Urteil
Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung bei Mukoviszidoseerkrankung

Gericht:

BSG


Aktenzeichen:

B 8 SO 4/21 R


Urteil vom:

08.12.2022


Grundlage:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. April 2020 und des Sozialgerichts Stralsund vom 10. Oktober 2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2016 abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Rechtsweg:

SG Stralsund, Urteil vom 10. Oktober 2017 - S 5 SO 21/16
LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28. April 2020 - L 9 SO 44/17

Quelle:

NWB Verlag GmbH & Co. KG
Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tatbestand:

Im Streit sind im Revisionsverfahren noch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit von Oktober bis Dezember 2015.

Die im September 1990 geborene Klägerin leidet unter Mukoviszidose. Sie erhielt im streitgegenständlichen Zeitraum neben einem Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung von ihrer Mutter, bei der sie kostenfrei wohnte, monatlich das für sie gezahlte Kindergeld in Höhe von 184 Euro. Daneben erhielt sie monatlichen Unterhalt von ihrem Vater in Höhe von 312 Euro, den dieser aufgrund eines Unterhaltstitels, im Hinblick auf eine beim Amtsgericht (AG) Ribnitz-Damgarten im Mai 2014 erhobene Abänderungsklage jedoch unter Vorbehalt zahlte. Das AG änderte den Unterhaltstitel mit Wirkung vom 1.5.2014 dahingehend ab, dass der Vater Unterhalt nur unter Anrechnung des nach Abzug des Kindergelds verbleibenden Grundsicherungsanspruchs zu leisten habe (Beschluss vom 21.1.2016). Die Entscheidung wurde mit Rücknahme einer Beschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) Rostock, das Prozesskostenhilfe zuvor abgelehnt hatte, im April 2017 rechtskräftig.

Den Antrag der Klägerin auf Grundsicherungsleistungen (vom 12.5.2015) lehnte der Beklagte ab, weil ihr Einkommen unter Berücksichtigung sowohl des Kindergelds als auch der tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen ihren Bedarf in Höhe von 320 Euro übersteige (Bescheid vom 20.5.2015; Widerspruchsbescheid vom 1.2.2016).

Das Sozialgericht (SG) Stralsund hat den Beklagten unter Aufhebung dieser Bescheide verpflichtet, einen Bescheid zu erlassen, nach dem der Klägerin Grundsicherung für Erwerbsgeminderte nach dem SGB XII ohne Berücksichtigung des Kindesunterhalts ab Antragstellung bewilligt wird (Urteil vom 10.10.2017). Das Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28.4.2020). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Unterhalt des Vaters sei kein Einkommen iS des § 82 SGB XII. Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gelte bei Grundsicherungsleistungen nur eingeschränkt. Der Unterhalt eines dauerhaft voll erwerbsgeminderten Kindes solle vorrangig durch Grundsicherungsleistungen gedeckt werden, die als Einkommen im Sinne des Unterhaltsrechts gälten und insoweit die Unterhaltspflicht der Eltern zum Erlöschen brächten. Unterhaltsleistungen ergänzten nur und ersetzten nicht die Grundsicherungsleistungen; es bestehe deshalb zivilrechtlich eine Obliegenheit des Unterhaltsberechtigten zur Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen. Bei einer Berücksichtigung des Unterhalts als Einkommen iS des § 82 SGB XII komme es ansonsten zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch, wenn allein der Unterhaltsschuldner durch eine Anrechnung des fiktiven Grundsicherungsanspruchs begünstigt werde und der Unterhaltsberechtigte weniger Unterhalt erhielte, obgleich tatsächlich keine Grundsicherung gewährt werde.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 43 Abs 3 Satz 1 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII. Dem Leistungsberechtigten zugeflossene Unterhaltszahlungen seien als Einkommen zu berücksichtigen und vorrangig zur Deckung des Lebensunterhalts einzusetzen.


Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. April 2020 und das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 10. Oktober 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.


Die Klägerin beantragt,

die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Beklagte verurteilt wird, der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 1. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2015 zu zahlen.

Sie hält die Urteile der Vorinstanzen für zutreffend.

