Pflicht zur Erstattung selbst beschaffter und notwendiger Leistungen, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (Alt. 1) oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Leistungsberechtigten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Alt. 2). Während § 15 Abs. 1 S. 1 bis 3 SGB IX a.F. nicht im Sozialhilferecht gelten (§ 15 Abs. 1 S. 5 SGB IX a.F.), sind Erstattungsansprüche nach § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX a.F. bewusst nicht ausgenommen worden (vgl. dazu BSG Urteil vom 09.12.2008, B 8/9b SO 10/07 R, Rn. 11 juris). Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass diese Vorschrift eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Kostenerstattung darstellt, der an die Stelle des primären Sachleistungsanspruchs tritt (vgl. BSG Urteil vom 09.12.2008, B 8/9b SO 10/07 R, Rn. 11 juris).

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX a.F. liegen vor. Der Senat kann dabei dahinstehen lassen, ob der nach § 15 Abs. 1 S. 4 Alt. 2 SGB IX a.F. erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und der Selbstbeschaffung für die Kosten der Mobilisierung im Oktober 2016 bejaht werden kann. Es liegen jedenfalls die Voraussetzungen der Unaufschiebbarkeit nach § 15 Abs. 1 S. 4 Alt. 1 SGB IX a.F. vor. Unaufschiebbar ist eine Leistung, wenn die Verzögerung den Rehabilitationserfolg gefährdet oder dem Leistungsberechtigten unzumutbare Nachteile - z.B. eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands - drohen. Entscheidend ist dabei die Beurteilung anhand des medizinisch und rehabilitationswissenschaftlich festzustellenden Bedarfs (Kellner in BeckOK SozR, 62. Edition, Stand 01.09.2021, SGB IX § 18 Rn. 69). Für die Unaufschiebbarkeit spricht hier, dass der Kläger das Hochschulstudium bereits zum 01.10.2016 aufgenommen hatte und auf die bereits Anfang Oktober 2016 begonnene Mobilisierung in Münster zwingend angewiesen war. Im Übrigen war zu diesem Zeitpunkt der Antrag bereits seit mehr als drei Monaten beim Beklagten anhängig. Der Kläger hatte auch mit Schreiben vom 16.09.2016 auf die Dringlichkeit der Verwaltungsentscheidung angesichts des Semesterbeginns hingewiesen.

b) Der für den Kostenerstattungsanspruch des § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX a.F. - nach beiden Regelungsalternativen - erforderliche Sachleistungsanspruch liegt ebenfalls vor und ergibt sich aus §§ 19 Abs. 3, 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. und § 13 EinglHV a.F.

aa) Der Kläger erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII a.F. Danach werden Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Diese Voraussetzungen liegen vor.

(1) Eine Einkommens- und Vermögensanrechnung kann im Falle des Klägers nicht bereits nach § 92 Abs. 2 SGB XII (in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung, a.F.) entfallen. Der Tatbestand des § 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. greift nicht, weil die Norm ihrem klaren Wortlaut nach und in systematischer Abgrenzung zu Nr. 4 allein die Schulbildung erfasst, nicht aber eine Hochschulausbildung oder sonstige Berufsausbildung. § 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB XII verweist zwar dem Wortlaut nach auf § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB XII a.F. Vorausgesetzt ist aber, dass die Leistungen in besonderen Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden; allgemein genutzte Einrichtungen wie Schulen und Ausbildungsstätten reichen nicht aus (Giere in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 92 Rn. 24; Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 11. Auflage 2018, § 92 Rn. 11). Eine solche Leistungserbringung in einer besonderen Einrichtung für behinderte Menschen liegt hier aber nicht vor. Schließlich entfällt eine Einkommens- und Vermögensanrechnung auch nicht nach § 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 SGB XII a.F. Diese Norm ist nur bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX (in der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung, a.F.) einschlägig, die hier jedoch nicht zu prüfen sind.

(2) Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 SGB XII a.F. sind gleichwohl erfüllt. Der Kläger verfügte weder über Einkommen noch Vermögen, mit dem er die Kosten für die Hochschulhilfen in Form der Mobilisierung von Oktober bis Dezember 2016 decken konnte.

Zum Einkommen gehören nach § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII (in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung, a.F.) alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Der Kläger bezog in dem streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen nach dem BAföG in Höhe von monatlich 416,00 Euro und Landesblindengeld in Höhe von 717,07 Euro. Das Landesblindengeld stellt zwar Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. dar. Den Einsatz dieses Einkommens zur Deckung der Kosten der Mobilitätshilfe darf der Beklagte aber gemäß § 83 Abs. 1 SGB XII nicht verlangen. Danach sind Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Die Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 SGB XII a.F. und das Landesblindengeld nach dem nordrhein-westfälischen "Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG)" vom 25.11.1997 (GV. NW. 1997, S. 430) verfolgen aber unterschiedliche Zwecke. Während die Eingliederungshilfe in Gestalt der Übernahme der Kosten der für das Hochschulstudium erforderlichen Mobilitätshilfe einer angemessenen Hochschulausbildung dient, wird das Landesblindengeld pauschal als Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen gewährt (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 GHBG) und weist starke versorgungsrechtliche Züge auf (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 27.01.2011, L 8 SO 171/08, Rn. 20 m.w.N. juris).

