II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Nach § 86 b
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine einstweilige Anordnung kann auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Gem. § 86 b
Abs. 2 Satz 4
SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 der Zivilprozessordnung (
ZPO) sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.
Grundsätzlich darf dabei die Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Nur in dem Ausnahmefall, in dem die Entscheidung in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät kommen und damit effektiver Rechtsschutz verweigert würde und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre, ist es zulässig, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren das zu gewähren, was in der Hauptsache begehrt wird (Meyer-Ladewig,
SGG-Kommentar, 9. Auflage 2008, § 86b Rz. 31).
Gemessen an diesen Vorgaben hat der Antrag Erfolg. Der Antragsteller hat sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, weil nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung ein Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme zur Ausbildung als Erzieher besteht. Die Antragsgegnerin ist gemäß § 9 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) zuständiger Leistungsträger und die persönlichen Voraussetzungen gemäß § 10
Abs. 1
SGB VI sowie
§ 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden vom Kläger erfüllt. Die Tatbestandsvoraussetzungen zur Gewährung der begehrten Leistungen sind nach den
§§ 4 Abs. 1 Ziffern 2 und 3,
33 Abs. 3 Nr. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ebenfalls gegeben.
Nach § 4
Abs. 1 Ziff. 2 und 3
SGB IX umfassen die Leistungen zur Teilhabe die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern und die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern. Nach
§ 33 Abs. 1 SGB IX werden die erforderlichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, um die Erwerbsfähigkeit Behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern oder wieder herzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Nach
Abs. 3 umfassen die Leistungen insbesondere die berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen. Nach
Abs. 4 werden bei der Auswahl der Leistung Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen berücksichtigt.
Nach diesen Vorgaben muss die angestrebte Leistung erforderlich (§ 33
Abs. 1
SGB IX)
bzw. notwendig (
§ 4 Abs. 1 SGB IX) sein (2), das Ziel (1) zu erreichen.
(1) Ziel ist vorliegend der Erhalt und die Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Antragstellers (b), um seine Teilhabe am Arbeitsleben - also die Erwerbsfähigkeit (a) - möglichst auf Dauer zu sichern und ihn unabhängig vom Bezug anderer Sozialleistungen zu machen oder einen solchen zu mindern (c), § 33
Abs. 2 Alt. 2 und 3
SGB IX i. V. m. § 4
Abs. 1 Ziff 2
SGB IX.
(a) "Erwerbsfähig ist dabei, wer ein kalkulierbares Maß an Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit in ein Arbeitsverhältnis unter Wettbewerbsbedingungen einbringen kann" (Deutsch in: Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch 9, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Auflage, § 33 Rn. 6). Die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers bezogen auf den Beruf als Erzieher ist ausweislich der ärztlichen Stellungnahme von I. vom 22.06.2012 sowie der Bestätigungen der Ausbilder vom 17. und 18.02.2015 gegeben, da er über die Kompetenzen und die Belastbarkeit für den begehrten Beruf verfügt.
(b) Der Antragsteller kann durch eine Ausbildung zum Erzieher besser am Erwerbsleben teilhaben als durch seine bisherige Ausbildung als Sozialassistent. Die Aufgabenfelder sind zu großen Teilen wesensverschieden. Sozialassistenten können lediglich ergänzend neben einer Erzieherin oder einem Erzieher in einer Kindertagesstätte tätig werden und dort Aufgaben von untergeordneter Bedeutung übernehmen. Gemäß § 4
Abs. 2 KitaG darf die Gruppenleitung aber nur einer sozialpädagogische Fachkraft oder einem Erzieher oder einer Erzieherin mit Anerkennung für die entsprechende Altersstufe übertragen werden. Nach § 4
Abs. 3 Satz 1 KitaG muss in jeder Gruppe eine zweite geeignete Fach- oder Betreuungskraft tätig sein, wobei dies nach Satz 2 der Vorschrift eine staatlich anerkannte Erzieherin oder ein staatlich anerkannter Erzieher sein soll. Nach Satz 3 kann dies auch eine Sozialassistentin oder ein Sozialassistent mit Schwerpunkt Sozialpädagogik sein. Sozialassistenten werden dabei zum Beispiel bei der Zubereitung von Mahlzeiten oder der Körperpflege helfend tätig. Nach den Informationen des Kultusministeriums zur Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern in Niedersachsen (abrufbar auf der Homepage des Kultusministeriums, Stand 01.08.2013) ist der Sozialassistent immer nur Zweitkraft, also helfend und ergänzend tätig.
