Urteil
Kostenerstattung für ein Pflegebett
Gericht:
LSG Bayern
Aktenzeichen:
L 4 KR 253/03
Urteil vom:
29.06.2006
LSG Bayern
L 4 KR 253/03
29.06.2006
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.08.2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1) die außergerichtlichen Kosten der Berufung zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Kostenerstattung für ein Pflegebett in Höhe von 2.778,20 DM (1.420,47 Euro) abzüglich 2 % Skonto.
Der 1978 geborene, bei der Beklagten versicherte Kläger, der von seiner Mutter betreut wird, leidet an einer spastischen Tetraparese und Retardierung infolge von perinataler Asphyxie; er erhält deswegen von der Beigeladenen zu 2 Leistungen nach der Pflegestufe III. Er benötigt nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) im Gutachten vom 24.07.1995 u. a. Hilfe bei der Mobilität (z.B. Aufstehen und Zu-Bett-Gehen) und muss in der Nacht einmal gedreht werden. Der Kläger ist zuhause u. a. mit Rollstühlen und mit einem Pflegebett auf Kosten der Beigeladenen zu 2) versorgt. Zur mündlichen Kommunikation verwendet er einen sog. "Touch-Talker".
Er ist seit September 1999 in einem Wohnheim der Lebenshilfe für Behinderte e.V. (Beigeladener zu 1) in S. untergebracht; an den Wochenenden hält er sich zuhause bei den Eltern auf.
Bei dem Beigeladenen zu 1), der Einrichtung der Lebenshilfe für Behinderte, handelt es sich um eine vollstationäre Einrichtung der Behindertenhilfe, in der die berufliche und soziale Eingliederung, die schulische Ausbildung oder die Erziehung Behinderter im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen (Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 26.10.2000). In der Einrichtung der Behindertenhilfe wird medizinische Behandlungspflege nicht von den Mitarbeitern geleistet. Ein spezielles Pflegeangebot besteht nicht und ist nach Auskunft des Beigeladenen zu 1) für die Aufgabenstellung des Heims nicht notwendig; wenn zeitweise eine medizinische Behandlungspflege erforderlich ist, bedient sich das Heim ambulanter Pflegedienste. Von den neun weiteren Bewohnern haben vier Bewohner eine Pflegestufe zuerkannt bekommen (Schreiben des Beigeladenen zu 1).
Der Beigeladene zu 1) und der Bezirk Unterfranken - Sozialverwaltung - (Sozialhilfeträger) schließen jährlich Verträge über das leistungsgerechte Entgelt; in der Vereinbarung vom 28.12.1999 wurde demgemäß eine Gesamtvergütung von 102,69 DM kalendertäglich vereinbart. Nach dem Bayerischen Rahmenvertrag der überörtlichen Sozialhilfeträger und der Kommunalen Spitzenverbände mit den Vereinigungen der Träger von Einrichtungen vom 15.07.1998 ist in § 7 Abs. 2 geregelt, dass die Leistung die Grundleistung (Unterkunft und Verpflegung), die Maßnahmen (Betreuung, Beratung, Bildung, Erziehung, Förderung, Pflege und Behandlung für die verschiedenen Hilfebedarfsgruppen/Leistungstypen) und die Bereitstellung der betriebsnotwendigen Anlagen (Gebäude und Grundstücke einschließlich ihrer Ausstattung) enthält. Nach § 13 des Rahmenvertrages sind die Leistungen nach dem SGB V und Leistungen nach dem SGB XI mit Ausnahme von Leistungen nach § 43a und die Zusatzleistungen nicht Bestandteil der Vergütung.
Ein Arzt der Orthopädischen Klinik K. (W.) verordnete am 23.07.1999 auf dem dafür vorgesehenen Verordnungsblatt für den Kläger ein Pflegebett (höhenverstellbar, 4-geteilte Liegefläche) für das Wohnheim. Der von der Beklagten gehörte MDK verneinte in der Stellungnahme vom 03.08.1999 die Voraussetzungen für den Leistungsantrag, da es sich um eine Doppelversorgung handle.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 20.08.1990 die Kostenübernahme ab, leistungspflichtig sei das Wohnheim. Sie wies den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.1999 zurück. Auch die Einrichtungen der Behindertenhilfe hätten gewisse Pflegehilfsmittel generell zur Verfügung zu stellen. Pflegebetten gehörten zur Infrastruktur eines solchen Heimes und hätten als Hilfsmittel in erster Linie pflegeerleichternden Charakter. Ein Anspruch zu Lasten der Krankenversicherung bestehe nicht.
