Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung weder erschienen noch vertreten war, denn er ist mittels der ihm ordnungsgemäß zugestellten Terminsbenachrichtigung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, §§ 153
Abs. 1, 110
Abs. 1 Satz 2, 126 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Die - kraft Zulassung - zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der für den Rollstuhl des Beigeladenen aufgewandten Kosten in Höhe von 700 Euro. Soweit der Kläger die Klageforderung in der mündlichen Verhandlung reduziert hat, war dies gemäß §§ 153
Abs. 1, 99
Abs. 3
Nr. 2
SGG zulässig; im Übrigen hat die Beklagte der Reduzierung auch zugestimmt.
Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist
§ 14 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Diese Vorschrift bestimmt: Wird nach der Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach
Abs. 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Die Vorschrift begründet einen Ausgleich dafür, dass der zweitangegangene Rehabilitationsträger - hier der Kläger - nach dem Regelungskonzept des § 14
SGB IX im Interesse der raschen Zuständigkeitsklärung nach Weiterleitung eines Antrags auf eine Leistung zur Teilhabe durch den erstangegangenen Träger - hier die Beklagte - an ihn im Verhältnis zum Versicherten abschließend zu entscheiden und bei Vorliegen eines entsprechenden Rehabilitationsbedarfs die erforderlichen Rehabilitationsleistungen selbst dann zu erbringen hat, wenn er der Meinung ist, hierfür als Rehabilitationsträger
i.S.v.
§ 6 Abs. 1 SGB IX nicht zuständig zu sein. § 14
Abs. 4
SGB IX räumt dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Rehabilitationsträger ein, der den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (
SGB X) vorgeht und begründet ist, soweit der Versicherte von diesem die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (
vgl. BSG SozR 4-3250 § 14
Nr. 1;
BSG SozR 4-2500 § 40
Nr. 4;
BSG Urteil vom 20.11.2008 -
B 3 KR 16/08 R -).
Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 14
Abs. 4 Satz 1
SGB IX sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Der Kläger hat die Versorgung des Beigeladenen mit dem Rollstuhl als zweitangegangener Rehabilitationsträger nach § 14
Abs. 1 Satz 2 bis 4
SGB IX bewilligt. Die Beklagte hat als selbständige öffentlich-rechtliche Körperschaft den Antrag an den Kläger i.
S. dieser Vorschrift weitergeleitet. Die Beklagte war auch
i.S.d. § 14
Abs. 4 Satz 1
SGB IX für die Versorgung des Beigeladenen mit dem streitgegenständlichen Rollstuhl zuständig. Denn der Beigeladene hätte ohne die Regelung in § 14
Abs. 2
SGB IX nur gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit dem streitigen Rollstuhl gemäß
§ 33 SGB V gehabt.
Rechtsgrundlage eines gegen die Krankenkasse gerichteten Anspruchs ist § 33
Abs. 1
SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Dabei hat die gesetzliche Krankenversicherung nicht sämtliche direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen. Aufgabe der Krankenkassen ist allein die medizinische Rehabilitation. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation bleibt Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme.
Demgemäß ist ein Hilfsmittel zum Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung stets dann erforderlich
i.S.v. § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (
vgl. BSG SozR 4-2500 § 33
Nr. 3;
BSG Urteil vom 22.11.2008 a.a.O.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) gehören zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (
vgl. BSG SozR 4-2500 § 33 Nrn. 3, 7). Dies bezieht sich im Bereich der Mobilität auf den Bewegungsradius, den ein Gesunder üblicherweise zu Fuß erreicht (
vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn. 29, 31, 32). Bei Kindern und Jugendlichen reicht die Verantwortung der gesetzlichen Krankenversicherung im Bereich der Mobilitätshilfen über die Erschließung des Nahbereichs der Wohnung hinaus. Zu den Aufgaben der Krankenkasse gehört nämlich auch die Herstellung und Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers
bzw. der Erwerb einer elementaren Schulausbildung (
vgl. BSG SozR 2200 § 182
Nr. 73;
BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn. 22, 40). Diese Voraussetzungen sind bei dem Beigeladenen grundsätzlich erfüllt. Er ist behinderungsbedingt nicht in der Lage, zu gehen und selbständig zu sitzen, sondern war hierzu und zur Herstellung und Sicherung seiner Schulfähigkeit auf einen Rollstuhl in der Schule angewiesen, was auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze war der Beigeladene zur Sicherung seiner Grundbedürfnisse während der streitigen Zeit von Oktober 2005 bis zum Schuljahresbeginn 2007/2008 auf einen Rollstuhl für zu Hause und einen zweiten Rollstuhl für die Schule angewiesen.
Der streitige Rollstuhl war auch erforderlich und stand mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot des
§ 12 Abs. 1 SGB V in Einklang. Insbesondere steht dem Anspruch nicht entgegen, dass die Beklagte den Beigeladenen bereits im Januar 2005 mit einem Rollstuhl versorgt hatte. Eine Mehrfachausstattung mit Hilfsmitteln hat dann zu erfolgen, wenn nur auf diese Weise ein Behinderungsausgleich
i.S.d. § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V möglich ist (
vgl. Berstermann in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 33 Rdz. 86); davon gehen im Übrigen auch die Hilfsmittelrichtlinien aus (
vgl. § 6
Abs. 7 der Hilfsmittelrichtlinien).
