I. Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153
Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und den ehrenamtlichen Richter sowie die ehrenamtliche Richterin entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 23. April 2019 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.
II. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153
Abs. 2
SGG).
Zu ergänzen und zu betonen bleibt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens:
Ein Kostenerstattungsanspruch kann sich aus
§ 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) ergeben, soweit das begehrte Gerät auch ein solches der medizinischen Rehabilitation ist, auch aus dem inhaltsgleichen
§ 15 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) in der bis zum 31. Dezember 2017 (§ 13
Abs. 3 Satz 2
SGB V).
Maßgebend für das Entstehen eines Kostenerstattungsanspruchs sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt seines Entstehens, d.h. für den Kläger zu dem Zeitpunkt, in dem er sich das Galieo®-Gerät beschafft hat. Kostenerstattung kann er deshalb nur beanspruchen, wenn im Zeitpunkt der Leistungsverschaffung (Juli 2015) alle Voraussetzungen für den Primärleistungsanspruch gegeben waren (
BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 - B 3 KR 9/08 R - Rn. 9). Das war aber nicht der Fall.
Zweifelhaft ist bereits, ob sich bei dem vom Kläger beschafften Galileo®-Trainingsgerät um ein Hilfsmittel i.
S. § 33 SGB V und keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt. Ein Gegenstand ist ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand, wenn er von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist (Pflugmacher in: Eichenhofer/von Koppenfels-Spieß/Wenner,
SGB V, § 33 Rn. 16). Das zugrunde liegende Konzept des Vibrationstrainings wird mit Galileo®-Geräten auch in Fitnessstudios verwendet und soll Muskelpartien gezielt trainieren. Speziell das vom Kläger erworbene Galileo® Typ Basic, Geräte-
Nr. 8N050410 wurde als Muskeltrainingsgerät für die private Anwendung verkauft und war nach eigenen Angaben des Herstellers kein Medizinprodukt (
vgl. dazu https://www.galileo-training.com/de-deutsch/produkte/p194/galileo-basic-veraltetes-produkt.html). Es ist als "Altgerät" heute nicht mehr erhältlich. Ausweislich der Information des Herstellers über Bauart und Leistungsmerkmale dürfte es aber dem heutigen Model Galileo® Med S entsprechen, welches als "Therapie-Gerät" firmiert und ein Medizinprodukt ist. Dieses soll speziell der Behandlung im professionellen Umfeld wie Physiotherapie und Rehabilitation dienen (
vgl. https://www.galileo-training.com/de-deutsch/produkte/p152/galileo-med-s.html). Unter Berücksichtigung der sehr ähnlichen Merkmale (inklusive der maximalen Beschleunigung von 11,4 g) und der Verwendung im Bereich der Physiotherapie kann zugunsten des Klägers somit davon ausgegangen werden, dass es sich auch bei seinem Gerät um ein Hilfsmittel handelt.
Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass der Einsatz des Galileo®-Trainingsgerätes als eines Hilfsmittels in seinem Fall auch dazu diente, einer drohenden Behinderung vorzubeugen. Eine Behinderung "droht", wenn aus einem bestimmten Krankheitsbild bei natürlichem Verlauf in absehbarer Zeit unter den Gegebenheiten des Einzelfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Dauerzustand in Form einer sonst nicht mehr behebbaren konkreten Funktionseinschränkung erwachsen kann (
vgl. BSG, Urteil vom 22. April 2009 -
B 3 KR 11/07 R Rn. 25). Bei dem zum Zeitpunkt der Anschaffung des Galileo®-Trainingsgeräts knapp zweijährigen Kläger bestand die konkrete nahe Gefahr, dass sich aufgrund der sich einstellenden neurologischen Beeinträchtigungen mit Entwicklungsverzögerung, muskulärer Hypotonie und Seh- und Koordinationsbeeinträchtigungen eine für das Lebensalter abweichende Bewegungsfähigkeit eingestellt hätte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hätte andauern können. Das Funktionsdefizit hätte die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt und hätte die Merkmale einer Behinderung erfüllt (
vgl. Becker/Kingreen/Butzer-Lungstras,
SGB V, § 33 Rn. 16). Allein die Tatsache, dass das Galileo®-Gerät auch dazu diente, eine drohenden Behinderung zu vermeiden, führt aber nicht dazu, dass sich die Anforderungen für den Primäranspruch ändern. § 33
Abs. 1
SGB V gewährt einen Anspruch, wenn die Hilfsmittelversorgung erforderlich ist, den Erfolg i.
