Urteil
Keine Arbeitslosengeld-Sperrzeit nach bloßem Schweigen des Arbeitnehmers auf die Kündigung durch den Arbeitgeber

Gericht:

SG Dortmund 12. Kammer


Aktenzeichen:

S 12 (31) AL 46/06


Urteil vom:

19.10.2006


Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 08.02.2006 und unter Änderung des Bewilligungsbescheides vom 08.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2006 verurteilt, dem Kläger bereits ab 01.01.2006 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe ohne Minderung der Anspruchsdauer zu bewilligen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Streitig ist der Eintritt einer Sperrzeit.

Der am 18.10.1949 geborene Kläger meldete sich am 13.10.2005 zum 01.01.2006 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung endete sein seit dem 01.04.1964 bestehendes Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.05. zum 31.12.2005. Nach dem Inhalt des Kündigungsschreibens vom 30.05.2005 erfolgte die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen nach Anhörung des Betriebsrates, der ihr nicht widersprochen hatte. Ferner heißt es in dem Kündigungsschreiben: "Gemäß § 1 a KSchG möchten wir Sie hiermit darauf hinweisen, dass Sie mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.12.2005 eine Abfindung in Höhe von Euro 108.000 (i.W. einhundertachttausend) brutto erhalten, sofern sie gegen die Kündigung keine Klage erheben. Mit Zahlung dieser Abfindung sind auch alle eventuellen Ansprüche aus dem Interessenausgleich und Sozialplan der MMB abgegolten." Der Kündigung des schwerbehinderten Klägers hatte der Landschaftsverband Rheinland ausweislich seines Bescheides vom 23.05.2003 gemäß § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IX zugestimmt. Diesem Bescheid hatte der Kläger nicht widersprochen. Kündigungsschutzklage hat er nicht erhoben.

Mit Bescheid vom 08.02.2006 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit für die Dauer von zwölf Wochen für die Zeit vom 01.01. bis 25.03.2006 fest. Zwar liege formal eine arbeitgeberseitige Kündigung vor, entscheidend sei aber der wirkliche Wille, der auf Auflösung gerichtet sei. Die Inanspruchnahme finanzieller Zuwendung sei als Lösung zu bewerten, die Kündigung habe nur durch den Verzicht auf Kündigungsschutz wirksam werden können, so dass der Kläger im Ergebnis das Beschäftigungsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag selbst gelöst habe. Mit weiterem Bescheid vom 02.08.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab 26.03.2006 bis voraussichtlich 09.11.2007.

Zur Begründung seines am 16.02.2006 eingegangenen Widerspruchs verwies der Kläger darauf, dass das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt habe. Er habe von der im Kündigungsschutzgesetz geregelten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die mit einer Abfindung verbundene Kündigung ohne eine Kündigungsschutzklage hinzunehmen. Eine Kündigungsschutzklage hätte auch keine Aussicht auf Erfolg geboten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gestützt auf § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III als unbegründet zurück. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis gelöst. Er sei zwar formal durch den Arbeitgeber gekündigt worden, ohne dass hierfür arbeitsvertragwidriges Verhalten maßgeblich gewesen sei. Es müsse jedoch tatsächlich von einer Lösung des Arbeitsverhältnisses unter Mitwirkung des Klägers ausgegangen sein. Denn er habe eine Kündigung hingenommen, die mit einer Abfindung verbunden sei, die über die Abfindung gemäß § 1 a Kündigungsschutzgesetz (KSchG) deutlich hinaus ginge. Die Höhe der Abfindung von 108.000,00 EUR lasse sich bei aufgerundet 41 Beschäftigungsjahren und einem durchschnittlichem Monatslohn von 2.570,00 EUR nicht aus § 1 a KSchG herleiten. Sie lasse sich auch nicht aus der Gesamtbetriebsvereinbarung erklären, die, wie der Arbeitgeber mitgeteilt habe, 54.267,47 EUR betragen hätte. Ein wichtiger Grund oder Härtegesichtspunkte seien nicht erkennbar. Die Sperrzeit führe zur Minderung der Anspruchsdauer um 195 Tage.

