Urteil
Kein Anspruch auf Versorgung mit einer zweiten Unterschenkelprothese

Gericht:

LSG Bayern 4. Senat


Aktenzeichen:

L 4 KR 459/07


Urteil vom:

07.05.2009


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 9. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit einer zweiten Unterschenkelprothese.

Dem 1976 geborenen Kläger ist nach einem Unfall im Sommer 2001 der rechte Unterschenkel amputiert worden. Die Beklagte versorgte ihn im Juni 2002 erstmals mit einer Prothese, die dann jeweils im September 2003 und April 2005 gegen eine neue ausgetauscht wurde. Die Versorgung mit einer zusätzlichen Prothese, die vom Orthopäden Dr. K. am 16.11.2005 verordnet worden war und wofür der Lieferant 5.635,70 Euro veranschlagt hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.11.2005 ab.

Seinen Widerspruch dagegen ließ der Kläger mit der Maßgeblichkeit der vertragsärztlichen Verordnung begründen. Er lebe allein und sei stets auf eine funktionierende Prothese angewiesen. Insbesondere wenn die derzeit verwendete repariert werde, müsse er auf eine zweite Prothese zurückgreifen können. Sein hohes Körpergewicht von 140 Kilogramm führe zu besonderem Verschleiß. Nachdem die Beklagte dies als nicht ausschlaggebend angesehen und im Widerspruchsbescheid vom 03.05.2006 ihre Ablehnung bestätigt hatte, ließ der Kläger am 18.05.2006 Klage zum Sozialgericht Würzburg erheben und die Gründe für die Notwendigkeit einer Wechselprothese wiederholen. Der Chirurg Dr. H., der den Kläger regelmäßig betreut, berichtete am 06.12.2006 von einer erfolgreichen Knieoperation links im November 2005 und einem danach unveränderten Befund.

Der Kläger legte dem Sozialgericht eine Auflistung über die Zeitdauer der seit März 2006 durchgeführten Reparaturen vor. Inzwischen tauschte die Beklagte im Juli 2007 die vorhandene Prothese gegen eine neue aus. Das Sozialgericht wies nach mündlicher Verhandlung am 09.10.2007 die Klage ab. Eine Doppelversorgung sei unter keinem Gesichtspunkt geboten. Auch die vom Kläger geltend gemachten Gründe, vorrangig das reparaturbedingte Fehlen, sei nicht stichhaltig, insbesondere wenn man die jeweilige Dauer der reparaturbedingten Ausfälle der vorhandenen Prothese betrachte. Deswegen eine weitere Prothese dauernd vorzuhalten, sei nicht notwendig.

Mit der dagegen eingelegten Berufung drängt der Kläger weiterhin darauf, dass unter seinen besonderen, normabweichenden Umständen, nämlich sein hohes Körpergewicht, welches zu verringern ihm nicht möglich sei, und dem Umstand, dass er allein lebe, nur die Doppelversorgung seine Grundbedürfnisse ausreichend befriedigen könne.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 09.10.2007 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 29.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2006 aufzuheben und ihm mit einer weiteren Unterschenkelprothese zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und verweist auf die aus ihrer Sicht bestehende, ausreichende Versorgung.

Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakten bzw. der Kassenakte der Beklagten verwiesen.

Rechtsweg:

SG Würzburg Urteil vom 09.10.2007 - S 4 KR 545/06

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG). Der Kläger ist weiterhin beschwert, obwohl er entsprechend gemäß der hier streitgegenständlichen ärztlichen Verordnung vom 16.11.2005 inzwischen eine neue Prothese im Juni 2007 erhalten hat. Sein Begehren ist weiterhin auf eine Doppelversorgung gerichtet, also auf das zur Verfügungstellen einer zusätzlichen Prothese neben der im Juni 2007 ausgewechselten. Dies ist ausreichend, um ein Rechtsschutzinteresse für die Durchführung des Berufungsverfahrens anzunehmen.

