Urteil
Landesblindenhilfe: Einrichtung - Berufsförderungswerk

Gericht:

VGH Baden-Württemberg


Aktenzeichen:

7 S 1967/98


Urteil vom:

06.04.2000


Grundlage:

  • Landesblindengesetz Bad.-Württ. § 1 |
  • Landesblindengesetz Bad.-Württ. § 2

Leitsätze:

1. Sofern einem Blinden in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung eine die Mehraufwendungen oder Benachteiligungen Blinder mindernde Betreuung in nicht unerheblichem Umfang gewährt wird, kann eine Kürzung der Blindenhilfe nach § 2 Abs. 2 LBHG gerechtfertigt sein, auch wenn die Betreuung nicht alle Lebensbereiche des Blinden voll erfasst.

2. Eine intensive, blindheitsbedingte Mehraufwendungen und Benachteiligungen im Arbeitsleben mindernde Betreuung im Rahmen einer berufsfördernden Bildungsmaßnahme in einem Berufsförderungswerk - Zentrum für berufliche Bildung Blinder und Sehbehinderter - rechtfertigt dessen Eingruppierung in die in § 2 Abs. 2 Satz 1 (und entsprechend in § 1 Abs. 1 Satz 2) LBHG bezeichneten Einrichtungen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Behindertenrecht 01/2001

Aus den Gründen:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte ungekürzte Landesblindenhilfe.

Dass dem Kläger Landesblindenhilfe zusteht, stellt der Beklagte nicht in Frage. Für dessen Passivlegitimation ist unerheblich, ob der Kläger während seines Aufenthaltes im Berufsförderungswerk noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Baden- Württemberg beibehalten oder ihn dort gehabt hatte, denn gemäß § 1 Abs.1 Satz 2 LBHG erhalten Landesblindengeld auch Blinde, die sich in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen im übrigen Geltungsbereich des Grundgesetzes aufhalten, wenn sie zur Zeit der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Baden-Württemberg hatten und nicht nach der Regelung im Aufenthaltsland Blindengelt erhalten. Während der Teilnahme an der Rehabilitationsmaßnahme hielt sich der Kläger in einer solchen Einrichtung auf, wie noch auszuführen sein wird, sodass es nicht darauf ankommt, ob mit der Aufnahme in diese Einrichtung auch eine Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltes verbunden war.

Gemäß § 2 Abs. 2 LBHG beträgt die Landesblindenhilfe (nur) 50 vom Hundert, wenn sich der Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung befindet und die Kosten des Aufenthaltes ganz oder überwiegend aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen werden (Nr. 2). Diese Voraussetzungen liegen ebenfalls vor. Während der Teilnahme an der berufsfördernden Bildungsmaßnahme im Berufsförderungswerk, deren Kosten von der Arbeitsverwaltung getragen wurden, befand sich der Kläger in einer solchen Einrichtung. Der Einrichtungsbegriff von § 2 Abs. 2 LBHG unterscheidet sich dabei nicht von demjenigen in § 1 Abs. 1 Satz 2 LBHG. Eine nähere Bestimmung der Begriffe der Anstalt, des Heims oder der gleichartigen Einrichtungen enthält das Blindenhilfsgesetz nicht. Die Bedeutung dieser Begriffe lässt sich jedoch aus dem Zweck des § 2 Abs. 1 LBHG im Rahmen des mit diesem Gesetz verfolgten gesetzgeberischen Zieles erschließen, ohne dass es eines Rückgriffs auf entsprechende Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (vgl. u.a. § 97 Abs. 4 BSHG) bedarf (so schon VGH Bad.-Württemberg, Urteil des 6. Senats vom 5.3.1975, FEVS 15, 23, 431, OVH Münster, Urt. v. 30.7.1992 - 8 A 1001/90 - zu § 1 Abs. 2 Satz 2 Blindenhilfegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, vgl. ferner BVerwG, Urt. v. 5.7.1967, FEVS 15, 210 zu § 67 Abs. 3 BSHG). Die Gewährung von Landesblindenhilfe hat den Sinn, dem Blinden einen Ausgleich für die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen und Benachteiligungen zu bieten (§ 1 Abs. 1 LBHG). Von diesen blindheitsbedingen Mehraufwendungen und Benachteiligungen kann derjenige Blinde entlastet sein, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung befindet, sofern dort eine die Mehraufwendungen oder Benachteiligungen mindernde Betreuung in nicht unerheblichem Umfang gewährt wird, sodass in diesem Fall nach der Vorstellung des Gesetzgebers eine Kürzung der Blindenhilfe gerechtfertigt sein kann. Entscheidend ist, ob die Betreuung zu einer erheblichen Entlastung des Blinden von blindheitsbedingten Mehraufwendungen oder Benachteiligungen führt. Nicht erforderlich ist, dass die Betreuung alle Lebensbereiche des Blinden voll erfasst. Das Landesblindengeld dient allerdings nicht der Pflege im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes, wie sich auch aus der Regelung in § 67 Abs.5 BSHG ergibt, wonach neben der Blindenhilfe (i.S.d. Bundessozialhilfegesetzes) auch Hilfe zur Pflege (in Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen) gewährt werden kann. Anderseits kann in der bloßen Gewährung von Unterkunft und Verpflegung eine die blindenbedingten Mehraufwendungen oder Benachteiligungen mindernde Betreuung nicht schon erblickt werden (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urt. vo. 5.3.1975, a.a.O.).

