Urteil
Voraussetzungen der Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe in Form eines Persönlichen Budget (PB) - Tätigkeit im Kreativatelier eines Vereins - Keine Vergleichbarkeit mit Bedingungen in einer WfbM

Gericht:

SG Aachen 20. Kammer


Aktenzeichen:

S 20 SO 17/11


Urteil vom:

13.11.2012


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Leistungen zur Teilhabe in Form eines Persönlichen Budget (PB) in Höhe von ca. 1.100,00 EUR monatlich für ihre Tätigkeit im Verein "Zwischen Uns e.V." zu gewähren sind.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist aufgrund eines Down-Syndroms geistig behindert. Seit dem ersten Lebensjahr erhielt sie Frühförderung bei der "Lebenshilfe". Sie besuchte von 1993 bis 1997 ein integratives Montessori-Kinderhaus, von 1997 bis 2001 eine integrative Montessori-Grundschule, von 2001 bis 2007 eine Integrationsklasse einer Gesamtschule und von 2007 bis 2009 die Parzival-Schule Aachen, eine Waldorf-Förderschule. Aus einem Kreis ehemaliger Schüler und Schülerinnen, Eltern, Lehrer und Freunde der Parzival-Schule gründete sich 2008 der Verein "Zwischen Uns e.V.". Dieser betreibt "Die Filzblüte", ein Atelier und Laden für Kunsthandwerk und Malerei. Dort ist die Klägerin seit dem 01.09.2009 tätig.

Aufgrund einer amtsärztlichen Untersuchung bescheinigte die Kinder- und Jugendärztin des Gesundheitsamtes der Stadt Aachen, Dr. G., am 11.09.2006, dass die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar sei; soweit die Eingliederung in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) erforderlich sei, werde die Klägerin das Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit erbringen und sei auch gemeinschaftsfähig; sie sei nur teilweise von fremder Hilfe unabhängig.

Ende 2008/Anfang 2009 sprach die Klägerin bei der Beigeladenen zum Zwecke der Berufsberatung vor.

Am 27.08.2009 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten ein PB für die Bereiche Mobilität und Arbeit. Sie legte dazu ein Konzept des Vereins "Zwischen Uns e.V." vor. Der Beklagte leitete den Antrag nicht an einen anderen Leistungsträger weiter, sondern forderte die Eltern auf, die ins Auge gefasste Maßnahme zu konkretisieren. Die Klägerin legte daraufhin einen Hilfsplan und weitere Informationen über den Verein vor. Daraus geht hervor, dass der Verein Menschen mit Behinderung Betätigungsmöglichkeiten in den Werkstattbereichen Filzen, Malerei, Kerzenziehen und Kupfertreiben anbietet; ferner betreibt der Verein ein Cafe, in dem auch behinderte Menschen tätig sind.

Durch Bescheid vom 15.01.2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf ein PB zur Betreuung im Verein "Zwischen Uns e.V." ab. Zur Begründung führte er aus, dass PB könne nur für eine Leistung erbracht werden, auf die der behinderte Mensch auch ohne Budget einen Anspruch habe. Für die Klägerin komme als Eingliederungshilfe die Sachleistung "Werkstatt für behinderte Menschen" in Betracht. Jedoch erfülle die beabsichtigte Maßnahme nach der Konzeption des Projektes "Zwischen Uns e.V." nicht die Kriterien der Werkstättenverordnung (WVO). Bei dem Projekt handele es sich weder um eine anerkannte, die Kriterien der WVO erfüllende WfbM noch sei sie einer solchen vergleichbar. Es bestehe daher weder Anspruch auf Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 56 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), 41 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) gegenüber der Beklagten noch auf (besondere) Leistungen im Eingangsverfahren und Berufungsbildungsbereich nach § 102 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gegenüber der Beigeladenen.

