Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Gerichtsbescheid. Die zulässige Klage ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ohne damit verbundene Entscheidung in der Sache begründet.
Nach § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachverhaltsaufklärung für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Diese Vorschrift ist im Rahmen der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers anwendbar. Die Auffassung von Bienert (SGb 2005, 84), der den Anwendungsbereich des zum 01.09.2004 in Kraft getretenen § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG auf reine Anfechtungsklagen beschränkt sieht, vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist der § 113 Absatz 3 Satz 1
VwGO, dem § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG wörtlich nachgebildet ist, nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auf Anfechtungsklagen beschränkt. Eine Übernahme dieser Rechtsprechung auf die Anwendbarkeit des § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG ist jedoch weder zwingend noch sachdienlich. Der Gesetzgeber verweist in der Gesetzesbegründung auf § 113 Absatz 3 Satz 1
VwGO, setzt sich jedoch mit der Rechtsprechung zu dieser Vorschrift nicht auseinander (BT-Drs 15/1508,
S. 29 zu
Art. 8
Nr. 1). Ob er den Anwendungsbereich gegenüber dem Verwaltungsprozess ausdehnen wollte, ergibt sich daher aus der Gesetzesbegründung nicht. Allerdings verfolgt der Gesetzgeber mit der Einfügung der Vorschrift das explizite Ziel, dem Gericht zeit- und kostenintensive Sachverhaltsaufklärungen zu ersparen, die eigentlich der Behörde obliegen. Nach den Beobachtungen der Praxis werde die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen, was zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führe. Die systematische Einfügung des § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG an Ende einer Vorschrift über Anfechtungs- und Verpflichtungsklage deutet aber daraufhin, dass sie sich auf beide genannten Klagearten beziehen soll. Anders verhält es sich mit § 113 Absatz 3 Satz 1
VwGO, der nach den Vorschriften über die Anfechtungsklage, aber vor den Vorschriften über die Leistungs- und Verpflichtungsklage (§ 113 Absatz 4 und 5
VwGO) eingefügt ist. Die systematische Auslegung stützt also eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches der Vorschrift auf die Verpflichtungsklage (so auch Zeihe,
SGG, 39. EL 1.11.2004, § 131 Rn. 25b). Dies erscheint im Ergebnis auch sachgerecht.
Anders als in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bezieht sich die überwiegende Anzahl der Streitigkeiten in der Sozialgerichtsbarkeit auf kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen. Ist in diesen Fällen die eigentlich der Behörde obliegende, häufig zeit- und insbesondere kostenintensive Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht nachzuholen, so entstehen der Staatskasse (Justizressort) erhebliche zusätzliche Kosten, die sie wegen des Grundsatzes der Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens (§ 183
SGG) in der Regel nicht auf die Verfahrensbeteiligten abwälzen kann. Auch dies verhält sich im Verwaltungsprozess anders, der einen solchen Grundsatz nicht kennt. Der § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG gibt damit dem Gericht ein Mittel an die Hand, die Kosten für die Sachverhaltsaufklärung auch wirklich an der Stelle anfallen zu lassen, die der Gesetzgeber mit der entsprechenden Aufgabe betraut hat. Um den § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG nicht gemäß der Auffassung von Bienert (SGb 2005, 84, 88) seines Anwendungsbereiches fast vollständig zu berauben, erscheint es dem damit Gericht angezeigt, ihn auch auf kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen anzuwenden.
Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist, soweit darin die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" abgelehnt wird, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 20
SGB X ergangen und damit nach § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG aufzuheben. Denn wegen des Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz durch den Beklagten ist weitere Sachaufklärung erforderlich. Rechtsgrundlage für die Feststellung des Grades der Behinderung ist nach dem Inkrafttreten des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - am 01.07.2001 (
SGB IX) gemäß
Art. 68 des Gesetzes vom 19.06.2001 (BGBl. I 2001, Seiten 1046
ff.) § 69
Abs. 1 Satz 1
SGB IX i.V.m. § 2
Abs. 1
SGB IX. Danach erfolgt die Feststellung des Grades der Behinderung durch die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen im Sinne des § 2
Abs. 1
SGB IX. Auf den am 25.03.2005 bei ihm eingegangenen Antrag des Klägers hatte der Beklagte gemäß dem in § 20
SGB X festgehaltenen Untersuchungsgrundsatz den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (Absatz 1 Satz 1) und durfte dabei Art und Umfang der Ermittlungen bestimmen (Absatz 1 Satz 2).