Gründe:

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen besteht im streitigen Zeitraum schon deshalb kein Anspruch der Klägerin auf Grundsicherungsleistungen, weil sie angesichts ihres Einkommens nicht hilfebedürftig ist.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 20.5.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.2.2016, mit dem der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und Abs 4 SGG), die zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 SGG) gerichtet ist. Das Urteil des SG ist als eine solche Verurteilung zur Leistung von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung dem Grunde nach ab dem 1.5.2015 auszulegen; denn das SG ist von einer Leistungspflicht des Beklagten ab dem Monat der Antragstellung ausgegangen. Die unklare Urteilsformel wird aus den Entscheidungsgründen, die bei der Auslegung heranzuziehen sind (vgl nur Bundessozialgericht (BSG) vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R - RdNr 14 mwN), hinreichend deutlich. In zeitlicher Hinsicht ist im Revisionsverfahren nur noch über den Zeitraum vom 1.10.2015 bis 31.12.2015 zu entscheiden, nachdem die Beteiligten wegen der Zeiträume vom 1.5.2015 bis zum 30.9.2015 und vom 1.1.2016 bis zum 30.4.2020 einen Vergleich geschlossen haben.

Der Landrat ist als Behörde des sachlich und örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers (dazu sogleich) beteiligtenfähig iS von § 70 Nr 3 SGG. Nach § 70 Nr 3 SGG sind Behörden beteiligtenfähig, sofern das Landesrecht dies bestimmt. § 17 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes vom Juni 1992 (GVOBl M-V 1992, 314) nimmt eine entsprechende Bestimmung vor; Behörde in diesem Sinne ist der Landrat des Landkreises Vorpommern-Rügen (vgl § 90 Abs 1, § 115 Abs 4 Satz 1 Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) vom 13.7.2011, GVOBl M-V 777). An der Auslegung von Landesrecht war der Senat nicht gehindert, weil entsprechende Feststellungen des LSG zum Landesrecht fehlen.

Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen. Der Beklagte ist sachlich und örtlich für die Erbringung der begehrten Grundsicherungsleistung zuständig (§ 46b Abs 1, Abs 3 Satz 1 SGB XII, idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 1.10.2013 (BGBl I 3733) mWv 1.1.2013 iVm § 1 Abs 1 und Abs 2 Satz 1, § 2 Satz 1 und § 4 Abs 1 des Gesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XII M-V) vom 20.12.2004 (GVOBl M-V 546), hier idF des Gesetzes vom 10.12.2012 (GVOBl M-V 535) mWv 1.1.2013). Eine Beteiligung sozial erfahrener Dritter nach § 116 Abs 2 SGB XII war vor Erlass des Widerspruchsbescheids nicht erforderlich, unabhängig davon, welche Folgen ein Verstoß gegen diese Norm hätte (dazu BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 17/09 R - BSGE 106, 62 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6, RdNr 12). Es besteht eine von § 116 Abs 2 SGB XII abweichende landesrechtliche Regelung; auch insoweit war der Senat mangels Feststellungen des LSG an der eigenen Prüfung von Landesrecht nicht gehindert. In Mecklenburg-Vorpommern können ua die Träger der Sozialhilfe für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich bestimmen, dass vor dem Erlass eines Verwaltungsaktes über den Widerspruch gegen die Ablehnung der Sozialhilfe oder gegen die Festsetzung ihrer Art und Höhe sozial erfahrene Dritte gemäß § 116 Abs 2 SGB XII beratend beteiligt werden sowie das Nähere über die Beteiligung festlegen (vgl § 10 AG-SGB XII M-V in der vom 1.1.2013 bis 31.12.2015 geltenden Fassung; nunmehr § 15 Abs 2 AG-SGB XII M-V). Da die Regelung in § 116 Abs 2 SGB XII unter einem unbegrenzten Vorbehalt abweichender Regelungen durch das Landesrecht steht, ist auch eine solche Überantwortung der Entscheidungsbefugnis über die Beteiligung sozial erfahrener Dritter auf den jeweiligen Sozialhilfeträger im Landesgesetz von Bundesrecht gedeckt (vgl Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 116 RdNr 19 mwN, Stand August 2021). Nur bei einer entsprechenden Bestimmung durch den Träger der Sozialhilfe, die hier aber nicht vorliegt, wäre also eine Beteiligung sozial erfahrener Dritter erforderlich gewesen.

