Zur Frage der Höhe der im Rahmen einer Maßnahme der beruflichen Rehabilitation zu erstattenden Fahrkosten ( §§ 103, 110
SGB III in der bis zum 30.6.2001 geltenden Fassung; §§ 109
SGB III, 53
Abs. 1
SGB IX).
1. § 110
SGB III a.F. geht als Sonderregelung der allgemeinen Regelung des § 83
SGB III über die Fahrkostenerstattung mit der Folge vor, dass auch die Leistungsbegrenzung nach § 83
Abs. 3
SGB III nicht auf den Personenkreis der zum Bezug von besonderen Leistungen der beruflichen Rehabilitation Berechtigten übertragen werden kann.
2. Die besonderen Leistungen in den §§ 102
ff. SGB III sind als besondere Vergünstigungen ausgestaltet, die ausdrücklich an die Stelle der allgemeinen Leistungen treten (§§ 98
Abs. 2, 102
Abs. 1 Satz 1
SGB III).
3. Das geltende Recht (§§ 109
SGB III, 53
Abs. 1
SGB IX) schreibt die Rechtslage zu 1. fort.
4. Hat die
BA besondere Leistungen zur beruflichen Rehabilitation dem Grund nach in der Form der Teilnahme an einer auswärtigen Maßnahme ohne Unterbringung bewilligt, steht ihr bei Übernahme der erforderlichen Reisekosten
gem. § 110
Abs. 1
Nr. 3
SGB III a.F. auch hinsichtlich der Leistungshöhe kein Ermessen zu (§§ 102
Abs. 1 Satz 1, 3
Abs. 5
SGB III).
1. Allgemeines
Die Beklagte (
BA) bewilligte dem Kläger aus Anlass der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Rehabilitation ab 7.12. 1998 für tägliche Fahrten von seiner Wohnung in M. zum
BFW in D. (einfache Entfernung 52
km) Fahrkosten i.H. von 39,52 DM kalendertäglich, höchstens jedoch 549,08 DM monatlich (Bescheid vom 14.12.1998 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 30.3. 1999).
Das Sozialgericht (SG) verpflichtete die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur Zahlung von Fahrkosten i.H. von 39,52 DM ja Teilnehmertag ohne Höchstbetragsbegrenzung (Urteil vom 8.8.2000).
Das Landessozialgericht (
LSG) wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurück ( Urteil vom 12. 12.2001).
Das
BSG hat auf die Revision der Beklagten das Urteil des
LSG aufgehoben und den Rechtsstreit an das
LSG zurückverwiesen.
2. Sachverhalt
Der Kläger beantragte am 10.11.1998 bei der Beklagten die Übernahme der Fahrkosten für die Teilnahme an der beruflichen Bildungsmaßnahme beim
BFW in D.. Die Beklagte begründete die Höchstbetragsbegrenzung damit, dass die Kosten für Pendelfahrten nur bis zur Höhe des Betrages der Kosten für Unterbringung und Verpflegung nach § 111
SGB III (495 DM)
zzgl. der Kosten zweier Familienheimfahrten (54,08 DM) zu übernehmen seien.
3. Aus den Gründen der Vorinstanzen
Das
LSG hat die Auffassung vertreten, dass dem Kläger die erforderlichen Fahrkosten ohne Höchstbetragsbegrenzung nach § 110
Abs. 1
Nr. 3
SGB III zustünden. Trotz der Formulierung "können" bestehe ein Rechtsanspruch auf die Fahrkosten, weil es sich
gem. § 109
Abs. 1
Nr. 4
SGB III i.V.m. § 103
Nr. 3
SGB III um besondere Leistungen handele. § 110
SGB III enthalte keine Höchstbetragsbegrenzung. § 111
Nr. 2
SGB III könne nicht entsprechend herangezogen werden, weil er ausdrücklich nur den Fall einer auswärtigen Unterbringung betreffe. Aus Gründen der Gesetzessystematik könne auch nicht auf § 83
Abs. 3
SGB III zurückgegriffen werden. Der Gesetzgeber habe bei den Leistungen zur beruflichen Eingliederung bewusst zwischen den allgemeinen und besonderen Leistungen unterschieden. Nach § 98
Abs. 2
SGB III würden besondere Leistungen nur erbracht, soweit eine berufliche Rehabilitation nicht bereits durch die allgemeinen Leistungen erreicht werden könne. Dies bedeute, da eine § 83
Abs. 3
SGB III vergleichbare Vorschrift in den Vorschriften über besondere Leistungen fehle, dass eine Höchstbetragsbegrenzung bei den Fahrkosten zur Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation mit Anspruch auf besondere Leistungen unzulässig sei.
