Urteil
Prognoseentscheidung des Unfallversicherungsträgers bei Einstellung des Verletztengeldes

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat


Aktenzeichen:

L 3 U 78/12


Urteil vom:

14.03.2013


Grundlage:

  • SGB VII § 46

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Einstellung des ihr von der Beklagten gewährten Verletztengeldes.

Die Klägerin wurde 1970 geboren. Sie arbeitete bis zum 24. Juli 1997 als Krankengymnastin. Sie stürzte am 25. Juli 1997 auf dem Weg zu einem Hausbesuch mit dem Fahrrad und zog sich eine Verletzung ihres linken Knies zu, vgl. Unfallschilderung nebst von der Klägerin ausgefülltem Fragebogen vom 30. Juli 1998. Die Beklagte erkannte das Ereignis als Arbeitsunfall an. Die Krankenkasse der Klägerin zahlte ihr ab 01. Dezember 1997 im Auftrag der Beklagten Verletztengeld aus. Sie unterzog sich u.a. am 02. Dezember 1997 einer Arthroskopie mit einer Resektion des medialen Meniskushinterhorns mit Knorpelshaving, vgl. Operationsbericht vom 03. Dezember 1997. Es stellte sich ein komplizierter Heilungsverlauf mit heftigen Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und mit weiteren arthroskopischen Behandlungen ein, vgl. etwa Berichte des M-Krankenhauses vom 11. und 23. Dezember 1998, von Dr. M vom 17. März 1999 und der H-stiftung vom 03. Mai und 12. September 2000.

Im Herbst 2000 nahm die Klägerin halbtags ihre Tätigkeit als Krankengymnastin zunächst wieder auf. Sie litt in der Folgezeit so starke Schmerzen, vgl. Bericht von Dr. M vom 14. Mai 2001, des M-Krankenhauses vom 26. April 2001 und wiederum von Dr. M vom 11. und 10. Juli 2001 (mit Operationsbericht), dass sie ihre Tätigkeit wieder aufgeben musste. Ab 30. April 2001 war die Klägerin (wg. Kontraktursyndrom am linken Kniegelenk) durchgehend krank geschrieben. Spätestens ab 11. Juni 2001 zahlte die Krankenkasse im Auftrag der Beklagten ihr wieder Verletztengeld aus.

Mit Bescheid vom 23. Februar 2004 gewährte ihr die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet vom 01. März 2003 bis zum 31. August 2005, nachdem die BfA im Rentenverfahren u.a. Gutachten von Dr. R vom 02. Oktober 2002, wonach die Klägerin den ausgeübten Beruf als Physiotherapeutin aktuell nicht mehr einsetzbar sei, und Dr. Z vom 13. August 2003, wonach die berufliche Tätigkeit der Krankengymnastin ihr eindeutig nicht mehr zumutbar sei und eine Wegstreckenbegrenzung vorliege, eingeholt hatte.

Unter dem 30. Juni 2004 berichtete Dr. W von der Charité, dass die Dauer der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht gut abgeschätzt werden könne. Insgesamt sei es eher fraglich, ob die Patientin jemals wieder in der Lage sein werde, im Gesundheitsdienst zu arbeiten. Unter dem 30. Mai 2005 berichtete der Durchgangsarzt Dr. E, dass bei der Klägerin eine Umstellungsosteotomie durchgeführt werden müsse. Die Klägerin selbst äußerte sich mit Schreiben vom 01. Juni 2005 dahingehend, mit einem Innenmeniskusersatz versorgt werden zu wollen. Dr. B von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in M erstattete mit Schreiben vom 24. Juni 2005 dahingehend Bericht, der Klägerin eine valgisierende Umstellungsosteotomie am linken Schienbeinkopf vorgeschlagen worden sei. Dr. M erachtete die Klägerin in einem für die BfA unter dem 16. August 2005 erstellten Gutachten in ihrer Tätigkeit als Physiotherapeutin für vollschichtig einsetzbar. Dr. B vom Klinikum der Universität M berichtete unter dem 22. August 2005, dass der Klägerin eine Mobilisation der Patellasehne und gleichzeitig eine Schienenquengelbehandlung vorgeschlagen worden sei, wohingegen sie auf einen Innenmeniskusersatz fixiert sei. Die Klägerin schrieb unter dem 01. Oktober 2005, aus eigener Kraft überhaupt nicht wegefähig zu sein und mehrmals täglich vor Schmerzen ohnmächtig zu werden. Unter dem 15. November 2005 berichtete Prof. Dr. L von der Hstiftung, keine Indikation zu einer erneuten operativen Intervention zu sehen, auch nicht zur Umstellungsosteotomie. Unter dem 11. Juli 2005 berichtete der Berufshelfer über ein Gespräch mit der Klägerin am 08. Juli 2005. Dort habe die Klägerin geschildert, dass sie weiterhin keine Belastungen auf das Kniegelenk übertragen könne. Sie sei an zwei Unterarmgehstützen mobilisiert und habe sich nunmehr mit der Frage der weiteren medizinischen Heilbehandlung erneut an Dr. M in M gewandt.