Dagegen legte die Klägerin am 12.02.2010 Widerspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, mit dem PB sollten Leistungen wie Weiterbildungsmodule, Arbeitsassistenz und heilpädagogischen Hilfen sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Werkstatt eingekauft werden können. Auf die Anerkennung und die Erfüllung der Kriterien nach der WVO könne es nicht ankommen.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29.12.2010 zurück. Ergänzend führte er aus, das PB sei keine eigene unabhängige Leistung, sondern allein eine mögliche Form der Ausführung einer bewilligten Leistung; wenn eine bestimmte Leistung gewährt werde, könne diese als PB oder als Sachleistung in Anspruch genommen werden. Wenn aber die Leistung nicht bewilligt werde, stellte sich die Frage eines PB nicht. Da der "Zwischen Uns e.V." weder eine anerkannte WfbM noch eine vergleichbare sonstige Beschäftigungsstätte sei und feststehe, dass für die Klägerin eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht in Betracht komme, werde das PB für die Tätigkeit im Kreativatelier des "Zwischen Uns e.V." einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Reisekosten abgelehnt.

Dagegen hat die Klägerin am 19.01.2011 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung sie habe einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe - sei es am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft - für die Maßnahme des Vereins "Zwischen uns e.V.". Die Tätigkeit im Kreativatelier des Vereins sei erforderlich, um ihre Erwerbsfähigkeit zu verbessern und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, vergleichbar dem Berufsbildungsbereich einer WfbM; prognostisch sei davon auszugehen, dass sie am Ende des zweijährigen Praktikums in der Lage sein werde, eine Erwerbstätigkeit vergleichbar der in einer Behindertenwerkstatt nachzugehen. Die Anerkennung des Vereins "Zwischen Uns e.V." als WfbM nach den Kriterien der WVO sei nicht erforderlich; die Beschäftigung im Kreativatelier sei in vieler Hinsicht dem Berufsbildungsbereich einer WfbM vergleichbar. Nachrangig könne sich auch ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ergeben. Der Verein berechne einen Tagesbetreuungssatz in Höhe von 50,00 EUR; hinzu kämen Fahrkosten zwischen Wohnung und Beschäftigungsstätte. Seit Oktober 2010 seien von ihren Eltern 400,00 bis 600,00 EUR monatlich in das Projekt investiert worden.

In Ausführung einer am 13.12.2011 getroffenen gerichtlichen Vereinbarung hat der Beklagte einen Ergänzungsbescheid vom 15.06.2012 erlassen. Durch diesen hat er den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines PB für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich abgelehnt. Er hat u.a. auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.11.2011 Bezug genommen; in diesem werde eindeutig verlangt, dass im Rahmen eines PB die Maßnahmen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich mit den Leistungen der WfbM vergleichbar sind; das BSG habe betont, dass das Ziel der Maßnahme einer wirtschaftlich verwertbaren Arbeitsleistung erreichbar sein müsse. Im "Fachkonzept für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)" (HEGA 06/10 - 02) der beigeladenen Bundesagentur für Arbeit sei beschrieben, welche fachlichen Anforderungen im Hinblick auf die Bildungsmaßnahme an Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich der WfbM gestellt werden. In den §§ 9 und 10 der WVO seien die Anforderungen an die personelle Ausstattung beschrieben; in der Regel seien Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung einzusetzen. In einem Termin am 20.03.2012 mit Vertretern des Vereins "Zwischen Uns e.V.", der Beigeladenen und des Beklagten sei ausführlich über das Projekt gesprochen worden. Es habe sich ergeben, dass das Projekt "Die Filzblüte" wesentliche, für eine WfbM geltende Kriterien nicht erfülle. Insofern fehle es auch an einer Vergleichbarkeit mit einer anerkannten WfbM. Unter diesen Umständen kämen für die Tätigkeit der Klägerin und ihre Betreuung in dem Projekt "Zwischen Uns e.V." weder Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben durch die Beigeladene noch Leistungen der Eingliederungshilfe durch den Beklagten in Betracht.

