Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 27.11.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (
GdB) der Klägerin streitig.
Die im Jahr 1990 geborene Klägerin wurde am 20.02.2015 auf dem Zebrastreifen als Fußgängerin auf dem Weg zur Arbeit von einem Auto von rechts erfasst. Sie zog sich dabei neben einer erstgradigen offenen proximalen Oberarmtrümmerfraktur rechts mehrere komplexe Beckenfrakturen (dislozierte Acetabulumfraktur rechts, Fraktur des Os ilium rechts, Sprengung der IS-Fuge rechts sowie Impfaktion und Fraktur des Os pubis links) zu, die zunächst notfallmäßig im Klinikum H sowie anschließend regulär in der
BG Klinik L im Rahmen eines stationären Aufenthalts vom 20.02.2015 bis zum 07.04.2015 operativ versorgt wurden. Der Unfall ist als Arbeitsunfall anerkannt. Wegen der Unfallfolgen bezieht die Klägerin seit dem 30.01.2017 Verletztenrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (
MdE) um 40 vom Hundert (v.H.) (Bescheide der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (
VBG) vom 13.09.2017 sowie vom 17.01.2018). Das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 13.09.2017 (vorläufige Entschädigung nach einer
MdE von 40) sowie das anschließende Klageverfahren vor dem SG Heilbronn (Az. S 13 U 1599/18) blieben erfolglos.
Am 18.05.2015 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten unter Berufung auf die erlittenen Frakturen und die psychische Belastung durch den Unfall unter Vorlage eines psychologischen Berichts der
BG Klinik L vom 26.03.2015, eines Operationsberichts vom 25.02.2015, eines stationären Aufnahmeberichts vom 07.04.2015 sowie eines Befundberichts der
BG Klinik L vom 07.04.2015 die Feststellung ihres
GdB ab dem 20.02.2015. Der Beklagte zog ergänzend den Entlassungsbericht der
BG Klinik L vom 18.05.2015 bei. In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 09.06.2015 berücksichtigte H als Funktionsbeeinträchtigungen eine Gebrauchseinschränkung des rechten Armes mit einem Einzel-
GdB von 30 sowie eine Gebrauchseinschränkung des rechten Beines mit einem Einzel-
GdB von 10. Eine seelische Störung bedinge keinen Einzel-
GdB von wenigstens 10. Der Gesamt-
GdB betrage 30.
Daraufhin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 15.06.2015 bei der Klägerin einen
GdB von 30 und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b EStG seit dem 20.02.2015 fest und führte aus, gesundheitliche Merkmale (Merkzeichen) könnten nicht festgestellt werden.
Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, der Beklagte habe keinerlei Auskünfte über ihre Gesundheitsstörungen bei W in H, der
BG Klinik in L und der SLK-Klinik in H eingeholt, obgleich sie in ihrem Antrag darum gebeten habe. Sie müsse deshalb davon ausgehen, dass bei der Entscheidung von unvollständigen Informationen ausgegangen worden sei, und bitte um Neuentscheidung über die Höhe des
GdB/die Feststellung eines Merkzeichens.
Der Beklagte zog Befundberichte des W bei und bat die
VBG L1 um Übersendung des letzten maßgeblichen ärztlichen Gutachtens über die Klägerin. Die
VBG teilte mit Schreiben vom 29.07.2015 sowie vom 14.12.2015 mit, dass bisher noch keine Begutachtung eingeleitet und auch noch kein Bescheid erteilt worden sei. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.02.2016 beurteilte M die neu vorgelegten Unterlagen als wenig aussagekräftig und regte die Anforderung neuer Unterlagen an. Auf erneute Anfrage des Beklagten teilte die
VBG mit Schreiben vom 29.06.2016 mit, die Klägerin führe derzeit eine stufenweise Wiedereingliederung bei ihrem alten Arbeitgeber durch und ein Gutachten werde erst in Auftrag gegeben, wenn die Klägerin wieder arbeitsfähig sei. Auf die Anfrage des Beklagten zu den sie aktuell behandelnden Ärzten teilte die Klägerin mit Schreiben vom 14.09.2016 mit, sie habe alle behandelnden Ärzte in ihrem Antrag eingetragen und sei dort bis heute weiterhin in Behandlung.
Mit Schreiben vom 03.03.2017 übersandte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin weitere medizinische Unterlagen, u.a. den Reha-Abschlussbericht der
BG Klinik L vom 20.01.2017 mit der Diagnose Zustand nach Polytraumatisierung, eine Behandlungsübersicht des W vom 05.08.2016 und den Bericht der
BG-Klinik L über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 11.07.2016 bis zum 15.07.2016 mit den Diagnosen Bewegungs- und Belastungsdefizit nach operativ versorgter proximaler Humerusfraktur rechts mit Pseudarthrosenverlauf mit zuletzt Pseudarthrosenresektion, Spongiosaplastik vom Beckenkamm links, Anlage von BMP 2 sowie additive PHILOS-Platte im Juli 2015, komplexe Beckenverletzung mit dislozierter Acetabulumfraktur rechts, Fraktur Os ileum rechts, Ileosacralfugensprengung rechts und Impfaktion und Fraktur des OS pubis links, plattenosteosynthetische Versorgung erfolgt, postoperative L5-Parese mit hoher Nervus ischiadicus-Teilläsion, Läsion Nervus obturatorius und Nervus cutaneus femoris links, Anpassungsstörung, arterielle Hypertonie. Die Prozessbevollmächtigte teilte mit, betreffend die Bewegungseinschränkung des Schultergelenks sei von einem Einzel-
GdB von 40, betreffend die Bewegungseinschränkung im Bereich des/r Beckens/Hüfte von einem Einzel-
GdB von zumindest 30, betreffend den Nervus cutaneus femoris von einem Einzel-
GdB von 10, betreffend den Nervus ischiadicus von einem Einzel-
GdB von zumindest 30 und betreffend den Nervus obturatorius von einem Einzel-
GdB von 20 auszugehen. Schließlich müsse auch die Anpassungsstörung Berücksichtigung finden, für die von einem Einzel-
GdB von 20 auszugehen sei. Unter Berücksichtigung der Einzel-
GdB sei daher zumindest ein Gesamt-
GdB von 50 zu berücksichtigen.
Nach Auswertung der neuen medizinischen Unterlagen verneinte die Versorgungsärztin S in ihrer Stellungnahme vom 14.06.2017 eine wesentliche Befundveränderung und beurteilte die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes weiterhin mit einem Einzel-
GdB von 30 und die Gebrauchseinschränkung des rechten Beines weiterhin mit einem Einzel-
GdB von 10. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21.06.2017 zurück. Zur Begründung führte er aus, die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang erfasst und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem
GdB von 30 angemessen bewertet worden. Bezüglich der Gebrauchseinschränkungen des rechten Armes und Beines ergäben sich keine Hinweise, die ein Abweichen von der bisherigen Beurteilung rechtfertigen könnten. Beschrieben sei eine Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der rechten Schulter bei Abduktion/Adduktion 80/0/20° und Außen-/Innenrotation 10/0/70°. Neurologische Ausfallerscheinungen seien ärztlicherseits nicht belegt. Eine wesentliche Befundänderung am rechten Bein sei nicht aufgetreten. Die klinische Symptomatik sei insgesamt bereits ausreichend bewertet. Für die Feststellung des Merkzeichens G erfülle die Klägerin bereits die Grundvoraussetzung nicht, weil der
GdB weniger als 50 betrage und sie damit nicht schwerbehindert im Sinne des
SGB IX sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.07.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben, zur Begründung ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und darauf hingewiesen, dass eine seelische Störung nicht berücksichtigt worden sei. Sie sei nicht nur in beruflicher Hinsicht, sondern auch in ihrem Alltag erheblich eingeschränkt. Sie könne die rechte Hand nicht über 90 Grad bewegen und leide unter ständigen Rückenschmerzen, da sie durch die Lähmung des rechten Fußes und teilweise des Beines nicht richtig laufen könne. Aufgrund der Verspannungen leide sie mindestens drei Mal die Woche unter Kopfschmerzen, könne nur noch kurze Strecken mit dem Auto fahren, langes Sitzen ohne Pause sei nicht möglich. Sie könne sich nicht mehr sportlich betätigen und leide unter Zukunftsängsten und Schmerzen.
Das SG Heilbronn hat sodann die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.
Die Diplompsychologin S1 hat unter dem 22.01.2018 mitgeteilt, die Klägerin habe sich vom 21.09.2015 bis zum 24.04.2017 niederfrequent in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Es seien insgesamt 19 Sitzungen durchgeführt worden. Die Behandlung habe der psychotherapeutischen Begleitung der Klägerin bei der Verarbeitung und Akzeptanzentwicklung bezüglich der unfallbedingten körperlichen Langzeitschäden, der chronischen Schmerzsymptomatik und dem Umgang mit verletzungsabhängigen Zukunftsängsten gedient. Die körperliche Belastbarkeit sei beeinträchtigt, daraus resultierten Ängste und negative Gedanken, der Schweregrad sei leicht.
Mit schriftlicher sachverständiger Zeugenaussage vom 12.02.2018 hat W ausgeführt, bei der Klägerin bestehe eine Chondropathia patellae rechts bei Quadricepsschwäche bei Beinschwäche rechts, eine proximale Humerustrümmerfraktur rechts mit bleibender Funktionsstörung der rechten Schulter, ein Zustand nach Acetabulumfraktur rechts mit beginnender Bewegungseinschränkung der rechten Hüfte, eine leichte Parese L5 rechts mit Ischialgie und ein neuropathischer Schmerz rechtes Bein unter Dronabinol (Cannabis). Es bestehe ein Druckschmerz über der Rotatorenmanschette. Die Bewegungsmaße der rechten Schulter betrügen im Vorheben/Rückführen 80/0/20°, in der Abduktion/Adduktion 80/0/20° und in der Außen-/Innenrotation 20/0/80°. Es bestehe eine deutliche Kraftminderung. Die Bewegungsmaße der Hüfte betrügen in der Extension/Flexion 0/0/90°, in der Abduktion/Adduktion 20/0/20° und in der Außen-/Innenrotation 20/0/20°. Die Dauerschmerzen der Beine und die Funktionsstörung der Schulter rechts bewirkten eine gewisse Erschöpfungsreaktion der Klägerin. Die Kniebeschwerden seien als gering einzustufen. Die Funktionsstörung der rechten Schulter sei schwergradig, nicht im Bewegungsausmaß dokumentiert sei eine 50-prozentige Kraftminderung der rechten Schulter. Die Nervenschäden am rechten Bein seien mindestens mittelgradig, dies ergebe sich allein aus der Art der eingenommenen Medikamente (Lyrica und Dronabinol - Cannabis). Die Hüftschädigung rechts sei als geringgradig einzustufen. Der
GdB von 30 wegen der Schulter sei im Zusammenhang mit der Kraftminderung korrekt. Der
GdB sei für die Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines aufgrund der Schmerzen und der Lähmung sei mit 20 und die Einschränkung wegen der rechten Hüfte und des rechten Beines sei mit 10 zu werten. Der Gesamt-
GdB werde mit 40 eingeschätzt.