Der Kläger hat mit der Klage von 24.11.1999 beim Sozialgericht Würzburg (SG) geltend gemacht, das Pflegebett zähle nicht zur Grundausstattung des Heims, bei dem es sich nicht um eine stationäre Pflegeeinrichtungen handle. Es sei ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der von der Beklagten noch einmal gehörte MDK kam in der Stellungnahme vom 01.07.2002 nunmehr zu dem Ergebnis, die medizinische pflegerische Notwendigkeit der Versorgung mit einem Pflegebett stehe außer Frage. Der Hauptnutzen des Bettes bestehe in einer Erleichterung der Pflege. Behandlungspflege werde bei dem Kläger nicht durch das Personal der Einrichtung geleistet, sondern gegebenenfalls durch Mitarbeiter einer Sozialstation. Bis zu einem gewissen Grad lasse sich auch ein Ausgleich der Behinderung durch das Hilfsmittel denken, jedoch sei die Erleichterung der Pflege vorrangig.
Der Beigeladene zu 1) hat für den Kläger im Dezember 2001 das Pflegebett mit viergeteilter Liegefläche, Rückenlehne, Höhe und Oberschenkelteil durch Elektromotor verstellbar, zu einem Preis von 2.778,20 DM geliefert; bezahlt wurden vom Beigeladenen zu 1) unter Inanspruchnahme von 2% Skonto 2.722,64 DM. Der Beigeladene zu 1) hat dem Kläger den Kaufpreis gestundet.
In der mündlichen Verhandlung am 13.08.2003 hat die Betreuerin des Klägers angegeben, er könne das Pflegebett selbständig bedienen. Er werde dadurch in die Lage versetzt, sich selbständig im Bett aufzurichten und sich in eine andere Position zu begeben.
Das SG hat mit Urteil vom gleichen Tag die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger von den Kosten für das Pflegebett in Höhe von 1.420,74 Euro freizustellen. Die Beklagte habe die Kosten des Pflegebetts zu übernehmen, da es weder ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sei, noch durch Rechtsverordnung als Hilfsmittel ausgeschlossen sei. Die Leistungspflicht der Beklagten sei auch nicht durch den ständigen Aufenthalt des Klägers in einer Behinderteneinrichtung ausgeschlossen. Das Wohnheim der Lebenshilfe (Beigeladener zu 1)) sei nicht zuständig, da die Pflegekasse lediglich 10 v.H. des vereinbarten Heimentgelts übernehme. Außerdem seien während des Aufenthalts in einer Einrichtung von der Pflegeversicherung Pflegehilfsmittel nicht zu gewähren. Diese Leistungen würden nur im Rahmen der häuslichen Pflege übernommen. Ein Versicherter, der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erhält, und der sich in einer Behinderteneinrichtung befindet, die kein Pflegeheim ist, habe aber nach der Rechtsprechung Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel durch die gesetzliche Krankenversicherung, soweit dieses Hilfsmittel nach den zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Heimträger getroffenen Vereinbarungen nicht zur sächlichen Ausstattung (Inventar) der Einrichtung gehört. Nach dem für das Wohnheim der Lebenshilfe geltenden bayerischen Rahmenvertrag umfasse die Vergütung insbesondere nicht die Leistungen der Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Das verstellbare Pflegebett diene dazu, einen Funktionsausfall im Rahmen einer normalen Lebensführung auszugleichen, indem es behinderungsbedingte Defizite ersetzt und ergänzt. Der Kläger könne damit seine Lage selbständig verändern und eine weitergehende Selbständigkeit erreichen. Es werde ihm durch das Pflegebett ermöglicht, auch in liegender Position ohne fremde Hilfe sich aufzurichten, z.B. um fernzusehen, oder sich selbst anders zu lagern. Er sei für derartige Verrichtungen nicht mehr auf die Bereitschaft des Pflegepersonals angewiesen. Eine weitergehende Leistungszuständigkeit des Sozialhilfeträgers komme nicht infrage, da dieser im vorliegenden Fall lediglich subsidiär zuständig sei. Die Beklagte könne auch nicht mit Erfolg einwenden, es handle sich um eine unzulässige Doppelversorgung, da der Kläger sich überwiegend im Wohnheim aufhalte.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 28.10.2002, mit der sie geltend macht, das Pflegebett diene allein der Pflege; hierfür sei auch nicht die Pflegekasse, sondern die Sozialhilfe leistungszuständig. Es gehe nicht um ein Hilfsmittel der Krankenversicherung, da Lesen und Fernsehen nicht zu den Grundbedürfnissen eines Menschen zählen würden. Nach den Feststellungen des MDK könne der Kläger sich nicht selbständig umbetten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.08.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, das Pflegebett sei zum Ausgleich seiner Behinderung geeignet und erforderlich. Es erleichtere ihm vor allen Dingen eine selbständige Lebensführung, da er ohne fremde Hilfe sich in der Nacht umbetten könne. Dieser Auffassung ist auch der Beigeladene zu 1).
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
R/R2599
Informationsstand: 06.02.2007