Mit Schreiben vom 27. September 2005 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Einstellung des Verletztengeldes an.

Die Beklagte stellte das Verletztengeld mit Bescheid vom 07. Oktober 2005 ein. Sie führte zur Begründung aus, dass die Klägerin aufgrund ihres Arbeitsunfalls seit 1997 dauerhaft arbeitsunfähig sei. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere der Berichte aus der Unfallklinik M und von Dr. B, Uniklinik M, sei mit einem Eintritt der Arbeitsfähigkeit nicht mehr zu rechnen. Dr. B aus der Unfallklinik M und Dr. B sähen als letzte Möglichkeit für den Eintritt der Arbeitsfähigkeit eine Umstellungsosteotomie. Eine solche komme allerdings nicht in Betracht, weil die Klägerin nach dem Gespräch mit Dr. B einen solchen Eingriff ablehne. Für die von der Klägerin vorgeschlagene Innenmeniskusersatzversorgung bestehe bisher keine ausreichende medizinische Indikation. Insgesamt bestehe keine sachlich begründet medizinische Prognose dafür, dass Arbeitsfähigkeit für die von ihr zuletzt ausgeübte Tätigkeit wieder eintrete. Die medizinischen Möglichkeiten seien ausgeschöpft. Wie in dem persönlichen Gespräch mit der Klägerin vom 08. Juli 2005 habe festgestellt werden können, kämen derzeit qualifizierende berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht in Betracht. Die Klägerin selbst äußere sich dahingehend, dass sie sich dazu nicht in der Lage sehe. So sei weder mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen noch kämen berufsfördernde Leistungen in Betracht.

