1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 10.4.2006 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Umstritten ist, ob die Beklagte die Kosten für eine Perücke zu übernehmen hat.
Der 1963 geborene Kläger leidet seit seiner Kindheit an einem völligen Haarverlust. In der Vergangenheit erhielt er regelmäßig (nach eigenen Angaben zuletzt im Jahr 2003) Haarersatz auf Kosten der Beklagten. Am 8.8.2005 beantragte er erneut die Übernahme der Kosten einer Perücke. Er legte eine Verordnung seiner behandelnden Hautärztin sowie einen Kostenvoranschlag eines Perückenherstellers über 1.025 Euro vor.
Durch Bescheid vom 11.8.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung hieß es: Eine Haarersatz-Langzeitversorgung komme grundsätzlich nur für Frauen, Kinder und Jugendliche in Betracht. Männliche Erwachsene könnten eine solche Versorgung nur unter bestimmten Voraussetzungen, ua bei drohender psychischer Beeinträchtigung, erhalten. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung machte er ua eine drohende psychische Beeinträchtigung geltend. Er verwies ferner auf ein Schreiben der Beklagten an ihn, wonach ihm alle zwei Jahre ein Haarersatz zustehe. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) verneinte in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom September 2004 die medizinische Indikation für die Gewährung von Haarersatz. Der Kläger legte daraufhin ein Attest seines behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr L vom Oktober 2005 vor, wonach bei ihm eine akzentuierte Persönlichkeitsstörung mit somatoformer Ausprägung und Neigung zu psychischer Dekompensation in Belastungssituationen vorliege; aus nervenärztlicher Sicht sei ein baldiger positiver Abschluss des Bewilligungsverfahrens hinsichtlich der Perücke zu wünschen. Durch Widerspruchsbescheid vom 18.11. 2005 (zur Post aufgegeben am 23.11.2005) wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da medizinische Gründe für die Versorgung mit einer Perücke nicht vorlägen.
Mit seiner am 20.12.2005 erhobenen Klage hat der Kläger ua vorgetragen, eine Verweigerung der Perücke würde zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung zwischen weiblichen und männlichen Versicherten führen. Durch Urteil vom 10.4.2006 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die unterschiedliche Behandlung von männlichen und weiblichen Versicherten beruhe auf sachlichen Gründen.
Gegen dieses ihm am 5.7.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 3.8.2006 eingelegte Berufung des Klägers, der vorträgt: Für ihn sei unverständlich, dass die Beklagte die Kosten einer erforderlichen psychischen Behandlung übernehmen, diejenigen einer Perücke jedoch nicht tragen wolle. Die bewusste Herbeiführung einer psychischen Erkrankung führe zu einem Eingriff in seine subjektiven Rechte aus Art 1 Grundgesetz (
GG). Er sei nicht mehr im Besitz des Schreibens, in dem die Beklagte ihm in Aussicht gestellt habe, alle zwei Jahre Haarersatz zu gewähren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 10.4.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die beantragte Perücke als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Ein Schreiben von ihr an den Kläger, wonach dieser "alle zwei Jahre" Haarersatz erhalten werde, liege ihr nicht mehr vor. Es habe nicht ihrer Verwaltungspraxis entsprochen, für zukünftige, konkret noch nicht einmal beantragte Perückenversorgungen eine Zusage zu erteilen. Ihre gängige Vorgehensweise sei es gewesen, im Falle der Bewilligung einer Perückenversorgung darauf hinzuweisen, dass vor Ablauf der regulären Haltbarkeitsdauer von zwei Jahren eine Neuversorgung mit einer Perücke grundsätzlich nicht möglich sei. Sie, die Beklagte, gehe davon aus, dass im vorliegenden Fall ein solcher Hinweis erfolgt sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke durch die Beklagte.
Nach
§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 in Verbindung mit
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Eine Krankheit oder Behinderung liegt nur dann vor, wenn durch einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand Körperfunktionen beeinträchtigt werden oder die anatomische Abweichung entstellend wirkt (
BSG v. 19.10.2004 -
B 1 KR 28/02 R, juris Rn. 14). Beim Kläger ist die Ausstattung mit einer Perücke weder zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung noch zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich.
Soweit das Kopfhaar dem Schutz des Kopfes vor Sonne und Kälte dient, kann diese Schutzfunktion durch Einsatz einer anderweitigen Kopfbedeckung (Mütze, Hut
etc.), ausreichend erfüllt werden. Solche anderweitigen Kopfbedeckungen sind als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen und fallen daher nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (
vgl. BSG v. 18.2.1981 -
3 RK 49/79, juris Rn. 23 f.).
Beim Kläger ist eine Perücke auch nicht zur Beseitigung einer entstellenden Wirkung des Haarverlusts erforderlich. Anders als bei Frauen (
BSG v. 23.7.2002 -
B 3 KR 66/01 R, juris Rn. 15) hat der Verlust des Kopfhaares bei Männern keine entstellende Wirkung (
BSG v. 18.2.1981, a.a.O. Rn. 25
ff.). Eine Entstellung liegt nur dann vor, wenn der regelwidrige körperliche Zustand so auffällig ist, dass er schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi im "Vorbeigehen" bemerkbar ist (
BSG v. 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R, juris Rn. 14) und dazu führt, dass der Versicherte Blicke von Passanten auf sich zieht, zum Objekt der Neugier wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht (
vgl. BSG v. 23.7.2002, a.a.O. Rn. 15). Anders als bei Frauen wird bei Männern in der Gesellschaft Kahlköpfigkeit nicht als besonders auffälliger Zustand angesehen.
