I.
Die Beteiligten streiten um den zeitlichen Umfang von Eingliederungshilfe für den Antragsteller in Form der Betreuung durch den Familienunterstützenden Dienst der Lebenshilfe GF. e.V..
Der 1985 in Kasachstan geborene Antragsteller lebt bei seiner Mutter, die durch das Amtsgericht Gießen - Vormundschaftsgericht - am 29. März 2004 zu seiner Betreuerin bestellt wurde und bezieht im Rahmen dieser Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (
SGB II). Er leidet unter einer symptomatischen zentropartialen Epilepsie links, einer leichten Intelligenzminderung, einer autistischen Verhaltensstörung und einem Strabismus divergens. Durch das Versorgungsamt GF. ist ihm ein Grad der Behinderung von 70 zuerkannt. Auf den Antrag des Antragstellers bewilligte der Antragsgegner diesem erstmalig mit Bescheid vom 25. März 2002 Eingliederungshilfe in Form der ambulanten Betreuung durch den Familienunterstützenden Dienst der Lebenshilfe GF. e.V. im Umfang von bis zu 3 Stunden pro Woche (13 Stunden pro Monat). Letztmalig erfolgte eine Bewilligung in diesem zeitlichen Umfang durch den Antragsgegner mit Bescheid vom 4. April 2005 bis zum 31. März 2006. Im Rahmen der Betreuungsstunden, die jeweils freitags nachmittags stattfinden, verbringt der Antragsteller einen wesentlichen Zeitanteil im Wald und sammelt dort Holz für seine "Bauprojekte", die er unter Mithilfe seines Betreuers verarbeitet. Seit September 2004 besucht der Antragsteller die Werkstatt für behinderte Menschen der Lebenshilfe GF. e.V. in E-Stadt, deren Betreuungsangebot jeweils freitags zur Mittagszeit endet.
Auf den Weiterfinanzierungsantrag des Antragstellers vom 30. Januar 2006 holte der Antragsgegner eine Stellungnahme des Gesundheitsamtes vom 28. Februar 2006 ein und erklärte sich mit Bescheid vom 17. März 2006 bereit, die Kosten für den Familienunterstützenden Dienst im Rahmen der Eingliederungshilfe für bis zu 3 Stunden im Monat vom 1. April 2006 bis zum 31. März 2007 zu übernehmen. Über den 31. März 2007 hinaus erfolgt in diesem zeitlichen Umfang weiter eine Kostenübernahme durch den Antragsgegner. Den von dem Antragsteller erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. März 2006 wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2006 zurück.
Der Antragsteller hat am 12. Dezember 2006 gegen den Widerspruchsbescheid Klage zum Sozialgericht Gießen (Az.: S 20 SO 216/ 06) erhoben und zeitgleich bei diesem einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel gestellt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm ab sofort Leistungen des Familienunterstützenden Dienstes im Umfang von 13 Stunden monatlich bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens zu bewilligen. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass der Betreuungsumfang mindestens 13 Stunden im Monat umfassen müsse. Aufgrund fachärztlicher Erhebungen und Testate sei belegt, dass er nach wie vor durch seine Behinderungen eingeschränkt sei, da erhebliche Entwicklungsdefizite bestünden und darüber hinaus auch entwicklungsunabhängige Einschränkungen festzustellen seien. Eine umfängliche Betreuung sei zur Verbesserung gerade auch seiner sozialen Integration erforderlich. Die Reduzierung auf 3 Stunden im Monat sei willkürlich und völlig unzureichend. Zur Bestätigung seines Vorbringens hat der Antragsteller Arztbriefe des Universitätsklinikums GF. und PM. vom 22. September 2006, vom 16. Februar 2006 und vom 3. November 2005, ein ärztliches Attest von
Prof. Dr. AAM. vom 17. Dezember 2006 und ein ärztliches Attest von den Dres. M./B. vom 7. Februar 2007 vorgelegt. Der Antragsgegner ist bei seiner Auffassung, dass nunmehr eine Betreuung von 3 Monatsstunden für den Antragsteller sachgerecht sei, geblieben. Zwar gehöre der Antragsteller nach den Berichten des Gesundheitsamtes und der Lebenshilfe GF. e.V. unzweifelhaft dem Kreis der Personen an, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzunehmen, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht seien. Die von der Lebenshilfe GF. e.V. durchgeführte Betreuung sei auch geeignet, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen. Dem Antragteller gehe es aber gesundheitlich besser und er sei selbstständiger geworden, da er jetzt täglich mit dem Bus in die Werkstatt für Behinderte nach E-Stadt fahren könne. Auch gebe es in der Werkstatt für Behinderte keine Auffälligkeiten. Mit Beschluss vom 25. April 2007, dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 27. April 2007, hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. In der Begründung hat es
u. a. ausgeführt, dass der Antragsteller weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht habe. Aus den vorgelegten Arztberichten ergebe sich zwar, dass der Antragsteller einer permanenten Betreuung zur Verbesserung der sozialen Integration bedürfe, nicht jedoch, in welchem Umfang dies erforderlich sei und vor allem nicht, welche Folgen ein geringerer oder gänzlich entfallender Förderungsumfang auslösen würde. Es sei zudem zweifelhaft, ob die höherfrequente Förderung überhaupt in den Tagesablauf des Antragstellers zu integrieren sei.