Die BAföG-Leistungen dürfen nur in Höhe von 208,00 Euro als Einkommen angerechnet werden. Insofern ist zu berücksichtigen, dass nur der als Darlehen gewährte Teil der Ausbildungsförderung als Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII einzustufen ist (BVerwG Urteil vom 17.12.2015, 5 C 8/15, Rn. 12 ff. juris). Diesem Einkommen stand aber bereits eine monatliche Miete in Höhe von 267,74 Euro gegenüber.

Auch mit seinem Vermögen konnte der Kläger die Kosten für die in Anspruch genommenen Hochschulhilfen nicht decken. Nach § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe aber nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte, wobei eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen ist. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 b) der gemäß § 96 Abs. 2 SGB XII dazu ergangenen Durchführungsverordnung (in der bis zum 31.03.2017 geltenden Fassung) sind kleinere Barbeträge in diesem Sinne bei den Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII, zu denen die Eingliederungshilfe bis zum 31.12.2019 gehörte, Beträge bis zu 2.600 Euro. Ausweislich der vom Kläger übersandten Kontoübersicht verfügte er am 03.10.2016 über ein Girokonto-Guthaben von 2.122,34 Euro, wobei allerdings allein 2.094,75 Euro auf das Blindengeld entfielen und nach den obigen Ausführungen (vgl. C. II. 2. b) aa) (2)) außer Betracht bleiben müssen. Mit den verbliebenen 27,59 Euro und dem Bausparvertrag (Wertstellung zum 31.05.2016: 1.166,79 Euro, Wertstellung am 07.07.2018: 1.726,50 Euro) bleibt der Kläger unterhalb des zulässigen Barbetrages von 2.600,00 Euro. Auf die Frage, ob der Bausparvertrag als Vermögen nach § 90 Abs. 3 SGB XII nicht angerechnet werden darf, weil dies für den Kläger eine unzumutbare Härte bedeutet hätte, kommt es daher nicht an.

bb) Der Kläger erfüllt ferner die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe.

Nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. erhalten Personen Leistungen der Eingliederungshilfe, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 3 SGB XII a.F. ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (S. 1). Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (S. 2).

Nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule.

Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 5 EinglHV a.F. umfasst die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne des § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. vor allem die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule oder einer Akademie. Diese Hilfe wird nach § 13 Abs. 2 EinglHV a.F. gewährt, wenn (1) zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung oder der Vorbereitungsmaßnahmen erreicht wird, (2) der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist und (3) der Beruf oder die Tätigkeit voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bieten oder, falls dies wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht möglich ist, zur Lebensgrundlage in angemessenem Umfang beitragen wird.

In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner Wünsche (§ 9 Abs. 2 S. 1 SGB XII). Es gilt mithin ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht (BSG Urteil vom 08.03.2017, B 8 SO 2/16 R, Rn. 18 juris). Bei jeder Eingliederungsmaßnahme gilt es ferner, das Merkmal der Notwendigkeit (§ 4 Abs. 1 SGB IX) zu prüfen.

cc) Die Voraussetzungen nach den voranstehenden Rechtsgrundlagen liegen vor.

(1) Bei dem Kläger besteht und bestand auch im streitigen Zeitraum eine wesentliche Behinderung i.S.v. § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. Dies ergibt sich bereits aus § 1 Nr. 4 EinglHV a.F. Danach sind Blinde durch körperliche Gebrechen wesentlich in ihrer Teilhabefähigkeit eingeschränkt im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. Näherer Feststellungen zum Ausmaß der Einschränkungen der Teilhabefähigkeit bedarf es bei Blinden daher nicht (vgl. BSG Urteil vom 19.05.2009, B 8 SO 32/07 R, Rn. 14 juris, für den ähnlichen Fall von Gehörlosen). Angesichts der Tatsache, dass beim Kläger ein GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Vielzahl von Merkzeichen festgestellt sind, bestehen an der behinderungsbedingten Teilhabeeinschränkung des Klägers keine Zweifel.

(2) Bei den begehrten Leistungen handelt es sich ihrer Art nach um Leistungen der Eingliederungshilfe i.S.d. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F., die nicht anderen Kapiteln des SGB XII zuzuordnen sind. Der Kläger begehrt nicht etwa Leistungen, die seinen Lebensunterhalt und die Ausbildungskosten, die auch Nichtbehinderten entstehen, decken sollen. Sein Begehren beschränkt sich vielmehr auf solche Aufwendungen und Kosten, die ausschließlich wegen seiner Behinderung entstehen und bei Nichtbehinderten nicht anfallen.