Soweit die Beklagte hier darauf abstellt, dass sie den Beigeladenen bereits im Januar 2005 mit einem Rollstuhl versorgt hat, berücksichtigt sie nicht hinreichend, dass dieser von dem Beigeladenen lediglich am Heimatort oder am Schulort genutzt werden konnte. Die Entfernung zwischen Schul- und Heimatort beträgt mehr als 35
km, so dass der Beigeladene die Schule nicht mit dem Rollstuhl aufsuchen konnte.
Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte der Beigeladene nicht darauf verwiesen werden, dass der Kläger
bzw. der Schulträger für einen Transport des Rollstuhls zur Schule zu sorgen habe; ein solcher Anspruch des Beigeladenen bestand nämlich nicht. Abgesehen davon, dass die maßgeblichen Bestimmungen des Schulgesetzes NRW nur Regelungen zur Erstattung der Kosten für die Beförderung des Schülers und nicht der Hilfsmittel enthalten, ist auch bezüglich des Schülertransports keine gesetzliche Grundlage für einen Anspruch auf Beförderung eines Schülers zur Schule durch den Schulträger sondern lediglich auf Übernahme der Kosten gegeben (
vgl. OVG NRW Urteil vom 14.05.1975 - 8 A 347/74 -;
VG Aachen, Beschluss vom 04.08.2008 - 9 L 255/08 -). Dies folgt aus § 97
Abs. 1 Schulgesetz NRW, der Schülern bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen einen Anspruch auf Erstattung der Kosten gewährt, die für ihre wirtschaftlichste Beförderung zur Schule und zurück notwendig entstehen. Aus den Vorschriften der Verordnung zur Ausführung des § 97
Abs. 4 Schulgesetz NRW (Schülerfahrkostenverordnung - SchfkVO -) ergibt sich nichts anderes (
vgl. §§ 1, 2 SchfkVO). Nach § 16
Abs. 2 SchfkVO obliegt die Pflicht zur Beförderung den Eltern; dem Schulträger obliegt diese Pflicht gemäß § 3 Satz 2 SchfkVO ausdrücklich nicht. Der Schulträger entscheidet mit Blick auf die Kostentragungspflicht im Rahmen der SchfkVO über Art und Umfang der Schülerbeförderung (
vgl. § 3 Satz 1 SchfkVO), insbesondere über die wirtschaftlichste Beförderung (
vgl. § 12
Abs. 3 SchfkVO), ohne dass hier subjektive öffentliche Rechte des Schülers begründet werden (
vgl. VG Münster Beschluss vom 03.08.2006 - 1 L 528/06 -;
VG Aachen Beschluss vom 04.08.2008 a.a.O.). Der Schulträger kann deshalb ein Begehren, die Schülerbeförderung in einer bestimmten Art zu gestalten, grundsätzlich in pflichtgemäßer Ermessensausübung allein unter Hinweis auf die ihm lediglich obliegende Kostentragungspflicht ablehnen (
vgl. VG Münster a.a.O.;
VG Aachen a.a.O.).
Der Beigeladene kann mithin nicht auf eine Beförderung des Rollstuhls durch den Schulträger
bzw. den Kläger verwiesen werden. Auch ein Verweis auf die Eltern konnte nicht erfolgen. Abgesehen davon, dass schon problematisch ist, ob und inwieweit bei der Beurteilung der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels überhaupt auf Hilfeleistungen dritter Personen zur Vermeidung der Erforderlichkeit abgestellt werden kann, war es den Eltern jedenfalls nicht zumutbar, den Rollstuhl täglich zur Schule hin und zurück zu transportieren; dies gilt nicht zuletzt unter Berücksichtigung einer Fahrzeit von 45 Minuten für die einfache Fahrt. Eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich ist weder vorgetragen noch ersichtlich, insbesondere scheidet ein schultäglicher Transport des Rollstuhls durch
bzw. auf Rechnung der Beklagten unter Kostengesichtspunkten aus.
Der streitige Rollstuhl gehört auch nicht zum Ausstattungstandard der vom Beigeladenen besuchten Schule, so dass die Leistungspflicht der Beklagten auch nicht durch die Pflicht des Schulträgers, die Schule mit den für das vorgesehene Unterrichtsprogramm notwendigen sächlichen Mitteln auszustatten, entfällt. Maßstab ist insoweit der in der Bundesrepublik Deutschland übliche allgemeine Ausstattungsstandard der Schulräume in den einzelnen Schularten. Diesen Standard haben die Schulträger grundsätzlich zu gewährleisten; Ausstattungen, die nur auf die besonderen Bedürfnisse eines einzelnen Schülers zugeschnitten sind, obliegen nicht dem Schulträger (
vgl. BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 22). Da der streitige Rollstuhl auf die individuellen Beeinträchtigungen des Beigeladenen angepasst, mithin auf seine Bedürfnisse eigens zugeschnitten war, ist allein die Beklagte für die Versorgung zuständig.
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass dem Beigeladenen auch nicht abverlangt werden kann, den "häuslichen" Rollstuhl - wie im Schuljahr 2004/2005 geschehen -, in der Schule zu belassen. Denn in diesem Fall sind die Grundbedürfnisse am Wohnort zweifellos nicht gewahrt.
Nach alledem sind die Voraussetzungen der geltend gemachten Erstattung, deren Höhe die Beklagte nicht beanstandet hat und im übrigen auch der Regelung gemäß
§ 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX entspricht, gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a
SGG i.V.m. §§ 154, 155 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Revision zugelassen, § 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren ist gemäß § 52
Abs. 1, 63
Abs. 2, 47
Abs. 1 Gerichtskostengesetz auf 2.119,42 Euro festzusetzen.