Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), da sie rechtswidrig sind. Die Klägerin hat Anspruch auf Versorgung mit einem Hausnotrufsystem als Pflegehilfsmittel zu Lasten der Beklagten.
Pflegebedürftige haben Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbstständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind (§ 40
Abs. 1
S. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB XI).
Die Pflegebedürftigkeit der Klägerin ist gegeben; die Beklagte gewährt ihr Leistungen wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe I. Bei einer Hausnotrufanlage handelt es sich um ein technisches Pflegehilfsmittel im Sinne des § 40
Abs. 1
S. 1
SGB XI und nicht nur um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der vom Hilfsmittelbegriff nicht umfasst ist. Die Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers ist nicht gegeben; insbesondere ist nicht die Krankenversicherung nach §§ 23
Abs. 1, 27
Abs. 1, 33
SGB V leistungspflichtig, da die dort genannten Voraussetzungen zur Versorgung mit einem Hilfsmittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfüllt sind.
Die Klägerin kann die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem zu Lasten der Pflegekasse beanspruchen, weil dieses Pflegehilfsmittel ihr eine selbstständigere Lebensführung ermöglicht. Grundanliegen des
SGB VI ist es, dem Pflegebedürftigen zu ermöglichen, in seinem häuslichen Umfeld zu verbleiben, solange er dies wünscht und eine sachgerechte Pflege dort durchführbar ist. Der Einsatz eines Hausnotrufsystems kann für ein Verbleiben im häuslichen Bereich vor allem bei solchen Pflegebedürftigen von ausschlaggebender Bedeutung sein, die nicht über eine ständig anwesende Pflegeperson verfügen, sondern ihre Pflege durch externe Pflegepersonen
bzw. Pflegesachleistungen sicherstellen. Der Pflegebedürftige soll nach der Intention des Gesetzgebers zur Vermeidung von Heimpflege grundsätzlich in seiner Wohnung verbleiben können und nicht in irgendeiner Wohnung, die seinem Pflegebedürfnissen entspricht (
BSG, Urteile vom 03.11.1999 - B 3 P 3/99 R - und vom 11.04.2002 - B 3 P 10/01 R). Hiervon ausgehend ist die Notwendigkeit einer Versorgung mit einem Hausnotrufsystem im Fall der Klägerin gegeben. Nach den Feststellungen des SMD vom 29.07.2004, die sich u.a. auf den Inhalt des Pflegegutachtens vom 13.08.2002 stützen, und dem Bericht des Hausarztes K vom 04.03.2005 leidet die Klägerin
u. a. an einem chronischen LWS-Syndrom, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, Kreislaufschwächen bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz und Schwindel. Sie ist deshalb in der Vergangenheit mehrfach in ihrer Wohnung gestürzt; Folgen waren zahlreiche Prellungen und vollständige Hilfslosigkeit.
Aufgrund dieses Krankheitsbildes sind insbesondere im Rahmen eines Sturzes lebensbedrohliche Situationen (laut SMD) möglich und (laut Hausarzt) zu erwarten. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin über einen Festnetzanschluss und ein Handy verfügt. Die unstreitige Fähigkeit der Klägerin, diese Geräte unter "normalen" Umständen nutzen zu können, ist nicht auf eine häusliche Notfallsituation übertragbar. Zum Einen ist nicht sicher, dass bei einem Sturz der Klägerin in ihrer Wohnung das Festnetztelefon oder das Handy in erreichbarer Nähe ist; zum Anderen hat die Klägerin glaubhaft und überzeugend dargelegt, dass sie infolge der bei einem Sturz eintretenden Benommenheit nicht in der Lage wäre, entsprechend einprogrammierte Notrufnummern auf dem Festnetzgerät
bzw. dem Handy zu wählen. Dies wird durch die Angaben des Hausarztes K im Befundbericht vom 04.03.2005 bestätigt, wonach die Klägerin bei den Sturzereignissen in der Vergangenheit vollständig hilflos war. Unter diesen Voraussetzungen kann nur ein Notrufsystem Abhilfe schaffen. Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass in den letzten zwei Jahren keine Stürze mehr erfolgt sind. Wenn die Klägerin aus den früheren Stürzen Konsequenzen gezogen hat und sich höchst vorsichtig und situationsangepasst in ihrer Wohnung bewegt, ändert dies nichts an ihrem Krankheitsbild, das nach wie vor zu Schwächeanfällen und Schwindelattacken führt, sodass auch bei äußerster Vorsicht letztlich ein Sturz nicht auszuschließen ist.
Die Auffassung der Beklagten, Hausnotrufgeräte kämen nur bei (über weite Teile des Tages) allein lebenden Pflegebedürftigen in Betracht, die mit handelsüblichen Telefonen keinen Hilferuf absetzen könnten und bei denen aufgrund ihrer Krankheitsgeschichte jederzeit lebensbedrohliche Situationen zu erwarten seien, findet im Gesetz keine Stütze. Die Beklagte orientiert sich offensichtlich an einer ähnlichen Formulierung in dem nach § 78
Abs. 2
SGB XI erstellen Pflegehilfsmittelverzeichnis. Das Pflegehilfsmittelverzeichnis gibt Anhaltspunkte für die Gewährung von Pflegehilfsmitteln, ist jedoch für die Pflegekassen und die Gerichte nicht verbindlich (
BSG, Urteil vom 11.04.2002 - B 3 P 10/01 R = SozR 3- 3300 § 40
Nr. 9). Die Notwendigkeit eines Hausnotrufsystems kann sich nicht nur aus der konkreten Gefahr unmittelbar lebensbedrohender Umstände, sondern auch aus der Möglichkeit einer lebensbedrohlichen Situation nach einem Sturz oder auch aus anderen Notfallsituationen ergeben, die
z.B. aus Gründen der Menschenwürde einer sofortigen Abhilfe bedürfen (Hess.
LSG, Urteil vom 18.12.2003 -
L 8 KN 502/02 P). Ein schwindelbedingter Sturz muss nicht zwingend zu einer lebensbedrohlichen Situation führen. Da aber die Art und Weise eines Sturzes nicht vorhersehbar ist, die Klägerin also auch unglücklich stürzen, sich - wie in der Vergangenheit - verletzen und nicht selbst helfen kann, ist es ein Gebot der Menschenwürde, Vorsorge zu treffen, dass die dann bestehende Hilfslosigkeit so schnell wie möglich beseitigt wird, und zwar selbst dann, wenn noch keine lebensbedrohliche Situation eingetreten ist.
Da das Hausnotrufsystem leihweise überlassen wird, hat die Beklagte die hierdurch entstandenen Kosten seit der Installation des Systems (22.07.2004) zu tragen (§§ 40
Abs. 3
S. 1, 33
Abs. 1
SGB XI).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Kammer geht davon aus, dass die Berufung auch ohne besondere Zulassung statthaft ist. Für den Fall jedoch, dass eine andere Auffassung vertretbar gewesen wäre, hat sie die Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst.