Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid im Sinne von § 54
Abs. 2
SGG beschwert, da die Beklagte zu Unrecht die Versorgung mit der beantragten Prothese entsprechend dem Kostenvoranschlag der Firma O vom 17.02.2006 abgelehnt hat.
Nach
§ 33 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen Leistungen nach § 33
SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig sind oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (
§ 12 Abs. 1 SGB V).
Die Klägerin hat aufgrund der bei ihr bestehenden Dysmelie Anspruch auf Versorgung mit einer geeigneten ausreichenden Prothese. Im Vordergrund steht hier der Ausgleich der beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Es handelt sich somit um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit hat der in § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V als dritte Variante genannte Zweck im Rahmen der Hilfsmittelversorgung zwei Ebenen. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in der Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von
§ 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung und Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist (
vgl. Urteil des
LSG Niedersachsen, Bremen vom 15.12.2010
L 2 R 547/09). Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, so lange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (
vgl. BSGE 93, 183
m.w.N.).
Zum Ausgleich des Grundbedürfnisses auf Mobilität reicht hier die vorhandene myoelektrische Armprothese nicht aus, da sie aus medizinischen Gründen nicht den ganzen Tag getragen werden kann. Es ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass insofern eine Prothese in Leichtbauweise für die Zeiten erforderlich ist, in denen aus medizinischen Gründen die myoelektrische Armprothese nicht getragen werden kann. Streitig ist zwischen den Beteiligten nur die Frage, ob insofern eine Schmuckprothese nach der Bundesprothesenliste in Gießharzausführung ausreichend ist, oder ob die von der Klägerin beantragte Schmuckprothese in Leichtbauweise entsprechend dem Kostenvoranschlag der Firma O vom 17.02.2006 erforderlich ist. Nach Auffassung der erkennenden Kammer erstreckt sich der Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs auch auf die sog. Haptik einer Prothese. Als haptische Wahrnehmung bezeichnet man das aktive Erfühlen von Größe, Konturen, Oberflächentextur, Gewicht
usw. eines Objekts durch Integration aller Hautsinne und der Tiefensensibilität (Wikipedia). Dem steht auch das vom MDK im Gutachten vom 11.08.2006 zitierte Urteil des
BSG mit dem Aktenzeichen
B 3 KR 66/01 R nicht entgegen (es handelt sich um das Urteil vom 23.07.2002 und nicht wie irrtümlich vom MDK zitiert vom 21.02.2001). In diesem Urteil hat das
BSG die Auffassung vertreten, dass eine unter Kahlköpfigkeit leidende Frau von der Krankenkasse die Versorgung mit einer solchen Perücke verlangen kann, die den Verlust des natürlichen Haupthaares für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennen lässt. Würde die Auffassung der Beklagten zutreffen, dass der Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel die Haptik einer Prothese nicht erfasst, sondern sich auf einen Ausgleich der beeinträchtigten Körperfunktion beschränkt, so hätte das
BSG nicht zu dem Ergebnis kommen dürfen, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke bei einer kahlköpfigen Frau gegeben ist. Eine Perücke dient nicht der Wiederherstellung einer beeinträchtigten oder ausgefallenen Körperfunktion, sondern lediglich der Wiederherstellung der äußeren Erscheinung. Nach Auffassung des
BSG stellt ein totaler Haarverlust bei einer Frau eine Behinderung im Sinne des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V dar. Das
BSG schränkt diesen Anspruch zwar insoweit ein, als kein Anspruch auf eine möglichst vollständige Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes besteht. Dies ist bei einer Prothese für einen Gliedmaßenverlust ohnehin nicht möglich. Der vom
BSG angeführte Gesichtspunkt der Entstellung hat jedoch auch Auswirkungen auf die Haptik einer Prothese. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es daher von entscheidender Bedeutung, ob eine Gießharzprothese sich hart und unnatürlich anfühlt oder die hier beantragte Prothese sich in ihrer Konsistenz einem erhaltenen Arm annähert. So wie bei einer Entstellung eine Stigmatisierung durch den optischen Eindruck entsteht, so entsteht hier bei einer Gießharzlaminatprothese beim Berühren dieser Prothese eine vergleichbare Reaktion wie bei einer Entstellung. Es handelt sich somit um ein entscheidungserhebliches Kriterium. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleiches hat somit ein Behinderter einen Anspruch auf Versorgung mit solchen Hilfsmitteln, die einer stigmatisierenden Wirkung - vergleichbar wie bei einer Entstellung - entgegenwirken. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat die Klägerin hier Anspruch auf Versorgung mit der von ihr beantragten Prothese entsprechend dem Kostenvoranschlag vom 17.02.2006.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.