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 24. Oktober 2005 Widerspruch, welchen die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07. Dezember 2006 zurückwies. Sie hielt an der Begründung aus dem Ausgangsbescheid fest und führte ergänzend aus, Dr. W von der Charité habe bereits in seinem Zwischenbericht vom 30. Juni 2004 mitgeteilt, dass die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht gut abgeschätzt werden könne und es insgesamt eher fraglich sei, ob die Klägerin jemals wieder in der Lage sei, im Gesundheitsdienst zu arbeiten. Als letzte Möglichkeit habe Dr. W in seinem Bericht vom 08. Juli 2004 eine Gelenkarthroskopie zur Behebung der rezidivierenden Einklemmungen gesehen. Bei fehlendem Erfolg dieser Maßnahme habe er einen Endzustand als erreicht und weitere chirurgische Interventionen nicht als erfolgversprechend angesehen. Am 11. November 2004 habe er dann mitgeteilt, dass die Klägerin auch nach dieser Operation weiterhin über Einklemmungserscheinungen klage, so dass er die weiteren Erfolgsaussichten hinsichtlich einer vollständigen Konsolidierung als vielversprechend ansehe. Eine Indikation zu einer erneuten operativen Intervention habe er nicht gesehen. Im April 2005 habe Dr. E vorgeschlagen, die Durchführung einer Umstellungsosteotomie vorzunehmen, die die Klägerin allerdings abgelehnt habe. Dies sei auch dem Bericht von Dr. B von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M vom 24. Juni 2005 zu entnehmen. Es sei mitgeteilt worden, dass nach 8-jähriger Behandlung zu Recht von einem nicht mehr verbesserungsfähigen Endzustand auszugehen sei und eine entsprechende Berufshilfemaßnahme einzuleiten sei. Aufgrund einer Vorstellung der Klägerin am 03. August 2005 bei Prof. Dr. B vom Klinikum der Universität M sei vorgeschlagen worden, eine erneute Mobilisation der Patellasehne und gleichzeitig eine Schienenquengelbehandlung durchzuführen. Nach Aussage von Prof. Dr. B wäre dann die Indikation seiner Umstellungsosteotomie zu prüfen gewesen, sobald eine vollständige Streckung im linken Kniegelenk möglich gewesen sei. Nach Mitteilung von Prof. Dr. B habe sich die Klägerin jedoch nicht für die Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahme entscheiden können; sie habe stattdessen einen Innenmeniskusersatz bevorzugt. Prof. I der Abteilung und Poliklinik für Sportorthopädie M habe in seinem Bericht vom 11. Juli 2005 keine Indikation für eine Operation, definitiv keine für eine Meniskustransplantation aber auch keine für eine Osteotomie gesehen. Im Übrigen habe auch Dr. L vom Hstift H mitgeteilt, keine Indikation zu einer erneuten operativen Intervention zu sehen. Demgegenüber habe die Klägerin in einem Schreiben vom 15. Oktober 2005 mitgeteilt, eine Osteotomie nie abgelehnt zu haben. Sie habe ausgeführt, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen nutzlos und nicht erfolgversprechend seien und dass sie dies abgelehnt hätte.

Die Beklagte gewährte der Klägerin im Anschluss an die Einstellung des Verletztengelds mit Bescheid vom 07. Juli 2006 eine Verletztenrente. Wegen des zugrunde zu legenden Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist beim Senat ein weiteres Berufungsverfahren (L 3 U 265/09) anhängig.

Die Klägerin hat am 20. Dezember 2006 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben und zur Untermauerung ihres Vorbringens ein Gutachten von Dr. D, welches er für die Agentur für Arbeit erstellte hatte, einen Auszug aus dem Rentengutachten von Dr. M und einen Bericht von Prof. Dr. B, wonach eine Rückkehr in ihren Beruf möglich erscheine, vorgelegt.

Zwischenzeitlich hat der Beratungsarzt der BfA L unter dem 07. Februar 2007 ausgeführt, man müsse von Wegeunfähigkeit aus orthopädischen Gründen ausgehen. Damit entfielen auch alle Reha-Überlegungen. Dr. E führte in einem im Sozialrechtsstreit S 25 U 596/07 unter dem 15. April 2008 erstellten Gutachten aus, man könne an der Klägerin eine Versteifungsoperation vornehmen. Dann wäre die Klägerin in ihrem Beruf als Physiotherapeutin mit leichter Behinderung voll einsatzfähig.

