Zusammenfassung:
Die Revision des Klägers, über die das Bundesverwaltungsgericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1
VwGO i.V.m. § 125
Abs. 1 Satz 1 und § 101
Abs. 2
VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist teilweise begründet. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs als Maßnahme der Eingliederungshilfe zusteht.
Der Kläger gehört, wie das Berufungsgericht - das Revisionsgericht bindend - festgestellt hat, als körperlich wesentlich Behinderter gemäß § 39
Abs. 1 Satz 1 BSHG zum Personenkreis der Eingliederungshilfebedürftigen. Ebenso trifft es zu, dass die begehrte Hilfe ihrer Art nach zu den in § 40
Abs. 1
Nr. 2 BSHG
i.V.m. § 8
Abs. 1 Satz 1 der Verordnung nach § 47 BSHG (EinglH-VO) i.d.F. der Bekanntmachung vom 1.2.1975 (BGBl. I
S. 433) beispielhaft aufgeführten Maßnahmen gehört, für deren Gewährung der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe gemäß § 100
Abs. 1
Nr. 2 BSHG zuständig ist. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz erfüllt der Kläger aber auch die besonderen Voraussetzungen des § 8
Abs. 1 Satz 2 EinglH-VO.
Die Vorschrift macht auf der Grundlage der Ermächtigungsnorm des § 47 BSHG die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges davon abhängig, dass der Behinderte wegen der Art und Schwere seiner Behinderung zum Zwecke der Eingliederung auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach § 39
Abs. 3 Satz 1 BSHG, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört nach § 39
Abs. 3 Satz 2 BSHG vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
Der Sinn und Zweck der Regelung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darin, den Behinderten durch die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und durch Eingliederung in das Arbeitsleben nach Möglichkeit einem Nichtbehinderten gleichzustellen. Der Bedürftige soll die Hilfen finden, die es ihm ermöglichen, in der Umgebung von Nicht-Hilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben (Urteil vom 11.11.1970 - 5 C 32.70 - BVerwGE 36, 256/258 = Buchholz 436.0 § 40 BSHG
Nr. 3
S. 3).
Hinsichtlich des Eingliederungszweckes wird in § 8
Abs. 1 Satz 2 EinglH-VO durch die Verwendung des Tatbestandsmerkmals "vor allem in das Arbeitsleben" deutlich gemacht, dass hier der vom Gesetz vorgesehene Schwerpunkt der Versorgung mit einem Kraftfahrzeug liegt. Sind damit andere Gründe zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, so müssen sie jedoch mindestens vergleichbar gewichtig sein. Dazu gehört - wie der Senat aus der Bezeichnung des Hauptzwecks geschlossen hat - auch, dass die Notwendigkeit der Benutzung ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich besteht (Urteil vom 27.10.1977 -
BVerwG 5 C 15.77 - BVerwGE 55, 31/33 = Buchholz 436.0 § 40 BSHG
Nr. 8
S. 15). In § 8
Abs. 1 Satz 2 EinglH-VO F. 1964 hieß es nämlich: "wenn er (der Behinderte) wegen seiner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist". In der jetzt geltenden Fassung des § 8
Abs. 1 Satz 2 EinglH-VO, die er durch die Zweite Änderungsverordnung vom 28. Mai 1971 (BGBl. I
S. 728) erhalten hat, fehlt zwar das Wort "regelmäßige". Auch wenn es in der Begründung der Bundesregierung heißt, die Neufassung bedeute insgesamt eine gewisse Besserstellung des Behinderten, sollte mit dem Weglassen des Tatbestandsmerkmals "regelmäßige" nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass eine nur vereinzelte und gelegentlich bestehende Notwendigkeit der Benutzung ausreichen sollte. Denn zu § 10
Abs. 6 EinglH-VO in seiner Fassung durch die Zweite Änderungsverordnung 1971, die dort das Tatbestandsmerkmal "regelmäßige" eingeführt hat, heißt es in der Begründung der Bundesregierung (BR-Drs. 127/ 71 Begründung zu
Nr. 11
S. 11): "... wird die Anpassung der Bestimmung insoweit an die für die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges geltende Regelung in § 8
Abs. 1 vorgeschlagen."
Was der Senat in BVerwGE 55, 31/33 dahin formuliert hat, dass die Notwendigkeit der Benutzung ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich bestehen muss, hat der Verordnungsgeber in § 10
Abs. 6 EinglH-VO dahin ausgedrückt, dass der Behinderte wegen seiner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist.