Grundsicherung bei Erwerbsminderung ist nach § 19 Abs 2 SGB XII iVm § 41 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 SGB XII (hier in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG/SGBII/SGBXII-ÄndG) vom 24.3.2011 (BGBl I 453)) auf Antrag Personen zu leisten, die dauerhaft und unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert sind und zudem ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII bestreiten können. Es kann dahinstehen, ob bei der Klägerin eine dauerhafte volle Erwerbsminderung vorlag. Die auf Ersuchen des Sozialhilfeträgers im Verwaltungsverfahren eingeholte entsprechende Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Nord ersetzt die insoweit notwendigen Feststellungen im Gerichtsverfahren nicht (vgl nur BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 21/11 R - SozR 4-3500 § 43 Nr 3 RdNr 15); eigene Feststellungen hat das LSG nicht getroffen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen aber schon deshalb nicht, weil sie ihren notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen bestreiten kann und also nicht hilfebedürftig ist.

Die für Leistungen der Grundsicherung maßgebliche Hilfebedürftigkeit ist anhand des nach § 42 SGB XII (hier in der bis 31.12.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGB XII (SGB-XII-ÄndG) vom 20.12.2012 (BGBl I 2783)) zu bestimmenden Gesamtbedarfs der Klägerin einerseits und des einzusetzenden Einkommens und Vermögens (§§ 82 bis 84 SGB XII und §§ 90, 91 SGB XII) andererseits zu prüfen. Der Bedarf wegen des Regelsatzes (§ 42 Nr 1 SGB XII) richtet sich für eine erwachsene leistungsberechtigte Person im Grundsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII und beträgt für 2015 monatlich 399 Euro. Die Regelbedarfsstufe 3, die das LSG ohne nähere Begründung zugrunde gelegt hat, kommt bei Zusammenleben mit anderen in einem Haushalt nur zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige oder eine nur ganz unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt (vgl BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - BSGE 116, 210 = SozR 4-3500 § 28 Nr 9); für einen solchen Sachverhalt bietet das Zusammenleben der Klägerin mit ihrer Mutter vorliegend aber keine Anhaltspunkte. Weitere Bedarfe nach Maßgabe von § 42 Nr 2 bis 5 SGB XII bestanden nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht. Insbesondere Kosten für Unterkunft und Heizung waren von der Klägerin nicht aufzuwenden und ein (nur) fiktiver Anteil an den Unterkunftskosten als Bedarf ergab sich im streitigen Zeitraum - anders als nach der seit dem 1.7.2017 geltenden Rechtslage (vgl § 42a SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (BGBl I 3159) und dazu BSG vom 23.3.2021 - B 8 SO 14/19 R - SozR 4-3500 § 42a Nr 1) - nicht.

Dem Bedarf in Höhe von 399 Euro ist das einzusetzende Einkommen und Vermögen der Klägerin gegenüberzustellen. Nach § 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII (hier in der Fassung des SGB-XII-ÄndG), auf den § 41 Abs 1 SGB XII (bzw seit dem 1.1.2016 § 43 Abs 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und weiterer Vorschriften vom 21.12.2015 (BGBl I 2557)) Bezug nimmt, gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Zu den vom Begriff des Einkommens umfassten Einnahmen in Geld gehören (von den genannten Ausnahmen abgesehen) alle Zuflüsse von Zahlungsmitteln gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden. Für die Frage, ob Einkommen vorliegt, spielt es daher (zunächst) keine Rolle, welcher Art die Einkünfte sind, aus welcher Quelle sie stammen und aus welchem Grunde sie geleistet werden, ob sie einmalig oder laufend, regelmäßig oder unregelmäßig erzielt werden (zuletzt BSG vom 3.7.2020 - B 8 SO 27/18 R - BSGE 130, 250 = SozR 4-3500 § 84 Nr 2, RdNr 15 mwN). Mit Geltung des Monatsprinzips (vgl § 44 Abs 1 SGB XII) ist Einkommen im dargestellten Sinne bei Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen, wenn es im Monat des Bedarfs zufließt.