(3) Das vom Kläger seit dem Wintersemester 2016/2017 an der WWU durchgeführte Hochschulstudium stellt eine schulische Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" i.S.v. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. und § 13 Abs. 1 Nr. 5 EinglHV a.F. dar. Welcher Beruf angemessen ist, wird weder im Gesetz noch in der EinglHV definiert. Auch die Gesetzesmaterialien geben keine Hinweise auf die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. (vgl. dazu ausführlich LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 83 juris).

Deswegen muss der Begriff des "angemessenen Berufs" unter Heranziehung anderer Auslegungskriterien, hier unter systematischen und teleologischen Gesichtspunkten näher bestimmt werden. Im juristischen Sprachgebrauch wird der Begriff der Angemessenheit unter anderem als Prüfungspunkt im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme herangezogen und hier ein Abwägungsvorgang vorgenommen, bei dem die widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung des Zwecks der streitgegenständlichen Maßnahme gegen- und miteinander abgewogen werden. Ein solcher Abwägungsvorgang ist nach Auffassung des Senats auch hier erforderlich und hat sich an den Zielen der Eingliederungshilfe (vgl. § 53 Abs. 3 S. 1 SGB XII a.F.) zu orientieren.

Einerseits sind dabei als subjektive Kriterien die berechtigten Interessen des Leistungsberechtigten an einer seinen Wünschen und Fähigkeiten entsprechenden Ausbildung bzw. anschließenden Tätigkeit zu berücksichtigen (Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 54 Rn. 67). Hierbei sind auch die Wertungen des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG einzubeziehen. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Das BVerfG hat aus diesem Grundsatz einen weiten Benachteiligungsbegriff abgeleitet. Danach kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme hinlänglich kompensiert wird (BVerfG Beschluss vom 08.10.1997, 1 BvR 9/97, juris). Daher muss Menschen mit Behinderung in gleicher Weise wie Menschen ohne Behinderung die Wahl des Ausbildungs- und Berufsweges offenstehen. Die Eingliederungshilfe soll gerade behinderungsbedingte Hindernisse und Erschwernisse ausräumen, mit denen Menschen ohne Behinderung nicht konfrontiert sind (Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 11. Auflage 2018, § 54 Rn. 55).

Andererseits kann im Rahmen des Abwägungsvorgangs auf objektive Kriterien zur Bestimmung des "angemessenen Berufs" nicht verzichtet werden. Hierfür spricht auch die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 1 SGB XII, wonach die grundsätzlich für die Leistungsgewährung maßgeblichen Wünsche der Leistungsberechtigten nur beachtlich sind, soweit sie ihrerseits angemessen sind (vgl. dazu LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 76 juris). Das Gesetz sieht daher eine schrankenlose Gewährung der Eingliederungshilfe nicht vor. Vielmehr muss die angestrebte Ausbildung (auch) nach objektiven Kriterien geeignet sein, die Eingliederung des behinderten Menschen im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe nachhaltig zu erreichen. Bei der Bestimmung des angemessenen Berufs sind daher die Verhältnisse nichtbehinderter Menschen in den Blick zu nehmen. Insoweit kommt es darauf an, ob auch ein nichtbehinderter Mensch in der Rolle des behinderten Menschen bei Anstellen vernünftiger Erwägungen den betreffenden Ausbildungsweg eingeschlagen hätte (LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 74 juris). Dies schließt zum einen die Förderung solcher Ausbildungen aus, für die der behinderte Mensch nach seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit ungeeignet ist und die er deshalb bei prognostischer Betrachtung voraussichtlich nicht erfolgreich beenden wird. Zum anderen sind auch solche Ausbildungen nicht förderungsfähig, die nicht geeignet sind, die Lebensverhältnisse des behinderten Menschen zu verbessern, etwa weil eine Integration in den Arbeitsmarkt nach der Ausbildung unwahrscheinlich ist. Maßgeblich sind allerdings stets die individuellen Verhältnisse im Einzelfall, wobei eine Prognoseentscheidung zu treffen ist (LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 79 juris).

Die voranstehenden Grundsätze stehen einer Auslegung entgegen, die bei bereits abgeschlossener Erstausbildung nur im Ausnahmefall, etwa bei einem engen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang zwischen Erst- und Zweitausbildung, von einem "angemessenen Beruf" ausgeht. Hierfür existiert keine gesetzliche Grundlage (LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 80 m.w.N. juris). Wie nichtbehinderte Menschen kann auch ein Mensch mit Behinderung, der über die Hochschulreife verfügt, sich nach einer Berufsausbildung zum Hochschulstudium entschließen (LSG NRW Beschluss vom 13.08.2010, L 20 SO 289/10 B ER, juris; Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 54 Rn. 67). Aus diesem Grund kann nicht ausschlaggebend sein, ob der bereits erlernte oder ausgeübte Beruf nach den o.g. Kriterien "angemessen" ist, denn in Abhängigkeit von den Kenntnissen und Fähigkeiten des behinderten Menschen und nach den objektiven Gegebenheiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt können durchaus mehrere und verschiedene Tätigkeiten als "angemessener Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. in Betracht kommen. Einschränkungen können sich allenfalls aus dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit ergeben (LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 80 juris).