Zu Recht stellt das Berufungsgericht für die Beurteilung der Notwendigkeit, ständig ein Kraftfahrzeug zu benutzen, auf die gesamten Lebensverhältnisse des Behinderten ab und verneint diese Notwendigkeit, wenn die erforderliche Mobilität des Behinderten auf andere Weise sichergestellt ist. Sofern die Eingliederung durch andere Hilfen, zum Beispiel durch Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder von öffentlichen Verkehrsmitteln oder durch die Übernahme der Kosten eines Taxis oder Mietautos erreicht werden kann, ist der Behinderte nicht auf die Benutzung eines (eigenen) Kraftfahrzeuges ständig angewiesen. Für lediglich gelegentliche Fahrten kann die Notwendigkeit der Beschaffung eines (eigenen) Kraftfahrzeuges nicht bejaht werden (
vgl. Urteile vom 11. 11. 1970 a.a.O.
S. 257 f.
bzw. S. 2f. und vom 9.6.1971 - 5 C 84.70 - Buchholz 436.01 § 8 Eingliederungshilfe-VO
Nr. 2
S. 2).
Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der Zweck "Eingliederung in das Arbeitsleben" gefördert werden könnte, obwohl der Kläger als erwerbsunfähig eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht und behinderungsbedingt allenfalls eine geringfügige Beschäftigung ausüben kann. Es meint aber zu Unrecht, die Versorgung mit einem der Eingliederung in das Arbeitsleben dienenden Kraftfahrzeug müsse "angemessen" sein. Zum einen ist der Begriff "angemessen" zu weit, dann angewiesen auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges, wie es § 8
Abs. 1 Satz 2 EinglH-VO verlangt, ist der Behinderte nur dann, wenn die Benutzung eines Kraftfahrzeuges "notwendig" ist. Zum anderen bezieht das Berufungsgericht in seine Prüfung der Angemessenheit die konkrete Beschäftigung ein. Das lässt sich nicht damit begründen, dass auch ein Nichtbehinderter keiner Erwerbstätigkeit nachgehen werde, bei der die Fahrtkosten und der auf Dauer zu erzielende Verdienst in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Zwar ist der Gesichtspunkt der Angemessenheit bereits bei der Umschreibung der Aufgabe der Eingliederungshilfe in § 39
Abs. 3 BSHG gerade in Bezug auf Beschäftigungen angesprochen ("... ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen"), diese Angemessenheit bei der Eingliederung in das Arbeitsleben bezieht sich aber nicht auf eine irgendgeartete Relation zwischen einerseits den Kosten und andererseits dem Entgelt für eine Beschäftigung im Arbeitsleben, sondern allein auf das Leistungsvermögen des Behinderten. Hilfe zur Eingliederung in das Arbeitsleben (s. dazu § 40
Abs. 1
Nr. 6 und 7 BSHG) ist einmal Hilfe zur Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 41
Abs. 1 Satz 1 BSHG), aber auch, und zwar behinderungsbedingt in beachtlichem Umfang, die Hilfe für eine ( kostenintensive) Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte (§41
Abs. 1 Satz 1 BSHG) oder in einer sonstigen Beschäftigungsstätte (§ 41
Abs. 1 Satz 2 BSHG).
Die Angemessenheit einer Beschäftigung im Arbeitsleben im Rahmen der Eingliederungshilfe (s. auch § 17 EinglH-VO, der in Absatz 1 Satz 1 für die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges auf § 8 EinglH-VO verweist) nach Rentabilitätspunkten einer Erwerbstätigkeit zu beurteilen, geht fehl. Vielmehr ist mit Rücksicht darauf, dass der Behinderte auf die regelmäßige Benutzung angewiesen sein muss
bzw. die Notwendigkeit der Nutzung ständig bestehen muss, eine (zeitlich) nachhaltige Beschäftigung zu verlangen. Nach den Feststellungen des Berufungsgericht hat der Kläger 1994 4700 DM und 1995 4495 DM verdient. Das entspricht bei dem vom Berufungsgericht festgestellten Stundenlohn von 10 DM 470
bzw. 449,5 Arbeitsstunden im Jahr und verteilt auf ein Jahr abzüglich sechs Wochen Urlaub, einer Arbeitszeit von ungefähr 10,3 Wochenstunden für 1994 und 9,9 Wochenstunden für 1995. Hierzu hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass er pro Arbeitstag in der Regel drei Stunden arbeitet und jedenfalls zweimal, bei Bedarf auch öfter in der Woche zur Arbeit fuhr. Damit ging der Kläger jedenfalls in den Jahren 1994 und 1995 einer seiner Behinderung entsprechenden nachhaltigen Beschäftigung im Arbeitsleben nach. Seinen Arbeitsplatz in L. konnte der Kläger nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Für diese Fahrten stand ihm der Behindertenfahrdienst nicht zur Verfügung. Die ständige Nutzung eines Mietwagens oder Taxis wäre, berücksichtigt man, dass der Kläger auch für andere Fahrten auf eine Beförderung mit einem Kraftfahrzeug angewiesen war, noch teurer gewesen.
