Urteil
Einstweiliger Rechtsschutz - Kein Anspruch auf vorläufige Zahlung eines Zuschusses zum Erwerb eines Kfz und zu den Kosten eines behinderungsbedingten Umbaus

Gericht:

SG Augsburg 8. Kammer


Aktenzeichen:

S 8 U 96/13 ER


Urteil vom:

21.06.2013


Grundlage:

  • SGB VII § 40 |
  • KfzHV |
  • SGB X § 23 Abs. 1 S. 2 |
  • SGG § 86b Abs. 2 S. 54 |
  • ZPO § 929

Tenor:

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung noch Kraftfahrzeughilfe von der Antragsgegnerin.

Der 1965 geborene Antragsteller (Ast) kam am 27. Juli 2007 von der Fahrbahn ab und leidet seitdem vor allem an einer kompletten Paraplegie unterhalt des Brustwirbelköpers 6. Der Ast war bei dem Unfall auf dem Weg zum Ankauf eines Kraftfahrzeugs (Kfz) für die Firma, deren allein geschäftsführender Gesellschafter er damals war. Weil die Antragsgegnerin (Ag) von einem formalen Versicherungsverhältnis des Ast ausging, bewilligte sie ihm in der Folge wegen des Unfalls verschiedene Entschädigungsleistungen, u.a. stellte sie eine Verletztenrente fest. Eine vor diesem Gericht angestrengte Klage wegen der Höhe der Verletztenrente wurde abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung wies das Bayer. Landessozialgericht schließlich mit seinem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil vom 31. Juli 2012, L 3 U 305/11, zurück, weil schon keine Formalversicherung bestünde. Das Revisionsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Bereits Mitte Juni 2012 hatte sich der Ast bei der Ag nach den Möglichkeiten einer Kfz-Hilfe erkundigt. Sein bisheriges Kfz sei wirtschaftlich nahezu ein Totalschaden. Der Ast reichte verschiedene Kostenvoranschläge für die Anschaffung eines neuen Wagens und für dessen behinderungsbedingten Umbau ein.

Die Ag bewilligte dem Ast sodann mit Bescheid vom 15. (25.?) Oktober 2012 einen Zuschuss zur Beschaffung eines Kfz von maximal 9.500 EUR und übernahm Umbaukosten bis zu 23.864,50 EUR und Kosten für die Zusatzausstattung in Höhe von 2.308 EUR. Der Ast sei infolge seines Versicherungsfalls auf die Benutzung eines Kfz angewiesen, um am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen zu können.

Am selben Tag wurde der Ag das Urteil des Bayer. Landessozialgerichts zugestellt.

Daraufhin verfügte die Ag mit Bescheid vom 27. November 2012 (5. Dezember 2012?) nach Anhörung des Ast die Rücknahme ihres Bescheids über Kfz-Hilfe und Übernahme der Umbaukosten. Das Bayer. Landessozialgericht habe überzeugend ausgeführt, dass im Unfallzeitpunkt eine Formalversicherung als freiwillig versicherter Unternehmer nicht bestanden habe. Die Entscheidung zur Kfz-Hilfe sei daher rechtswidrig. Schutzwürdiges Vertrauen des Ast, das die Rücknahme verhindern würde, bestehe nicht. Der Ast habe noch keine Vermögensdisposition getroffen, die nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden könne. Zwar habe der Ast das Kfz verbindlich bestellt, dies könne aber rückgängig gemacht werden. Eventuelle Stornokosten würde die Ag übernehmen. Hinsichtlich der Umbaukosten seien noch keine vertraglichen Verpflichtungen eingegangen worden.

Hiergegen legte der Ast am 3. Januar 2013 Widerspruch ein.

Am 2. April 2013 hat der Ast beim Sozialgericht Augsburg auch in Bezug auf die Rücknahme der Kfz-Hilfe zum einen Untätigkeitsklage (Verfahren S 8 U 98/13) und zum anderen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Der Verwaltungsakt über die Formalversicherung sei bis heute nicht zurückgenommen worden. Aufgrund der wirksamen Formalversicherung habe er Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beantragt und diese seien bewilligt worden. Er habe aufgrund dessen eine verbindliche Bestellung unterschrieben und das Kfz komme in der 15. Kalenderwoche 2013 und müsse bezahlt werden. Den Auftrag zur behindertengerechten Umrüstung habe er aufgrund der Kostenübernahme auch beauftragt. Er habe eine 4-köpfige Familie und sei auf das Fahrzeug angewiesen. Das jetzige sei 13 Jahre alt und weise nach 230.000 km Fahrleistung erhebliche Mängel auf.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2013 hat die Ag den Widerspruch des Ast gegen den Bescheid vom 27. November 2012 zurückgewiesen. Dagegen hat der Ast am 14. Mai 2013 eine weitere Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben (Verfahren S 8 U 146/13).