Die Klägerin zweifelt die Kompetenz des Beklagten an und hält seine Feststellungen für völlig unzureichend. Sie werde nach Einschätzung ihrer Eltern und der Amtsärztin Dr. G. auch bei entsprechender Förderung und geeigneten Hilfen auch zukünftig nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sein. Das BSG fordere in seinem Urteil vom 30.11.2011 eine Vergleichbarkeit, nicht eine Gleichheit mit einer WfbM. Sollte eine Förderung im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich durch die Beigeladene nicht möglich sein, komme ein Anspruch auf Hilfe in einer sonstigen Beschäftigungsstätte im Sinne des § 56 SGB XII oder eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Form einer tagesstrukturierenden Maßnahme gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX in Betracht.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 sowie des Bescheides vom 15.06.2012 zu verurteilen, ihr ab 01.09.2009 Leistungen zur Teilhabe in Höhe von 50,00 - zuzüglich Fahrtkosten pro Tag der Tätigkeit/Betreuung im Kreativatelier des Vereins "Zwischen uns e.V." durch ein persönliches Budget zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend führt er aus, eine Hilfe nach § 56 SGB XII könne nicht geleistet werden, da es sich bei der vom Verein "Zwischen Uns e.V." betriebenen Werkstatt "Die Filzblüte" nicht um eine vergleichbare sonstige Beschäftigungsstätte im Sinne der genannten Vorschrift handele.

Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag. Sie schließt sich den Ausführungen und dem Antrag des Beklagten an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Rechtsweg:

LSG NRW, Urteil vom 22.06.2017 - L 9 SO 474/12

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 15.01.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 und den Ergänzungsbescheid vom 15.06.2012, der gem. § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Die Bescheidung des Beklagten, das beantragte PB für die Betreuung und Tätigkeit der Klägerin im Kreativatelier "Die Filzblüte" des Vereins "Zwischen Uns e.V." abzulehnen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Zurecht hat der Beklagte als erstangegangener Rehabilitations(Reha)träger, der den Antrag nicht binnen zwei Wochen nach Eingang weitergeleitet hat, den auf Bewilligung eines PB gerichteten Reha-Antrag der Klägerin nicht nur für seinen Zuständigkeitsbereich als Sozialhilfeträger, sondern auch nach den übrigen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen - hier: nach denjenigen des SGB III im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen - geprüft, den Reha-Bedarf der Klägerin festgestellt und sodann deren konkretes Leistungsbegehren umfassend beschieden.

Der Antrag auf das PB ist dahin auszulegen, dass die Klägerin, soweit Kosten in der Vergangenheit angefallen und selbst bezahlt worden sind, Kostenerstattung, im Übrigen aber - für entstandene, aber noch nicht bezahlte sowie für zukünftige Kosten - Kostenübernahme geltend macht. Maßgebend ist die Rechtslage zu Beginn der Maßnahme; bei den Rechtsgrundlagen sind also jeweils die am 01.09.2009 geltenden Fassungen heranzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.2011 - B 11 AL 7/10 R).

Die Klägerin kann das begehrte PB für ihre Tätigkeit und Betreuung im Verein "Zwischen Uns e.V." derzeit weder nach dem Recht der Arbeitsförderung (SGB III) noch dem Recht der Sozialhilfe (SGB XII) - andere Rechtsgrundlagen kommen ersichtlich nicht in Betracht - beanspruchen. Soweit die beantragte Leistung bzw. Leistungsausführung vom Ermessen des zuständigen Leistungsträgers abhängt, ist ein Ermessensfehlgebrauch bei der Entscheidung über den Antrag nicht festzustellen; eine Ermessensreduzierung auf Null kommt nicht in Betracht.