Nach seinem pflichtgemäßen Ermessen konnte der Beklagte zur Ermittlung des Sachverhalts insbesondere Auskünfte jeder Art oder schriftliche Äußerungen von Sachverständigen einholen oder den Augenschein einnehmen (§ 21 Absatz 1 Satz 1, Satz 2
Nr. 1, 2 und 4
SGB X). Der Beklagte hat den Sachverhalt durch Einholung von zwei Befundberichten des behandelnden Orthopäden aufgeklärt. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings reicht die von dem behandelnden Orthopäden in seinem Befundbericht vom 07.09.2004 angegebene - knappe - Bewertung der Gehfähigkeit des Klägers nicht aus, um das Vorliegen der Voraussetzungen der Ziffer 31,
S. 139 f der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2
SGB IX) 2004 (
AHP 2004) abschließend zu bewerten. Denn
Dr. H. lässt es in diesem Befundbericht letztlich wohl offen, ob und
ggf. in welchem Ausmaß das Gehen für den Kläger mit großen Anstrengungen verbunden ist. Da der Kläger nicht zu den in Ziffer 31 Absatz 3,
S. 139
AHP 2004 aufgeführten Vergleichsgruppen gehört, ist es jedoch zur Beurteilung der Frage, ob ihm des Merkzeichen "aG" zusteht, unabdingbar, hierzu Erkenntnisse zu gewinnen. Denn eine Gleichstellung mit den dort genannten Personengruppen kommt dann in Betracht, wenn dem Kläger die Fortbewegung zu Fuß - praktisch von den ersten Schritten an - ebenso wie typischerweise den ausdrücklich genannten schwerbehinderten Menschen nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung möglich ist. Das Merkzeichen "aG" steht ihm auch dann zu, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (
BSG v. 10.12.2002 -
B 9 SB 7/01 R -).
Der Gehstrecke kommt nach dieser Rechtsprechung hinsichtlich des Merkzeichens "aG" keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Der Kläger hat in seinem Widerspruchsschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich sein Zustand seit 1993 erheblich verschlechtert habe. Dies wird dadurch bestätigt, dass er, nachdem er 1996 noch ohne Stock gehen konnte, nunmehr nach Auskunft von
Dr. H. bei der Fortbewegung auf zwei Unterarm-Stützen angewiesen ist. In Anbetracht des unklaren Befundberichtes des behandelnden Orthopäden hätte es sich für den Beklagten geradezu aufdrängen müssen, in diesem Falle weitere Ermittlungen anzustellen. Wegen der schweren Betroffenheit der unteren Extremitäten des Klägers ist eine Beurteilung des Vorliegens des Merkzeichens "aG" auf Grundlage der dem Beklagten allein vorliegenden Befundberichte nicht möglich. Nicht nur zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides und des Widerspruchsbescheides, sondern auch nunmehr zum Zeitpunkt der Befassung des Gerichts ist daher weitere Sachaufklärung erforderlich. Diese sollte durch Einholung von Fachgutachten
bzw. durch die Begutachtung des Klägers durch den versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten erfolgen. Art und Umfang der noch erforderlichen Ermittlungen sind demnach erheblich. Die Aufhebung des Bescheides und des Widerspruchsbescheides ist unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich. Eine Verfahrensverzögerung ist damit nicht zwingend verbunden, da der Beklagte über einen eigenen medizinischen Dienst verfügt und damit unter Umständen schneller ein Fachgutachten einzuholen vermag, als dies dem Gericht, das auf die Einschaltung freier Gutachter angewiesen ist, möglich wäre. Die damit verbundenen Kosten wären vom Beklagten auch bei einer ordnungsgemäßen Sachaufklärung zu tragen gewesen. Die Anwendung der Prinzipien der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit, an denen der Beklagte seine Vorgehensweise offenbar zu orientieren versucht, hätte allerdings dazu führen müssen, dass der Beklagte bereits vor Erlass des angefochtenen Widerspruchsbescheides ausreichende Ermittlungen anstellt. In diesem Fall hätte das vorliegende Gerichtsverfahren möglicherweise vermieden werden können. Der Kläger hat sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt. Durchschlagende Gründe, die einem Vorgehen nach § 131 Absatz 5 Satz 1
SGG entgegenstünden, sind damit nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Abs. 1 Satz 1
SGG.