Auf dieser Grundlage war von der Klägerin im streitigen Zeitraum monatlich ein Einkommen in Höhe von 496 Euro einzusetzen, das ihren Bedarf vollständig deckt. Zum Einkommen gehört zunächst das von der Mutter auf Grundlage der Feststellungen des LSG tatsächlich an die Klägerin weitergeleitete Kindergeld in Höhe von 184 Euro (vgl nur BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/06 R - BSGE 98, 121 = SozR 4-3500 § 41 Nr 1). Daneben stellt aber auch der zugeflossene Unterhalt in Höhe von 312 Euro monatlich einzusetzendes Einkommen dar (vgl bereits BSG vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R - BSGE 99, 137 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11, RdNr 23; Bundesgerichtshof (BGH) vom 20.12.2006 - XII ZR 84/04 - FamRZ 2007, 1158 - RdNr 18 und dazu Scholz, FamRZ 2007, 1160; vgl auch BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 8/17 R - RdNr 19 ff zum Unterhalt des minderjährigen Kindes im Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II)). Den Zahlungen liegt eine rechtliche Verpflichtung aus § 1602 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zugrunde, sodass eine Privilegierung iS des § 84 Abs 2 SGB XII unter dem Gesichtspunkt einer Härte ausscheidet (zu Härtegesichtspunkten iS des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII später). Eine Freistellung von Unterhalt wegen einer (vermeintlich) abweichenden Zweckbestimmung (so im Hinblick auf den sog "Spitzbetrag" Brandenburgisches OLG vom 11.3.2004 - 10 UF 176/03 - RdNr 154 ff) scheidet ebenfalls aus; denn § 83 Abs 1 SGB XII erfasst nur öffentlich-rechtliche Vorschriften und ist für Leistungen auf zivilrechtlicher Rechtsgrundlage nicht, auch nicht entsprechend anwendbar (vgl BSG vom 24.8.2017 - B 4 AS 9/16 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 10 RdNr 25 zu § 11a Abs 3 SGB II; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 83 RdNr 10, Stand August 2021). Lediglich das der Klägerin zugeflossene Pflegegeld bleibt nach der spezialgesetzlichen Regelung in § 13 Abs 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI; hier in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022)) als Einkommen unberücksichtigt. Sachverhalte, aus denen sich Absetzbeträge von diesem Einkommen (vgl § 82 Abs 2 SGB XII) ergeben könnten, liegen auf Grundlage der Feststellungen des LSG und nach dem Vortrag der Klägerin nicht vor.

Der Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als Einkommen steht nicht entgegen, dass der Vater den Unterhalt nach Erhebung einer Abänderungsklage (vgl §§ 238, 239 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)) unter Vorbehalt gezahlt hat (anders wohl Reinken in BeckOK BGB, Stand 1.11.2022, § 1601 BGB RdNr 49; Scholz, FamRZ 2007, 1160, 1161). Zwar sind nur solche Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen anzusehen, die einen Zuwachs von Mitteln bedeuten, der dem Hilfebedürftigen zur endgültigen Verwendung verbleibt (vgl BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 24/11 R - RdNr 25 - ZFSH/SGB 2013, 696 im Anschluss an BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 46/09 R - BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30, RdNr 16 zu § 11 SGB II). Voraussetzung für die Privilegierung einer Einnahme iS einer Nichtberücksichtigung als Einkommen ist aber, dass die Zahlung bereits im Zeitpunkt des Zuflusses mit einer (wirksamen) Rückzahlungsverpflichtung belastet ist, insbesondere weil lediglich darlehensweise gezahlt wird (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, § 94 RdNr 191, Stand Januar 2022; vgl bereits BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/06 R - BSGE 98, 121 = SozR 4-3500 § 41 Nr 1, RdNr 31). Tritt hingegen eine Verpflichtung zur Rückzahlung der laufenden Einnahme erst nach dem Monat ein, für den sie nach dem Zuflussprinzip berücksichtigt werden soll, besteht die Verpflichtung des Hilfebedürftigen, die Leistung als "bereites Mittel" in dem Monat des Zuflusses auch zu verbrauchen. Deshalb können solche Rückstellungen nicht geschützt sein, die Leistungsempfänger in Bezug auf möglicherweise eintretende, im Zeitpunkt des Zuflusses aber noch ungewisse, künftige Zahlungsverpflichtungen vornehmen (vgl BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 165/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 43 RdNr 23). So liegt der Fall auch hier. Eine etwaige Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin aufgrund einer überhöhten Unterhaltszahlung entsteht erst mit der Entscheidung des Familiengerichts über die vom Vater erhobene Abänderungsklage und damit vorliegend erst nach dem jeweiligen Monat, für den sie berücksichtigt werden soll. Weder der erklärte Vorbehalt noch die verschärfte Haftung nach Rechtshängigkeit des auf Herabsetzung gerichteten Abänderungsantrags (vgl § 241 FamFG) führen grundsicherungsrechtlich zu einer anderen Bewertung der Einnahme.