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 09. Juni 2009 die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. März 2012 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Einstellung der Verletztengeldzahlungen ab dem 12. Oktober 2005 bereits über 78 Wochen ununterbrochen arbeitsunfähig gewesen sei. Dies sei zumindest ab dem 30. April 2001 der Fall gewesen. Bei objektiver Betrachtung habe zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 07. Oktober 2005 nicht mehr damit gerechnet werden können, dass die Klägerin in ihrem Beruf als Physiotherapeutin wieder arbeitsfähig werde. Die Beklagte habe in ihrem Widerspruchsbescheid vom 07. Dezember 2006 ausführlich und zutreffend dargelegt, aus welchen Gründen acht Jahre nach dem Arbeitsunfall und fortbestehenden schwerwiegenden Funktionseinschränkungen des linken Kniegelenks trotz vielfacher Operationen spätestens mit dem im zweiten Halbjahr 2004 und dem Jahr 2005 gescheiterten Behandlungsversuchen nicht mehr habe damit gerechnet werden können, dass weitere Therapiemaßnahmen in absehbarer Zeit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dazu führen können, dass die Klägerin wieder arbeitsfähig als Physiotherapeutin und Krankengymnastin werde. Ergänzend sei anzumerken, dass die Entscheidung der Beklagten auch durch die Ermittlungen des Rentenversicherungsträgers bestätigt würden. Dort habe Dr. Z bereits in seinem Gutachten vom 13. August 2003 ausgeführt, dass der Klägerin eine Tätigkeit im ausgeübten Beruf als Physiotherapeutin bzw. Krankengymnastin nicht mehr zugemutet werden könne. In einem weiteren Gutachten vom 27. Januar 2007 habe er dann nachvollziehbar und überzeugend dargelegt und begründet, dass sich die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin seit seinem letzten Gutachten nicht verbessert habe und es auch bei einer Wiedererlangung der Gehfähigkeit durch eine Versteifung des linken Kniegelenks in Funktionsstellung unwahrscheinlich, dass die Klägerin jemals wieder als Krankengymnastin bzw. Physiotherapeutin arbeiten könne. Die den Aussagen von Dr. Z widersprechenden prognostischen Einschätzungen von Dr. E in seinem im Klageverfahren S 25 U 596/07 erstellten Sachverständigengutachten vom 15. April 2008 erschlössen sich der Kammer nicht. Letztlich komme es aber auf die tatsächlichen Erfolgsaussichten einer Versteifungsoperation nicht an. Denn diese sei von der Klägerin offensichtlich nicht gewollt. Auch lasse sich in dem Gutachten von Dr. M vom 16. August 2005 kein Schluss auf eine behebbare Arbeitsunfähigkeit ziehen. Zutreffend habe u.a. der Beratungsarzt L in seiner Stellungnahme vom 07. Februar 2007 kritisiert, dass die Bewertung von Dr. M in Anbetracht der erhobenen Kniebefunde mit schwergradigen Einschränkungen der Funktionalität des linken Beines und aufgehobener Wegefähigkeit nicht praxisgerecht sei. Schließlich sei auch als weitere Voraussetzung für die Einstellung der Verletztengeldzahlungen das Fehlen eines Anspruchs auf berufsqualifizierende Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllt. Die Klägerin selbst habe immer wieder auch im vorliegenden Klageverfahren vorgebracht, dass ihr derzeitiger gesundheitlicher Zustand berufliche Qualifizierungsmaßnahmen nicht zulasse. Dies entspreche auch der beratungsärztlichen Stellungnahme von L vom 07. Februar 2007, wonach bei aufgehobener Wegefähigkeit alle Reha-Überlegungen entfielen. Es wäre im Übrigen im höchsten Maße widersprüchlich, der Klägerin eine mittlerweile unbefristete Rente wegen eines aufgehobenen beruflichen Leistungsvermögens nicht nur als Physiotherapeutin oder Krankengymnastin, sondern auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu gewähren und sie gleichzeitig für eine beruflichen Tätigkeit zu qualifizieren.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 31. März 2012 zugestellten Gerichtsbescheid am 27. April 2012 Berufung erhoben. Sie verweist zur Untermauerung ihres Vorbringens auf die Begründung des eine unbefristete Rente ablehnenden Bescheides des Rentenversicherungsträger, wonach nach sie im erlernten Beruf vollschichtig belastbar sei. Ihre finanzielle Situation stehe einem Verzicht auf das Verletztengeld entgegen. Ihr Versicherungsfall sei unzureichend bearbeitet worden. Seit Ende 2001 sei der öffentliche Personennahverkehr für sie nicht mehr erreichbar. Seit Anfang 2004 sei sie nicht mehr in der Lage, das Haus ohne fremde Hilfe zu verlassen. Sie habe einen Anspruch auf Wohnungshilfe, welchem die Beklagte bislang nicht nachgegangen sei. Sie habe keine Fahrerlaubnis. In vielen Bereichen des Gesundheitswesens sei sie weiterhin einsetzbar. Für die Aufnahme einer beruflichen Rehabilitation müsse die medizinische Rehabilitation zwingend abgeschlossen worden sein, was hier nicht der Fall sei. Ihr stehe eine Rente zumindest nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit vom 100 v.H. zu.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat mit Beschluss vom 17. Januar 2013 den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die aus den Rentenakten gefertigten Auszüge verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Berlin Bescheid vom 26.03.2012 - S 67 U 319/10