Diese Erforderlichkeit kann dann verneint werden, wenn bei prognostischer Beurteilung davon auszugehen ist, dass ein nichtbehinderter Mensch mit entsprechenden Kenntnissen und Fertigkeiten die Ausbildung für den vom behinderten Menschen erstrebten weiteren oder anderen Beruf nicht angegangen wäre. Kriterien hierfür können sein: das Alter und der bisherige berufliche Werdegang des Betroffenen, ein etwaiger sachlicher Zusammenhang zwischen dem erstrebten Berufsabschluss und der bisherigen Berufsausbildung sowie die Frage, ob eine realistische Chance für eine berufliche Verbesserung bei erfolgreichem Abschluss des weiteren Ausbildungsgangs besteht (LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 85 juris).

Einschränkungen aus dem zivilrechtlichen Unterhaltsrecht oder dem Recht der Ausbildungsförderung nach dem BAföG, die für die Unterstützung oder die Förderung von Zweitausbildungen bzw. die Förderung älterer Auszubildender bestehen, können auf das Recht der Eingliederungshilfe nicht übertragen und nicht zur Bestimmung des Begriffs des "angemessenen Berufs" herangezogen werden. Denn insoweit liegen unterschiedliche Zielrichtungen vor, die einer Parallelwertung entgegenstehen. Während Unterhaltsleistungen oder Ausbildungsförderungen vornehmlich bzw. ausschließlich die Sicherung des Lebensunterhalts oder des ausbildungsspezifischen Bedarfs beabsichtigen, dienen die Leistungen der Eingliederungshilfe allein dem Ausgleich behinderungsspezifischer Nachteile. Altersgrenzen für die Förderfähigkeit wie sie in § 10 Abs. 3 S. 1 BAföG oder Einschränkungen für Zweitausbildungen wie sie in § 7 Abs. 2 BAföG oder zivilrechtlich in § 1610 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (vgl. dazu BGH Urteil vom 17.05.2006, XII ZR 54/04, juris) vorgesehen sind, sind daher keine geeigneten Kriterien zur Bestimmung des "angemessen Berufs"; das Recht der Eingliederungshilfe ist vielmehr losgelöst vom Unterhaltsrecht zu betrachten (vgl. LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 82 juris).

(4) Nach den oben genannten Grundsätzen ist das vom Kläger begonnene Studium als Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII a.F., § 13 EinglHV a.F. zu werten.

(a) Der Kläger bot nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten sowohl zum Zeitpunkt des Beginns des Studiums (01.10.2016) als auch im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung (04.04.2017) und bei prognostischer Betrachtung die Gewähr dafür, dass er das begonnene Studium voraussichtlich erfolgreich abschließen können würde. Er verfügte über die Allgemeine Hochschulreife als Zugangsberechtigung. Der Kläger hat im Rahmen seiner Befragung durch den Senat auch nachvollziehbar dargelegt, dass er sich bewusst für das rechtswissenschaftliche Studium entschieden hat, weil er bei dieser sprach- und logikzentrierten Ausbildung die behinderungsbedingten Hindernisse am ehesten überwinden kann. In diesem Zusammenhang hat er schlüssig dargelegt, dass er die Überlegung, ein betriebswissenschaftliches Fernstudium zu beginnen, wieder aufgegeben hat, weil es dort entscheidend auf Zahlen und Symbole ankommt, die er als Blinder nur schwer verarbeiten kann. Der spätere Verlauf des Studiums bestätigt diese günstige Prognose. Der Kläger hat zwar einige Prüfungen nicht bestanden. Er konnte diese aber wiederholen und bestand die meisten Wiederholungsprüfungen auch. Er hat bislang die Zwischenprüfung noch nicht erfolgreich abgelegt, er hat jedoch die erforderlichen zwei Grundlagenfächer absolviert (§ 17 Abs. 2 a) Prüfungsordnung für den Studiengang Rechtswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vom 26.04.2010 in der Fassung der 11. Änderungsordnung vom 30.09.2019 (in Kraft ab 10/2019; (PO)) und die notwendigen "Creditpoints" aus den drei großen Rechtsgebieten (Öffentliches Recht, Straf- und Zivilrecht) gesammelt (§ 17 Abs. 2 c) PO). Es fehlen ihm daher nur noch zwei Hausarbeiten zum Bestehen der Zwischenprüfung (§ 17 Abs. 2 b) PO). Diese konnte der Kläger nach seinem glaubhaften Vortrag bislang nicht erstellen, weil er hierzu mit Begleitung und Assistenz die Bibliothek aufsuchen müsste, was aber ohne diese Hilfen nicht möglich war. Dass der Kläger die Regelstudienzeit von neun Semestern überschritten hat, führt zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht davon aus, dass die Überschreitung der Regelstudienzeit im Wesentlichen auf der Behinderung des Klägers selbst beruht und nicht auf mangelnde Fähigkeiten oder eine eingeschränkte Motivation zurückzuführen ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger während des ersten Semesters erkrankt und daran gehindert war, regelhaft zu studieren. Auch die vom Kläger geschilderten Anlaufschwierigkeiten, die vor allem dem Umstand geschuldet waren, dass er ohne Vorleseassistenz und Mitschreibkräfte zurechtkommen musste, sind nachvollziehbar und kein Indiz für eine Ungeeignetheit des Klägers, die prognostisch zu seinen Lasten gewertet werden müsste. Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden zudem nicht durch die bisherigen Noten des Klägers in Frage gestellt. Vielmehr zeigen sie überwiegend durchschnittliche und teilweise überdurchschnittliche Leistungen. Dessen ungeachtet handelt es sich bei den Eingliederungshilfeleistungen nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII nicht um eine "Elitenförderung". Sie zielen vielmehr auf eine Gleichstellung von behinderten Studierenden mit durchschnittlichen nichtbehinderten Studierenden ab (vgl. LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 87 juris).