S. der Krankenbehandlung oder der Verhinderung einer drohenden Behinderung zu erreichen. Erforderlich ist das Hilfsmittel, wenn es zur Erreichung der o.g. Ziele geeignet ist. Die Geeignetheit, verstanden als medizinischer Nutzen, ist streng auf die obigen Versorgungsziele zu beziehen. Nur in dem Fall, dass allein ein Behinderungsausgleich als drittes mögliches Versorgungsziel mit dem Hilfsmittel erreicht werden soll (§ 33
Abs. 1 Satz 1, 3. Alternative
SGB V), entscheidet allein die Funktionstauglichkeit gemessen an einer vom Hersteller vorgegebenen Zweckbestimmung auch darüber, ob das Hilfsmittel im Sinne des § 33
SGB V geeignet ist. Demgegenüber muss der medizinische Nutzen bei Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung wie auch zur Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung unter Berücksichtigung des jeweiligen Behandlungskonzepts beurteilt werden (
BSG, Urteil vom 12. August 2009 -
B 3 KR 10/07 R Rn. 18;
BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 -
B 3 KR 6/14 R Rn. 29 für die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis). Für das Galileo®-Therapiegerät liegt eine Beurteilung anhand des Behandlungskonzeptes deshalb nahe, weil es Teil einer eigenen Behandlungsmethode ist. Dabei ist es ohne Belang, ob die Anwendungsmöglichkeiten des Galileo®-Gerätes auf die Vibrationstherapie allein beschränkt sind, denn maßgebend ist das konkrete Behandlungskonzept. Nach dem Behandlungskonzept für den Kläger, wie es auch die Physiotherapeutin S in ihrem Behandlungsbericht vom 5. Oktober 2015 beschreibt, sollte das tägliche Training (Vibration) der Aktivierung und Kräftigung der Muskelgruppen dienen und entsprach dem Trainingsangebot von "Auf die Beine" in K. Teil dieses Behandlungskonzeptes, welches die Beklagte im Rahmen der integrierten Versorgung ihren Versicherten anbietet, ist aber das Vibrationstraining mit dem K Galileo® Geh- und Stehtrainer zur Optimierung der muskulären Leistungsfähigkeit (
vgl. https://unireha.uk-koeln.de/kinder-jugendreha/behandlungskonzept-auf-die-beine/). Ausgehend davon hat das Sozialgericht sorgfältig Behandlungskonzept und Wirkweise der mit dem Galileo-Gerät auch im Fall des Klägers verfolgten Behandlungsmethode (Ganzkörpervibrationstherapie) ausgeführt.
Der Schutzzweck des
§ 135 SGB V, nämlich die Qualitätssicherung und Vermeidung von Gefahren, rechtfertigt es zudem, die Abgabe eines therapeutischen Gerätes an Versicherte zur selbst verantworteten Anwendung von einem positiven Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses abhängig zu machen. Der Kläger kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass das Galileo®-Gerät bereits im Rahmen der Physiotherapie und medizinischen Rehabilitation - auch bei ihm - zur Anwendung gelangt. Selbst wenn der Geräte-Einsatz in diesem Rahmen als medizinisch anerkannt gelten würde, muss die Sicherung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit für die Anwendung der Versicherten in der Häuslichkeit von einer eigenen positiven Empfehlung nach § 135
SGB V abhängig gemacht werden. Werden technische Geräte, die bislang allein in den Praxen der Vertragsärzte oder von Physiotherapiepraxen eingesetzt wurden, an Patienten überlassen und sollen von diesen (zumindest auch) ohne Kontrolle und fachkundige Anleitung eingesetzt werden, so kann es im Vergleich zur Anwendung in der Physiotherapie bei der selbständigen Durchführung zu wesentlichen Änderungen hinsichtlich des medizinischen Nutzens und möglicher Risiken kommen (
BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 -
B 3 KR 6/14 R Rn. 25/26 zum Einsatz von CAM-Schienen in der Häuslichkeit). Daher reicht es aus, wenn die Anwendung teilweise auch außerhalb der Physiotherapie und ohne Aufsicht durch Physiotherapeuten in der Häuslichkeit erfolgt. Allein dies rechtfertigt, den Einsatz nicht ohne vorheriges (positives) Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses zu dieser speziellen Anwendung zuzulassen. Daher ist im Fall des Klägers nicht entscheidend, dass ausweislich der Angaben seiner Mutter im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht das Galileo®-Gerät ab Oktober 2015 bis Mitte 2016 auch als Teil der Physiotherapie, die bei ihm zuhause stattfand, von der Therapeutin eingesetzt wurde und danach im Rahmen der Ergotherapie. Entscheidend ist, dass das Gerät daneben auch ohne Anwesenheit der Physiotherapeutin und damit nicht als Teil ihrer verantworteten Therapie genutzt wurde. Die im Berufungsverfahren eingereichten Trainingspläne der behandelnden Physiotherapeutin S mit detaillierten Anweisungen zur einzelnen (täglichen) Anwendung) führen zu keiner anderen Betrachtung. Es bleibt zu konstatieren, dass der zum Zeitpunkt der Anschaffung im Juli 2015 erst zweijährige Kläger das Gerät ohne Aufsicht und Verantwortung durch die Physiotherapeutin nutzte.
