Im Einverständnis der Beteiligten konnte die mit Verfügung des Vorsitzenden des 8. Senats vom 27. Dezember 2005 bestimmte Berichterstatterin anstelle des Senats (§ 155
Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) entscheiden.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main ist mit Urteil vom 20. September 2004 zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Neuversorgung mit einem Therapiefahrrad inklusive Stockhalter besitzt.
Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils gemäß § 153
Abs. 2
SGG zurück und verweist auf die zutreffende und ausführliche Begründung des Urteils. Der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren konnte zu keinem anderen Ergebnis führen.
Nach Überzeugung des Senats ist ein behindertengerechtes Fahrrad nicht generell als Hilfsmittel ausgeschlossen. Ob eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, ist vielmehr nach der Rechtsprechung des
BSG (Urteil vom 23. Juli 2002,
B 3 KR 3/02 R), der sich der Senat anschließt, für jeden Einzelfall nach den gesetzlichen Vorgaben der
§§ 33,
34 SGB V zu prüfen. Danach fällt die Ermöglichung des Fahrradfahrens für einen behinderten Menschen, der ein handelsübliches Fahrrad nicht benutzen kann, nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Der gesetzlichen Krankenversicherung obliegt allein die medizinische Rehabilitation (Reha) und damit die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Reha, die auch die Versorgung mit einem Hilfsmittel umfassen kann, ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Die Einführung des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (
SGB IX) "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" hat daran nichts geändert. Daraus folgt, dass die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fällt, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/ Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben ("allgemein") beseitigt oder mildert und damit ein "Grundbedürfnis des täglichen Lebens" betrifft (
vgl. dazu Urteil des Senats vom 6. August 1998 -
B 3 KR 3/97 R = SozR 3-2500 § 33
Nr. 29; SozR 3-2500 § 33
Nr. 5, 27 und 32 sowie zuvor bereits: SozR 2200 § 182b
Nr. 12, 30, 34, 37 jeweils m. w. N.).
Nach dieser Rechtsprechung des
BSG gehören zu derartigen Grundbedürfnissen die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfassen (siehe
BSG in SozR 3-2500 § 33
Nr. 29 m. w. N.). Die elementare "Bewegungsfreiheit" ist als Grundbedürfnis anzusehen (SozR 3-2500 § 33
Nr. 7 - Rollstuhlboy). Dieses Grundbedürfnis wird bei Gesunden durch die Fähigkeit des Gehens, Laufens, Stehens
etc. sichergestellt. Ist diese Fähigkeit durch eine Behinderung beeinträchtigt, so richtet sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels in erster Linie danach, ob dadurch der Bewegungsradius des Versicherten in diesem Umfang erweitert wird, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht. Das behindertengerechte Fahrzeug ist nicht notwendig i.
S. von § 33
Abs. 1
SGB V, wenn es dem Behinderten einen größeren Bewegungsradius als den eines gesunden Fußgängers ermöglichen soll. Nur wenn durch das Fahrzeug ein weiter gehendes Grundbedürfnis gedeckt wird, kann es ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sein.
Dem ergänzenden Befundbericht von
Dr. C. vom 3. April 2006 ist zu entnehmen, dass der Kläger die Gehfähigkeit außerhalb des häuslichen Bereichs eingeschränkt und unter Zuhilfenahme der Unterarmgehstützen nicht bewältigt werden kann. Für eine Wegstrecke von 2 bis 3
km nahm und nimmt der Kläger sein bisheriges Behindertenfahrrad zu Hilfe. Diese Wegstrecke wird üblicher Weise von einem Gesunden zu Fuß zurückgelegt. Mit der Neuversorgung des Klägers mit einem behindertengerechten Fahrrad wird das Grundbedürfnis auf einen gewissen körperlichen Freiraum und auf selbständiges Wohnen abgedeckt. Denn bei seiner der Anhörung erläuterte der Kläger, nach dem Rohrbruch seines alten Behindertenfahrrads habe er
z. B. nicht mehr selbst einkaufen können.
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach dem Befundbericht von
Dr. C. vom 3. April 2006 das in Streit stehende Behindertenfahrrad auch zur Kräftigung seiner Beinmuskulatur benutzt und aus ärztlicher Sicht der Kläger dies zur Sicherstellung seiner Mobilität tun soll.
Nach Überzeugung des Senats kann die Beklagte den Kläger nicht entsprechend der Stellungnahme von
Dr. F. vom 30. März 2006 auf die Versorgung mit einem Elektro-Rollstuhl verweisen. Dabei stützt sich der Senat auf den Befundbericht von
Dr. C. vom 3. April 2006. Danach spricht aus medizinischer Sicht nichts für die Versorgung des Klägers mit einem Elektro-Rollstuhl. Dem Senat ist nachvollziehbar, dass der Kläger in diesem Fall wegen der damit verbundenen Bewegungsarmut die Mobilität seiner Beine verlieren würde.
Auch steht dem Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten ein Wahlrecht zu. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Versorgung des Klägers mit einem behindertengerechten Fahrrad in dem Maße unwirtschaftlich ist, dass nur eine Versorgung mit einem Elektro-Rollstuhl in Frage kommt. Im Zeitpunkt des Antrages des Klägers auf Neuversorgung hätte das Behindertenfahrrad nach dem Kostenvoranschlag des Sanitärhauses 3.568,53 DM gekostet. Nach dem Vortrag der Beklagten kostet ein ElektroRollstuhl 3.500,00
EUR (für fünf Jahre). Eine Unwirtschaftlichkeit kann der Senat bei diesem Preisvergleich nicht erkennen, zumal davon auszugehen ist, dass auch das Behindertenfahrrad fünf Jahre genutzt werden kann.
Auch der Einwand der Beklagten, das in Streit stehende Behindertenfahrrad könne witterungsbedingt nur eingeschränkt genutzt werden, überzeugt den Senat angesichts des von ihr alternativ in Betracht gezogenen Elektro-Rollstuhls nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160
Abs. 2
SGG nicht vorliegen.