Zur Begründung seiner am 30.03.2006 erhobenen Klage tritt der Kläger der Auffassung der Beklagte entgegen, er habe stillschweigend einen Aufhebungsvertrag geschlossen. Es sei tatsächlich von einer arbeitgeberseitigen Kündigung auszugehen, gegen die er sich weder habe wehren müssen, noch hätte wehren können. Insbesondere seien alle Formalien für das Wirksamwerden der Kündigung beachtet worden. Es habe weder im vorhinein Absprachen zwischen ihm und dem Arbeitgeber gegeben, noch hätten solche im Nachhinein stattgefunden. Er habe weder vor Ausspruch der Kündigung aktiv an der Lösung seines Beschäftigungsverhältnisses mitgewirkt, noch sei er im Nachgang zur Kündigung aktiv geworden, vielmehr habe er die Kündigung lediglich passiv erduldet. Einen Sperrzeittatbestand des Lösens des Beschäftigungsverhältnisses durch Unterlassens gebe es nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG gebe es nicht einmal eine versicherungsrechtliche Obliegenheit, sich gegen den Ausspruch einer offensichtlich rechtswidrigen Arbeitgeberkündigung gerichtlich zu wehren. Erst Recht gäbe es keine Obliegenheit, gegen eine rechtmäßige Kündigung vorzugehen. Die Berechnung der Abfindung im einzelnen sei ihm nicht bekannt gewesen. Er habe darauf vertraut, dass man die Abfindung korrekt berechne.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 08.02.2006 und unter Änderung des Bewilligungsbescheides vom 08.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2006 zu verurteilen, ihm bereits ab 01.01.2006 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe ohne Minderung der Anspruchsdauer zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und weist insbesondere darauf hin, dass der Kläger im Fragebogen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses selbst angegeben habe, vor Zugang des Kündigungsschreibens in einem persönlichen Gespräch, an dem auch der Betriebsrat beteiligt gewesen sei, von seiner Entlassung erfahren zu haben. Die Zahlung der Abfindung sei ihm bereits am 30.04.2005 zugesagt worden. Es sei davon auszugehen, dass es sich nicht um eine Kündigung nach § 1 a KSchG gehandelt habe, denn der Kläger sei nicht der im Interessenausgleich genannte Zerspannungsmechaniker, dessen Stelle abgebaut werden solle, denn er sei seit 2003 im wesentlichen als Werkausgeber und Magazinverwalter eingesetzt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakten und der den Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Arbeitslosengeld ohne Ruhen und ohne Minderung der Anspruchsdauer bereits ab 01.01.2006, denn es ist keine Sperrzeit eingetreten.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 1 SGB III vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Anhaltspunkte dafür, dass ein arbeitsvertragwidriges Verhalten des Klägers Anlass für das Beschäftigungsverhältnis gewesen ist, finden sich nicht. Der Kläger hat sein Beschäftigungsverhältnis auch nicht gelöst.