Das
BSG hat eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des
LSG Rheinland-Pfalz, welches die Versorgung eines Kindes mit einem Galileo®-Trainingsgerät unter Berufung auf ein fehlendes Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses abgelehnt hat, nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 12. September 2019 - B 3 KR 84/18 B).
Keine andere Beurteilung folgt daraus, dass Galileo®-Geräte, vergleichbar demjenigen des Klägers, im Rahmen des interdisziplinären Behandlungskonzeptes für Kinder und Jugendliche mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit "Auf die Beine" zur Anwendung kommen. Das Programm wird auf der Grundlage von Verträgen der besonderen (integrierten) Versorgung nach
§ 140a SGB V mit der Beklagten durchgeführt. Das bindet die Beklagte im Verhältnis zum Kläger aber nicht i.
S. eines Leistungsanspruchs. Gemäß § 140a
Abs. 2 Satz 2
SGB V können die Selektivverträge zunächst Leistungen enthalten, die nach
§ 11 Abs. 6 auch Gegenstand von Satzungsleistungen sein können. Dies betrifft u.a. auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Diese Methoden dürfen nach § 140a
Abs. 2 Satz 3, der sich insoweit primär auf diese Methoden beziehen dürfte, allerdings noch nicht durch Beschlüsse des
G-BA von der Versorgung ausgeschlossen sein. Außerdem müssen sie im Vertrag konkret benannt werden (
vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. September 2011 - L 4 KR 1931/10 Rn. 40; Becker/Kingreen/Huster, 6. Aufl. 2018,
SGB V § 140a Rn. 18). Die Regelung eröffnet insoweit in der ambulanten Behandlung einen größeren Spielraum zur Einbeziehung auch von nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausdrücklich befürworteter Behandlungsmaßstäbe in die Versichertenversorgung (
LSG Baden-Württemberg, aaO). Außerhalb der Verträge nach § 140a
SGB V gilt dagegen weiter der Vorbehalt des § 135
SGB V. Wären die Krankenkassen wie die Beklagte allein durch den Abschluss solcher Verträge auch im Verhältnis zu anderen Versicherten zur Gewährung neuer Behandlungsmethoden gebunden, wäre Sinn und Zweck sowie die Effektivität dieser besonderen Versorgung praktisch gefährdet, da die Krankenkassen solche Verträge im Hinblick auf diese Folge vermeiden würden. Die Beklagte hat dem Kläger die Versorgung in dem Programm in K im Rahmen der integrierten Versorgung auch angeboten. Ob er das Programm hätte nutzen können, ist offen. Selbst dies führt aber nicht dazu, ihm außerhalb des Programmes ohne Bindung an die speziellen Kautelen des Vertrags über die integrierte Versorgung einen Leistungsanspruch zuzuerkennen. Auf die alternative Versorgung mit anerkannten Hilfsmitteln hat die Beklagte ihn unter Bezugnahme auf den MDK zeitnah im Verwaltungsverfahren hingewiesen.
Damit trifft im Fall des Klägers zu, was das
BSG zur Nutzung und zum Anspruch auf Versorgung Versicherter (ebenfalls Kinder) mit Kopforthesen ausgeführt hat: "Ohne eine positive Empfehlung des GBA kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels - unter Berücksichtigung möglicher Risiken und des Wirtschaftlichkeitsgebots - positive Wirkungen in Bezug auf Spätfolgen oder Folgeerkrankungen. mit sich bringt und deshalb zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung objektiv geeignet sein könnte." (
BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 6/16 R -, Rn. 50)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160
Abs. 2
SGG), denn es handelt sich um einen Einzelfall und der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des
BSG ab.