(b) Für die Aufnahme des rechtswissenschaftlichen Hochschulstudiums im Oktober 2016 lassen sich vernünftige Erwägungen anführen, die auch ein nichtbehinderter Mensch angestellt hätte. Der Kläger hat angegeben, bereits nach kurzer Zeit das Interesse an der Ausbildung als Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung verloren und nur auf Zuraten der Ausbildungsstätte die Ausbildung abgeschlossen zu haben. Ferner ist der Kläger vor dem Ende der Ausbildung vollständig erblindet, was sich zusätzlich einschränkend auf die Arbeitsabläufe im Rahmen der Ausbildung zum Fachinformatiker ausgewirkt hat. Der Kläger konnte zwar nach der Verschlechterung seiner Sehkraft bis zur praktischen Blindheit Anfang 2014 seine Ausbildung im Rahmen einer Nachprüfung erfolgreich abschließen. Gleichwohl hat er gegenüber dem Senat nachvollziehbar dargelegt, dass er die zu bewältigenden Aufgaben nur schlechter erledigen konnte und er ausreichend Zeit hatte, sich auf die Wiederholungsprüfung ein halbes Jahr später vorzubereiten. Schließlich ist zu beachten, dass über die Dauer von einem Jahr und damit über einen nicht unwesentlichen Zeitraum zehn Bewerbungen erfolgten, die zu sieben Bewerbungsgesprächen führten, ohne dass der Kläger in den Arbeitsmarkt als Fachinformatiker hat integriert werden können. Auch der Umstand, dass dem Kläger überwiegend keine Arbeitsplätze als Fachinformatiker, sondern als Grafikdesigner angeboten wurden, bestätigt die Annahme, dass für die berufliche Umorientierung vernünftige Gründe bestanden.

Der vom Kläger angestrebte höhere Bildungsabschluss als Volljurist bietet ihm eine realistische Aussicht auf eine Verbesserung seiner beruflichen Situation. Es ist gerichtsbekannt, dass die Zahl der juristischen Absolventen seit Jahren rückläufig ist (vgl. etwa https://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/rechtswissenschaft-auf-dem-pruefstand-17237535.html), so dass keine Gefahr von zu wenigen Arbeitsplätzen infolge einer "Juristen-Schwemme" zu befürchten ist. Ferner ist auch die Zahl der arbeitslosen Volljuristen rückläufig (vgl. etwa https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Broschuere-Akademiker.pdf?__blob=publicationFile, S. 88 ff.), so dass eine gute Chance für eine Integration in den Arbeitsmarkt nach erfolgtem Abschluss besteht. Die Verdienstmöglichkeiten sind auch höher. Laut Informationen der Agentur für Arbeit (www.berufenet.arbeitsagentur.de) verdient ein Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung monatlich zwischen 3.135,00 und 3.646,00 Euro brutto. Für Volljuristen wird demgegenüber ein Bruttoverdienst von 4.825,00 bis 6.444,00 Euro angegeben.