Der Beklagte hat im Bescheid vom 15.06.2012 einen Reha-Bedarf der Klägerin festgestellt. Sie hat u.a. Unterstützungsbedarf beim Weg zur Arbeit, bei der Hygiene, beim Aufstehen und morgendlichen Ablauf vor Arbeitsbeginn, bei der Einhaltung von Terminen, bei der Strukturierung der Arbeit und bei der Anpassung von Arbeitsgeräten und Arbeitsplatz. Diesem Reha-Bedarf kann durch geeignete Förderung in einer WfbM oder einer vergleichbaren Maßnahme Rechnung getragen werden. Wie sich bereits aus der amtsärztlichen Bescheinigung von Dr. G. vom 11.09.2006 ergibt, ist die Klägerin insoweit auch rehabilitationsfähig.

Grundlage des Anspruchs auf ein PB, wie es die Klägerin begehrt, ist § 17 SGB IX. Gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB IX können Leistungen zur Teilhabe auch durch ein PB ausgeführt werden, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Bei dem PB handelt es sich nicht um eine bloße "Form" der Erbringung von Leistungen zur Teilhabe, sondern um eine verselbstständigte eigenständige Pauschalleistung zur Abgeltung nur ihrer Art nach bestimmter Ansprüche auf Leistungen zur Teilhabe dem Grunde nach (BSG, Urteil vom 11.05.2011 - B 5 R 54/10 R). Die von der Klägerin begehrten Leistungen zur Teilhabe, die durch ein PB abgedeckt werden sollen, sind grundsätzlich budgetfähig (vgl. § 17 Abs. 2 SGB IX). Ein PB kann jedoch nur beansprucht werden, wenn alle Voraussetzungen für die Einzelleistung zur Teilhabe, die durch das PB abgedeckt werden soll, erfüllt sind. Die Klägerin erfüllt diese Bedingung nicht.

Als Grundlage des geltend gemachten Teilhabeanspruchs kommen zunächst die Vorschriften des SGB III in Betracht. Nach § 97 Abs. 1 und 2 SGB III in der einschlägigen am 01.09.2009 geltenden Fassung können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art und Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Bei der Auswahl der Leistungen sind Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeiten sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen. Soweit es erforderlich ist, schließt das Verfahren zu Auswahl der Leistungen eine Abklärung der beruflichen Eignung oder eine Arbeitserprobung ein (im Wesentlichen gleichlautend ab 01.04.2012: § 112 Abs. 1 und 2 SGB III). Nach § 98 SGB III (vgl. ab 01.04.2012: § 113 SGB III) können 1. allgemeine Leistungen sowie 2. besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und diese ergänzende Leistungen erbracht werden (Abs. 1). Besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden nur erbracht, soweit nicht bereits durch die allgemeinen Leistungen eine Teilhabe am Arbeitsleben erreicht werden kann (Abs. 2). Es handelt sich bei allen diesen Leistungen um Ermessensleistungen ("können").

"Allgemeine Leistungen", die in § 100 SGB III (ab 01.04.2012: § 115 SGB III) im Einzelnen aufgelistet sind, kommen bei der Klägerin (derzeit) nicht in Betracht, werden von ihr nicht begehrt und sind zu Recht auch vom Beklagten nicht thematisiert worden.

Zu prüfen war deshalb, ob ein Anspruch auf "besondere Leistungen", die in § 102 SGB III (wortgleich ab 01.04.2012: § 117 SGB III) behandelt werden, besteht. Bei den besonderen Leistungen nach § 102 Abs. 1 (§ 117 Abs. 1) SGB III ist zu beachten, dass diese Vorschrift bezweckt, die Förderung behinderter Menschen in allen Berufen zu gewährleisten, die gute und dauerhafte Beschäftigungschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bieten. Eine Förderung nach § 102 Abs. 1 (§ 117 Abs. 1) SGB III) kann also nur beansprucht werden, wenn durch die Maßnahme in der Einrichtung die Teilnahme am allgemeinen Arbeitsmarkt erreicht werden soll (BSG, Urteil vom 30.11.2011 - B 11 AL 7/10 R unter Bezugnahme auf Bundestags-Drucksache 13/4941, S. 173 f. zu § 102). Dies war und ist bei der Klägerin nach der Einschätzung ihrer Eltern, die durch die amtsärztliche Bescheinigung von Dr. G. vom 11.09.2006 bestätigt wird, nicht der Fall.

