Urteil
Interessenabwägung - Geltendmachung des pauschalierten Höchstbetrages für zum Verbrauch bestimmter Pflegehilfsmittel - Anspruch als Sachleistung bzw. Anspruch auf Kostenerstattung - Einstweilige Anordung

Gericht:

LSG Bayern 2. Senat


Aktenzeichen:

L 2 P 69/12 B ER


Urteil vom:

23.10.2012


Grundlage:

  • SGB XI § 40 |
  • SGG § 86b Abs. 2

Tenor:

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 14. September 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.), der mit Bescheid der Antrags- und Beschwerdegegnerin (im Folgenden Bg.) vom 29. Januar 2010 seit 1. Februar 2009 Pflegegeld nach der Pflegestufe I und seit Juli 2011 nach der Pflegestufe II bezieht, beantragte am 10. Mai 2012 für die Zeit ab Beginn der Leistungen die Zahlung einer Pauschale von 31.- EUR einschließlich Zinsen für beschaffte Pflegehilfsmittel zum Verbrauch. Mit Bescheid vom 24. Mai 2012 teilte die Krankenkasse mit, dass es sich bei dem Anliegen um Inkontinenzvorlagen handele, die Hilfsmittel darstellten und in den Zuständigkeitsbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung fielen. Für den Zeitraum vom 1. Dezember 2009 bis 31. Mai 2012 bot sie eine Erstattung in Höhe von 288,75 EUR (10,50 EUR/Monat) an. Für die Zeit ab Juni 2012 empfahl sie, die Inkontinenzvorlagen im Rahmen einer Pauschale über einen der Vertragslieferanten der Krankenkasse zu beziehen. Auf die Einwendungen des Bf. erklärte sich die Krankenkasse mit Schreiben vom 19. Juli 2012 bereit, auch für die Zeit vom Februar bis November 2009 die monatlichen Erstattungsbeträge für die Inkontinenzvorlagen nachzuzahlen. Zinsansprüche wurden nicht anerkannt. Bei den Aufwendungen für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel könne der Versicherte wählen, ob er diese als Sachleistung (im Rahmen der zwischen dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen geschlossenen Verträge) oder in Form der Kostenerstattung für selbst beschaffte Pflegehilfsmittel in Anspruch nehmen wolle. Wähle der Versicherte die Kostenerstattung, würde aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität in Fällen, in denen ein monatlicher Bedarf an zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln in Höhe von mindestens 31,- EUR nachgewiesen sei, auf die monatliche Vorlage von entsprechenden Belegen verzichtet werden. In diesen Fällen könne ohne weitere Prüfung der monatliche Höchstbetrag ausgezahlt werden. Auf die Angaben zur Beschaffung von Einmalhandschuhen und Desinfektionsmitteln wurde Bezug genommen; auf die monatliche Vorlage von Belegen könne hierbei nicht verzichtet werden.

Mit Fax vom 30. Juli 2012 hielt der Ast. gegenüber der Krankenkasse an seiner Forderung einer Pauschale von monatlich 31.- EUR für zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel (Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Bettschutzeinlagen, Inkontinenzmaterial) fest. Mit Bescheid jeweils vom 9. August 2012 lehnten sowohl die Krankenkasse als auch die Bg. den Antrag ab. Letztere führte aus, dass nach den vorliegenden Gutachten eindeutig der Umfang der erforderlichen, zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmittel hervorgehe. Weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft könne auf die Vorlage der entsprechenden Belege verzichtet werden.

Am 20. August 2012 hat der Ast. im Rahmen eines beim Sozialgericht Regensburg eingegangenen Antrags auf einstweilige Verfügung die Zahlung einer monatlichen Pauschale in Höhe von 31.- EUR für die Zukunft und einer Nachzahlung für die bisherigen Leistungen seit Februar 2009 beantragt. Der Gesetzgeber sehe eine Pauschale ohne Nachweis und ohne ärztliche Verordnung vor. Mit Beschluss vom 14. September 2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es seien weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Inkontinenzvorlagen und Katheter samt Zubehör fielen, auch wenn sie zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel seien und bei der Pflege behinderter oder gebrechlicher Menschen häufig eingesetzt werden, in die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung. § 40 Abs. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) greife nicht ein. Im Übrigen seien die Aufwendungen der Pflegekasse für die zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmittel gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 SGB XI durch einen monatlichen Höchstbetrag von 31.- EUR begrenzt. Für einen Kostenerstattungsanspruch sei entscheidend, ob der Versicherte, der wie der Ast. Kostenerstattung wählt, den monatlichen Bedarf nachweist. Ein solcher Nachweis sei vom Ast. nicht geführt worden. Es handele sich bei der Pauschale von 31.- EUR um den Höchstbetrag; die pauschalierte Begrenzung des Anspruchs habe nicht zur Folge, dass kein Nachweis darüber erforderlich sei, dass die Kosten in einer Höhe bis zu 31.- EUR entstanden sind. Soweit in Abstimmung mit dem GKV Spitzenverband aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität auf die monatliche Vorlage von entsprechenden Belegen verzichtet werden könne und hierzu beispielhaft in einem Gemeinsamen Rundschreiben zu den leistungsrechtlichen Vorschriften vom 1. Juli 2008 unter Ziff. 1.2 Fälle benannt seien, bei denen dies angenommen werden könne, sei dies nicht mit der Sachlage beim Bf. vergleichbar.