4. Aus den Gründen des
BSGDie Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung der §§ 83, 111
SGB III. Sie übernehmen im Rahmen der beruflichen Eingliederung Behinderter die Kosten für Pendelfahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte grundsätzlich nur bis zur Höhe der Kosten für Unterbringung und Verpflegung zuzüglich der Kosten für zwei Familienheimfahrten pro Monat. Im Siebten Abschnitt des Vierten Kapitels des
SGB III finde sich hinsichtlich der konkreten Höhe der Kostenerstattung bei Pendelfahrten keine spezielle Regelung. Nach § 99
SGB III sei daher auf die vorhergehenden Abschnitte zurückzugreifen. Sachnächste Bestimmung sei § 83
SGB III, der die Höhe der Fahrkosten bei Teilnahme an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen regele. § 83
SGB III müsse auch für den Kläger gelten. Im Übrigen könne dies aber dahinstehen, weil ohnehin nur die jeweils für die Maßnahme "erforderlichen" Kosten übernommen werden könnten. Durch die Entscheidung des Rehabilitanden, zwischen der Wohnstätte und dem Maßnahmeort zu pendeln, verteure sich im vorliegenden Fall die Rehabilitationsmaßnahme, sodass höhere Aufwendungen als bei auswärtiger Unterbringung entstünden. Bei einer auswärtigen Unterbringung wäre eine Kostenerstattung nur im Rahmen des § 111
SGB III vorgenommen worden, sodass es "folgerichtig" sei, Fahrkosten hier ebenfalls nur im Umfang des § 111
SGB III zu erstatten.
Der Kläger hält die Entscheidung des
LSG für zutreffend.
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170
Abs. 2 Satz 2
SGG). Auf Grund der Feststellungen des
LSG kann nicht beurteilt werden, ob dem Kläger dem Grunde nach Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter (jetzt: zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben) gemäß §§ 97
ff. SGB III a.F. zustehen. Maßgebend sind im vorliegenden Fall die Regelungen der §§ 97 bis 115
SGB III in der bis 30. Juni 2001 geltenden (ab 1. Juli 2001 durch das Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch -
SGB IX vom 22. Juni 2001, BGBl I, 1046, umgestalteten) Fassung durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) vom 24.März 1997, BGBl I, 594, soweit sie nicht im Einzelfall - wie § 102
SGB III - durch das 1. SGB III-ÄndG vom 16. Dezember 1997, BGBl I, 2970, geändert worden sind. Ebenso wenig kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des
LSG beurteilt werden, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung besonderer Leistungen zur beruflichen Rehabilitation gemäß §102
Abs. 1
Nr. 1 oder
Nr. 2
SGB III erfüllte (sogleich unter 1.). Zu Recht hat das
LSG allerdings entschieden, dass dem Kläger für die Tage seiner Teilnahme an der Maßnahme in Dortmund Fahrkostenersatz ohne Höchstbegrenzung zusteht, wenn es sich bei der von der Beklagten bewilligten Maßnahme um eine besondere Leistung i.