Anders als nach § 102 (§ 117) Abs. 1 SGB III stellt sich bei den weiter zu prüfenden besonderen Leistungen nach § 102 Abs. 2 (§ 117 Abs. 2) SGB III nicht die Frage nach der Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt; vielmehr handelt es sich dabei um eine Sondervorschrift für behinderte Menschen, die wegen der Art und Schwere ihrer Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht tätig sein können und auf einen Arbeitsplatz in einer WfbM angewiesen sind. Eine Förderung nach dieser Vorschrift ist jedenfalls dann möglich, wenn erwartet werden kann, dass der behinderte Mensch nach der Teilnahme an der Maßnahme in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen (BSG, Urteil vom 30.11.2011 - B 11 AL 7/10 R unter Verweis auf BSG, Urteil vom 09.09.1993 - 7/9b RAr 28/92 = BSGE 73,83 = SozR 3-4100 § 58 Nr. 5).

Nach § 102 (§ 117) Abs. 2 SGB III werden Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der WfbM nach § 40 SGB IX erbracht. Nach Abs. 1 dieser Verweisungsnorm erhalten Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer anerkannten WfbM behinderte Menschen 1. im Eingangsverfahren zur Feststellung, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilnahme des behinderten Menschen am Arbeitsleben ist sowie welche Bereiche der Werkstatt und welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den behinderten Menschen in Betracht kommen, und um einen Eingliederungsplan zu erstellen, 2. im Berufsbildungsbereich, wenn die Leistungen erforderlich sind, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit des behinderten Menschen so weit wie möglich zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen und erwartet werden kann, dass der behinderte Mensch nach Teilnahme an diesen Leistungen in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistungen im Sinne des § 136 SGB IX zu erbringen.

Entgegen der vom Beklagten noch im Bescheid vom 15.01.2010 und im Widerspruchsbescheid vom 29.12.2010 vertretenen, jedoch im Ergänzungsbescheid vom 15.06.2012 nicht mehr aufrechterhaltenen Auffassung ist ein Anspruch nach § 102 (§ 117) Abs. 2 SGB III nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Vorschrift auf § 40 SGB IX verweist, der Regelungen zur Leistungserbringung in einer "anerkannten" WfbM enthält, die von der Klägerin gewählte Einrichtung jedoch keine anerkannte WfbM ist. Bei Vorliegen sachlicher Gründe ist die Förderung einer Maßnahme im Ermessenswege auch außerhalb einer anerkannten WfbM möglich, sofern die sonstigen Vorgaben des § 40 SGB IX beachtet werden und im konkreten Fall das Ziel der gesetzlich vorgesehenen Förderung in gleicher Weise erreicht werden kann (BSG, Urteil vom 30.11.2011 - B 11 AL 7/10 R). Daraus folgt, dass die konkret absolvierte Maßnahme mit einer Maßnahme im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer anerkannten WfbM zumindest vergleichbar sein muss (vgl. BSG a.a.O.). Dies ist, wie der Beklagte im Bescheid vom 15.06.2012 - nach Auffassung der Kammer zutreffend - herausgestellt hat, bei der Maßnahme im Kreativatelier des Vereins "Zwischen Uns e.V." nicht der Fall.