Auch fehle ein Anordnungsgrund. Dies gelte nicht nur für die in der Vergangenheit angefallenen Kosten. Auch unter Berücksichtigung der vom Bf. im Allgemeinen angeführten wirtschaftlichen Verhältnisse könne der Betrag von monatlich 31,- EUR durchaus noch zumutbar vom Bf. vorgestreckt werden. Darüber hinaus sei dieser nicht gezwungen, Kostenerstattung bei den zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln zu wählen. Der Anspruch gem. § 40 Abs. 2 SGB XI beinhalte eine Sachleistung, die aber auf 31,- EUR begrenzt sei. Die Leistung könne seit 01.07.2008 nach § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB XI auch in Form einer Kostenerstattung erbracht werden (vgl. Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28. Mai 2008, BGBl I 874). Der Bf. habe somit die Möglichkeit von der Kostenerstattung keinen Gebrauch zu machen, falls seine wirtschaftliche Leistungskraft dem entgegensteht. Dies sei ihm auch zumutbar.

Zur Begründung der Beschwerde hat der Bf. zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes darauf hingewiesen, dass die Hilfs- bzw. Pflegehilfsmittel dringend benötigt würden, um die Pflege sicher zu stellen, zu erleichtern und die Hygiene zu gewährleisten. Auch ein Anordnungsanspruch sei gegeben. Dieser ergebe sich aus dem Vorliegen von Schwerbehinderung, der Zubilligung der Pflegestufe II, zwei vorliegenden Pflegegutachten, einer vorliegenden eidesstattlichen Versicherung des Bedarfs, dem Recht zur pauschalen Geldleistung für zum Verbrauch bestimmter Pflegehilfsmittel und Hilfsmittel nach dem SGB, dem Recht auf ein "persönliches Budget" sowie der Leistung von Pauschalzahlungen durch die Ag. in der Vergangenheit.

Die Bg. hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt, da insbesondere kein Anordnungsgrund vorliege. Die begehrte Leistung könne von ihr als Sachleistung bezogen werden.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei hat das Gericht die Belange der Öffentlichkeit und des Antragstellers abzuwägen. Wenn eine Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden (Bayer. Landessozialgericht, Az.: L 2 B 354/01 U ER).

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sind (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 290 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Die Glaubhaftmachung begnügt sich bei der Ermittlung des Sachverhaltes als Gegensatz zum Vollbeweis mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dagegen dürfen die Anforderungen an die Erkenntnis der Rechtslage, d.h. die Intensität der rechtlichen Prüfung, grundsätzlich nicht herabgestuft werden. Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist grundsätzlich das materielle Recht, das vollumfänglich zu prüfen ist. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so verlangt der Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz eine Eilentscheidung anhand einer umfassenden Güter- und Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05).

Das Sozialgericht lehnte den Antrag wegen Fehlens eines Anordnungsanspruchs sowie eines Anordnungsgrundes ab. Entsprechend § 142 Abs. 2 S. 3 SGG sieht der Senat von einer weitergehenden Begründung ab und verweist auf die Begründung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss. Insbesondere fehlt es vorliegend an einem Anordnungsgrund, worauf auch die Bg. im Beschwerdeverfahren hinweist. Soweit der Bf. im Beschwerdeverfahren ausführt, dass die Pflegehilfsmittel dringend benötigt würden, um die Pflege sicher zu stellen, zu erleichtern und die Hygiene zu gewährleisten, kann dies zwar als zutreffend unterstellt werden, vermag jedoch einen Anordnungsgrund im Sinne des § 86 b Abs. 2 SGG nicht zu begründen. Bei diesem ist vielmehr darauf abzustellen, ob es bei einer Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalls für den betroffenen Bf. zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die Anordnung durch das Gericht müsste zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig sein (zum Ganzen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86 b Rdnr. 28).

Auch wenn die Pflegehilfsmittel vorliegend fachlich erforderlich sind, ist es dem Bf. zumutbar, ggf. den Anspruch als Sachleistung nach § 40 Abs. 2 SGB XI (vgl. Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 40 Rdnr. 22) bzw. einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 40 Abs. 2 S. 2 SGB XI gegenüber der Bg. geltend zu machen. Die Bg. lehnt vorliegend erkennbar nicht die Kostenerstattung generell, sondern lediglich die nachweislose Pauschalierung mit dem Höchstbetrag von 31.- EUR ab. Zumindest die Krankenkasse schlug mit Bescheid vom 24. Mai 2012 vor, die Inkontinenzvorlagen im Rahmen einer Pauschale über einen ihrer Vertragslieferanten zu beziehen. Im Übrigen ist nicht nachgewiesen, dass der Bf. wirtschaftlich nicht in der Lage ist, monatlich 31.- EUR für Pflegehilfsmittel zu verauslagen, so dass es ihm zumutbar ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Krankenkasse für die Vergangenheit eine Kostenerstattung in Höhe von 10,50 EUR/Monat für die Monate Februar 2009 bis 31. Mai 2012 zugebilligt hat.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Referenznummer:

R/R5420


Informationsstand: 25.03.2013