Die Aufgaben von Erziehern dagegen umfassen die Leitung der Gruppen bis hin zur Leitung einer Kindertagesstätte, § 4
Abs. 1 und 2 KitaG. Desweiteren werden ihre Aufgaben im Kinder- und Jugendhilfegesetz beschrieben (Achtes Buch Sozialgesetzbuch,
SGB VIII). Die Einsatzmöglichkeiten von Erziehern sind danach weit gefächert und umfassen insbesondere eigenständiges und beratendes Tätigwerden. Die Pädagogische Arbeit in Kindertagesstätten liegt schwerpunktmäßig in ihrem Aufgabenbereich.
Auch die Arbeitsmarktchancen sind nach diesen Vorgaben als Erzieher besser, weil schon nach der gesetzgeberischen Vorstellung auch die Zweitkraft in Kindertagesstätten gemäß § 4
Abs. 3 Satz 2 KitaG eine entsprechende Fachkraft sein soll. Nach dem Willen des Gesetzgebers sind Sozialassistenten zweitrangig zu berücksichtigen. Zudem wird bei der Ausbildung zum Erzieher auch die Fachhochschulreife vermittelt. Die sozialpädagogische Arbeit, die auf hohem Niveau und mit guter Qualität in den niedersächsischen Kindertagesstätten geführt werden soll, wird angesichts der tiefer gehenden Ausbildung durch die Erzieher abgedeckt.
(c) Gesetzgeberisches Ziel ist gemäß § 4
Abs. 1
Nr. 2
SGB IX schließlich auch, die Abhängigkeit von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder zu mindern. Bei einer Ausbildung
bzw. einer Tätigkeit als Sozialassistent wäre der Antragsteller aller Voraussicht nach zusammen mit seiner Ehefrau und seinem Kind, die mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft bilden, auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB II) angewiesen. Der durchschnittliche Verdienst eines Sozialassistenten als Berufsanfänger beträgt bundesweit brutto 1.500,00
EUR, in Niedersachsen zwischen 1.100,00
EUR und 1.300,00
EUR (
vgl. die Internetportale www.ausbildung.de; www.gehaltsvergleich.com; www.ausbildungen.info.com; www.steuerklassen.com). Allein die Regelsätze für eine Bedarfsgemeinschaft mit zwei Erwachsenen und einem 15- bis 18-jährigem Kind betrügen nach § 2 der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2015 (RBSFV 2015) 2 x 360,00
EUR und 1 x 320,00
EUR, insgesamt 1.040,00
EUR. Hinzu kämen gemäß § 22
SGB II die Kosten der Unterkunft und Heizung. Über weiteres Einkommen als das derzeitige Übergangsgeld des Antragstellers verfügt die Familie nicht. Das Ziel der weitgehenden Unabhängigkeit von Sozialleistungen kann daher erst durch eine weitergehende Ausbildung und den damit einhergehenden besseren Verdienstaussichten erreicht werden.
(2) Erforderlichkeit
bzw. Notwendigkeit liegt vor, wenn die Maßnahme geeignet ist (a), das Ziel zu erreichen und kein anderer, sinnvollerer Weg, dieses Ziel zu erreichen, gegeben ist (b) (Deusch,
a. a. O., Rn. 15).
(a) "Eignung ist die körperliche, geistige und seelische Leistungsfähigkeit, um mit Aussicht auf Erfolg am Arbeitsleben teilzuhaben und an den hierzu erbrachten Leistungen teilzunehmen. Neigung ist das eigene Wollen,
d. h. die innere Berufung sowie der Wunsch, eine bestimmte berufliche Rolle und Funktion auszuüben. Die weitmögliche Beachtung der beruflichen Neigungen des behinderten Menschen entspricht der Grundforderung des
SGB IX nach Förderung der Selbstbestimmung und ist für die Eigenmotivation von großer Bedeutung." (Deusch,
a. a. O., Rn. 37). Der Antragsteller ist hoch motiviert und ausweislich der vorgelegten Zeugnisse und Bestätigungen auch geeignet, die Ausbildung zum Erzieher anzutreten. Zum einen hat er bereits die Ausbildung zum Sozialassistenten so erfolgreich absolviert, dass er eine Ausbildung zum Erzieher antreten darf und eine Schulplatzzusage erhalten hat. Dies ist nicht selbstverständlich. Allein das Bestehen der Ausbildung zum Sozialassistenten ist nicht ausreichend, um die Weiterbildung zum Erzieher anzutreten, vielmehr muss das Abschlusszeugnis entsprechende Noten aufweisen, was der Fall ist. Zudem bescheinigen ihm sowohl seine schulischen Ausbilder als auch die Ausbilder am Praktikumsplatz eine hohe Motivation und die Fähigkeit, eigenverantwortlich Aufgaben wahrzunehmen und sich in die Gruppe aktiv einzubringen. Der Antragsteller hat den Wunsch, als Erzieher weitergehende Verantwortung übernehmen zu dürfen, als dies dem Sozialassistenten möglich ist.
