Die (kraft Zulassung) zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht dazu verurteilt, der Klägerin die für die Versorgung des Versicherten mit einem Therapiestuhl aufgewandten Kosten in Höhe von 2.853,66 Euro zu erstatten.
Der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ergibt sich aus
§ 14 Abs. 4 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Diese Vorschrift bestimmt: Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach
Abs. 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften.
§ 14
SGB IX räumt dem zweit angegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Reha-Träger ein. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem
SGB X vor. Er ist begründet, soweit der Versicherte von dem Träger, der ohne die Regelung in § 14
SGB IX zuständig wäre, die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (
vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2010, Az.: B 1/3 KR 6/09 R
m.w.N.).
Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 14
Abs. 4 Satz 1
SGB IX sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Die Klägerin hat die Versorgung des Versicherten mit dem Therapiestuhl als zweit angegangener Reha-Träger nach § 14
Abs. 1 Satz 2 bis 4
SGB IX bewilligt. Die Beklagte hat als selbständige öffentlich-rechtliche Körperschaft den Antrag an die Klägerin i.
S. dieser Vorschrift weitergeleitet.
Die Beklagte war auch
i.S.d. § 14
Abs. 4 Satz 1
SGB IX für die Versorgung des Versicherten mit dem streitgegenständlichen Therapiestuhl zuständig. Die Zuständigkeit zur Versorgung mit einem Hilfsmittel
i.S.d. § 14
Abs. 4 Satz 1
SGB IX ist gegeben, wenn der Versicherte das Hilfsmittel von der Beklagten nach ihrem materiellen Recht - der Zuständigkeitsordnung außerhalb von § 14
SGB IX - hätte beanspruchen können. Dies war hier der Fall, denn der Versicherte hätte ohne die Regelung in § 14
Abs. 2
SGB IX nur gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Versorgung mit dem Therapiestuhl nach
§ 33 SGB V gehabt.
Die materiellen Voraussetzungen des § 33
Abs. 1
SGB V sind erfüllt.
Nach § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 (Bundesgesetzblatt I
S. 2190) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 ausgeschlossen sind. Der Therapiestuhl war dem Versicherten von der Beklagten zur Verfügung zu stellen, um die aufgrund der verschiedenen Erkrankungen des Versicherten bestehende Behinderung auszugleichen. Ein Hilfsmittel ist für den Ausgleich einer Behinderung grundsätzlich erforderlich, wenn das Hilfsmittel die beeinträchtigte Körperfunktion unmittelbar ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Zu unterscheiden ist hiervon der Fall, dass das begehrte Hilfsmittel die beeinträchtigte Körperfunktion nur mittelbar ersetzt. Dann nämlich muss zusätzlich geprüft werden, in welchen Lebensbereichen sich der Ausgleich auswirkt. Festzustellen ist dabei, ob das Hilfsmittel zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Dieser Differenzierung liegt die Erwägung zugrunde, dass der unmittelbare Funktionsausgleich sich in allen Lebensbereichen auswirkt und damit zwangsläufig auch Grundbedürfnisse betroffen sind, während dies bei nur mittelbarem Behinderungsausgleich nicht ohne Weiteres angenommen werden kann (
BSG Urteil vom 06.06.2002, Az.:
B 3 KR 68/01 R).
Einen unmittelbaren Behinderungsausgleich in dem zuvor beschriebenen Sinne bewirkt der Therapiestuhl zweifelsfrei nicht. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (
vgl. BSG Urteil vom 25.06.2009, Az.:
B 3 KR 19/08 R m.w.N.). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u.a. die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens
bzw. eines Schulwissens (
BSG a.a.O.). Zum körperlichen Freiraum gehört - i.
S. eines Basisausgleichs der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit - die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (
z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs. Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (
BSG a.a.O.
m.w.N.).
Als Grundbedürfnis kommt hier ersichtlich allein der Kindergartenbesuch in Betracht, der es erfordert, dass der Versicherte mittels des Therapiestuhls an den Tischen sitzen und so an den dortigen Aktivitäten teilnehmen kann. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass der Versicherte für den Besuch des Kindergartens auf die Ausstattung mit dem Therapiestuhl in dem zuvor beschriebenen Sinne angewiesen ist. Der Senat beurteilt den Besuch des Kindergartens als Grundbedürfnis, weil dadurch zum einen die Integration in den Kreis gleichaltriger Kinder gefördert wird und ferner aber auch - durch den Kontakt mit Gleichaltrigen - das spielerische Lernen gefördert wird. Dies gewinnt für Kinder im Vorschulalter generell an Bedeutung. Auch besteht bei den zunehmend in Kleinfamilien lebenden Kindern häufig nur in geringerem Maße Kontakt zu Gleichaltrigen. Die Unterstützung der individuellen und sozialen Kompetenzen war eine Zielsetzung, die der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Förderung von Kindern unter 3 Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz) mit der Schaffung von Betreuungsplätzen in derartigen Einrichtungen verfolgt (Bundestagsdrucksache 16/10173, Seite 2). Für ältere Kinder - wie den Versicherten - erscheint eine derartige Förderung durch den Kindergartenbesuch umso dringlicher. Der Versicherte als Behinderter ist zudem hierauf - den Kontakt mit Geichaltrigen - in besonderem Maße angewiesen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob ein Grundbedürfnis
i.S.d. oben zitierten Rechtsprechung vorliegt, nicht auf die Frage an, ob dem Grundbedürfnis eine entsprechende Verpflichtung, etwa aufgrund einer gesetzlichen Regelung, zugrundeliegt. Zwar trifft es zu, dass der Besuch der Regelschule gesetzlich vorgeschrieben ist; allerdings zählt nicht der Schulbesuch als solcher, sondern vielmehr der Erwerb elementarer Grundkenntnisse nach der Rechtsprechung zu den Grundbedürfnissen. Auch im Übrigen spielt die Frage eines Zwangs oder einer Pflicht bei den bisher von der Rechtsprechung anerkannten Grundbedürfnissen keine Rolle.
Der Therapiestuhl ist auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen (§ 33 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz
SGB V). Diese Frage beurteilt sich danach, ob ein Gegenstand bereits seiner Konzeption nach den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen soll oder - falls dies nicht so ist - den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt und von gesunden, körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt wird (
BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az
B 3 KR 5/09 R mwN). Hier kann nicht zweifelhaft sein, dass der streitgegegenständliche Therapiestuhl bereits seiner Konzeption nach die Behinderung des Versicherten ausgleichen soll.
Die Ausstattung des Versicherten mit einem weiteren Therapiestuhl verstößt auch nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des
§ 12 SGB V. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass ein täglicher Transport des Therapiestuhls von der Wohnung des Versicherten in den Kindergarten nicht in Betracht kam. Ein Therapiestuhl ist darüber hinaus auch für den stationären Gebrauch von seiner Zweckbestimmung her vorgesehen. Allein dieser Gesichtspunkt spricht schon gegen einen täglichen Transport, bei dem ja auch zu klären wäre, wer den Transport gegebenenfalls vorzunehmen hätte. Der Versicherte selbst ist hierzu jedenfalls auch gar nicht in der Lage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz.
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Revision zugelassen.