Der Ast hat zur Begründung seines gerichtlichen Antrags danach noch ausgeführt, er habe nun einen Kredit aufgenommen und das Fahrzeug bezahlt. Allerdings sei das Kfz nicht behindertengerecht umgebaut und könne nicht benutzt werden. Daher bestehe Eilbedürftigkeit. Das Fahrzeug werde dringend benötigt.

Die Ag hat eingewandt, dass nach ihrer Kenntnis der alte Pkw des Ast nach wie vor fahrbereit und mit einer behindertengerechten Ausstattung versehen sei. Die Mobilität des Ast sei daher gegeben.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß):

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verurteilt, dem Antragsteller die Leistungen zur Kraftfahrzeughilfe gemäß dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Oktober 2012 über die Bewilligung von Kraftfahrzeughilfe zu erbringen.

Für die Antragsgegnerin wird beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

II.

Gegenstand des Verfahrens ist allein noch das Begehren des Ast, die von der Ag mit Bescheid vom 15. Oktober 2012 bewilligten Leistungen der Kfz-Hilfe auch zu erhalten, nämlich den Zuschuss zu den Anschaffungskosten sowie die Übernahme der Umbaukosten. Dieses Begehren ergibt sich hinreichend deutlich aus der umfänglichen Begründung des Antrags im einstweiligen Rechtsschutz.

Der so verstandene Antrag ist zulässig. Es handelt sich nicht um einen Fall des § 86a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil der Ast sich in der Hauptsache gegen die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes, des Bescheids der Ag vom 15. Oktober 2012 bzw. 25. Oktober 2012 über die Kfz-Hilfe, wendet. Da seine Klage aufschiebende Wirkung hat, kann für die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kein Bedürfnis bestehen. Vielmehr geht es dem Ast darum, dass die Ag die zwar bewilligten, aber noch nicht bezahlten Leistungen auch tatsächlich ausreicht, damit er sein Kfz auch nutzen kann. Somit liegt ein nach § 86a Abs. 2 SGG zu regelnder Fall vor.

Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Anspruchs, den sogenannten Anordnungsanspruch, sowie die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist somit, dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage ist. Eine solche Eilbedürftigkeit liegt nur dann vor, wenn dem Antragsteller ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und wenn ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei summarischer Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, sondern es besteht zwischen ihnen eine Wechselbeziehung in dem Sinne, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) verringern und umgekehrt. Denn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Hess LSG, Beschluss vom 27. März 2009, L 3 U 271/08 B ER).

Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Eine Glaubhaftmachung liegt in entsprechender Anwendung von § 23 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) dann vor, wenn das Bestehen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nach dem glaubwürdigen Vortrag des Antragstellers und nach den im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens möglichen Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich ist.

Nach diesen Maßstäben fehlt es schon an einem Anordnungsgrund.

Was den Zuschuss zu den Anschaffungskosten des vom Ast mittlerweile bestellten und auch bezahlten Kfz anbelangt, ist schon keine Eilbedürftigkeit ersichtlich, weil der Ast den Kaufpreis inzwischen schon vollständig selbst bezahlt hat. Das ist nach den vom Ast vorgelegten Unterlagen offenbar über einen Bankkredit erfolgt, den er in Raten zurückzahlt. Ein dringendes Bedürfnis, bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache, den Zuschuss von maximal 9.500 EUR zu erhalten, kann damit nicht bestehen. Auch nicht im Hinblick auf die vom Ast zu entrichtenden Raten. Insofern ist es so, dass bei Auszahlung des Zuschusses der Kredit nur in geringerer Höhe hätte aufgenommen werden müssen bzw. in dieser Höhe vorzeitig getilgt werden könnte. Dafür, dass die demgegenüber höheren Kreditraten den Ast unangemessen belasten würden, ist nichts vorgetragen worden oder sonst im Rahmen der im Eilverfahren vorzunehmenden Ermittlungen ersichtlich.