Hiergegen hat der Antragsteller am 29. Mai 2007 (28. Mai 2007: Pfingstmontag) Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht Gießen nicht abgeholfen hat. Zur Begründung weist der Antragsteller erneut darauf hin, dass es durch die Reduzierung der Betreuungsstunden zu einer erheblichen Minderung seiner sozialen Interaktion und Ausdrucksmöglichkeit komme. Die Betreuungsstunden mit dem zu einer vertrauten Person gewordenen Mitarbeiter des Familienunterstützenden Dienstes hätten im Laufe der Zeit zu einer sukzessiven Öffnung seiner Person geführt und das Erscheinungsbild des Autismus reduziert, wobei das Medium "Holz" hierbei eine besondere Rolle spiele. Durch die weiter auftretenden epileptischen Anfälle sei er insbesondere auch auf eine Begleitung bei seinen Waldspaziergängen und handwerklichen Tätigkeiten mit dem Werkstoff "Holz" angewiesen. Durch die nun mittlerweile lediglich einmal im Monat stattfindende Betreuung sei die negative Entwicklung nicht aufzufangen, da das Herstellen einer Vertrautheit zwischen der Betreuungsperson und ihm wegen der großen Zeitintervalle eine deutlich längere Zeit für ihren Aufbau benötige. Zur Bestätigung seines Vorbringens hat er
u. a. eine Stellungnahme von Frau G., stellvertretende Einrichtungsleiterin der Lebenshilfe GF. e.V., vom 15. Mai 2007 und einen Arztbrief aus dem Universitätsklinikum GF. und PM. vom 11. September 2007 vorgelegt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 25. April 2007 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm ab Antragseingang bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten der ambulanten Betreuung durch den Familienunterstützenden Dienst der Lebenshilfe GF. e.V. im Umfang von 13 Stunden pro Monat zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bezieht sich im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen auf sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren und trägt ergänzend vor, dass die dargestellten derzeitigen Probleme des Antragstellers mit der Beschränkung der Betreuung allein darin begründet seien, dass die Betreuung auf einmal im Monat beschränkt werde und eine anderweitige Betreuung (etwa dreimal 1 Stunde pro Monat) von dem Antragsteller nicht in Betracht gezogen würde. Auch durch die vorgelegten medizinischen Unterlagen werde eine Ursächlichkeit zwischen der vorgetragenen Reizbarkeit des Antragstellers und der Reduzierung der Betreuungsstunden nicht belegt.
Das Gericht hat Auskünfte bei der Werkstatt für Behinderte Menschen in E-Stadt eingeholt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte sowie der Behördenakte Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens waren.
II.
Die gemäß § 172 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthafte sowie gemäß § 173
SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.
Das Sozialgericht hat den zulässigen Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht in vollem Umfang abgelehnt.