Auf Grundlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von G, in der die Funktionsbehinderung des Schultergelenkes und die Gebrauchseinschränkung des Armes mit einem Einzel-
GdB von 30 und die Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes und die Gebrauchseinschränkung des Beines mit einem Einzel-
GdB von 20 bewertet worden sind, hat der Beklagte mit Schreiben vom 27.06.2018 ein Vergleichsangebot unterbreitet, den
GdB ab dem 20.02.2015 mit 40 festzustellen. Die Klägerin hat das Vergleichsangebot abgelehnt und angeregt, die Akte der
VBG L1 beizuziehen, die bereits von einer
MdE um 40 v.H. ausgehe. Unter Berücksichtigung der Einschränkungen im Leben der Gesellschaft sei von einem Gesamt-
GdB von zumindest 50 auszugehen.
Das SG Heilbronn hat daraufhin die neu von der Klägerin benannte S2 als sachverständige Zeugin befragt, die unter dem 05.09.2019 mitgeteilt hat, die Klägerin leide unter einem HWS-/LWS-/BWS-Syndrom, Skoliose, Depression sowie einer Gräser- und Getreidepollenallergie. Den Schweregrad und die Höhe des
GdB könne sie nicht beurteilen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat anschließend das Erste Rentengutachten der
BG-Klinik
L1 (G1, S3) vom 27.02.2017, den Bescheid der
VBG vom 13.09.2017 über eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer
MdE um 40 v.H., das neurologische Gutachten des F vom 08.05.2017, das Zweite Rentengutachten der
BG-Klinik
L1 vom 30.10.2017 (G1, D), das Gutachten des F vom 04.12.2017 sowie die abschließende Stellungnahme des G1 vom 15.12.2017 zur Gesamt-
MdE vorgelegt.
In dem Zweiten Rentengutachten vom 30.10.2017 ist G1 zu dem Ergebnis gekommen, es bestünden noch die folgenden wesentlichen Unfallfolgen mit funktionellen Einschränkungen: eine Einschränkung der Schulterbeweglichkeit in allen Bewegungsebenen, ein Kraftdefizit der rechten oberen Extremität, eine Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks in der Seitwärtsführung und in der Rotation im Vergleich zur Gegenseite, eine Fußheber- und Großzehenheberschwäche rechts, geklagte Sensibilitätsstörungen im Bereich des rechten Beines und eine Umfangsminderung im Bereich des rechten Unterschenkels. Die
MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet hat er mit 30 v.H. eingeschätzt.
In dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 04.12.2017 hat F die Gesamt-
MdE auf neurologischem Fachgebiet unter funktionellen Aspekten unter Berücksichtigung der leichtgradigen sensomotorischen Defizite und der zum Teil neuropathischen Schmerzen mit 20 v.H. bewertet. Dabei berücksichtigte er eine Einzel-
MdE um 15 v.H. für die motorisch weitgehend remittierte Nervus ischiadikus-Teilläsion rechts mit funktionell irrelevanter, minimaler Fuß- und Zehenheberschwäche und Hypästhesie des rechten Fußes und mit neuropathischen Schmerzen mit dauerhaftem Schmerzmittelbedarf sowie eine Einzel-
MdE um 10 v.H. für die hochgradige Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts mit Hypästhesie und Hypalgesie der proximalen Oberschenkelvorder-Außenseite. Die Anpassungsstörung sei erfolgreich ambulant behandelt worden, mit vollständiger Rückbildung der Symptomatik und Beendigung der Therapie "im Sommer diesen Jahres" ohne antidepressive Medikamente.
Nach Eingang des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens hat G1 in einer weiteren Stellungnahme vom 15.12.2017 die Gesamt-
MdE mit 40 v.H. bewertet und ausgeführt, auf unfallchirurgischem und neurologischem Fachgebiet sei von einem funktionellen Endzustand auszugehen.
Unter Berufung auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 11.04.2020 hat der Beklagte an dem Vergleichsangebot vom 27.06.2018 festgehalten und ausgeführt, auch unter Berücksichtigung der übersandten
BG-Rentengutachten könne keine für die Klägerin günstigere Beurteilung getroffen werden.
Mit Schreiben vom 18.06.2020 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, aufgrund der vorliegenden Behinderungen im Bereich des Beckens ergäben sich Komplikationen hinsichtlich der aktuellen Schwangerschaft der Klägerin, und hat die Befragung der Frauenärztin A, des W sowie des S-F als sachverständige Zeugen beantragt.
In seiner erneuten sachverständigen Zeugenaussage vom 10.07.2020 hat W den Gesamt-
GdB weiterhin mit 40 bewertet und mitgeteilt, dass sich die Beschwerden nicht wesentlich geändert hätten. Die Hüftschädigung rechts sei als gering aber chronisch progredient einzustufen (Extension/Flexion 0-0-100°, Abduktion/Adduktion 10-0-10°, Außen-/Innenrotation 20-0-10°).
Die A hat in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft vom 07.07.2020 ausgeführt, die Klägerin leide seit dem Unfall unter Becken-, Unterbauch- und körperlichen Schmerzen. Die Schmerzen führten zu depressiven Verstimmungen und dazu, dass eine Sectio erforderlich werde, um das Becken nicht weiter durch eine spontane Geburt zu gefährden.