Der Beklagte hat als Vergleichsmaßstab das "Fachkonzept für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)" - HEGA 06/10-02 - der Beigeladenen herangezogen. Danach sind wesentliche Anforderungen für derartige Maßnahmen u.a. Barrierefreier Zugang und Darstellung von Informationen; kontinuierliches Angebot; Die Maßnahmen stehen ganzjährig zur Verfügung und sehen zeitlich flexible Eintritte sowie zeitnahe Übergänge in andere Abschnitte/Module vor. individuelle Eingliederungsplanung und kontinuierliche Bildungsbegleitung; Für jeden Teilnehmer ist auf der Grundlage einer qualifizierten Kompetenzanalyse (Feststellungen zum Leistungspotential) und eines konkret zu benennenden Eingliederungszieles ein individueller Eingliederungsplan zu erstellen und kontinuierlich fortzuschreiben. Einhaltung Datenschutz; übergreifende Kompetenzbildung; Hierzu gehören soziale, kommunikative und interkulturelle Kompetenzen, methodische Kompetenzen, Aktivitäts- und Umsetzungskompetenzen, personale Kompetenzen, allgemeine Grundfähigkeiten. sozialpädagogische Begleitung; Nachweis der Teilnahme, unterweisungsfreie Zeiten, Fehlzeiten; Durchführungskonzept, Qualitätssicherung; Die WfbM erstellt ein auf der Grundlage des Fachkonzepts erarbeitetes detailliertes Konzept zur Durchführung des Eingangsverfahrens und des Berufsbildungsbereich. In den §§ 9 und 10 WVO werden zudem die Anforderungen an die personelle Ausstattung beschrieben. Danach sind in der Regel Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung einzusetzen. Die Fachkräfte in der Werkstatt sollen in der Regel Facharbeiter, Gesellen oder Meister mit einer mindestens zweijährigen Berufserfahrung in Industrie oder Handwerk sein; sie müssen pädagogisch geeignet sein und über eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation verfügen. Entsprechende Berufsqualifikationen aus dem pädagogischen oder sozialen Bereich reichen aus, wenn die für eine Tätigkeit als Fachkraft erforderlichen sonstigen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Berufsbildungs- und Arbeitsbereich anderweitig erworben worden sind.

Die Bedingungen, unter denen das Kreativatelier "Die Filzblüte" betrieben wird und der Verein "Zwischen Uns e.V." arbeitet, erfüllen, wie der Beklagte im Bescheid vom 15.06.2012 - von der Klägerin unwidersprochen - dargestellt hat, wesentliche der zuvor genannten Kriterien nicht: Die vorhandenen Räumlichkeiten entsprechen u.a. nicht den Voraussetzungen für Barrierefreiheit. Die Ausstattung im Sanitärbereich ist nicht angemessen. Weitere Bedingungen wie Brandschutz oder Fluchtwege sind (noch) nicht geprüft. Das Fachkonzept HEGA 06/10-02 ist den Beteiligten nicht bekannt. Der Eingliederungsplan und eine qualifizierte Kompetenzanalyse werden nicht angewendet. Das bisher vorliegende Konzept des Vereins "Zwischen uns e.V." entspricht nicht den im Fachkonzept HEGA 06/10-02 genannten Kriterien. Es wird nur eine pädagogische Fachkraft beschäftigt. Die übrigen Betreuungsleistungen sollen durch Nichtfachkräfte bzw. Eltern geleistet werden. Neben der fachlichen Problematik kann auch eine Vertretung bei Urlaub oder Krankheit der Fachkraft nicht gewährleistet werden.

Erfüllt somit der mögliche Bildungsauftrag des Vereins "Zwischen Uns e.V." weder räumlich noch inhaltlich die Voraussetzungen des Fachkonzeptes HEGA 06/10-02, so fehlt es an einer Vergleichbarkeit der von der Klägerin absolvierten Maßnahme mit einer solchen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich einer anerkannten WfbM. Wenn ein behinderter Mensch Teilhabeleistungen in nicht unerheblicher Höhe und über einen längeren Zeitraum beansprucht, kann der Leistungsträger im Rahmen seines Ermessens (hohe) Anforderungen an das Konzept, die räumliche und personelle Ausstattung, die Kompetenz der Mitarbeiter sowie Qualität und Qualitätssicherung stellen. Indem der Beklagte Leistungen nach § 102 (§ 117) Abs. 2 SGB III aus den dargelegten Gründen ablehnt, hat er von dem ihm eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht.