Die Tatsache, dass der Kläger bei Beginn des Studiums bereits sein 25. Lebensjahr vollendet hatte, lässt seine Verbesserungschancen nicht unrealistisch erscheinen. Der Kläger hat im Frühjahr 2020 mitgeteilt, dass er den Abschluss seines Studiums in drei Jahren anstrebe. Das dürfte zwar angesichts der gegenwärtigen Leistungsnachweise unrealistisch sein, doch selbst wenn man heute von weiteren drei bis vier Jahren Studium ausginge und das Referendariat hinzurechnete, hätte der Kläger bei Abschluss der geförderten Ausbildung bzw. dem Ende des Referendariats etwa sein 35. bis 37. Lebensjahr vollendet. Der Kläger hätte bis zum Erreichen der Regelaltersrente dann noch rund 30 Jahre, die er mit einer qualifizierteren Erwerbstätigkeit füllen könnte.

(5) Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 EinglHV.

(a) Im Hinblick auf die bereits erbrachten Prüfungsleistungen ist es im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 1 EinglHV zu erwarten, dass der Kläger das Studium erfolgreich abschließen und damit das Ziel der Ausbildung erreichen wird. Auf die obigen Ausführungen (vgl. C. II. 2. b) cc) (4) (a)) wird insoweit verwiesen.

(b) Der eingeschlagene Ausbildungsweg ist erforderlich im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 2 EinglHV. Bezugspunkt der Erforderlichkeit ist "ein" angemessener Beruf. Im Rahmen von § 13 Abs. 2 Nr. 2 EinglHV ist deshalb auch zu berücksichtigen, ob der behinderte Mensch bereits einen anderen "angemessenen Beruf" erlernt hat bzw. ausübt, und es ist zu prüfen, ob der mit der beschrittenen Ausbildung erstrebte andere "angemessene Beruf" und die damit gewünschte berufliche Veränderung erforderlich sind (LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 97 juris).

Auch hier ist ein individueller Maßstab erforderlich, der die angemessenen Wünsche des behinderten Menschen und die Verhältnisse von nichtbehinderten Menschen berücksichtigt (vgl. BSG Urteil vom 29.09.2009, B 8 SO 19/08 R, Rn. 22 m.w.N. juris). Die Erforderlichkeit kann dabei nicht unter Bezugnahme auf beliebige, gesellschaftspolitisch wertende oder finanzielle Erwägungen verneint und der behinderte Mensch auf einen Mindeststandard oder die abstrakt gesehen bereits erfolgte berufliche Ausbildung/Eingliederung verwiesen werden. Maßgebliches Beurteilungskriterium ist vielmehr, ob auch ein nichtbehinderter Mensch in der individuellen Lage des behinderten Menschen bei Anstellen vernünftiger Erwägungen eine weitere berufliche Ausbildung angestrebt hätte. Insoweit kann eine Rolle spielen, ob die bisherige berufliche Tätigkeit schon längere Zeit ausgeübt wurde und ob zwischen dem letzten Berufsabschluss und der Aufnahme der weiteren Ausbildung ein längerer Zeitraum liegt (LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 98 juris). Ein ganz strenger zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang zwischen der ersten Berufsausbildung und der weiteren Ausbildung, wie sie die - nicht verbindlichen - BAGüS vorsehen, kann - wie oben bereits für den Angemessenheitsbegriff ausgeführt (vgl. C. II. 2. b) cc) (3)) - aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 EinglHV nicht abgeleitet werden.