S-F (Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der
BG Klinik L) hat am 04.08.2020 unter Bezugnahme auf das Gutachten des G1 vom 30.10.2017 mitgeteilt, bei der Klägerin bestünden Einschränkungen der Schultergelenksbeweglichkeit in allen Bewegungsebenen, ein Kraftdefizit der rechten oberen Extremität, Bewegungseinschränkungen des rechten Hüftgelenks in der Seitwärtsführung und in der Rotation im Vergleich zur Gegenseite, eine Fußheber- und Großzehenheberschwäche rechts, geklagte Sensibilitätsstörungen im Bereich des rechten Beines, eine Umfangsminderung im Bereich des rechten Unterschenkels. Es bestehe eine verminderte Beweglichkeit und Einsatzfähigkeit des rechten Armes. Durch die Beckenverletzung bestehe u.a. die Möglichkeit von Problemen im Rahmen einer normalen Geburt. Die Beweglichkeit und Sensibilität seien am rechten Bein vermindert mit der Gefahr des Stolperns oder von Verletzungen. Die Auswirkungen am rechten Arm, am Becken und an der unteren Extremität seien als schwer zu bezeichnen. Auf unfallchirurgischem Fachgebiet sei die
MdE mit 30 v.H. und auf neurologischem Fachgebiet mit 20 v.H. eingeschätzt worden. Integrierend sei eine Gesamt-
MdE um 40 v.H. vorgeschlagen worden. Vorgeschlagen werde eine Begutachtung auf gynäkologischem Fachgebiet, auf die Problematik des gefährdeten natürlichen Geburtsvorgangs werde hingewiesen. Der Aussage beigefügt war ein Schreiben des Ärztlichen Direktors der
BG-Unfallklinik L, G1, vom 11.12.2019, wonach aufgrund der unfallbedingten Narbenbildung aus ärztlicher Sicht von dem Versuch abzuraten sei, ein Kind auf natürlichem Wege zu gebären, da es durch die fehlenden Möglichkeiten der Erweiterung des Beckens zu Problemen in Bezug auf den Geburtsfortschritt kommen könne.
Der Beklagte hat an seinem Vergleichsangebot festgehalten und eine versorgungsärztliche Stellungnahme von S4 vom 20.09.2020 vorgelegt, worin dieser ausführt, aus versorgungsmedizinischer Sicht ergebe sich aufgrund der umfangreichen Unterlagen ein Einzel-
GdB von 30 für die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes sowie ein Einzel-
GdB von 30 für die Gebrauchseinschränkung des rechten Beines und den Beckenschaden. Den Gesamt-
GdB hat er mit 40 ab dem 20.02.2015 bewertet.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.11.2020 hat das SG Heilbronn den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 verurteilt, den
GdB mit 40. seit dem 20.02.2015 festzustellen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes und die Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenks seien mit einem Einzel-
GdB von 30 und die Gebrauchseinschränkung des rechten Beines und der Hüfte-/Beckenschaden seien mit einem Einzel-
GdB von 30 angemessen bewertet. Auf psychiatrischem Fachgebiet lasse sich anhand der objektiven Befunde kein Einzel-
GdB nachweisen. Der Einzel-
GdB von 30 für die Funktionsbeeinträchtigung der rechten Schulter/des rechten Armes werde durch die weitere Beeinträchtigung mit einem Einzel-
GdB von 30 für die Funktionsbehinderung der Gebrauchseinschränkung des rechten Beines und des Hüftschadens sowie des Beckenschadens nicht um mehr als zehn Punkte erhöht.
Gegen den vom SG Heilbronn gemäß dem aktenkundigen Abvermerk am 30.11.2020 gegen Empfangsbekenntnis zur Post gegebenen und ihrer Prozessbevollmächtigten nach deren Angaben am 07.12.2020 zugegangenen (Empfangsbekenntnis nicht aktenkundig) Gerichtsbescheid des SG Heilbronn hat die Klägerin am 30.12.2020 Berufung zum Landessozialgericht (
LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie ihren bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus, unter Berücksichtigung der vorliegenden Diagnosen sei hinsichtlich des Funktionssystems "Haltung-und Bewegungsorgane, rheumatische Krankheiten" betreffend der Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes von einem Einzel-
GdB von 40, betreffend der Bewegungseinschränkung im Bereich des/r Beckens/Hüfte von einem Einzel-
GdB von zumindest 30, für den Nervus cutaneus femoris von einem Einzel-
GdB von 10, betreffend den Nervus ischiadicus von einem Einzel-
GdB von zumindest 30 auszugehen und betreffend den Nervus obturatorios ein Einzel-
GdB von 20 zu beachten. Schließlich müsse auch die Anpassungsstörung mit einem Einzel-
GdB von 20 berücksichtigt werden. Die Klägerin sei inzwischen Mutter eines Kindes. Eine Ausdehnung des Beckens, wie normalerweise dies auch in einer jeden Schwangerschaft geschehe, sei aufgrund der dort erfolgten Plattenosteosynthese nicht möglich gewesen. Die Klägerin habe daher unter entsprechenden, erheblichen Schmerzen gelitten. Eine normale Geburt sei aufgrund der Funktionsbeeinträchtigungen ausgeschlossen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 27.11.2020 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 zu verurteilen, den Grad der Behinderung mit mindestens 50 seit dem 20.02.2015 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids des SG Heilbronn, das den vorliegenden medizinischen Sachverhalt zutreffend gewürdigt habe.