S. der §§ 102, 103
SGB III a.F. gehandelt hat. Eine Begrenzung der Höhe der erstattungsfähigen Kosten lässt sich in diesem Falle weder aus § 83
Abs. 3
SGB III noch aus §§ 110, 111
SGB III a.F. ableiten (Siehe unter 2.).
1. Betrifft die Klage - wie hier - höhere Leistungen als bewilligt, ist sie u.a. nur begründet, wenn auch die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach vorliegen. Fehlt eine solche Voraussetzung, kann zwar die bewilligte Leistung wegen des Verbots einer reformatio in peius (Verböserungsverbot) nicht durch das Gericht entzogen werden, jedoch hätte dann die Klage auf eine höhere Leistung (hier Fahrkostenersatz ohne Begrenzung) bereits aus diesem Grunde keinen Erfolg. Insofern ist bereits fraglich, ob die Zuständigkeit der Beklagten zur Erbringung der streitigen Maßnahme gegeben war oder ob nicht vorrangig ein anderer Leistungsträger zuständig war. Denn der KLäger könnte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistung zur Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger erfüllt haben (§ 11
Abs. 1
Nr. 1
SGB VI: Erfüllung der Wartezeit von 15 Jahren), sodass gemäß § 22
Abs. 1
SGB III die Bundesknappschaft vorrangig für die Rehabilitation zuständig gewesen wäre. Ebenso ist ungeklärt, ob bei dem Kläger auch die Voraussetzungen für die besonderen Leistungen zur Rehabilitation vorlagen. Diese setzen nach § 102
Abs. 1 Satz 1
SGB III (§ 102 i.d.F. des 1. SGB III-ÄndG) voraus, dass Art und Schwere der Behinderung oder die Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben
1. die Teilhabe an
a) einer Maßnahme in einer besonderen Einrichtung für Behinderte oder
b) einer sonstigen auf die besonderen Bedürfnisse Behinderter ausgerichteten Maßnahme unerlässlich machen, oder
2. dass die allgemeinen Leistungen die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlichen Leistungen nicht oder nicht im erforderlichen Umfang vorsehen.
Der Senat hat allerdings bereits entschieden, dass eine Überprüfung dieser Leistungsvoraussetzungen dem Grunde nach gerichtlicherseits nicht mehr erforderlich ist, wenn bereits bindende Entscheidungen der Verwaltung über die Grundvoraussetzungen ergangen sind (BSGE 74, 199, 201 = SozR 3-4100 § 59
Nr. 5). Insofern hat das
LSG nicht festgestellt - und ist auch aus den Verwaltungsakten nicht ersichtlich -, ob die Beklagte ihre Zuständigkeit für die berufliche Rehabilitation des Klägers bindend durch Bescheid anerkannt hat (ob zu Recht oder zu Unrecht ist dann nicht mehr zu prüfen). Ebenso fehlt es an Feststellungen zu einer bindenden Anerkennung der Voraussetzungen für die besonderen Leistungen zur Rehabilitation durch die Beklagte gemäß § 102
SGB III a.F.. Hierzu wird das
LSG Feststellungen nachzuholen haben.
2. Unterstellt man - wovon auch das
LSG ohne Weiteres ausgegangen ist - dass die Beklagte dem Kläger 1998 - zu Recht oder bindend - besondere Leistungen zur beruflichen Eingliederung Behinderter gemäß § 102, § 103
SGB III a.F. bewilligt hat, so ist die Entscheidung des
LSG, dass dem Kläger dann Fahrkosten in der ausgeurteilten Höhe zustehen, nicht zu beanstanden. Entgegen der Rechtsansicht der Revision kann zunächst nicht die in § 83
Abs. 3
SGB III enthaltene Einschränkung hinsichtlich der Höhe der zu erstattenden Fahrkosten Anwendung finden, und zwar weder unmittelbar über § 99
SGB III noch entsprechend im Rahmen der §§ 103, 110
SGB III a.F. (sogleich unter a). §§ 103, 110
SGB III a.F. eröffnen für die Beklagte auch keinen Ermessensspielraum, sodass Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit oder Zweckmäßigkeit hinsichtlich der Fahrkosten keine Rolle mehr spielen dürfen, wenn zuvor uneingeschränkt besondere Leistungen zur Rehabilitation - hier eine Maßnahme ohne Unterbringung am Maßnahmeort - bewilligt worden sind (unter b).