Nach diesen Grundsätzen war die Aufnahme des Hochschulstudiums zum 01.10.2016 erforderlich. Der Senat geht nach ausführlicher Befragung des Klägers davon aus, dass der erlernte Beruf des Fachinformatikers für Anwendungsentwicklung für den Kläger keinen "angemessenen" Beruf mehr darstellt, auf den er verwiesen werden könnte. Der Kläger hat für den Senat widerspruchsfrei, schlüssig und lebensnah dargelegt, dass es für ihn keine Integrationsperspektiven für diesen Beruf gibt. Dafür spricht, dass es dem Kläger trotz ausreichender Eigenbemühungen und Vermittlungsbemühungen seitens der Agentur für Arbeit Coesfeld nicht gelingen konnte, im erlernten Beruf als Fachinformatiker eine Anstellung zu finden. Der Kläger hat dabei für den Senat schlüssig dargelegt, dass die Integrationsschwierigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wesentlichen darauf zurückzuführen waren, dass er keine klassische Berufsausbildung in einem Betrieb durchlaufen hat, sondern eine verschulte Ausbildung mit kaum praktischer Erfahrung in den gängigen Arbeitsfeldern. Vor diesem Hintergrund sind auch die vom Kläger vermuteten Vorbehalte potentieller Arbeitgeber, einen blinden Fachinformatiker ohne nähere Erfahrungen in jenen typischen Arbeitsfeldern einzustellen, nachvollziehbar. Die Integrationsschwierigkeiten werden dadurch unterstrichen, dass es der Agentur für Arbeit Coesfeld nicht gelingen konnte, eine passende Arbeitsstelle zu vermitteln. Dem Kläger wurden überwiegend Tätigkeiten als Grafikdesigner angeboten, worin er aber nicht ausgebildet wurde. Selbst die beiden geringfügigen Tätigkeiten, die der Kläger als Grafikdesigner kurzzeitig ausübte, endeten durch Kündigungen, weil er den Anforderungen nicht gewachsen war. Insofern ist es auch ohne weiteres nachvollziehbar, wenn der Kläger ausführt, dass IT-Unternehmen nicht generell barrierefrei arbeiten und blinde Beschäftigte entsprechend nicht uneingeschränkt eingesetzt werden können. Hinzu kam im Falle des Klägers die weitere Verschlechterung der Sehkraft noch während der Ausbildung, die sich ihrerseits erschwerend auf die Arbeitsabläufe des Fachinformatikers auswirkte. Der Kläger hat ferner nachvollziehbar erläutert, dass ein dauerhafter Einsatz nur bei denjenigen Sehbehinderten denkbar ist, die noch über eine Restsehkraft verfügen, was aber beim Kläger nicht mehr zutrifft. Von einer existenzsichernden Alternative im erlernten Beruf konnte daher im Oktober 2016 nicht mehr ausgegangen werden. Der Beruf des Fachinformatikers für Anwendungsentwicklung wurde den Kräften und Fähigkeiten des Klägers, so wie er sie bis zum Oktober 2016 unter Beweis gestellt hatte, nicht mehr gerecht und stellt deshalb keine geeignete angemessene Alternative (mehr) für ihn dar. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass gerade im Fall eines behinderten Menschen eine möglichst hohe Qualifikation regelmäßig die beste Gewähr dafür bietet, dass der behinderte Mensch auf Dauer seinen Lebensunterhalt selbst sicherstellen kann. Es wäre deshalb nicht angemessen, in einem solchen Fall Hilfen zum Erwerb einer höheren Qualifikation zu verweigern, wenn - wie vorliegend - prognostisch mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem erfolgreichen Abschluss und dem anschließenden beruflichen Einsatz gerechnet werden kann. Auch wenn es nicht gewiss ist, dass der Kläger nach erfolgreichem Abschluss des Studiums eine Arbeitsstelle als Volljurist findet, begründet der erfolgreiche Abschluss des Hochschulstudiums eine realistische Chance des Klägers auf eine berufliche Verbesserung.

Der Senat konnte seine Überzeugungsbildung im Wesentlichen auf den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung stützen. Die Beteiligtenvernehmung ist im SGG als förmliche Beweiserhebung zwar nicht vorgesehen, weil § 118 Abs. 1 S. 1 SGG nicht auf die §§ 445 ff. ZPO (Beweis durch Parteivernehmung) verweist (vgl. BSG Beschluss vom 31.10.1956, 4 RJ 267/55, Rn. 5 juris). Es ist jedoch anerkannt, dass auch der Sachvortrag der Beteiligten von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bei der Überzeugungsbildung verwertet werden muss, denn auch dieser Sachvortrag gehört zu dem in § 128 SGG genannten "Gesamtergebnis des Verfahrens" (vgl. BSG Urteil vom 06.12.1966, 9 RV 194/64, Rn. 9 juris). Das Gericht kann daher seine Entscheidung auf den Beteiligtenvortrag stützen, wenn er glaubhaft ist, der Lebenserfahrung entspricht und nicht entscheidend zu anderen festgestellten Tatsachen im Widerspruch steht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 128 Rn. 4). Das ist hier der Fall. Der Kläger hat zwar erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat über die Schwierigkeiten, im erlernten Beruf einen Arbeitsplatz zu finden, und seine Beweggründe, das Hochschulstudium aufzunehmen, ausführlich berichtet. Er setzt sich dabei aber nicht in Widerspruch zu seinem früheren Vortrag. Im Übrigen hat der Beklagte den Vortrag des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung weder als widersprüchlich oder unglaubhaft bezeichnet noch irgendwelche Einwände dagegen erhoben. Soweit der Beklagte dem Kläger vorgehalten hat, warum er nicht bereits früher über die Schwierigkeiten, in seinem erlernten Beruf tätig zu werden, berichtet habe, ist dies unerheblich. Der Sachvortrag kann nicht als verspätet unberücksichtigt gelassen werden. Es ist insoweit Aufgabe der Sozialverwaltungsbehörde im Verwaltungsverfahren (vgl. § 20 SGB X) und nachfolgend der Sozialgerichte im Klageverfahren (vgl. § 103 SGG), den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und die ermittelten Tatsachen der Entscheidung zugrunde zu legen.

(c) Der nach erfolgreichem Studienabschluss für den Kläger mögliche Beruf bietet voraussichtlich auch eine ausreichende Lebensgrundlage im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 3 EinglHV. Auf die obigen Ausführungen (vgl. C. II. 2. b) cc) (4) (b)) wird insoweit Bezug genommen.