Ausgangspunkt dieser Überzeugung des Gerichtes ist das Kündigungsschreiben des Arbeitgebers vom 30.05.2005. Dieses entspricht in Form und Inhalt ohne weiteres einer arbeitgeberseitigen Kündigung. Soweit in diesem Kündigungsschreiben die Höhe der Abfindung über 108.000,00 EUR davon abhängig gemacht wird, dass der Kläger gegen diese Kündigung keine Klage erhebt, steht dies der Einschätzung, dass es sich um eine Kündigung handelt, nicht entgegen. Zwar stellt auch die Mitwirkung an sogenannten Abwicklungsverträgen, die zur Umgehung von Sperrzeiten geschlossen werden, einen Lösungstatbestand durch den Arbeitnehmer im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 1 SGB III dar (Niesel in Niesel in SGB III, Kommentar, 3. Auflage, § 144 RdNr. 31 ff. m.w.N.). Wenn Kündigung und Modalitäten des Abwicklungsvertrages vorher abgesprochen sind, liegt der Aufhebungsvertrag bereits in der Absprache. Da für den Eintritt einer Sperrzeit nur der tatsächliche Geschehensablauf maßgeblich ist, tritt bei derartigen Absprachen eine Sperrzeit unabhängig davon ein, dass formell nur eine Arbeitgeberkündigung vorliegt (Niesel a.a.O.). Dagegen löst das bloße Schweigen des Arbeitnehmers auf die Kündigung keine Sperrzeit aus, denn der Begriff "Lösung" setzt einen aktiven Lösungsakt voraus (Niesel a.a.O. RdNr. 35 m.w.N.). Nach Ansicht des Gerichts liegt hier ein bloßes Schweigen auf die Kündigung vor. Sofern die Beklagte darauf hinweist, dass der Kläger im Fragebogen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses angegeben habe, vor Zugang des Kündigungsschreibens habe er in einem persönlichen Gespräch, an dem auch der Betriebsrat beteiligt gewesen sei, von seiner Entlassung erfahren und die Abfindung sei ihm bereits am 30.04.2005 zugesagt worden, steht dies der Einschätzung des Gerichtes nicht entgegen. Wäre dies relevant, müssten Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber immer mit Kündigungen überfallen werden, um nicht Gefahr zu laufen, in verdeckte Abwicklungsverträge verwickelt zu werden. Nach Ansicht des Gerichtes ist es selbstverständlich, dass ein Arbeitgeber, der sich um Stellenabbau bemüht, mit den in Betracht kommenden Arbeitnehmern vor der Kündigung Gespräche führt und diese darüber informiert, dass sie für eine solche Kündigung vorgesehen sind. Dass der Betriebsrat zu solchen Gesprächen hinzugezogen wird, ist nicht nur ein ehrenwertes Verhalten des Arbeitgebers, sondern entspricht arbeitsrechtlichen Pflichten. Dass aus Anlass solcher Informationsgespräche auch über die Zahlung von Abfindungen gesprochen wird und dass dem zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer auch die Höhe der Abfindung vor Ausspruch der Kündigung mitgeteilt wird, hält das Gericht für selbstverständlich. Im Falle des Klägers waren solche Gespräche auch unter dem Gesichtspunkt notwendig, dass der Kläger als schwerbehinderter Arbeitnehmer einen besonderen Kündigungsschutz genoss und auch eine betriebsbedingte Kündigung nach § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedurfte. Nach § 87 Abs. 2 SGB IX holt das Integrationsamt im Zustimmungsverfahren eine Stellungnahme des zuständigen Arbeitsamtes, des Betriebsrates oder Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung ein und hört den schwerbehinderten Menschen an. Schon dieses Anhörungsverfahren macht eine vorherige Beteiligung des Klägers auch durch den Arbeitgeber im Kündigungsverfahren notwendig. Das Integrationsamt hat durch Bescheid vom 23.05.2005 die Zustimmung zur Kündigung erteilt und in diesem Bescheid ausgeführt, dass der Betrieb in wesentlichen Teilen nicht nur vorübergehend eingeschränkt werde. Die Gesamtzahl der verbleibenden schwerbehinderten Menschen zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX reiche aus. Aus der Zustimmung des Integrationsamtes einerseits und der im Zustimmungsverfahren erfolgten Beteiligung der Agentur für Arbeit, also einer Dienststelle der Beklagten, andererseits folgt unmittelbar, dass die arbeitgeberseitige Kündigung rechtmäßig war, so dass es einer weiteren Sachaufklärung insoweit nicht bedarf.