Die Beklagte kann ihre Entscheidung nicht auf § 83
Abs. 3
SGB III stützen. Nach dieser Regelung können Kosten für Pendelfahrten nur bis zur Höhe des Betrags übernommen werden, der bei auswärtiger Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre. § 83
Abs. 3
SGB III befindet sich im Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des
SGB III, der die "Förderung der beruflichen Weiterbildung" regelt. Der Siebte Abschnitt dieses Kapitels regelt, beginnend mit § 97
SGB III a.F., die "Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter" und gliedert in § 98
Abs. 1
SGB III die Leistungen für Behinderte in 1. allgemeine Leistungen und 2. besondere Leistungen. Nach § 99
SGB III richten sich allerdings die allgemeinen und die besonderen Leistungen für Behinderte nach den Vorschriften des Ersten bis Sechsten Abschnitts (§§ 45 bis 96
SGB III), soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist. Damit ist klargestellt worden, dass sowohl die allgemeinen Leistungen (§ 100
SGB III) als auch die besonderen Leistungen (§ 103
SGB III) vom Arbeitsamt grundsätzlich nach den allgemeinen Fördervoraussetzungen der §§ 45 bis 96
SGB III zu erbringen sind, soweit für die Behinderten in den folgenden Vorschriften (gemeint sind die §§ 100
ff. SGB III a.F.) nichts Abweichendes bestimmt ist.
Abweichendes ist für die allgemeinen Leistungen in § 101
SGB III, für die besonderen Leistungen in den §§ 104
ff. SGB III a.F., insbesondere für die Reisekosten in § 110
SGB III a.F. bestimmt, sodass diese Regelung dem § 83
SGB III vorgeht. Dabei kann - entgegen der Meinung der Beklagten - nicht auf einzelne Elemente dieser Regelung - hier die in § 83
Abs. 3
SGB III enthaltene Kostenbegrenzung - abgestellt und aus dem Umstand, dass § 110
SGB III a.F. keine entsprechende Einschränkung enthält und insoweit gegenüber § 83
Abs. 3
SGB III "nichts Abweichendes" bestimmt, geschlossen werden, dass § 83
Abs. 3
SGB III nach § 99
SGB III als vorrangige Norm auch bei den besonderen Leistungen anzuwenden ist. Zu vergleichen ist vielmehr die Gesamtregelung des § 83
SGB III mit derjenigen des § 110
SGB III a.F., die ohne Weiteres erkennen lässt, dass hier der Gesetzgeber der Sicherung des Eingliederungserfolges bei Behinderten durch zusätzliche Leistungen in besonderer Weise Rechnung trägt. Während § 83
SGB III nur reine Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte ( Pendelfahrten) und Kosten für die An- und Abreise sowie eine monatliche Familienheimfahrt bei erforderlicher auswärtiger Unterbringung betrifft, umfasst § 110
SGB III a.F. außer den erforderlichen Fahrkosten auch Verpflegungs- und Übernachtungskosten sowie Kosten des Gepäcktransports (
Abs. 1), ferner Kosten für besondere Beförderungsmittel einschließlich der entsprechenden Kosten für eine Begleitperson, zu deren Inanspruchnahme der Behinderte wegen Art und Schwere der Behinderung gezwungen ist.