Nach § 86b
Abs. 2 Satz 2
SGG kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache - möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind dabei von dem Antragsteller glaubhaft,
d. h. überwiegend wahrscheinlich, zu machen, § 86b
Abs. 2 Satz 2
SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung (
ZPO). Zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund besteht dabei eine Wechselbeziehung, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit
bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhanges ein bewegliches System: Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist und verfassungsrechtliche Belange des Antragstellers berührt sind, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchen Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. Juni 2005 , L 7 AS 1/ 05 ER; Beschluss vom 5. Februar 2007, L 9 AS 254/06 ER; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02; Meyer-Ladewig,
SGG, 8. Auflage, § 86b,
Rdnr. 16c, 27 und 29
m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist im vorliegenden Fall überwiegend wahrscheinlich, dass für den Antragsteller ein Anordnungsanspruch im tenorierten Umfang gegeben ist.
Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Kosten der ambulanten Betreuung durch den Familienunterstützenden Dienst der Lebenshilfe GF. e.V. ist
§ 53 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, Abs. 4 und
§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) i.V.m. § 26 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von
§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann, § 53
Abs. 1 Satz 1
SGB XII. Hierbei handelt es sich um eine "Muss-Leistung" mit Rechtsanspruch des behinderten Menschen (Schellhorn, Kommentar zum
SGB XII, 17. Auflage, § 53
Rdnr. 18). Die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es dabei, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen, § 53
Abs. 3
SGB XII.
Dass der Antragsteller körperlich behindert im Sinne von § 53
Abs. 1 Satz 1
SGB XII i.V.m. § 2
Abs. 1 Satz 1
SGB IX ist, räumt der Antragsgegner selbst ein. Hieran bestehen angesichts der vorliegenden medizinischen Unterlagen auch für den Senat keine Zweifel. Dass die von der Lebenshilfe GF. e.V. durchgeführte Betreuung im Rahmen des Familienentlastenden Dienstes geeignet und erforderlich ist, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen, wird gleichfalls von dem Antragsgegner nicht in Frage gestellt.
Im Streit steht damit allein die Frage des zeitlichen Umfangs der Betreuung des Antragstellers.
Nach der Auffassung des Senats ist dabei der von dem Antragsgegner zuerkannte Umfang von 3 Stunden im Monat nicht als ausreichend anzusehen. Seit der Reduktion der Stundenzahl ist es für den Senat nachvollziehbar bereits zu einer Verschlechterung der personellen Interaktionen und Beziehungen des Antragstellers und seiner Teilhabe am Gemeinschafts- und sozialen Leben gekommen. Hierbei stützt sich der Senat auf den Arztbrief von
Prof. Dr. AAM. vom 17. Dezember 2006, das ärztliche Attest der Hausärzte Dres. M./B. vom 7. Februar 2007 und auf den Arztbrief aus dem Universitätsklinikum GF. und PM. vom 11. September 2007. Ausweislich der medizinischen Unterlagen leidet der Antragsteller, bedingt durch das Krankheitsbild einer Epilepsie mit autistischer Verhaltensstörung und leichter Intelligenzminderung, an depressiven und aggressiven Phasen, die zum großen Teil auf fehlende soziale Kontakte zurückzuführen sind. Nach den Dres. M./B. war es möglich, diese Phasen durch die Betreuungsstunden stark zu reduzieren. Seit der Verringerung der Betreuungsstunden sind verstärkt aggressive Ausbrüche des Antragstellers aufgetreten. So hat der Antragsteller am 27. September 2006 in der Werkstatt für behinderte Menschen völlig unerwartet mit einem scharfen Blech auf einen anderen Schwerbehinderten eingeschlagen, sodass dieser am Kopf genäht werden musste. Am 17. November 2006 hat der Antragsteller ausweislich des von der Werkstatt für behinderte Menschen in E-Stadt beigezogene Mitarbeitertagebuches erneut jemanden körperlich attackiert. Auch am 30. März 2007 und am 13. August 2007 ist es danach zu Streitigkeiten in der Werkstatt gekommen.
Dr. S. vom Sozialen Dienst der Werkstatt für behinderte Menschen hat diese Entwicklung des Antragstellers im Rahmen seiner Stellungnahme vom 24. Oktober 2007 im Weiteren bestätigt. Nach seiner Auffassung ist der Kläger, auch bedingt durch seine Sprachschwierigkeiten, nur begrenzt dazu in der Lage, seine Probleme zu verbalisieren und leicht kränkbar. Nur durch eine enge Bezugsperson und den entsprechenden sozialen Kontakt ist er leichter lenk- und führbar, was seit der Reduktion der Betreuungsstunden nur noch begrenzt der Fall ist.