Selbst wenn man jedoch der Ansicht wäre, dass in der Erfüllung der in der Kündigung zur Höhe der zugesicherten Abfindung enthaltenen Bedingung, keine Klage zu erheben, ein verdeckter Aufhebungsvertrag zu sehen sei, ändert dies nichts daran, dass eine Sperrzeit nicht eintritt, denn dann hätte der Kläger einen wichtigen Grund für sein Verhalten gehabt. Dabei ist zu beachten, dass das BSG seine Rechtsprechung zur Sperrzeitrelevanz von Aufhebungsverträgen durch seine Urteile vom 17.11.2005, B 11 a/11 AL 69/04 R, und vom 12.07.2006, B 11 a/AL 47/05 R, fortentwickelt hat. In diesen Entscheidungen hat das BSG dargelegt, dass ein wichtiger Grund zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages auch dann vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer von einer ansonsten sicher bevorstehenden rechtmäßigen Arbeitgeberkündigung bedroht ist. In einer solchen Situation bestehe angesichts der ohnehin nicht zu vermeidenden Beschäftigungslosigkeit ein Interesse daran, sich durch Abschluss des Aufhebungsvertrages zumindest eine zugesagte Abfindung zu sichern. Diesem Interesse stünde kein gleichwertiges Interesse der Versichertengemeinschaft am Abwarten einer Arbeitgeberkündigung gegenüber. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Sperrzeit und des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes unterläge es durchgreifenden Bedenken, das Eigeninteresse des Versicherten an einer für ihn günstigen Gestaltung der Modalitäten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unberücksichtigt zu lassen, wenn ein Interesse der Versichertengemeinschaft an einem Abwarten der Kündigung nicht ersichtlich sei. Bei einer drohenden rechtmäßigen Arbeitgeberkündigung sei im Regelfall ein wichtiger Grund anzunehmen, ohne dass der zusätzliche Nachweis eines besonderen Interesses an der Auflösungsvereinbarung erforderlich sei (BSG a.a.O.). In den Entscheidungsgründen zum Urteil vom 12.07.2006 hat das BSG unter Hinweis auf die ab 01.01.2004 in Kraft getretenen Regelungen des § 1 a KSchG ausgeführt, dies könne Veranlassung dafür geben, künftig einen wichtigen Grund bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages ohne die ausnahmslose Prüfung der Rechtmäßigkeit der drohenden Arbeitgeberkündigung anzuerkennen. Dies erwäge der Senat für Sperrzeiten wegen Arbeitsaufgabe mit einem Lösungssachverhalt ab dem 01.01.2004, wenn die Abfindungshöhe die in § 1 a Abs. 2 KSchG vorgesehene nicht überschreite.

Das Gericht macht sich diese Erwägung zu Eigen. Die Erwägungen des BSG bedeuten, dass von einer Rechtsmäßigkeitsprüfung der drohenden Arbeitgeberkündigung abgesehen werden kann, wenn sich die Abfindungshöhe im Rahmen des nach § 1 a KSchG Vorgesehen hält. Nur wenn die Abfindungshöhe den Rahmen des nach § 1 a KSchG Vorgesehen übersteigt, ist die Rechtmäßigkeit der drohenden Arbeitgeberkündigung zu überprüfen. Auf die Höhe der Abfindung kommt es nicht an, wenn die drohende Arbeitgeberkündigung rechtmäßig wäre. Hier ergibt sich aus den bereits geschilderten Umständen, dass eine auf den selben Zeitpunkt festgelegte arbeitgeberseitige Kündigung rechtmäßig gewesen wäre.

Die Aufhebung der Sperrzeit führt zur Änderung auch des Bewilligungsbescheides vom 02.08.2006, denn Leistungsbeginn ist bereits der 01.01.2006 und korrektes Leistungsende - sofern der Leistungsbezug nicht unterbrochen wird - der 29.02.2008.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R3657


Informationsstand: 19.10.2011