In der nichtöffentlichen Sitzung am 14.06.2021 hat die Klägerin erklärt, aktuell nicht regelmäßig Schmerzmittel einzunehmen, sondern nur bei Bedarf Ibuprofen 600, was zwei bis drei Mal die Woche vorkomme. Sie habe zweimal pro Woche Physiotherapie und bekomme Massagen, insbesondere wegen der Rückenproblematik und ihrer Armbeschwerden.
Der Senat hat die Verwaltungsakten der
VBG mit weiteren medizinischen Unterlagen - u.a. den im Klageverfahren S 13 U 1599/18 eingeholten Gutachten auf orthopädischem (Gutachten des C vom 09.11.2018) und auf nervenärztlichem Gebiet (Gutachten der E vom 20.03.2019) - beigezogen.
Die gemäß §§ 143 und 144
SGG statthafte, nach § 151
SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
1. Die Berufung ist binnen der Monatsfrist des § 151
Abs. 1
SGG erhoben worden. Zwar ist eine wirksame Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 202
SGG i.V.m. § 174
Abs. 1, 2 und 4
ZPO (i.d.F. bis 31.12.2021) nicht belegt, der Gerichtsbescheid ist jedoch nachweislich des Abvermerks am 30.11.2020 zur Post gegeben worden und kann damit frühestens am 01.12.2020 zugegangen sein. Die frühestens am 02.12.2020 beginnende Monatsfrist hätte erst mit Ablauf des 01.01.2021 geendet (§ 64
Abs. 1 bis 3
SGG).
2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Abänderung des auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Klägerin im Sinne des § 54
Abs. 1 Satz 1
SGG ergangenen Gerichtsbescheides des SG Heilbronn vom 27.11.2020 sowie die Abänderung des angefochtenen Bescheides des Beklagten vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 und die Verpflichtung des Beklagten, bei der Klägerin einen
GdB von mindestens 50 festzustellen.
3. Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Feststellung eines höheren
GdB seit dem 20.02.2015 ist
§ 2 Abs. 1 SGB IX in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit
§ 69 SGB IX in den bis zum 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit
§ 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese - da Übergangsregelungen fehlen - nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (
BSG, Urteil vom 16.12.2014,
B 9 SB 2/13 R, juris;
BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10
EG 6/12 R, juris; vergleiche Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).
Obwohl hier ausschließlich Folgen eines von der zuständigen
VBG anerkannten und entschädigten Arbeitsunfalls im Streit stehen, greift § 152
Abs. 2
SGB IX bzw. die bis zum 31.12.2017 geltende Vorgängervorschrift des § 69
Abs. 2
SGB IX hier nicht ein. Hiernach sind Feststellungen nach § 152
Abs. 1
SGB IX bzw. § 69
Abs. 1
SGB IX a.F. nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach § 152
Abs. 1
SGB IX bzw. § 69
Abs. 1
SGB IX a.F. glaubhaft macht. Eine solche Feststellung gilt zugleich als Feststellung des
GdB. Das hieraus resultierende Feststellungsverbot u.a. bei Rentenbescheiden gesetzlicher Unfallversicherungsträger samt Bindung der Verwaltung an die dort getroffenen Feststellungen (zu den Einzelheiten, auch zum Folgenden,
vgl. Oppermann in: Hauck/Noftz
SGB IX, Werkstand 2. Ergänzungslieferung 2022, § 152 Rn. 46
m.w.N.; Greiner in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben,
SGB IX, 14. Auflage 2020, § 152 Rn. 29; Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Auflage, § 152
SGB IX, Stand: 15.02.2019, Rn. 37; Dau in: Dau/Düwell/Joussen/Luik,
SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, 6. Auflage 2022, § 152 Rn. 32) greift hier jedoch nicht. Denn dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die bereits anderweit vorgenommene
MdE-Bewertung übernommen werden soll, sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung maßgebend. Hier hat bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Widerspruchsbescheid vom 21.06.2017 jedoch noch keine anderweitige - bestands- oder rechtskräftige - Feststellung der
MdE, eines Grades der Schädigungsfolgen (
GdS) oder
GdB vorgelegen. Diese ist seitens des hier zuständigen Unfallversicherungsträgers erst mit Bescheid über Rente als vorläufige Entschädigung vom 13.09.2017 vorgenommen worden. Eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens erfolgte anderweitige Feststellung aber vermag die Rechtswirkungen des § 152
Abs. 2
SGB IX bzw. dessen Vorgängervorschrift § 69
Abs. 2
SGB IX a.F. schon dem Wortlaut nach nicht (mehr) auszulösen.
a) Nach § 2
Abs. 1
SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2
Abs. 1
SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.
b) Nach § 69
Abs. 1 Satz 1
SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den
GdB fest. Nach § 69
Abs. 1 Satz 1
SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152
Abs. 1 Satz 1
SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der
GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als
GdB werden dabei nach § 69
Abs. 1 Satz 4 und 5
SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung, nach § 69
Abs. 1 Satz 5 und 6
SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152
Abs. 1 Satz 5 und 6
SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein
GdB von wenigstens 20 vorliegt.