Damit steht aber noch nicht fest, in welcher Art und in welchem Umfang die Hilfe zu gewähren ist.
Grundsätzlich kommen viele Hilfemöglichkeiten in Betracht. So kann der Sozialhilfeträger dem Behinderten ein Kraftfahrzeug auch ein gebrauchtes, zur Nutzung überlassen, er kann einen Zuschuss geben oder die Hilfe als Darlehen gewähren (§ 8
Abs. 2 EinglH-VO). Allerdings engen sich die Entscheidungsmöglichkeiten ein, wenn der Sozialhilfeträger eine Hilfe ablehnt oder wie hier über eine an sich zustehende Hilfe nicht entscheidet. Denn wenn der Hilfebedürftige nach Ablehnung oder unzumutbar langer Nichtentscheidung sich selbst Hilfe sucht, muss seine Hilfewahl vorausgesetzt sie hält sich im Rahmen des Anspruchs nach § 8
Abs. 1 Satz 2 EinglH-VO, der Hilfeentscheidung der Behörde zugrunde gelegt werden. Bezogen auf den streitgegenständlichen Fall bedeutet das, dass der Beklagte die Hilfe nun nicht mehr dadurch erbringen kann, dass er dem Kläger ein Kraftfahrzeug zur Nutzung überlässt. Vielmehr muss der Beklagte berücksichtigen, dass der Kläger sich bereits Ende November 1994 selbst ein Kraftfahrzeug beschafft hat, so ist der Beklagte bei seiner Entscheidung auf die Form Geldleistung festgelegt.
Nach alledem ist die ablehnende Entscheidung des Beklagten aufzuheben und der Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu bescheiden. Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger in den Jahren 1994 und 1995 ungefähr 10 Stunden je Woche gearbeitet. Mit Rücksicht auf seine Behinderung ist das eine (zeitlich) nachhaltige Beschäftigung, für die der Kläger auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen war. Die für die Kraftfahrzeugbeschaffung in dieser Zeit aufgebrachten Kosten stehen fest (Sonderzahlung in Höhe von 7500 DM und monatliche Ratenzahlung in Höhe von je 299 DM). Ob den Kläger eine Kraftfahrzeugbeihilfe auch für die Jahre 1996, 1997 und 1998 zusteht - erst ab 1999 nahm die Beschäftigung des Klägers wieder kräftig zu -, kann nach den bisherigen Feststellungen nicht beurteilt werden, weil ein Grund für den Beschäftigungsrückgang nicht festgestellt ist. Der Beklagte kann grundsätzlich zwischen Zuschuss und Darlehen entscheiden. Zwar erscheint die Leistung als Darlehen gerade bei der Beschaffung eines Kraftfahrzeuges wegen des in der Regel bedeutenden Umfanges der Hilfe gerechtfertigt; dadurch werde das Verantwortungsgefühl des Behinderten gestärkt (so BR-Drs. 118/64 Begründung zu § 8
S. 5). Aber ein sozialhilferechtliches Darlehen ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Möglichkeit der Rückzahlung besteht. Diese ist aber im Entscheidungszeitpunkt nicht erkennbar. Der Kläger hat nur ein geringes Einkommen, kein nennenswertes Vermögen und hatte das Kraftfahrzeug nur geleast, war also nicht sein Eigentümer. Auch die Entscheidung über die Höhe eines Zuschusses bemisst sich nach dem sozialhilferechtlich Notwendigen und steht im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten.
weitere Fundorte:
Rechtdienst der Lebenshilfe 4/01