Der Erfolg seines Rechtsmittels ist ihm jedoch verwehrt, denn es steht ihm keine zusätzliche Prothese zu, so dass die Entscheidung des Sozialgerichts als zutreffend zu bestätigen ist. Es ist von der Beklagten nicht angezweifelt worden, dass der Kläger Anspruch auf Versorgung mit einer Unterschenkelprothese hat (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Es handelt sich dabei um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung u.a. mit Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen, soweit das Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen ist oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen ist. Die beiden Einschränkungen sind hier zu verneinen und daher allein zu prüfen, ob die Versorgung des Klägers mit einer zweiten Prothese medizinisch erforderlich im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist. Das ist nicht der Fall. Erforderlich ist ein Hilfsmittel dann, wenn es ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig ist, wie dies allgemein in § 12 Abs. 1 SGB V vorgeschrieben ist. Es muss zum Behinderungsausgleich unentbehrlich oder unvermeidlich sein. Eine Doppelversorgung lässt sich anhand dieses Maßstabes nicht begründen (so auch der Senat bei einer ähnlichen Konstellation im Urteil vom 29.11.2007 - L 4 KR 5/06). Die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Richtlinien über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittelrichtlinien vom 17.06.1992) konkretisierten dies unter der Nr. 21 dahin, dass eine Mehrfachausstattung mit Hilfsmitteln grundsätzlich nicht verordnet werden kann. Als Ausnahme kommen lediglich hygienische Gründe in Betracht oder wenn aufgrund besonderer Beanspruchung durch den Versicherten diese Mehrfachversorgung zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Beides lässt sich nicht feststellen.

Das was der Kläger anführt, ist nicht geeignet, eine Versorgung über das Erforderliche hinaus zu begründen. Seine Bedenken bestehen allein darin, dass er im Falle einer Reparatur seiner vorhandenen Prothese über keine spezielle Ersatzprothese verfügt. Diese Furcht allein ist aber nicht anspruchsbegründend. Das ergibt sich aus dem bisherigen Verlauf seines Lebens als Prothesenträger. Wie das Sozialgericht im Einzelnen dargestellt hat, waren die zeitlichen Ausfälle in den vergangenen Jahren jeweils nur von kurzer Dauer und widerlegen das Szenario, wie es der Klägervertreter in seiner Berufungsbegründung dargestellt hat. So wäre im Einzelfall zu prüfen, ob während der Reparatur vom Lieferanten nicht eine - wenngleich sicher etwas einfachere - Prothese leihweise als Übergangshilfe zur Verfügung gestellt werden kann. Auch die vom Sozialgericht herangezogene Überlegung, dass im häuslichen Bereich kurzfristig die Beweglichkeit mit Unterarmstützen bei einem 32-jährigen ausreichend gewährleistet ist, ist nicht zu widerlegen. Daneben weist der Kläger auf sein abnormes Körpergewicht hin, welches die Prothesenversorgung außergewöhnlich erschweren würde. Das spricht aber nicht für eine Mehrfachversorgung, sondern nur für die Anforderung an die Qualität der vom Lieferanten zur Verfügung zu stellenden Prothese. Es dürfte auch nicht unzumutbar sein, wenn der Kläger von sich aus Maßnahmen ergreift, seine Fettleibigkeit spürbar zu verringern. Seine lapidare Auskunft gegenüber dem Senat, dass er sein Körpergewicht nicht verringern könne, zeigt, dass hier noch ein weites Feld der Verbesserung nicht nur der Lebensqualität, sondern auch der Entlastung seines Beinstumpfes und des Kunstbeines möglich ist. Die Beklagte bietet dazu Ernährungsberatung an, ebenso Selbsthilfegruppen wie auch die Teilnahme am Behindertensport. So kann der behandelnde Arzt hier in Anwendung der Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft zumutbare Möglichkeiten aufzeigen, an dieser Stelle anzusetzen.

Die für einen erhöhten Verschleiß der Prothese angeführte Fettleibigkeit jedenfalls vermag keine Erforderlichkeit für eine Doppelversorgung zu begründen, sondern allenfalls die Forderung an den Hersteller und Leistungserbringer eine solide Ausführung der Prothese zu liefern, die der übermäßigen Belastung Stand hält, wobei der Kläger aber auch gehalten ist, mit diesem Gerät verantwortlich umzugehen.

Somit findet sich unter keinem Blickwinkel ein hinreichender Grund, den Kläger über die gesetzliche Grundregel hinaus eine doppelte Versorgung zukommen zu lassen.

Angesichts des Verfahrensausgangs besteht kein Anlass, dem Kläger seine außergerichtliche Kosten zu erstatten (§ 193 SGG).

Gründe, die Revision nach § 160 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

Referenznummer:

R/R4400


Informationsstand: 04.12.2009