Für die Anwendung der Kürzungsvorschrift kommt es deshalb darauf an, ob der Blinde im Rahmen der Unterbringung in einer solchen Einrichtung infolge der dort gewährten Leistungen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen nicht unerheblich entlastet wird. Welcher Mehraufwand einem Blinden - bedingt durch sein Leiden - im Einzelnen entstehen kann, lässt sich zwar nicht ohne weiteres abschließend umschreiben. Jedoch wird es sich im Allgemeinen um solche Aufwendungen handeln, die einem Blinden etwa durch Teilnahme am kulturellen Leben und durch Kontaktpflege, aber auch durch Teilnahme am Arbeitsleben möglicherweise in größerem Umfang entstehen. Die in der Einrichtung gewährten Betreuungsleistungen müssen sich demnach auf einen oder mehrere dieser Lebensbereiche beziehen. Dies ist beim Berufsförderungswerk der Fall.

Sinn und Zweck des Aufenthalts des Klägers im Berufsförderungswerk war seine Umschulung und Ausbildung zum Büropraktiker. Deshalb erhielt der Kläger dort nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern darüber hinaus und schwerpunktmäßig eine Berufsausbildung. Im Rahmen dieser Berufsausbildung ist der Kläger als Blinder besonders betreut worden, was bei ihm zu entsprechender Einsparung eigener Aufwendungen für seine Berufsausbildung geführt hat.

Die intensive, blindheitsbedingte Benachteiligungen mindernde Betreuung im Ausbildungsbereich rechtfertigt hiernach die Eingruppierung des Berufsförderungswerks in die in § 2 Abs. 2 Satz 1 (und entsprechend in § 1 Abs. 1 Satz 2) LBHG bezeichneten Einrichtungen. Ohne Erfolg beruft sich deshalb der Kläger darauf, dass er abgesehen von den berufsfördernden Maßnahmen nicht betreuungsbedürftig gewesen sei und auch nicht betreut worden ist, er insoweit dort nur internatsmäßig untergebracht worden sei. Die Eingruppierung des Berufsförderungswerks in die in § 2 Abs. 2 Satz 1 LBHG bezeichneten Einrichtungen setzt nämlich nicht, wie vorstehend ausgeführt, eine umfassende, alle Lebensbereiche abdeckende Betreuung voraus (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 5.3.1975, a.a.O.). Im Übrigen lässt sich dem in den Akten des Beklagten befindlichen Hausprospekt des Berufsförderungswerks entnehmen, dass neben der Aufgabe, Blinde und wesentlich Sehbehinderte, die zur beruflichen Bildung behinderungsspezifischer Maßnahmen bedürfen, mit dem Ziel der dauerhaften Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft auszubilden bzw. umzuschulen, grundsätzliche Leistungen angeboten werden, nämlich Berufsfindung und Arbeitserprobung einschließlich augenärztlicher Untersuchung und Beratung bei Fragen der Arbeitsplatzausstattung und Beratung, Beratungs- und Informationsgespräche, Beratung bei Fragen der Arbeitsplatzausstattung und Vorführung von technischen Hilfsmitteln für Blinde und Sehbehinderte, psychologische und augenärztliche Betreuung, sozialrechtliche Beratung und Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche. Außerdem gibt es ein vielfältiges Angebot an Freizeitmöglichkeiten wie Kegeln, Basteln, Schwimmen, Töpfern, Brett- und Kartenspiele; ferner finden Wanderungen und Exkursionen mit Teilnahme an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen statt. Auch außerhalb der Unterrichtszeiten findet also eine umfangreiche, entlastende Betreuung statt. Angesichts all dieser Betreuungsleistungen ist es deshalb unerheblich, ob und inwieweit der Kläger bei den Verrichtungen des täglichen Lebens auf sich selbst gestellt bzw. insoweit nicht betreuungsbedürftig war.

Referenznummer:

R/R1481


Informationsstand: 02.04.2001