Welcher genaue zeitliche Aufwand an Betreuungsstunden notwendig ist, um die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen, lässt sich ohne ein Sachverständigengutachten auf psychiatrischem und
evtl. auch auf psychologischem Fachgebiet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht feststellen. Entsprechend der auf der Grundlage von § 60
SGB XII erlassenen Eingliederungshilfeverordnung (EinglH-VO) sollen deshalb auch durch die Behörde bei der Prüfung von Art und Umfang der in Betracht kommenden Maßnahmen der Eingliederungshilfe ein Arzt, ein Pädagoge, jeweils der entsprechenden Fachrichtung, ein Psychologe oder sonstige sachverständige Personen gehört werden (
§ 24 EinglH-VO). Diese vollständige Aufklärung der Sachlage ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren unter Berücksichtigung einerseits der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers und andererseits der Gutachtenslaufzeiten nicht möglich und muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Angesichts der bereits eingetretenen Beeinträchtigungen für den Antragsteller und der Gefahr einer weiteren Verschlechterung ist diesem auch unter Berücksichtigung seiner grundrechtlichen Belange der Menschenwürde (
Art. 1 Grundgesetz -
GG -) und des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (
Art. 2
GG) nebst dem Benachteiligungsverbot nach
Art. 3
GG, das gerade auch die Teilhabe als behinderter Mensch beinhaltet, ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar (
vgl. zur Grundrechtsrelevanz: Maunz-Dürig-Herzog/Herdegen, Kommentar zum
GG, Stand: März 2006,
Art. 1
Rdnr. 49; Sachs/Osterloh, Kommentar zum
GG, 4. Auflage,
Art. 3
Rdnr. 306). Bei dem Umfang der Betreuungsstunden war nach der Auffassung des Gerichts zu berücksichtigen, dass der Antragsteller aufgrund des Krankheitsbildes des Autismus einer regelmäßigen wöchentlichen Betreuung bedarf, wobei hierbei neben der sog. "Aufwärmphase" zu dem Betreuer als verlängernder Zeitfaktor zusätzlich die An- und Abwege in den Wald zu berücksichtigen sind, sodass 2,5 Stunden wöchentlich für den erkennenden Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorläufig als ausreichend erscheinen. Hierbei stützt sich der Senat auf die ausführliche Stellungnahme von Frau G. von der Lebenshilfe GF. e.V. und auf das vorgelegte Attest von den Hausärzten des Antragstellers, den Dres. M./B.
Für eine Kostenübernahme der ambulanten Betreuung durch den Familienunterstützenden Dienst der Lebenshilfe GF. e.V. ab Antragseingang beim Sozialgericht Gießen fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Betreuungsleistungen für abgelaufene Zeiträume sind nicht mehr möglich und haben im vorliegenden Fall tatsächlich auch nicht stattgefunden.
Unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Verfahrensbeschleunigung im Rahmen der einstweiligen Anordnung war es nicht geboten, im vorliegenden Fall auf einen weiteren Vortrag der Beteiligten noch länger zu warten, zumal der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers bereits mit Schriftsatz vom 1. November 2007 von Seiten des Gerichts aufgefordert wurde, zu der am 31. Oktober 2007 bei Gericht eingegangenen Stellungnahme des Antragsgegners Stellung zu nehmen. Trotz Einräumens einer einwöchigen Fristverlängerung mit gerichtlichem Schreiben vom 9. November 2007 ist bei Gericht bisher keine Stellungnahme eingegangen. Von seiner Natur her verlangt der einstweilige Rechtsschutz von allen Beteiligten eine zügige Bearbeitung, da die gewünschte rasche Entscheidung durch das Gericht wesenstypisch ist. Insoweit besteht auch eine gesteigerte Mitwirkungspflicht des Antragstellers (Hessisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 12. Dezember 2006, L 9 SO 81/06 ER und vom 23. Januar 2007, L 9 SO 97/06 ER).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193
SGG;
i. V. m. § 202
SGG, § 92
Abs.2
Nr.1
ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177
SGG unanfechtbar.