Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte im Januar 2006 zu Recht das der Klägerin ab 13.11.2005 bewilligte Arbeitslosengeld aufgehoben und die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zukunft abgelehnt hat.
Die 1956 geborene Klägerin meldete sich am 20.10.2005 arbeitslos und beantragte mit Wirkung vom 13.11.2005 Arbeitslosengeld. Sie gab an, sie sei zurzeit bis 06.11.2005 arbeitsunfähig geschrieben. Sie sei bei K. Kosmetik
GmbH in K. als Produktionsarbeiterin beschäftigt gewesen. Sie beziehe Krankengeld und werde zum 12.11.2005 ausgesteuert. Die Tätigkeit aus ihrer letzten Beschäftigung könne zwar weiter ausgeübt werden, sie könne jedoch schlecht laufen, sitzen und stehen. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei nicht erfolgt.
Mit Bescheid vom 25.11.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab 13.11.2005 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 19,40
EUR für die Dauer von 660 Kalendertagen. Eine Regelung hinsichtlich einer etwaigen Vorläufigkeit der Bewilligung enthält der Bescheid vom 25.11.2005 nicht.
Die Fachärztin für Allgemeinmedizin
Dr. E. L. erstattete am 09.12.2005 für die Agentur für Arbeit Offenburg die gutachterliche Äußerung, wobei sie den Reha-Entlassungsbericht der Klinik Ü., I. vom 19.10.2005 und einen Bericht der Dres. E./P. berücksichtigte. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Klägerin kam sie zu dem Ergebnis, diese sei derzeit nicht leistungsfähig. Unter adäquater Behandlung sollte dennoch in den nächsten sechs Monaten mit einer Stabilisierung gerechnet werden können. Bei einem am 08.12.2005 persönlich mit der Klägerin geführten Gespräch sei zu erfahren gewesen, dass die Klägerin zum 12.11.2005 aus dem Krankengeldbezug der Krankenkasse ausgesteuert und von dieser aufgefordert worden sei, sich bei der Agentur für Arbeit zu melden. Die Klägerin halte sich weiterhin für arbeits- und leistungsunfähig. Eine adäquate Schmerzbehandlung finde jedoch erst seit 14 Tagen statt.
Dr. L. empfahl die stufenweise Wiedereingliederung am noch erhaltenen Arbeitsplatz über den Rentenversicherungsträger.
Mit Bescheid vom 16.01.2006 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 25.11.2005 auf und begründete dieses damit, dass der Klägerin Arbeitslosengeld bisher nach
§ 125 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der Annahme gewährt worden sei, dass sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nur noch Beschäftigungen in einem Umfang von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausüben könne oder mindestens 15 Stunden bis unter 30 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht mehr unter Bedingungen ausüben könne, die auf dem für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsmarkt üblich seien. Zur Klärung der Leistungsfähigkeit sei am 09.12.2005 durch den Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit ein ärztliches Gutachten erstellt worden. Der Inhalt des Gutachtens sei der Klägerin bereits durch ihre Arbeitsvermittlerin (Frau W.) eröffnet worden. Es sei keine, voraussichtlich länger als sechs Monate andauernde Leistungsunfähigkeit im Sinne der Nahtlosigkeitsregelung des § 125
Abs. 1
SGB III festgestellt worden. Im Gutachten habe der Ärztliche Dienst die Leistungsfähigkeit der Klägerin mit einer voraussichtlichen fehlenden Leistungsfähigkeit bis zu sechs Monaten beurteilt. Die o.g. Nahtlosigkeitsregelung könne daher nicht weiter angewandt werden. Die Entscheidung über die Bewilligung des Arbeitslosengeldes sei daher wegen fehlender Arbeitsfähigkeit/Verfügbarkeit für die Zukunft aufzuheben. Die Zahlung des Arbeitslosengeldes habe daher ab 19.01.2006 eingestellt werden müssen. Die Rechtsgrundlage ergebe sich aus
§§ 115,
125 SGB III i.V.m. § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X). Sofern sie wieder arbeitsfähig sei, sei eine erneute Arbeitslosmeldung und Antragstellung auf Arbeitslosengeld erforderlich. Hierbei möge die Klägerin ihren behandelnden Arzt darauf aufmerksam machen, dass sich die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit gegebenenfalls nicht mehr auf die bisher ausgeübte Tätigkeit beziehe, sondern auf die Tätigkeiten, für die die Klägerin sich im Rahmen der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stelle.