Die Unterhaltsleistungen sind auch nicht deshalb unerheblich, weil dem Vorbehalt zu entnehmen wäre, dass sie nur zur Überbrückung der Hilfebedürftigkeit bis zur endgültigen Bewilligung von Grundsicherungsleistungen erfolgen. Eine solche von der Rechtsprechung anerkannte Konstellation, bei der die Hilfe Dritter (zwischenzeitlich) erfolgt und im Ergebnis unberücksichtigt bleibt, weil der Leistungsberechtigte innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Rechtsbehelf eingelegt hat und sich im Rechtsbehelfsverfahren eine Leistung nach dem SGB XII erst erstreiten muss (dazu nur BSG vom 20.9.2012 - B 8 SO 15/11 R - BSGE 112, 67 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1, RdNr 25 mwN), liegt nicht vor. Es ist zwischen den Beteiligten vielmehr gerade die Berücksichtigung des bereits im Zeitpunkt der Antragstellung zufließenden Einkommens im Streit.

Ein abweichendes Verständnis von Unterhaltsleistungen als Einkommen (auch) des volljährigen Kindes ergibt sich auch nicht aus der Privilegierung von Unterhaltsansprüchen im Grundsicherungsrecht (§ 43 Abs 3 SGB XII hier in der Fassung des SGB-XII-ÄndG, ab dem 1.1.2016 § 43 Abs 5 SGB XII) bzw seit dem 1.1.2020 in der Sozialhilfe allgemein (vgl § 94 Abs 1a SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe - Angehörigen-Entlastungsgesetz - vom 10.12.2019 (BGBl I 2135)). Nach § 43 Abs 3 Satz 1 SGB XII bleiben Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen iS des § 16 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) unter einem Betrag von 100 000 Euro liegt. Nach Entstehungsgeschichte, Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik der Vorschrift steht § 43 Abs 3 Satz 1 SGB XII aber nur der Berücksichtigung von realisierbaren Ansprüchen auf Unterhalt als Einkommen und damit dem Rückgriff durch den Sozialhilfeträger auf Eltern (oder Kinder) wegen solcher Unterhaltsansprüche entgegen, nicht dagegen der Bewertung von Zuflüssen aus Unterhaltszahlungen als Einkommen.

§ 43 Abs 3 Satz 1 SGB XII (wie zuvor § 43 Abs 2 Satz 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003) übernimmt die gleichlautende Regelung in § 2 Abs 1 Satz 3 des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG; Art 12 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz - AVmG) vom 26.6.2001 (BGBl I 1310, 1335)). Im Gesetzgebungsverfahren war zunächst vorgesehen, nach § 91 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) einen Abs 1a einzufügen, der bei Leistungen der Grundsicherung einen vollständigen Verzicht auf die Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen regeln sollte (vgl BT-Drucks 14/4595 S 30). Dies änderte sich im Grundsatz nicht mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, die anstelle der Änderungen im BSHG die Einführung des GSiG vorsah (vgl BT-Drucks 14/5146 S 63 und zur Begründung BT-Drucks 14/5150 S 49 zu § 2 Abs 1 GSiG); lediglich der vollkommene Verzicht auf die Inanspruchnahme Unterhaltspflichtiger wurde erst im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eingeschränkt (im Einzelnen dazu BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 21/11 R - SozR 4-3500 § 43 Nr 3 RdNr 23 ff).