Auch bezüglich der Übernahme der Kosten für den behinderungsbedingten Umbau und die Zusatzausstattung ist ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Ast nicht mit unzumutbaren Nachteilen verbunden. Nach dem insofern übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten steht dem Ast noch sein altes Kfz zur Verfügung, das auch behindertengerecht ausgestattet ist. Das Gericht sieht es auch nicht als glaubhaft gemacht an, dass der Ast dieses Kfz nicht noch für eine gewisse Zeit nutzen könnte. Zwar hat der Ast ausgeführt, sein bisheriges Kfz sei nunmehr 13 Jahre alt und weise erhebliche Mängel auf; er hat auch konkrete Mängel benannt. Allerdings hat er nicht behauptet oder gar belegt, dass das Fahrzeug nicht mehr fahrbereit sei. Für die weiterhin bestehende Nutzbarkeit spricht auch, dass der Ast bereits bei der Beantragung der Kfz-Hilfe im Juni 2012, also vor einem Jahr, angegeben hat, das Auto sei ein wirtschaftlicher Totalschaden. Dennoch hat er nach der Rücknahme des Bescheids über die Kfz-Hilfe mit dem Bescheid vom 15. Oktober 2012 noch bis Anfang April 2013 zugewartet und erst dann um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zugleich hat er nichts dargetan, was für eine wesentliche Verschlechterung der Fahrtüchtigkeit des alten Kfz gegenüber dem Zustand im Juni 2012 sprechen würde. Solches ist auch sonst nicht erkennbar.

Darüber hinaus besteht auch kein Anordnungsanspruch. Bei summarischer Prüfung hat das Gericht keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung der Ag. Auch wenn in dem fraglichen Bescheid vom 27. November 2012 einmal von einem Verwaltungsakt vom 25. Oktober 2009 und dann von einer Entscheidung zur Kfz-Hilfe vom 25. Oktober 2012 die Rede ist, während sich in den von der Ag vorgelegten Akten ein Bescheid vom 15. Oktober 2012 findet, ist dem Ast als Empfänger der Rücknahmeentscheidung klar gewesen, worauf sich diese bezieht. Denn die Ag hat ihn betreffend nur einen Verwaltungsakt über Kfz-Hilfe erlassen. Dabei geht das Gericht davon aus, dass das Datum 15. Oktober 2012 zutreffend ist, nachdem der Ast auch in seinem Schreiben vom 14. Mai 2013 von einem Bescheid zur Kfz-Hilfe vom 15. Oktober 2012 spricht.

Ferner geht das Gericht im Rahmen der vorläufigen Beurteilung mit dem Bayer. Landessozialgericht davon aus, dass zum Zeitpunkt des Unfalls des Ast vom 27. Juli 2007 dieser nicht bei der Ag versichert war. Die rechtlichen Ausführungen zu diesem Punkt im Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 31. Juli 2012, L 3 U 305/11, das beiden Beteiligten bekannt ist, erscheinen insofern überzeugend, so dass darauf verwiesen werden kann. Demnach erweist sich der Bescheid der Ag über die Kfz-Hilfe als von Anfang an rechtswidrig.

Auch die übrigen Voraussetzungen der Rücknahme nach § 45 SGB X hält das Gericht für erfüllt. Insbesondere ist im Rahmen der hier vorzunehmenden Prüfung nicht davon auszugehen, dass schutzwürdiges Vertrauen des Ast bestand, das eine Rücknahme gemäß § 45 Abs. 2 SGB X verhindern würde. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Rücknahmeentscheidung hatte der Ast weder erbrachte Leistungen verbraucht noch Vermögensdispositionen getroffen, die er nicht oder nur mehr mit unzumutbaren Nachteilen hätte rückgängig machen können. Wenn der Ast bereits damals das Kfz bestellt hatte, hätte er dies stornieren können. Die Ag hatte auch in der Rücknahmeverfügung erklärt, etwaige Stornokosten oder sonstigen Schaden zu ersetzen. Den Umbau hat der Ast sogar erst im Laufe des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens beauftragt, so dass er insoweit auf keinen Fall mehr auf den Bestand des Bewilligungsbescheids vertrauen durfte.

Der Verweis des Ast auf die §§ 14 und 15 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) verfängt nicht, weil vorliegend nicht ein Rehabilitationsbedarf im Raum steht, über den die Ag nicht (zeitnah) entschieden hätte oder bezüglich dessen die Zuständigkeit streitig wäre. Vielmehr hat die Ag den Antrag längst beschieden und es geht allein um die Rücknahme dieser Entscheidung nach § 45 SGB X. Und es ist auch nicht ersichtlich, welcher andere Rehabilitationsträger i.S.d. § 6 SGB IX zuständig sein sollte. Nachdem der Ast nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war bzw. ist, scheidet deren Zuständigkeit aus. Gleiches gilt für die gesetzliche Krankenversicherung, zumal kein medizinischer Rehabilitationsbedarf streitig ist, sondern es um Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geht. Aus diesem Grund kommt auch eine Leistung der begleitenden Hilfe durch das Integrationsamt nach § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB IX nicht infrage.

Daher ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §§ 183, 193 SGG.

Referenznummer:

R/R5887


Informationsstand: 20.08.2013