Der dagegen von der Klägerin eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2006 zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 21.03.2006 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) und trug zur Begründung vor, die Beklagte habe ihr mit Bescheid vom 25.11.2005 Arbeitslosengeld bewilligt. Mit Bescheid vom 16.01.2006 habe die Beklagte ihr das zuerkannte Arbeitslosengeld wieder entzogen, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Ihre Gesundheitsstörungen seien nicht derart gravierend, dass nicht mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit innerhalb von sechs Monaten gerechnet werden könne. Diese vom Ärztlichen Dienst der Beklagten, Frau
Dr. L., aufgestellte Prognose sei bereits im Untersuchungszeitpunkt viel zu optimistisch und nicht haltbar gewesen. Die aufgestellte Prognose der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit in einem Zeitraum von weniger als sechs Monaten sei zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt gewesen.
Das SG hörte die die Klägerin behandelnden Ärzte
Dr. T., Schmerztherapie vom 18.09.06,
Dr. M.-H., Orthopäde, vom 20.09.06 und
Dr. G., Arzt für Allgemeinmedizin, vom 04.10.2006, als sachverständige Zeugen.
Die Beklagte legte die gutachtliche Stellungnahme von
Dr. L. vom 11.12.2006 vor.
Mit Schreiben vom 21.12.2006 wies das SG darauf hin, dass nach Ansicht des Gerichts wohl auch eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 25.11.2005 nach § 45
SGB X ausscheide, da dies voraussetze, dass der Begünstigte nicht auf den Bestand des Verwaltungsakts habe vertrauen dürfen. Bezüglich der Kenntnis/des Kennenmüssens der Rechtswidrigkeit nach § 45
Abs. 2 Satz 3
Nr. 3
SGB X komme es auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides, also den 25.11.2005 an.
Hierzu vertrat die Beklagte die Auffassung, dass die Klägerin mit der Erörterung der Sach- und Rechtslage anlässlich der Arbeitsberatung am 10.01.2006 gewusst habe, dass kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe, sie sei damit bösgläubig geworden. Würde die Auffassung des SG zutreffen, wonach ein eingetretenes Vertrauen durch eine spätere Kenntniserlangung nicht beseitigt werden könne, hätte dies zur Folge, dass ein später erkannter Bearbeitungsfehler nicht mehr korrigiert werden könne. Nach Auffassung der Beklagten könne die Klägerin durch Belehrung über Rechtsfolgen (keine Anwendung der Nahtlosigkeitsregelung, weil geminderte Leistungsfähigkeit voraussichtlich weniger als sechs Monate) bösgläubig gestellt werden.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.02.2007 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2006 auf. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Beklagte sei nicht befugt gewesen, den Verwaltungsakt vom 25.11.2005 zurückzunehmen oder aufzuheben. Eine Rücknahme des Arbeitslosengeld bewilligenden Verwaltungsaktes vom 25.11.2005 nach § 45
SGB X scheide aus, da die Klägerin bei Erhalt des Bewilligungsbescheides nicht bösgläubig gewesen sei. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Kennen oder Kennenmüssen nach § 45
Abs. 2 Satz 3
Nr. 3
SGB X sei der Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes, mithin also des Bescheides vom 25.11.2005. Der Klägerin könne nicht vorgehalten werden, dass sie gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass die Bewilligung von Arbeitslosengeld rechtswidrig wäre. Die Klägerin habe vielmehr auch noch im Rahmen des Klageverfahrens schlüssig vorgetragen, dass sie davon ausgegangen sei und auch ausgehe, dass die Prognose einer mehr als sechsmonatigen Leistungsminderung bereits zum 25.11.2005 bestanden habe. Im Übrigen habe auch die Beklagte selbst vorgetragen, dass bei der Klägerin erst ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des ärztlichen Gutachtens am 10.01.2006 Bösgläubigkeit eingetreten sei. Dies reiche jedoch für eine Rücknahme nach § 45
SGB X nicht aus. Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides komme auch nicht nach § 48
SGB X in Betracht, da es vorliegend bereits an einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse mangele. Eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen zwischen dem Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld (25.11.2005) und der Aufhebung der Bewilligung (16.01.2006) sei weder nachgewiesen noch von der Beklagten behauptet worden. Die Beklagte habe den gesundheitlichen Zustand der Klägerin vielmehr bei Erlass des Bewilligungsbescheides am 25.11.2005 anders beurteilt, als sie dies nach Einbeziehung des Ärztlichen Dienstes am 09.12.2005 bei gleichbleibendem Zustand der Klägerin getan habe. Eine bloß andere Bewertung eines gleichbleibenden Zustands stelle jedoch keine Änderung von Tatsachen dar.