Schon der Wortlaut des § 2 Abs 1 Satz 3 GSiG beschränkte die vom Gesetzgeber normierte Privilegierung aber ausschließlich auf Unterhaltsansprüche. Für die Regelung war bei ihrer Einführung der Gedanke tragend, dass vor allem ältere Menschen die Furcht vor dem Unterhaltsrückgriff auf ihre Kinder oftmals von dem Gang zum Sozialamt abgehalten habe. Eine dem sozialen Gedanken verpflichtete Lösung müsse hier einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz wählen, der eine würdige und unabhängige Existenz sichere (BT-Drucks 14/5150 S 48; zum Ganzen bereits ausführlich BGH vom 20.12.2006 - XII ZR 84/04 - RdNr 18 - FamRZ 2007, 1158). Im Hinblick auf den Personenkreis der erwachsenen dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen sollte insbesondere die Situation der von Geburt oder früher Jugend an schwerbehinderten Menschen bei Inanspruchnahme von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen verbessert werden. Der Verzicht auf den Unterhaltsrückgriff in diesen Fällen bedeutet aus Sicht des Gesetzgebers eine Stärkung der Einheit der Familie und des familiären Zusammenhalts. Es soll kein Anreiz mehr bestehen, voll erwerbsgeminderte Kinder in Einrichtungen unterzubringen, um die Eltern von den Unterhaltsaufwendungen zu entlasten. Ziel der Regelung war aber nicht die Entlastung der Unterhaltspflichtigen (vgl BT-Drucks 14/4595 S 30).

Dieses Ergebnis, wonach der Rückgriff auf Unterhaltsansprüche durch den Sozialhilfeträger zwar ausgeschlossen ist, der tatsächlich zufließende Unterhalt gleichwohl als Einkommen bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist, steht mit der Systematik des SGB XII in Einklang und führt entgegen der Auffassung des LSG auch nicht zu Wertungswidersprüchen mit dem Unterhaltsrecht. Grundsicherungsleistungen sind im Ausgangspunkt - anders als die übrigen Sozialhilfeleistungen bis zum Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes (dazu später) - nicht generell nachrangig gegenüber der Unterhaltspflicht (vgl BGH vom 8.7.2015 - XII ZB 56/14 - BGHZ 206, 177 RdNr 11; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 28.4.2005 - 5 C 28.04 - RdNr 13 zu § 2 Abs 1 Satz 3 GSiG). Dem Vierten Kapitel des SGB XII ist zu entnehmen, dass der Unterhaltsbedarf eines voll erwerbsgeminderten volljährigen Kindes vorrangig durch die Grundsicherung gedeckt werden soll. Insoweit besteht Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht, wonach Leistungen der Grundsicherung als Einkommen im Sinne des Unterhaltsrechts gelten und daher in diesem Umfang die Unterhaltspflicht der Eltern zum Erlöschen bringen (vgl bereits BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/06 R - BSGE 98, 121 = SozR 4-3500 § 41 Nr 1, RdNr 29 mwN). Dem so beschriebenen Vorrang entspricht es auch, dass grundsätzlich eine Obliegenheit des erwachsenen, unterhaltsberechtigten Kindes besteht, Ansprüche auf Grundsicherung geltend zu machen, bevor es seine Eltern in Anspruch nimmt (zuletzt etwa BGH vom 8.7.2015 - XII ZB 56/14 - BGHZ 206, 177 RdNr 11 = ZFSH/SGB 2015, 659 mwN; vgl auch Brandenburgisches OLG vom 2.1.2007 - 9 UF 159/06 - juris RdNr 83 ff - FamRZ 2008, 174; OLG Frankfurt vom 23.1.2008 - 5 UF 146/07 - RdNr 19; OLG des Landes Sachsen-Anhalt vom 25.6.2008 - 4 WF 42/08 - juris RdNr 6 - FamRZ 2009, 701; OLG Hamm vom 10.9.2015 - II-4 UF 13/15, 4 UF 13/15 - RdNr 26 - NJW 2015, 3588; Kieninger, jurisPR-FamR 27/2008 Anm 4).