Nach
§ 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des
GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70
Abs. 2
SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach
§ 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine - also nicht nur für die medizinische - Bewertung des
GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt
§ 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise
§ 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass - soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist - die Maßstäbe des § 30
Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30
Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30
Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (
AHP) getretene Anlage "
Versorgungsmedizinische Grundsätze" (
VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1
Abs. 1 und 3, § 30
Abs. 1 und § 35
Abs. 1 BVG (
VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I
S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I
S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I
S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I
S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I
S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I
S. 2122) sowie die Gesetze vom 23.12.2016 (BGBl. I
S. 3234) und 12.12.2019 (BGBl. I
S. 2652) geändert worden ist, heranzuziehen. In den
VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des
GdS im Sinne des § 30
Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den
VG, Teil A,
Nr. 2 auch für die Feststellung des
GdB maßgebend. Die
VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des
GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (
BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
c) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der
GdB nach § 69
Abs. 3 Satz 1
SGB IX in den bis zum 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152
Abs. 3 Satz 1
SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des
GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2
Abs. 1
SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den
VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-
GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-
GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (
BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den
VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-
GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-
GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den
VG, Teil A,
Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen
GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den
VG, Teil A,
Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der
GdB-Tabelle der
VG feste Grade angegeben sind.
Die Bemessung des
GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (
BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
4. Unter Zugrundelegung der dargestellten Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren
GdB als 40.
a. Im Funktionssystem "Arme" liegen bei der Klägerin keine funktionellen Einschränkungen vor, die einen höheren Einzel-
GdB als 30 bedingen. Der Senat stützt sich insoweit auf die sachverständige Zeugenaussage des W, auf die beiden Rentengutachten des G1 auf unfallchirurgischem Fachgebiet vom 27.02.2017 und 30.10.2017 und das Gutachten des C vom 09.11.2018, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, sowie auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von G vom 11.04.2020, die als qualifiziertes Parteivorbringen berücksichtigt wird.
aa) Das SG Heilbronn hat in seinem Gerichtsbescheid vom 27.11.2020 zutreffend dargelegt, dass die Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenks mit einem Einzel-
GdB von 30 zu bewerten sind. Bei der Klägerin bestehen im Nachgang zu dem Unfall ausweislich des Ersten und Zweiten Rentengutachtens von G1 aus dem Jahr 2017 sowie der sachverständigen Zeugenaussage von W ein mehrfacher Oberarmkopfbruch (Humeruskopfmehrfragmentfraktur) rechts mit bleibender Funktionsstörung der rechten Schulter.
bb) Ausweislich der zuletzt durch W am 10.07.2020 mitgeteilten Beweglichkeitsprüfung hat bei der Klägerin in Bezug auf die rechte Schulter eine Beweglichkeit des Arms beim Vorheben/Rückführen von 80/0/20° (Normalmaß 150-170/0/40°), bei der Abduktion/Adduktion (seitwärts/körperwärts Heben) von 80/0/20° (Normalmaß 180/0/40°) und bei Außen/Innenrotation von 20/0/80° (Normalmaß 40-60/0/90°) bestanden. Aus dem Befundbericht vom 02.07.2020 ergibt sich sogar ein Abduktionswert von 100° und auch die zuvor erhobenen Bewegungsmaße in den Untersuchungen von G1 anlässlich des Ersten Rentengutachtens (Untersuchungstag 24.02.2017) und des Zweiten Rentengutachtens (Untersuchungstag 23.10.2017) sowie bei der Untersuchung durch C (Untersuchungstag 05.11.2018) sind etwas besser gewesen. Nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.13 sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) bei einer Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem
GdB von 10 und bei einer Armhebung nur bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem
GdB von 20 zu bewerten, so dass für die Bewegungseinschränkungen der rechten Schulter allein ein
GdB von 20 vorliegt. Allerdings liegt bei der Klägerin als Rechtshänderin nach Überzeugung des Senats eine deutliche Kraftminderung vor, die von G1 mit einem Kraftgrad von 3/5 für die Supraspinatussehne und 5/5 für die übrige Rotatorenmanschette sowie von W mit 50 % angegeben wird. Nach den
VG, Teil B, Nr. 18.1, gehört zu den
GdB-relevanten Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen neben der Bewegungsbehinderung auch die Minderbelastbarkeit von Haltungs- und Bewegungsorganen. Aufgrund der zu den Bewegungseinschränkungen der Schulter hinzukommenden Kraftminderung des rechten Arms beurteilt der Senat die Beeinträchtigungen der Klägerin im Funktionssystem "Arme" daher in Übereinstimmung mit der Einschätzung des sachverständigen Zeugen W sowie der versorgungsärztlichen Stellungnahme von G vom 11.04.2020 mit einem Einzel-
GdB von 30.
cc) Die aus dem Zweiten Rentengutachten von G1 ersichtliche aktive Handgelenksbeweglichkeit handrückenwärts/hohlhandwärts rechts von 60/0/70° (so auch im Gutachten von C bestätigt) und passiv 80/0/90° mit seitengleich frei durchführbarer Fingergelenksbeweglichkeit führt nicht zu einer Erhöhung des
GdB, da nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.13 Bewegungseinschränkungen des Handgelenks geringen Grades (
z.B. Streckung/Beugung bis 30/0/40°) mit einem
GdB von 0 bis 10 zu bewerten sind und eine vergleichbare Einschränkung bei der Klägerin nicht vorliegt.
b. Die Behinderungen im Funktionssystem "Beine" sind ebenfalls mit keinem höheren Einzel-
GdB als 30 zu bewerten. Der Senat stützt sich bei der Bewertung der Funktionsstörungen an den Beinen hinsichtlich der klinischen Befundlage insoweit auf die sachverständige Zeugenaussage des W, auf die beiden Rentengutachten auf unfallchirurgischem Fachgebiet des G1 vom 27.02.2017 und vom 30.10.2017, die neurologischen Gutachten des F vom 08.05.2017 und vom 04.12.2017 sowie das Gutachten des C vom 09.11.2018.