Bereits hieraus wird deutlich, dass § 110
SGB III a.F. ersichtlich bezweckt, Sonderrecht im Sinne einer Privilegierung für Behinderte zu schaffen, das über die Regelung des § 83
SGB III hinausgeht. Das gilt auch insoweit, als § 110
Abs. 1
Nr. 3
SGB III a.F. für Fahrten zwischen Wohnung oder Unterbringung und Bildungsstätte keine - dem § 83
Abs. 3
SGB III entsprechende - Einschränkung der Kostenübernahme vorsieht; auch insoweit ist der Leistungsrahmen gegenüber den allgemeinen Vorschriften erweitert worden.
Danach kann die Einschränkung des § 83
Abs. 3
SGB III bzw. der ihr zu Grunde liegende Rechtsgedanke aber auch nicht entsprechend für die Bestimmung des Leistungsrahmens bei den besonderen Leistungen herangezogen werden
bzw. in § 110
SGB III a.F. hineingelesen werden. Zu Recht hat das
LSG insoweit darauf hingewiesen, dass § 98
Abs. 1
SGB III ein Stufenverhältnis von allgemeinen und besonderen Leistungen vorsieht, wobei die allgemeinen Leistungen des § 100
SGB III als nicht behindertenspezifische Förderleistungen den Behinderten praktisch nach denselben Vorschriften der §§ 45 bis 96
SGB III wie Nichtbehinderte erbracht werden, also auch unter der Einschränkung des § 83
Abs. 3
SGB III. Demgegenüber werden die besonderen Leistungen in §§ 102
ff. SGB III a. F. vom Gesetzgeber ausdrücklich als zusätzliche Leistungen qualifiziert, die an Stelle der allgemeinen Leistungen nur erbracht werden dürfen, wenn für das Arbeitsamt feststeht, "dass der Behinderte wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Eingliederungserfolgs auf die besonderen Hilfen einer behinderungsspezifischen Bildungsmaßnahme in einer Rehabilitationseinrichtung oder auf eine gleichartige, auf Behinderte besonders ausgerichtete Maßnahme außerhalb einer Rehabilitationseinrichtung angewiesen ist" (
vgl. hierzu BT-Drucks 13/4941,
S. 173 zu § 98). Die vom Gesetzgeber gewollte deutliche Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Leistungen der Rehabilitation würde verwischen, wenn die Begrenzung des § 83
Abs. 3
SGB III auf § 110
SGB III a.F. übertragen würde.
Dieser Begrenzung liegt die Vorstellung zu Grunde, dass es dem Weiterzubildenden grundsätzlich überlassen bleibt, ob er eine Unterbringung am Maßnahmeort in Anspruch nimmt oder zwischen Wohnung und Maßnahmeort pendelt. Entscheidet er sich für Letzteres, soll er nicht besser gestellt werden als bei Unterbringung am Maßnahmeort (
vgl. hierzu BT-Drucks 13/4941,
S. 170 zu § 83). Eine entsprechende Überlegung ist nicht zwingend auf Behinderte zu übertragen, die die Voraussetzungen für besondere Leistungen i.
S. von § 102
SGB III a.F. erfüllen. Bei ihnen kann die Entscheidung für eine Unterbringung am Maßnahmeort behinderungsbedingt eingeschränkt sein, etwa wenn sie sonst auf Unterstützung aus ihrem familiären Umfeld verzichten müssten.
Die Regelungen über besondere Leistungen für Behinderte (§§ 102
ff. SGB III a.F.) sind insoweit ersichtlich als besondere Vergünstigungen für Behindertekonzipiert, die nicht ohne Weiteres durch Regelungen aus dem allgemeinen Recht der Weiterbildung ergänzt werden können. Fehlt in den §§ 102
ff. SGB III a.F. eine Einschränkung oder Höhenbegrenzung, die im allgemeinen Recht der Weiterbildung enthalten ist, so ist davon auszugehen, dass insofern grade eine besondere "Privilegierung" von Behinderten beabsichtigt war, die die Voraussetzungen für besondere Leistungen erfüllen. Deshalb kann die aus dem Bereich der beruflichen Weiterbildung entstammende Regelung des § 83
Abs. 3
SGB III nicht die "Schwelle" oder Barriere des § 98
Abs. 2
SGB III überwinden, da es ja eben Sinn und Zweck der besonderen Leistungen ist, Behinderte
bzw. behinderte Menschen "besonders" zu fördern. Insofern stellt § 110
Abs. 1
Nr. 3
SGB III a.F., der die Übernahme der erforderlichen Fahrkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte - ohne Einschränkung - vorsieht, eine Spezialregelung i.