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung der Klägerin darf der Berichterstatter aufgrund des Übertragungsbeschlusses des Senats vom 17. Januar 2013 als Einzelrichter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden, § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht. Die Beklagte hat die Verletztengeldzahlung zu Recht eingestellt. Die Einstellung ist nach der hierfür maßgeblichen Rechtsgrundlage in § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) gerechtfertigt.

Nach dieser Vorschrift endet das Verletztengeld, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung.

Diese Voraussetzungen liegen vor.

Sämtlichen Tatbeständen für ein Ende des Verletztengeldanspruchs in § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB VII ist gemein, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist, d.h. mit der Beendigung der infolge des Versicherungsfalls eingetretenen Arbeitsunfähigkeit zumindest für die nächsten 78 Wochen nicht zu rechnen sein darf. Weiterhin darf zum Zeitpunkt der Entscheidung kein Anspruch auf berufsfördernde Leistungen, die einen Anspruch auf Übergangsgeld auslösen, bestehen. Liegt weder ein Ende des Verletztengeldanspruchs nach Nr. 1 oder nach Nr. 2 von § 46 Abs. 3 Satz 2 vor und sind auch die für alle drei Tatbestände gemeinsamen Voraussetzungen nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII nicht gegeben, so tritt auch nach Nr. 3 der Vorschrift allein wegen des Ablaufs der Frist von 78 Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit kein Ende des Verletztengeldanspruchs ein, sondern Verletztengeld ist über die 78. Woche hinaus zu zahlen. Das Ende des Verletztengeldanspruchs nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII ist durch Verwaltungsakt festzustellen, weil es eine Prüfung im Sinne einer Prognoseentscheidung erfordert, die nicht durch die Gerichte ersetzt werden kann (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. September 2005 - B 2 U 4/04 R -, zitiert nach juris Rn. 41 f.).

Dies zugrunde gelegt durfte die Beklagte in der Tat zunächst im Rahmen der von ihr anzustellenden Prognoseentscheidung davon ausgehen, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen war. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Behördenentscheidung unstreitig und eben auch nach Kenntnis der Beklagten durch ihre Knieverletzung so stark beeinträchtigt, dass sie einer wie auch immer gearteten beruflichen Tätigkeit, mithin auch der derjenigen als Krankengymnastin nicht nachgehen konnte, ohne dass für die Beklagte angesichts der ihr vorliegenden ärztlichen Befunde eine Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin absehbar war. Sie war so schwer beeinträchtigt, dass sie ohne fremde Hilfe ihre Wohnung nicht verlassen konnte und eigenen Angaben zufolge mehrfach täglich Ohnmachtsanfälle erlitt. Dabei waren sich die Ärzte in ihren gegenüber der Beklagten abgegebenen Stellungnahmen bzw. in den von der Beklagten ermittelten Arztbriefe und Berichte uneins über Art und Erfolgsaussichten einer Weiterbehandlung der Klägerin. Hier wird zunächst von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, weil der Begründung des Ausgangsbescheids und des Widerspruchsbescheids zu folgen ist, § 136 Abs. 3 SGG. Hieraus hat die Beklagte den zutreffenden und plausiblen Schluss gezogen, dass mit einer alsbaldigen, d.h. innerhalb von 78 Wochen eintretenden Arbeitsfähigkeit der Klägerin nicht zu rechnen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den hierfür zugrunde zu legenden Sachverhalt unzureichend ermittelt oder den Zweck der Norm verkannt haben könnte, sind nicht ersichtlich.