Der Entscheidung steht nicht entgegen, dass der Antragsteller bereits erfolgreich eine Ausbildung zum Sozialassistenten abgeschlossen hat und damit in das Berufsleben starten könnte. Zum einen sind damit weder Eignung und Neigung des Antragstellers noch der Umstand, dass er durch die Maßnahme weitgehende Unabhängigkeit von Sozialleistungen erreichen soll, berücksichtigt.
Zum anderen gebieten auch
Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Lit. a und e der UN-Behindertenrechts-konvention (UN-BRK) sowie
Art. 27
Abs. 1 Satz 2
Lit. a und e
UN-Behindertenrechts-konvention und
Art. 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdCh), dem behinderten Menschen eine Höherqualifizierung zu ermöglichen (Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 06.08.2014,
B 11 AL 5/14 R).
§ 33 Abs. 1 Ziffer 3 SGB IX hat nämlich auch zum Ziel, die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen aus
Art. 12 Grundgesetz (
GG) zu schützen. Dabei ist entsprechend den sozialgesetzlichen Vorschriften sowie den vorgenannten europäischen und völkerrechtlichen Gesetzestexten ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. "Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen
bzw. der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden" (
BSG,
a. a. O., Rn. 21). Gerade auch deswegen ist dem Antragsteller eine Kostenübernahme für die Ausbildung zum Erzieher zu gewähren, da hierdurch seine Berufswahlfreiheit verwirklicht wird. Die berufliche Veränderung ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers in § 33
Abs. 3 Ziff. 3
SGB XI vorgesehen und im Falle des Antragstellers liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor,
s. o..
Um eine Zusatzqualifikation handelt es sich bei der Ausbildung zum Erzieher entgegen der Annahme der Antragsgegnerin nicht. Vielmehr sind der Sozialassistent und der Erzieher zwei verschiedene Berufe, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und verschieden gewichtige Verantwortung tragen, s.o. Dass beide Berufe in Kindertagesstätten ausgeübt werden können, ist dabei unbeachtlich und führt nicht dazu, bei der Ausbildung zum Erzieher von einer Zusatzqualifikation auszugehen.
Es handelt sich schließlich auch nicht um eine Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin. Ziel und Erforderlichkeit der Maßnahme sind Tatbestandsmerkmale, deren Vorliegen nicht im Ermessen der Antragsgegnerin liegen. Ein Auswahlermessen der Antragsgegnerin ergibt sich erst dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und mehrere gleich geeignete Maßnahmen gegeben sind, das Ziel zu erreichen. Denkbar wäre im vorliegenden Fall lediglich, den Antragsteller auf eine Ausbildung zum Erzieher in Teilzeit zu verweisen und gleichzeitig in Teilzeit der Tätigkeit als Sozialassistent nachzugehen. Die Ausbildungszeit würde sich hierdurch auf drei bis vier Jahre verlängern. Allerdings geht das Gericht angesichts des Alters des Antragstellers davon aus, dass dies eine unvertretbare Härte für den Antragsteller bedeuten würde. Er würde dann noch später in den Beruf einsteigen können, als dies jetzt schon der Fall ist. Zudem wäre seine Familie für die Interimszeit auf weitere Hilfen angesichts des dann noch geringeren Einkommens angewiesen. Insoweit ist das Auswahlermessen der Antragsgegnerin auf Null reduziert.
Ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, weil die Schulplatzzusage für den 01.08.2015 erteilt wurde und dieses Datum unmittelbar bevorsteht.
Ein Zuwarten mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist nicht angezeigt, da eine solche mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät käme und damit effektiver Rechtsschutz verweigert würde. Dies wäre für den Antragsteller angesichts seines Alters und den geringen Verdienstaussichten als Soziallassistent unzumutbar.
Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).