Urteil
Versorgung des Klägers mit einem zweiten Aktiv-Rollstuhl

Gericht:

LSG Bayern 4. Senat


Aktenzeichen:

L 4 KR 455/07


Urteil vom:

27.11.2008


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung des Klägers mit einem zweiten Aktiv-Rollstuhl (nunmehr: Adaptiv-Rollstuhl) streitig.

Der 1948 geborene Kläger leidet seit 1971 nach einem unverschuldeten Autounfall an Tetraplegie/Querschnittslähmung der Arme und Beine. Im September 2003 versorgte ihn die Beklagte mit einem Aktiv-Rollstuhl mit einem elektrischen Rollstuhlzuggerät.

Am 28.11.2005 beantragte der Kläger die Versorgung mit einem zweiten Aktiv-Rollstuhl (Kostenvoranschlag 2.378,61 EUR). Mit streitigem Bescheid vom 07.12.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Mit der vorhandenen Ausstattung sei die Mobilität im Innen- und Außenbereich sichergestellt. Eine Mehrfachausstattung sei nach dem Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht notwendig.

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, das beantragte weitere Hilfsmittel sei dringend notwendig, da er je einen Rollstuhl für den Innen- und einen für den Außenbereich benötige. Die Sitzpositionen seien für Innen- und Außenbereich unterschiedlich. Zudem müsse jeweils der Radstand verändert werden. Der Widerspruch blieb mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2006 erfolglos.

Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht Regensburg (SG) fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Leider sei es unmöglich, jedes Mal, wenn er das Haus verlasse, den Rollstuhl komplett umzuschrauben, was auch nur von qualifiziertem Fachpersonal durchgeführt werden sollte. Des Weiteren würden Sepsen an den wundgeriebenen Stellen, also den Händen verhindert, da diese nicht ständig im Kontakt mit den verschmutzen Rädern eines Außenrollstuhls kämen, sondern durch die Verwendung eines zweiten Rollstuhls für innen dies ausgeschlossen werden könne (der Kläger hat von der Beklagten bereits spezielle Handschuhe erhalten).

Mit Urteil vom 18.10.2007 hat das SG die Klage abgewiesen und sich der Auffassung unter Bezug auf die Hilfsmittelrichtlinien der Beklagten angeschlossen. Der Kläger sei hinsichtlich des Grundbedürfnisses "Erschließen eines gewissen körperlichen Freiraums" von der Beklagten bereits mit einem Rollstuhl und einem elektrischen Rollstuhlzuggerät versorgt. Es seien keine Gründe erkennbar, dass die Versorgung mit einem zweiten Rollstuhl, damit ein Rollstuhl ausschließlich im Außen- und der andere ausschließlich im Innenbereich benutzt werden könne, zu Lasten der Krankenversicherung erfolgen sollte.

Gegen das Urteil vom 18.10.2007 richtet sich die fristgerecht eingelegte Berufung. Im Wesentlichen wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Aufgrund der unterschiedlichen Lebensbereiche, in denen die Rollstühle unterschiedlicher Bauart eingesetzt würden, handle es sich nicht um eine Doppelversorgung im klassischen Sinn. Der streitgegenständliche Rollstuhl komme nämlich nur im Außenbereich zum Einsatz. Durch ihn werde ihm dieser Lebensbereich qualitativ neu erschlossen, weil er sich damit unabhängiger bewegen könne.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 27.11.2008 erklärte die Vertreterin der Beklagten, die vorhandene elektrische Zugvorrichtung sei dazu gedacht, einer schiebenden Person die Arbeit zu erleichtern. Ein Rollstuhl werde in der Regel so angepasst, dass der Versicherte damit im Innen- und Außenbereich unterwegs sein könne. Von Nachbesserungen des 2003 gelieferten Rollstuhls sei ihr nichts bekannt.

Die Vertreterin des Klägers beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.10.2007 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 07.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger mit einem zweiten Adaptiv-Rollstuhl zu versorgen.

Die Vertreterin der Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere könne nach Meinung der Orthopädiefachkraft bei jedem Aktivrollstuhl (= Adaptivrollstuhl) der Randstand verändert werden, der Schwerpunkt also nach hinten verlagert werden, um so eine Kippgefahr zu vermeiden. Eine unterschiedliche Einstellung für den Innen- und Außenbereich - wie vom Kläger beschrieben - sei nicht nachvollziehbar und würde keine erkennbaren Vorteile bringen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogenen Akten Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Regensburg, Urteil vom 18.10.2007 - S 2 KR 81/06

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), in der Sache selbst jedoch unbegründet, weil die Beklagte nicht verpflichtet werden kann, den Kläger mit dem gewünschten zweiten Aktivrollstuhl zu versorgen.

Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs.1 SGB V).

Nach § 33 Abs.1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind.

Die zitierten Vorschriften sind unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit zu betrachten, wie es in § 12 Abs.1 SGB V beschrieben ist. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungsbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Zu Recht weisen sowohl die Beklagte als auch das SG darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges ist, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkung der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr.31 -Rollstuhl-Bike/226 SozR 3-2500 § 33 Nr.32 - Therapie-Tandem; SozR 3-2500 § 33 Nr.46 - Dreirad -) gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens, das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums.

Bezüglich des Grundbedürfnisses der Schaffung und Erschließung eines körperlichen und geistigen Freiraumes wurde der Kläger im September 2003 durch die Beklagte mit einem Aktivrollstuhl und einem elektrischen Rollstuhlzuggerät versorgt. Mehr ist nicht notwendig. Zutreffend weist das SG in diesem Zusammenhang darauf hin, soweit der Kläger unter anderem hygienische Gründe für die Notwendigkeit eines zweiten Rollstuhls geltend mache, dies von der Beklagten zutreffend entsprechend der Hilfsmittel-Richtlinien abgelehnt worden sei. Soweit der Kläger unter anderem vorträgt, dass ein zweiter Rollstuhl für den Fall von Reparaturen am vorhandenen Rollstuhl als Reserve benutzt werden könne, reicht dies nicht aus, um die Notwendigkeit einer Versorgung mit einem zweiten Rollstuhl zu begründen. Denn unstreitig stellt die Beklagte in solchen Fällen einen Ersatzrollstuhl zur Verfügung. Auch das weitere Vorbringen des Klägers, dass der vorhandene Rollstuhl für den Innen- und Außenbereich unterschiedlich eingestellt werden muss, ist nicht geeignet, eine Änderung der Entscheidung herbeizuführen. Insoweit hat die Beklagte auf eine Rücksprache mit ihrem technischen Berater verwiesen, der eine unterschiedliche Einstellung für nicht notwendig erachtet. Hinzuweisen ist auch darauf, dass der Kläger - wie andere Rollstuhlfahrer auch - bislang den vorhandenen Rollstuhl für innen und außen verwandt hat. Ernsthafte Gründe, nicht weiterhin so zu verfahren, bestehen nicht. Fest steht des Weiteren, dass der 2003 gelieferte Rollstuhl nicht nachgebessert wurde, woraus zu schlussfolgern ist, dass er tatsächlich individuell angepasst wurde.

Somit war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Regensburg vom 18.10.2007 zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, denn der Kläger ist unterlegen (§ 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Referenznummer:

R/R3836


Informationsstand: 16.03.2012