Ferner waren im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidungen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen, wie es § 46 Abs. 3 Satz 2 vor Nr. 1 SGB VII für die Beendigung des Verletztengeldanspruchs weiterhin verlangt. Ob solche Leistungen zu erbringen waren, ist von den Erfolgsaussichten, dem Alter und weiteren Umständen im Zeitpunkt der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers abhängig (BSG, a.a.O. Rn. 42). Dementsprechend sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen, wenn die Versicherte aus medizinischen Gründen beruflich nicht rehabilitationsfähig ist (Lehr- und Praxiskommentar - SGB VII, 3. Auflage 2011, § 46 Rn. 12).

Dies zugrunde gelegt waren Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben schon deshalb nicht zu erbringen, weil die Klägerin unstreitig damals jedenfalls bis auf Weiteres nicht in der Lage war, ihre Wohnung eigenständig zu verlassen. Dementsprechend schlüssig sprach bereits Dr. Z in seinem für den Rentenversicherungsträger erstatteten Gutachten vom 13. August 2003 von einer Wegstreckenbegrenzung und führte der Beratungsarzt L unter dem 07. Februar 2007 aus, dass die Klägerin nicht rehabilitationsfähig sei. Die Klägerin sah und sieht sich selbst - unter Hinweis auf das Fehlen einer geeigneten medizinischen Rehabilitation - außerstande, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Anspruch zu nehmen. Im Übrigen wird hier von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, weil die Berufung aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids als unbegründet zurückzuweisen ist, § 153 Abs. 2 SGG.

Schließlich liegt auch die Einzelvoraussetzung nach § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 vor, nämlich der Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung. Für die Frage der stationären Behandlung kommt es nur auf die primäre stationäre Behandlung, nicht aber auf Nachbehandlungen an (vgl. etwa Nehls in Hauck, SGB VII, Kommentar, Stand Januar 2013, K § 46 Rn. 16).

Dies zugrunde gelegt bestehen vorliegend keine Zweifel daran, dass die Klägerin, welche bereits ab spätestens 30. April 2001 durchgehend arbeitsunfähig war, und zwar außerhalb einer primären stationären Krankenhausbehandlung, dass die 78 Wochen gemäß der vorstehenden gesetzlichen Regelung abgelaufen waren.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass in der Tat auch, wie es sich aus der Formulierung in § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ("im Übrigen") ergibt bzw. wie eben hieraus zu fordern ist (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 40), die vorrangigen Beendigungsgründe nach § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB VII hier nicht vorliegen.

Soweit § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VII für das Ende des Verletztengeld auf den Tag abstellt, an dem die Heilbehandlung soweit abgeschlossen ist, dass die Versicherten eine zumutbare, zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen können, hat weder die Beklagte das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der vorstehenden zu berücksichtigenden Merkmale bejaht noch ist ihre Erfüllung sonst ersichtlich. Die Klägerin sah sich im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits schlichtweg außerstande, ihre Wohnung selbständig zu verlassen. Für die Benennung einer konkret zumutbaren Verweisungstätigkeit durch die Beklagte, wie sie für die Anwendung der Vorschrift zu fordern ist (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Oktober 2007 - L 3 U 24/07 -, zitiert nach juris Rn. 33; vgl. auch Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 75. Ergänzungslieferung 2012, § 46 SGB VII Rn. 13), ist nichts ersichtlich.

Schließlich liegt auch kein Einstellungsgrund nach § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VII vor, wonach für das Ende des Verletztengeldes auf den Beginn der in § 50 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) genannten Leistungen wie insbesondere Versichertenrenten abzustellen ist, es sei denn, dass diese Leistungen mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehen. Soweit die Klägerin in den Genuss einer Erwerbsminderungsrente kam, ist dies gerade auch den gesundheitlichen Folgen des vorliegenden Versicherungsfalls geschuldet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegt.

Referenznummer:

R/R6317


Informationsstand: 31.10.2014