Ein uneingeschränkter Vorrang von Grundsicherung gegenüber Unterhalt besteht aber nicht. Hilfebedürftigkeit iS des § 41 Abs 1 SGB XII entfällt, soweit und solange der Bedarf tatsächlich durch Unterhaltsleistungen iS "bereiter Mittel" gedeckt ist (vgl BGH vom 20.12.2006 - XII ZR 84/04 - juris RdNr 20 - FamRZ 2007, 1158; OLG Düsseldorf vom 31.1.2012 - I-24 U 39/11, 24 U 39/11 - juris RdNr 9 f; vgl auch Viefhues in jurisPK-BGB, 10. Aufl 2023, § 1602 RdNr 159, 245, § 1611 RdNr 16; anders Saarländisches OLG vom 24.6.2004 - 6 UF 77/03 - RdNr 18). Die Regelungen des SGB XII - wie auch des SGB II - substituieren im Grundsatz nicht Unterhaltsverpflichtungen, sondern fehlende Unterhaltszahlungen durch Leistungen an den Unterhaltsberechtigten (BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 24). Dies ist Ausfluss des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe (vgl § 2 Abs 1 SGB XII), der durch die Maßgaben in § 43 Abs 3 SGB XII nur eingeschränkt, nicht aber außer Kraft gesetzt wird: Soweit es um die Deckung grundsicherungsrechtlich relevanter Bedarfe geht, darf der dauerhaft voll erwerbsgeminderte Leistungsberechtigte davon absehen, Unterhalt von seinen Eltern einzufordern, und Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen. Entsprechend ist auch der Unterhaltsregress ausgeschlossen. Leistungen der Grundsicherung gehen aber nur in den durch § 43 Abs 3 SGB XII gezogenen Grenzen der Unterhaltspflicht vor (vgl BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 28.04 - RdNr 13); tatsächlich zufließender Unterhalt ist in § 43 Abs 3 SGB XII ausdrücklich nicht privilegiert.

Die Umgestaltung der Rechtslage durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz lässt kein anderes gesetzgeberisches Verständnis erkennbar werden. Im Ergebnis wird lediglich der Anwendungsbereich des früheren § 43 Abs 3 SGB XII (bzw § 43 Abs 5 SGB XII) durch die Einordnung in § 94 Abs 1a SGB XII über die Leistungen nach dem Vierten Kapitel hinaus in wesentlichen Teilen auf die weiteren Leistungen des SGB XII erweitert. Zwar ist Sinn und Zweck der Neufassung ausdrücklich die Entlastung von Familienangehörigen; insbesondere Kinder stationär pflegebedürftiger Eltern sollen vor der Inanspruchnahme durch den Sozialhilfeträger geschützt werden (vgl insoweit nur BT-Drucks 19/13399 S 1, 18). Um die Verhinderung verschämter Altersarmut außerhalb von stationären Einrichtungen geht es nicht mehr in erster Linie (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, § 94 RdNr 164, Stand Januar 2022). Wie dargestellt spielte der Gedanke der verschämten Armut im Fall eines dauerhaft voll erwerbsgeminderten erwachsenen Kindes aber schon zuvor keine zentrale Rolle; die Entlastung der Familienangehörigen mit Ziel der Stärkung des Zusammenhalts in der Familie war vom Gesetzgeber von Beginn an erwünschte Folge eines nur eingeschränkten Rückgriffs, der im Ergebnis der gesamten Familie zugutekommt (dazu auch BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/06 R - BSGE 98, 121 = SozR 4-3500 § 41 Nr 1, RdNr 29). Da auch § 94 Abs 1a SGB XII allein auf Unterhaltsansprüche abstellt und die Gesetzesbegründung weiterhin von einem Bezug lediglich zum Unterhaltsregress, nicht aber zu tatsächlichen Unterhaltszahlungen geprägt ist (vgl etwa BT-Drucks 19/13399 S 1, 3 und 19), wird keine grundlegend andere Sichtweise des Gesetzgebers auf das Verhältnis von zufließendem Unterhalt und Grundsicherungsleistungen erkennbar (vgl auch Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Aufl 2023, § 94 RdNr 102; Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, § 94 RdNr 164, 190 f, Stand Januar 2022).