Der Senat vermag sich auch nicht der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 31.1.2002 - 2 C 1/01, juris Rn. 17
ff.) anzuschließen, die Differenzierung der Leistungspflicht zwischen männlichen und weiblichen Personen verstoße gegen das strenge Gleichbehandlungsgebot des
Art. 3
Abs. 3 Satz 1
GG. Nach dieser Bestimmung darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Eine Differenzierung auf Grund des Geschlechts ist jedoch ausnahmsweise zulässig, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich ist (
BVerfG v. 24.1.1995 - 1 BvL 18/93 u.a., juris Rn. 67 = BVerfGE 92,91
m.w.N.). Kahlköpfigkeit rechtfertigt eine solche geschlechtsspezifische Differenzierung. Zwar tritt Kahlköpfigkeit von Natur aus nicht nur bei Männern auf. Hormonell-erblicher Haarausfall bis hin zum vollständigen Ausfall des Kopfhaares kommt jedoch bei Männern sowohl altersmäßig wesentlich früher als auch insgesamt wesentlich häufiger vor als bei Frauen (
vgl. Zimmermann, Haarausfall-Arten und Therapie unter www.netdoktor.de/medikamente/fakta/haarausfallmittel.htm; www.alopezie.de, recherchiert am 27.3.2007; Pschyrembel Stichwort "Alopecia andorgenetica"). Diese Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Häufigkeit des Auftretens von Kahlköpfigkeit sind durch biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern begründet. Vor allem diese biologischen Unterschiede begründen auch die unterschiedliche gesellschaftliche Bewertung von Kahlköpfigkeit bei Männern und Frauen. Durch das (biologisch bedingte) häufigere Auftreten stellt Kahlköpfigkeit bei Männern, auch wenn sie krankheitsbedingt ist, im gesellschaftlichen Leben keine Aufmerksamkeit erregende Auffälligkeit dar. D.h. die unterschiedliche gesellschaftliche Bewertung beruht jedenfalls nicht allein auf tradierten gesellschaftlichen Rollenerwartungen (so aber
BVerwG a.a.O. Rn. 22), denen die geschlechtsspezifischen Gleichstellungsregelungen des
Art. 3 entgegenwirken sollen. Vielmehr wurzelt die unterschiedliche Bewertung in erster Linie in biologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau bezüglich der Häufigkeit des Auftretens von Kahlköpfigkeit. Diese in biologischen Unterschieden begründete unterschiedliche gesellschaftliche Bewertung rechtfertigt nach Meinung des Senats daher durchaus eine Differenzierung zwischen Männern und Frauen auch bei der Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung.
Soweit der Kläger geltend macht, falls ihm die Perücke nicht mehr von der Beklagten gewährt werde, drohe der Ausbruch
bzw. die Verstärkung vorhandener psychischer Erkrankungen, vermag das einen Anspruch auf Gewährung der Perücke nicht zu begründen. Soweit das Hilfsmittel weder zum Ausgleich einer beeinträchtigten Körperfunktion noch zum Ausgleich einer Entstellung erforderlich ist, kann eine hierdurch hervorgerufene psychische Störung, unabhängig von den Kosten, allenfalls einen Anspruch auf Behandlung dieser Störung mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie begründen, nicht aber auf Gewährung eines Hilfsmittels (
vgl. BSG v. 19.10.2004, a.a.O. Rn. 15 f.).
Ohne Erfolg bezieht sich der Kläger auf ein früheres Schreiben der Beklagten, wonach ihm alle zwei Jahre Haarersatz zustehe. Der Senat vermag insoweit weder von einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung iSd § 48 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (
SGB X) noch von einer Zusicherung iSd § 34
SGB X auf Erlass eines Verwaltungsakts auszugehen. Denn es steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger ein Schreiben erhalten hat, das als derartiger Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - ein solcher liegt im Übrigen bei Bewilligung solcher Leistungen in der Regel nicht vor (vgl
BSG 16. November 1999 -
B 1 KR 9/97 R, juris) - oder Zusicherung gewertet werden könnte. Der Kläger hat dieses Schreiben nicht vorgelegt, und die Beklagte ist ihren Angaben zufolge nicht mehr im Besitz eines solchen. Den Angaben der Beklagten zufolge entsprach es ihrer gängigen Verfahrensweise, den Versicherten lediglich darauf hinzuweisen, dass vor Ablauf der regulären Haltbarkeitsdauer von zwei Jahren eine Neuversorgung mit einer Perücke grundsätzlich nicht möglich sei. Hierin liegt keine Zusicherung einer künftigen Versorgung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen verfassungsrechtlich zulässig ist, zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nr 1
SGG).