aa) Die Hüftgelenksbeweglichkeit der Klägerin ist bei der zweiten Begutachtungsuntersuchung durch G1 am 23.10.2017 bei der Streckung/Beugung mit 10/0/120° beidseits frei durchführbar gewesen, was sich bei der Begutachtung durch C im November 2018 im Wesentlichen bestätigt hat (links 135/0/0° und rechts 115/0/0°). Lediglich das Abspreizen rechts sowie die Einwärtsdrehung bei 90° gebeugtem Hüftgelenk rechts sind im Vergleich zur Gegenseite endgradig eingeschränkt gewesen. Auch bei der Untersuchung durch W am 02.07.2020 waren Extension und Flexion des rechten Hüftgelenks frei bei gleichzeitiger Einschränkung der Abduktion/Adduktion von 20/0/20° (Normalmaß 30-45/0/20-30°) und der Außen-/Innenrotation von 40/0/20° (Normalmaß 50-60/0/30-40°). Die dokumentierten Einschränkungen der rechten Hüfte beurteilt der Senat in Übereinstimmung mit W als gering, so dass nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.14 ein Einzel-
GdB von 10 anzusetzen ist. Es sind keine Bewegungseinschränkungen ersichtlich, die einen Einzel-
GdB von 20 ausfüllen könnten (
z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit).
bb) Auch ein Beckenschaden mit funktionellen Auswirkungen liegt bei der Klägerin nicht vor, so dass insoweit kein
GdB zu vergeben ist. Nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.10 sind Beckenschäden ohne funktionelle Auswirkungen mit einem Einzel-
GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen
(z. B. stabiler Beckenring, degenerative Veränderungen der Kreuz-Darmbeingelenke) mit einem Einzel-
GdB von 10 und mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen (
z.B. instabiler Beckenring einschließlich Sekundärarthrose) mit einem Einzel-
GdB von 20 zu bewerten. Die Röntgenaufnahmen im Rahmen der ersten Rentenbegutachtung vom 24.02.2017 und der Begutachtung von C am 05.11.2018 haben regelrecht einliegendes Osteosynthesematerial und konsolidierte Frakturen ohne Verschiebung der Beckenhälften gezeigt. Ein fortgeschrittener Gelenkverschleiß der Hüfte ist nicht erkennbar gewesen. Bei der Folgebegutachtung am 23.10.2017 durch G1 und bei der Begutachtung von C hat kein Druckschmerz über dem Becken bestanden, die Iliosakralgelenk(ISG)-Provokationstests (zur Diagnose von Schmerzen im ISG) sind negativ ausgefallen.
Des Weiteren liegt keine funktionelle Auswirkung darin, dass G1 der Klägerin aufgrund der operativen Stabilisierung des ISG mittels überbrückender Plattenosteosynthese sowie der ausgeprägten Narbenbildung auch über die Symphyse hinweg eine Geburt mittels Kaiserschnitt empfohlen hat (Schreiben vom 11.12.2019). Die medizinische Notwendigkeit einer Kaiserschnittgeburt bedingt keinen
GdB. Bei einem Kaiserschnitt handelt es sich um einen Eingriff im Einzelfall und keine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung mit Teilhabebeeinträchtigung. Nur wenn der Kaiserschnitt zu dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen führt, könnten diese mit einem
GdB bewertet werden. Dafür aber hat der Senat auch nach inzwischen erfolgter Geburt eines Kindes der Klägerin keine Anhaltspunkte.
Die andauernde Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Aufweitung der Schambeinfuge (Symphyse) sowie des Iliosakralgelenks, wie sie für einen normalen Geburtsvorgang nötig wäre, durch die Folgen der operativen Versorgung mittels überbrückender Plattenosteosynthese sowie ausgeprägte Narbenbildung in dem Bereich stellt zwar eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten bestehende Gesundheitsstörung dar, allerdings resultiert auch daraus kein
GdB. Denn die geschilderte Beeinträchtigung wirkt sich sowohl ausweislich der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des S-F vom 04.08.2020 als auch des dieser beigefügten Schreibens des G1 vom 11.12.2019 auf den Geburtsvorgang als punktuelles Ereignis in der Weise aus, dass sie das medizinische Erfordernis einer Kaiserschnittgeburt begründet, so dass der Klägerin von einer Spontangeburt aus ärztlicher Sicht abzuraten war. Einer Einschränkung in der Art und Weise der Geburt hat indes der Verordnungsgeber in den
VG, Teil B, Nr. 14 keine
GdB-Relevanz beigemessen. Lediglich die Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit als solcher kommt hiernach eine
GdB-begründende oder -erhöhende Wirkung zu (
vgl. etwa
Nr. 14.3, 14.5 und 14.6). Diese aber ist im Falle der Klägerin nicht beeinträchtigt, was durch die zwischenzeitlich erfolgte Geburt eines Kindes der Klägerin erwiesen ist. Da der Senat keinen Grund hat, an der übereinstimmend geäußerten Einschätzung von S-F und G1 zu zweifeln, hat es der vom sachverständigen Zeugen S-F vorgeschlagenen Begutachtung auf gynäkologischem Fachgebiet nicht bedurft. Der Beckenschaden ist daher in Übereinstimmung mit den sachverständigen Zeugenaussagen des W nicht mit einem
GdB zu bewerten.
cc) Auch die anlässlich der ersten Begutachtung durch G1 gemessene verkürzte Beinlänge von rechts 87
cm gegenüber links 88,5
cm kann nicht zu einer Erhöhung des
GdB im Funktionssystem "Beine" führen, da nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.14 eine Beinverkürzung bis zu 2,5
cm mit einem
GdB von 0 zu bewerten ist. Hinzu kommt, dass die Beinlänge bei der zweiten Rentenbegutachtung nahezu seitengleich gewesen ist und sich ein flüssiges und koordiniertes Gangbild mit erhaltener Schrittlänge und normalem Abrollverhalten gezeigt hat.
dd) In Bezug auf die Nervenschäden am rechten Bein der Klägerin sind die daraus resultierenden Funktionseinschränkungen während des gesamten hier zu beurteilenden Zeitraums vom 20.02.2015 bis zur letzten mündlichen Verhandlung mit einem Teil-
GdB von 30 zu bewerten. Maßgeblich für die Höhe des
GdB sind insbesondere die sich aus der Teilläsion des Ischiasnervs rechts ergebenden Beeinträchtigungen.