Auch wenn - wie hier - der Unterhaltsbedarf (vgl § 1610 BGB) über den grundsicherungsrechtlichen Bedarf hinausgeht, greift die Regelung des § 43 Abs 3 SGB XII und die Inanspruchnahme von Unterhalt durch den Unterhaltsberechtigten wird grundsicherungsrechtlich nicht erwartet. Erst bei Überschreiten der Einkommensgrenzen auf Seiten des Unterhaltspflichtigen gilt anderes (vgl § 43 Abs 3 Satz 2 bis 6 SGB XII bzw § 43 Abs 5 Satz 2 bis 6 SGB XII in der seit dem 1.1.2016 geltenden Fassung und nunmehr § 94 Abs 1a SGB XII). Die Annahme, die auch die im vorliegenden Unterhaltsprozess ergangenen Entscheidungen prägt, ein gezahlter, die Grundsicherungsleistungen übersteigender Unterhaltsbedarf (sog Unterhaltsspitze oder "Spitzbetrag") sei im Grundsicherungsrecht kein einzusetzendes Einkommen (Brandenburgisches OLG vom 11.3.2004 - 10 UF 176/03 - RdNr 154 ff), ist mit der Rechtslage im SGB XII allerdings nicht in Übereinstimmung zu bringen. Gezahlter Unterhalt mindert in jedem Fall die Bedürftigkeit nach dem SGB XII (vgl auch Götsche, FamRB 2007, 262; einschränkend ohne nähere Begründung dagegen Dose in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl 2019, § 1 RdNr 706). Unerheblich ist, ob das Familiengericht - wie hier - von einem uneingeschränkten Vorrang der Grundsicherung ausgeht und bei Berechnung des Unterhaltsanspruchs einen vermeintlichen, aber tatsächlich nicht bestehenden Grundsicherungsanspruch eingestellt hat. Entscheidet sich das unterhaltsberechtigte, dauerhaft voll erwerbsgeminderte Kind, angemessenen Unterhalt iS der §§ 1601, 1610 BGB in Anspruch zu nehmen, um im Ergebnis mehr Mittel als das sozialhilferechtlich garantierte Existenzminimum zur Verfügung zu haben, entfällt in der Konsequenz bei Zufluss von solchem Unterhalt der Anspruch auf Grundsicherung ggf ganz.

In diesem Ergebnis ist auch keine besondere Härte iS des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII zu erkennen (zur Funktion von § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII als allgemeine Härteklausel nur BSG vom 30.6.2016 - B 8 SO 3/15 R - BSGE 121, 283 = SozR 4-3500 § 82 Nr 11, RdNr 23; BSG vom 9.6.2011 - B 8 SO 20/09 R - BSGE 108, 241 = SozR 4-3500 § 82 Nr 8, RdNr 24-25 mwN); es entspricht vielmehr dem gesetzgeberischen Grundverständnis. Sinn und Zweck der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist allein die Sicherstellung der grundlegenden Bedarfe für den Lebensunterhalt; dies aber nur, wenn das eigene Einkommen und Vermögen des Leistungsberechtigten nicht ausreicht, um diesen Grundbedarf zu decken (vgl nur BT-Drucks 14/5150 S 48). Eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Besserstellung einer unterhaltsberechtigten Person gegenüber den übrigen Grundsicherungsempfängern dahin, ihr ein Einkommen aus Grundsicherungsleistungen und Unterhalt zu belassen, das den grundsicherungsrechtlichen Bedarf übersteigt, ist dem Recht der Grundsicherung (wie dem der Sozialhilfe überhaupt) nicht zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R9642


Informationsstand: 02.10.2023