(6) Die konkret in Anspruch genommenen Leistungen in Form der Mobilisierung zwischen Oktober und Dezember 2016 waren dem Grunde nach erforderlich. Erforderlich im Sinne des § 4 Abs. 1 SGB IX ist eine Leistung dann, wenn keine verfügbaren Möglichkeiten der Selbsthilfe bestehen oder auch kostengünstigere Lösungen nicht hätten gewählt werden können (vgl. BSG Urteil vom 20.09.2012, B 8 SO 15/11 R, Rn. 14 juris). Das ist hier der Fall. Auf Selbsthilfe konnte der Kläger nicht zumutbar verwiesen werden. Ein Mobilitätstraining ist für Blinde bei Standort- bzw. Wohnortwechsel stets notwendig. Der Kläger hat für den Senat zudem nachvollziehbar dargelegt, dass er ohne eine ausreichende Orientierung außerhalb seiner Studentenwohnung nicht zurechtgekommen wäre. Zu den erforderlichen Leistungen der Mobilisierung gehören dabei nicht nur der bis Anfang November 2016 durchgeführte Orientierungs- und Mobilitätsunterricht selbst, sondern auch die bis Dezember 2016 in Anspruch genommenen Betreuungsstunden. Der Kläger hat insofern nachvollziehbar dargelegt, dass er bis zum Abschluss der Orientierung auf dauerhafte Begleitung angewiesen und diese Phase erst im Dezember 2016 abgeschlossen war.

(7) Auf die Prüfung eines Ermessens des Beklagten kommt es auf der Rechtsfolgenseite nicht an. Zwar ist nach § 17 Abs. 2 S. 1 SGB XII über Form und Maß der Sozialhilfe nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden, soweit das Ermessen nicht ausgeschlossen wird. Der Senat kann dabei dahinstehen lassen, ob bereits vom Vorliegen einer gebundenen Entscheidung auszugehen ist, weil es sich bei § 13 EinglHV um eine das Ermessen konkretisierende Regelung im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 1 SGB XII handelt (so LSG NRW Urteil vom 27.03.2014, L 9 SO 497/11, Rn. 108 juris). Denn der Sozialhilfeträger verliert seinen Ermessensspielraum ohnehin, wenn sich der Berechtigte - wie hier - die Leistung selbst beschaffen muss, weil der Sozialhilfeträger diese rechtswidrig abgelehnt hat, ohne aufzuzeigen, wie eine erfolgreiche Teilhabe erreicht werden kann (BSG Urteil vom 27.02.2020, B 8 SO 18/18 R, Rn. 15 m.w.N. juris).

(8) Hinsichtlich des Anspruchs der Höhe nach sind die Kosten der Mobilisierung als notwendige Kosten nicht zu beanstanden. Die Kosten, die für einen Zeitraum von drei Monaten entstanden sind, sind angemessen. Der Beklagte hat die Höhe der abgerechneten Leistungen auch nicht bemängelt.

3. Da ein Anspruch bereits aus § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX a.F. i.V.m. §§ 53, 54 SGB XII a.F. besteht, konnte der Senat dahinstehen lassen, ob daneben auch Ansprüche nach § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX a.F. i.V.m. §§ 112 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) oder i.V.m. § 33 Abs. 1, 3 und 8 SGB IX a.F. oder i.V.m. §§ 9 Abs. 1, 15 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI, in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung) in Betracht kommen, für die der Beklagte als erstangegangener Leistungsträger nach § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB IX (in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung) ebenfalls zuständig gewesen wäre.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S. 1, 193 Abs. 1 S. 1 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger erstmals im Berufungsverfahren in zulässiger Weise seine konkreten Kosten beziffert hat, die angefallen sind und die er erstattet verlangt. Ferner durfte der Kläger nach der oben genannten, zum 01.01.2020 in Kraft getretenen Gesetzesänderung (vgl. C. I.) seinen Antrag auf etwaige Kosten, die bis zum 31.12.2019 entstanden waren, begrenzen, ohne dass dies zu seinen Lasten ginge. Führt eine Änderung der Rechtslage zur Erledigung des Rechtsstreits, ist wesentlich darauf abzustellen, wie ohne diese Änderung voraussichtlich entschieden worden wäre. Es entspricht der Billigkeit, auf die Erfolgsaussichten der Klage vor dem erledigenden Ereignis abzustellen (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 193 Rn. 13a m.w.N.). Wäre das Gesetz nicht geändert worden und der Beklagte auch ab dem 01.01.2020 sachlich zuständiger Träger geblieben, hätte er entsprechend den obigen Ausführungen (vgl. C. II.) zur Leistungsgewährung verurteilt werden müssen. Daher ist es gerechtfertigt, ihm die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen aufzuerlegen.

E. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), bestehen nicht.

Referenznummer:

R/R9517


Informationsstand: 02.02.2023