S. des § 99
SGB III gegenüber der allgemeinen Regelung des § 83
Abs. 3
SGB III dar, die es auch verbietet, den Rechtsgedanken des § 83
Abs. 3
SGB III analog zu übernehmen. Dieses Ergebnis unterstreicht zugleich, dass die Grundentscheidung, ob einem behinderten Menschen "besondere Leistungen" zur Rehabilitation zustehen, weit reichende Konsequenzen hat, sodass tatsächliche Feststellungen zu diesen Grundvoraussetzungen der §§ 102, 103
SGB III nicht unterbleiben können (es sei denn es lägen entsprechende "anerkennende" Verwaltungsakte der Beklagten vor, was ebenfalls nicht festgestellt ist).
Das hier gefundene Ergebnis wird zudem bestätigt durch die Regelung des
SGB IX (vom 22. Juni 2001, BGBl I 1046), durch die ab 1. Juli 2001 das Recht der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben neu gestaltet worden ist. An Stelle des § 110
SGB III a.F. ist § 53
SGB IX getreten. Ebenso wie nach § 110
SGB III hat der behinderte Mensch nach § 53
Abs. 1
SGB IX einen Anspruch auf die erforderlichen Reisekosten (hierzu etwa Schütze in Hauck/Noftz,
SGB IX, K § 53 RdNr. 16), ohne dass eine irgendwie geartete Höchstbetragsgrenze vorgesehen wäre. Eine solche ist auch nicht § 44
Abs. 1
Nr. 5
SGB IX zu entnehmen. Vielmehr zeigt die Rechtslage nach In-Kraft-Treten des
SGB IX, dass eine Übernahme von Regelungenaus dem Bereich der allgemeinenWeiterbildung, die - wie etwa § 83
Abs. 3
SGB III - uneingeschränkt im
SGB III fortgelten, als Höchstbetragsbegrenzung im Regelungsbereich des
SGB IX nicht in der Absicht des Gesetzgebers liegt und auch im Zeitpunkt der Geltung des § 110
SGB III nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen haben kann.
b) Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten steht ihr bei der Übernahme der Reisekosten gemäß § 110
Abs. 1
Nr. 3
SGB III a.F. auch hinsichtlich der Leistungshöhe kein Ermessen zu, wenn sie besondere Leistungen zur beruflichen Rehabilitation dem Grunde nach in der Form der Teilnahme an einer auswärtigen Maßnahme ohne Unterbringung bewilligt hat. Zwar sieht § 110
Abs. 1 Nr, 3
SGB III a.F. vor, dass als Reisekosten die erforderlichen Fahrkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte übernommen werden "können". Auf die Übernahme der erforderlichen Reisekosten besteht jedoch ein Rechtsanspruch des Behinderten (ebenso Lauterbach in Gagel,
SGB III, § 110 RdNr. 2, Stand: März 2002; Niesel,
SGB III, 1. Aufl. 1998, RdNr. 2 zu § 110
SGB III). Gehören die Reisekosten, wie sich aus § 103
Nr. 3
SGB III und § 109
Abs. 1
Nr. 4
SGB III a.F. ergibt, zu den besonderen Leistungen zur Förderung der Eingliederung Behinderter, so handelt es sich, was unzweifelhaft aus dem Wortlaut des § 102
Abs. 1 Satz 1
SGB III a.F. hervorgeht und sich auch aus der Entstehungsgeschichte dieser Norm ergibt, um Pflichtleistungen (
vgl. Ausschussbericht zum AFRG, BT-Drucks 13/5936,
S. 27 zu § 102). Dass diese Leistungen - anders als die allgemeinen Leistungen des § 100
SGB III - nicht im Ermessen der Beklagten stehen, ist im Übrigen nochmals ausdrücklich in § 3
Abs. 5
SGB III (§ 3
SGB III i.d.F. des 1. SGB III-ÄndG vom 16. Dezember 1997, a.a.O.) geregelt. Mithin hätte der Kläger gemäß § 110
Abs. 1
Nr. 3
SGB III a. F. einen Rechtsanspruch auf Übernahme der erforderlichen Fahrkosten, ohne dass der Beklagten hinsichtlich ihrer Höhe ein Ermessen zusteht.