Desweiteren hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe a) gem. §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 56 SGB XII, b) gem. §§ 53, 54 Satz 1 SGB XIII i.V.m. § 41 SGB IX und c) gem. §§ 53, 54 Satz 1 SGB XIII i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX, die in die originäre Zuständigkeit des Beklagten als Träger der Sozialhilfe fallen (vgl. §§ 5 Nrn. 2 und 4, 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX).

a) Eingliederungshilfe "kann" (Ermessen) gem. §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 56 SGB XII in einer den anerkannten WfbM nach § 41 SGB IX vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätte geleistet werden. Bereits der Wortlaut der Vorschrift macht deutlich, dass die sonstige Beschäftigungsstätte einer anerkannten WfbM vergleichbar sein muss. An dieser Vergleichbarkeit fehlt es - wie oben dargelegt - bei der von der Klägerin besuchten Einrichtung des Vereins "Zwischen Uns e.V.", weshalb der Beklagte auch eine Leistung nach § 56 SGB XII ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.

b) Eingliederungshilfe in Form von Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten WfbM erhalten gem. §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 41 Abs. 1 SGB IX behinderte Menschen, bei denen 1. eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder 2.Berufsvorbereitung, berufliche Anpassung und Weiterbildung oder berufliche Ausbildung (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 bis 4) wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind, wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Wenn auch in diesem Zusammenhang nicht Anspruchsvoraussetzung ist, dass die WfbM eine anerkannte Werkstatt im Sinne von §§ 136, 142 SGB IX ist, so kann - wie oben dargelegt - verlangt werden, dass die in Rede stehende Einrichtung mit einer anerkannten WfbM zumindest vergleichbar ist. Dies ist in wesentlichen Punkten nicht der Fall.

c) Zuletzt kann die Klägerin das PB auch nicht zur Abdeckung einer Eingliederungshilfeleistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gem. §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 und 2 Nr. 7 SGB IX ("Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben") beanspruchen. Da bereits nach § 55 Abs. 1 SGB IX generell die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht oder gesichert werden soll, hat Abs. 2 Nr. 7 bekräftigenden Charakter, um den besonderen Stellenwert der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu betonen. § 58 SGB IX konkretisiert - nicht abschließend - den Anspruch auf Leistungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX. Hierunter können z.B. Mobilitätshilfen, Behindertenbegleithunde, Mitgliedsbeiträge von Vereinen, Gebühren von Volkshochschulen, Kosten für eine Urlaubsreise, Kosten für das Telefon, Hilfen zum Besuch von Veranstaltungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen, Betriebskosten für die Benutzung eines Kfz oder Hilfsmittel, die der Unterrichtung über das Zeitgeschehen oder über kulturelle Ereignisse dienen, fallen (Wollschläger, in: Kossens/von der Heide/Maaß, Kommentar zum SGB IX, 3. Auflage 2009, § 55 Rn. 10 und § 58 Rn. 2 bis 4). Um solche Hilfen geht es bei der Tätigkeit/Betreuung der Klägerin im Kreativatelier "Die Filzblüte" des Vereins "Zwischen Uns e.V." nicht.

Ist nach alledem die Entscheidung des Beklagten, den Antrag auf ein PB für die von der Klägerin absolvierte Maßnahme beim Verein "Zwischen Uns e.V." abzulehnen, rechtmäßig, so gilt dies auch in Bezug auf die als ergänzende Leistung (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX) geltend gemachten Fahrtkosten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R5514


Informationsstand: 26.06.2013