Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 29. Januar 2021 - 4 Ca 378/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung.
Die Beklagte (Arbeitgeber) produziert Reifen und beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet. Der am xx.xx.1972 geborene, verheiratete Kläger ist seit 4. November 1991 bei der Beklagten als Operator an Inspektionsarbeitsplätzen zu einer Bruttomonatsvergütung von
ca. 3600
EUR beschäftigt.
Mit Schreiben vom 13. Februar 2020 (Bl. 48 der Akte) lud die Beklagte den Kläger zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement ein, dem der Kläger unter dem 19. Februar 2020 (Bl. 49 der Akte) zustimmte. Es erfolgte sodann ein Gespräch am 28. Februar 2020, dessen Inhalt im Einzelnen streitig ist. Mit Schreiben vom 3. März 2020 forderte die Beklagte den Kläger auf, um seine persönlichen Einschränkungen am Arbeitsplatz besser nachprüfen zu können, bis spätestens 17. April 2020 ein entsprechendes aktuelles fachärztliches Attest vorzulegen (Bl. 50 der Akte). Dem kam der Kläger nicht nach.
Unter dem 25. September 2020 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen personenbedingten Kündigung an; insoweit wird auf Bl. 20-23 der Akte Bezug genommen. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung am 2. Oktober 2020 gemäß
§ 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG (Bl. 24 der Akte) und begründete seinen Widerspruch damit, dass der Kläger erst seit einem Jahr auf einem mutmaßlich leidensgerechten Arbeitsplatz beschäftigt werde und der Umstand, dass im letzten Jahr weitere erhebliche Fehlzeiten aufgetreten sind, nicht ohne ein weiteres
BEM- Verfahren eine Kündigung rechtfertige. Die Ursachen der Fehlzeiten im letzten Jahr seien nicht festgestellt, ebenso ob durch Umgestaltungen des Arbeitsplatzes oder der Arbeitsabläufe Abhilfe geschaffen werden könne.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 (Bl. 5 der Akte) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31. Mai 2021. Dagegen hat sich der Kläger mit seiner am 8. Oktober 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt.
Hinsichtlich der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts (Bl. 105-106 der Akte) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben; hinsichtlich der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 106R bis 109 der Akte) verwiesen.
Dieses Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 4. Februar 2021 zugestellt, die dagegen am 2. März 2021 Berufung eingelegt und diese am 26. März 2021 begründet hat.
Die Beklagte rügt, erstinstanzlich sei vorgetragen worden, dass am 28. Februar 2020 ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden sei, das ohne Ergebnis blieb. Im Schriftsatz vom 5. Januar 2021 (Bl. 86 der Akte) sei angeboten worden, dazu näher vorzutragen, wenn der Kläger der Verwendung der dem Datenschutz unterliegenden Information zustimmen würde. Eine solche Zustimmung sei nicht erfolgt. Damit sei der erstinstanzliche Vortrag der Beklagten entgegen dem Arbeitsgericht ausreichend. Gleichwohl werde der Ablauf nachfolgend näher dargestellt: Die Einladung und Zustimmungserklärung seien bereits erstinstanzlich vorgelegt worden. Das Gespräch habe am 28. Februar 2020 stattgefunden und sei auf Seiten der Beklagten von Frau A geführt worden. Auf Wunsch des Klägers sei das Betriebsratsmitglied B anwesend gewesen. Frau A habe den Sinn und Zweck des
BEM erläutert und darauf hingewiesen, dass die Mitwirkung des Klägers freiwillig ist. Sie habe ihn sodann nach den Ursachen für die Arbeitsunfähigkeitszeiten gefragt, insbesondere, ob diese im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stehen. Der Kläger habe erklärt, die Arbeit sei halt schwer, aber er könne sie ausüben. Die Beklagte könne insoweit keine Hilfestellung geben. Es habe keinen Hinweis darauf gegeben, dass sein Arbeitsplatz in Widerspruch zu dem von ihm vorgelegten Attest vom 30. April 2018 stehe. Die Beklagte ist der Auffassung, die Ansicht des Arbeitsgerichts, wonach aus den vorgetragenen Umständen nicht feststellbar sei, ob die Tätigkeit des Klägers den Vorgaben im ärztlichen Attest vom 30. April 2018 entspreche, sei nicht nachvollziehbar. Der Kläger müsse die Reifen nicht heben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 29. Januar 2021 -4 Ca 378/20- abzuändern und
die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass kein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt wurde. Die Erteilung einer Zustimmung des Klägers zur Verwertung der während des
BEM-Verfahrens erlangten Informationen sei nicht erforderlich gewesen. Der Kläger könne zwar nicht ausschließen, dass es zu der von der Beklagten behaupteten Einladung zu einem
BEM gekommen sei. Es werde jedoch bestritten, dass er über Sinn und Zweck des Verfahrens, dessen Methoden und Möglichkeiten aufgeklärt wurde. Ebenso seien Erläuterungen zu den zu erhebenden Daten und deren Verwendung aus Sicht des Klägers nicht gegeben worden. Aufgrund des Gesprächs sei der Kläger nicht dazu in der Lage gewesen, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. Die Beklagte habe den
BEM-Termin nicht dazu genutzt, die gesundheitliche Situation, den tatsächlichen und möglichen Einsatz des Klägers und die Kompatibilität seiner Leistungsfähigkeit mit den Arbeitsbedingungen abzugleichen. Weder sei der Kläger informiert noch dazu aufgefordert
bzw. ihm aufgezeigt worden, welche Daten zu erheben waren, um Chancen zu ermitteln und gegebenenfalls nutzen zu können. Auffällig sei, dass die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat keine Angaben zu
BEM-Gesprächen im Jahr 2020 gemacht hat. Deshalb habe der Betriebsrat auch der Kündigung widersprochen. Dass hier Rückkehrgespräche stattfanden und Atteste außerhalb des
BEM angefordert wurden, reiche nicht aus. Im Übrigen komme es nicht darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf private Ursachen zurückzuführen seien. Entscheidend sei alleine, ob im Rahmen des
BEM ein zutreffendes Leistungsbild ermittelt und anschließend geprüft wurde, welche Einsatzmöglichkeiten mit Aussicht auf Minderung der Fehlzeiten für den Kläger bestanden. Dies sei nicht erfolgt. Der Kläger sei im Jahr 2020 damit befasst gewesen, fehlerhafte Reifen zu reparieren, fehlerhafte Reifen einzusammeln, wobei bis zu 17
kg schwere Reifen gehoben und getragen werden mussten. Es sei also kein Einsatz gemäß dem Attest vom 30. April 2018 erfolgt. Die gegenteilige Darstellung der Beklagten zu den Tätigkeiten des Klägers (kein Heben und Tragen der Reifen) werde bestritten. Ebenso seien weder der Betriebsarzt noch der Vertrauensmann der Schwerbehinderten noch das Integrationsamt eingeschaltet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.