Dass die Beklagte zur Berechnung des Kilometergeldes auf die Vorschriften des BRKG (insbesondere § 6
Abs. 1 BRKG) zurückgegriffen hat, ist nicht zu beanstanden und auch im Hinblick auf das oben zu a) gefundene Ergebnis unschädlich. Hinsichtlich der auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität gebotenen Pauschalisierung der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte - hier mit dem eigenen Pkw - kann auf die Wegstreckenentschädigung nach § 6
Abs. 1 BRKG zurückgegriffen werden, die insoweit einen sachgerechten Maßstab enthält. Die Verweisung auf diese Regelung entspricht einem allgemeinen Prinzip des
SGB III, wie es u.a. in § 46
Abs. 2, § 50
Nr. 2
i.V.m. § 46
Abs. 2
SGB III und § 67
Abs. 2
SGB III und im Übrigen auch in § 83
Abs. 2
SGB III zum Ausdruck kommt. Insoweit hat es in § 110
SGB III keiner ausdrücklichen Regelung für die Wegstreckenentschädigung bedurft (
vgl. auch
BSG SozR 3-4100 § 138
Nr. 13 und BSGE 63, 227, 228 = SozR 4100 § 138
Nr. 19). Dies wird von den Beteiligten im Übrigen auch nicht in Zweifel gezogen.
Mithin stand dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung von 39,52 DM an Reisekosten für jeden Tag zu, an dem er zwischen Wohnort und Maßnahmeort gependelt ist (104
km x 0,38 DM täglich). Die BEklagte kann insofern auch nicht geltend machen, dass dem Begriff "erforderliche Fahrkosten" in § 110
Abs. 1
Nr. 3
SGB III a.F. entnommen werden könnte, den Rehabilitanden betreffe insoweit eine Pflicht zur Kostenminimierung. Bewilligt sie eine Maßnahme an einem vom Wohnort entfernten Maßnahme ort ohne Unterbringung, so kann dem Behinderten, der täglich pendelt, nicht eine Begrenzung der Kosten für diese Fahrten auf die Kosten bei Unterbringung entgegen gehalten werden.
Dementsprechend kann auf die Erstattung von Fahrkosten entgegen der Rechtsansicht der Revision auch nicht § 111
SGB III a.F. entsprechend angewendet werden. Diese Regelung stellt eine Sonderregelung für die Fälle dar, in denen für die Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme eine auswärtige Unterbringung erforderlich ist. In diesem Fall kann - abgesehen von der vollen Kostenübernahme bei Unterbringung beim Maßnahmeträger nach
Nr. 1 - nach
Nr. 2 des § 111
SGB III a.F. ein Betrag in Höhe von 495 DM erbracht werden. Dieser Höchstbetrag bezieht sich jedoch nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht auf Fahrkosten. Eine entsprechende betragsmäßig festgesetzte Höhenbegrenzung für Fahrkosten hätte in § 110
SGB III a.F. selbst vorgenommen werden müssen.
Das
LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Ausgangs des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
weitere Fundorte:
Behindertenrecht 05/2003