Gegen den - der Beklagten am 28.02.2007 zugestellten - Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 27.03.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 25.11.2005 sei rechtmäßig, da die Beklagte bei ihrer Entscheidung zunächst zu Recht davon habe ausgehen dürfen, dass bei der Klägerin am 13.11.2005 die Voraussetzungen des § 125
SGB III vorgelegen hätten. Mit der Klägerin sei sie daher davon ausgegangen, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin voraussichtlich mehr als sechs Monate gemindert sein würde. Nach dem Gesetz bestehe grundsätzlich nur dann ein Anspruch auf Arbeitslosengeld im Rahmen der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung nach § 125
SGB III. Erstmals mit der Einholung des Gutachtens von
Dr. L. sei unter Berücksichtigung von Fremdbefunden am 09.12.2005 eine ärztliche Prognoseentscheidung gefällt worden, dass die Leistungsfähigkeit voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten wiederhergestellt werden könne. Die Verhältnisse, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 25.11.2005 vorgelegen hätten, hätten sich entgegen der Auffassung des SG auch im Sinne des § 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X geändert. Ausschlaggebend dafür sei nicht, zu welchem Zeitpunkt die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen oder gesundheitlichen Leistungseinschränkungen vorgelegen hätten, entscheidend sei vielmehr die Feststellung zu den konkreten Auswirkungen der Gesundheitsstörungen oder Leistungseinschränkungen der Klägerin auf die Vermittlungsfähigkeit durch den Fachdienst der Beklagten. Diese Feststellungen seien aber erst mit dem Gutachten der Arbeitsamtsärztin
Dr. L. am 09.12.2005 getroffen worden. Die Arbeitsamtsärztin habe die gesundheitliche Leistungsfähigkeit gerade im Hinblick auf ihre Vermittelbarkeit in Arbeit mit der dafür notwendigen spezifischen Sachkunde beurteilt und der Beklagten die notwendigen Erkenntnisse erstmals verschafft. Die Beklagte sei nach alledem gemäß § 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X berechtigt gewesen, im Hinblick auf die erstmals erfolgte Begutachtung durch eine Arbeitsamtsärztin die getroffene Entscheidung - Bewilligung von Arbeitslosengeld - mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Februar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144
SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Freiburg mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 20.02.2007 den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2006 aufgehoben, da die Voraussetzungen zur Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zukunft ab 19.01.2006 weder nach § 48
SGB X noch nach § 45
SGB X erfüllt sind.
Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides die Sach- und Rechtslage ausführlich, zutreffend und überzeugend dargelegt. Der Senat stimmt hiermit in vollem Umfang überein. Er weist deshalb die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153
Abs. 2
SGG).
Der Senat ist im Übrigen der Ansicht, dass die Voraussetzungen für die sich aus § 125
SGB II ergebende Fiktion der objektiven Verfügbarkeit erfüllt sind, solange - bei nicht festgestellter verminderter Erwerbsfähigkeit - nicht zweifelsfrei eine nur vorübergehende, also nicht mehr als 6-monatige Verminderung der Leistungsfähigkeit vorliegt (
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.08.2006, L 4 AL 57/04,
m.w.N., zit. nach juris). Damit genügt bei arbeitsmedizinisch festgestellter Leistungsunfähigkeit die Erwartung, dass "unter adäquater Behandlung ... in den nächsten sechs Monaten mit einer Stabilisierung gerechnet werden könne", bei weitem nicht, um die Voraussetzungen des § 125
SGB II zu verneinen.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach Erlass des bewilligenden Bescheides vom 25.11.2005 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinne des § 48
SGB X nicht eingetreten ist. Vor Erlass des bewilligenden Bescheides war von der Beklagten eine Prognoseentscheidung zu treffen, ob nämlich die Leistungsfähigkeit der Klägerin voraussichtlich mehr als sechs Monate gemindert sein würde. Anlass hierzu bestand insbesondere deshalb, weil die Klägerin ihre Krankheitszeiten (02.11.1999 bis 06.02.2000; 11.06.2001 bis 08.02.2002; 20.09.2004 bis 12.11.2005) mitgeteilt und der Beklagten auch das Schreiben der
AOK Ortenau vom 11.10.2005 über das Ende des Krankengeldbezuges zum 12.11.2005 übersandt hatte. Diese Prognoseentscheidung ist vor Erlass des bewilligenden Bescheides getroffen worden in dem Sinne, dass die Beklagte entschieden hat, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin voraussichtlich mehr als sechs Monate gemindert sein werde. Vorliegend hat die Beklagte innerhalb von zwei Monaten eine erneute Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin vorgenommen und damit eine zweite Prognoseentscheidung - diesmal mit einem anderen Ergebnis - getroffen. Damit hat die Beklagte lediglich ihre Meinung innerhalb von zwei Monaten geändert. Eine nachträgliche Meinungsänderung stellt aber keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48
SGB X dar und berechtigt damit nicht zur Aufhebung von Bewilligungsbescheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.