(1) Bei der Klägerin bestehen im Nachgang zu dem Unfall eine motorisch weitestgehend remittierte Nervus ischiadikus(Ischiasnerv)-Teilläsion rechts mit minimaler Fuß- und Zehenheberschwäche und Hypästhesie (Sensibilitätsstörung) des rechten Fußes und mit neuropathischen Schmerzen mit dauerhaftem Schmerzmittelbedarf sowie eine hochgradige Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts mit Hypästhesie und Hypalgesie (verringerte Schmerzempfindung) der proximalen Oberschenkelvorder-Außenseite. Der Senat stützt sich diesbezüglich auf die überzeugenden Ausführungen in dem neurologischen Gutachten des F vom 04.12.2017 sowie dem nervenärztlichen Gutachten der E vom 20.03.2019, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet.
(2) Die Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis führt laut den Gutachten des F und der E bei der Klägerin zu einer hochgradigen, schmerzlosen Sensibilitätsstörung und verringerter Schmerzempfindung an der rechten Oberschenkelvorder-Außenseite proximal in einem
ca. handtellergroßen Areal, das dem Versorgungsgebiet des Nervs entspricht. Für diese Schädigung kann höchstens ein
GdB von 10 festgestellt werden, wobei diese Bewertung nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.14 bereits einem vollständigen Nervenausfall des Nervus cutaneus femoris lateralis entspricht.
(3) Deutlich größere Beeinträchtigungen für die Klägerin basieren stattdessen auf der Teilläsion des Ischiasnervs rechts. Insoweit beträgt der
GdB 30. Nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.1 wird die Höhe des
GdB für Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane in erster Linie durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit) und die Mitbeteiligung anderer Organsysteme bestimmt. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen.
Laut den klinischen Untersuchungsbefunden im neurologischen Gutachten von F und im nervenärztlichen Gutachten der E besteht bei der Klägerin eine Sensibilitätsstörung, die streifenförmig an der rechten Unterschenkel-Außenseite, am Fußrücken sowie streckseitig an den Zehen I bis V verläuft. Hinzu kommt eine Pallästhesie (Vibrationsempfinden) an Teilen des Großzehengrundgelenks, dem Kniegelenk und Teilen des Beckenkamms beidseits.
Nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.14 ist ein vollständiger Ausfall des Nervus ischiadicus proximal mit einem
GdB von 60, distal (Ausfall der Nerven peroneus communis und tibialis) mit einem
GdB von 50 zu bewerten. Bei der Klägerin liegt ein Teilausfall des Nervs vor, der nach den
VG entsprechend geringer zu bewerten ist. Die Teilläsion des Nervus ischiadicus rechts ist motorisch weitestgehend remittiert. Verblieben ist laut dem überzeugenden neurologischen Gutachten des F vom 04.12.2017 eine minimale, funktionell irrelevante Schwäche der Fuß- und Zehenhebung rechts bei ansonsten allseits voller Kraftentfaltung und normotrypher Muskulatur. Zudem liegt eine schmerzlose Hypästhesie im Versorgungsgebiet des Nervus peroneus rechts an der Unterschenkelaußenseite und dem Fußrücken und eine leichte Hyp- und Dysästhesie der Fußsohle und der Zehen rechts beugeseitig im Versorgungsgebiet des Nervus tibialis vor. Bei der Begutachtung durch E am 06.03.2019 hat sich der Untersuchungsbefund als im Wesentlichen übereinstimmend mit dem Befund des F aus Dezember 2017 gezeigt. Unter Mitberücksichtigung der neuropathischen Schmerzen im rechten Bein beurteilt der Senat die funktionellen Auswirkungen der Nervenschäden am rechten Bein der Klägerin einschließlich der dauerhaften Schmerzen als mittelgradig und sieht einen Einzel-
GdB von 30 für die Teilläsion des Ischiasnervs rechts als sachgerecht, aber auch ausreichend an. Der Senat stützt seine Überzeugung dabei auf die übereinstimmende Einschätzung des sachverständigen Zeugen W und des Versorgungsarztes S4 (Stellungnahme vom 20.09.2020). Auch wenn die Klägerin laut der sachverständigen Zeugenaussage des W vom 10.07.2020 zuletzt keine Medikamente mehr wegen der neuropathischen Schmerzen im rechten Bein eingenommen hat, entnimmt der Senat den beiden Gutachten von F vom 08.05.2017 und 04.12.2017 im Vergleich zu dem Gutachten, das E am 20.03.2019 erstattet hat, und der sachverständigen Zeugenaussage des W, dass hinsichtlich der Schmerzsymptomatik keine wesentliche Befundänderung eingetreten ist. So hat die Klägerin im Rahmen der neurologischen Untersuchung am 22.11.2017 angegeben, dass es bei längeren Strecken zu starken Schmerzen im rechten Fuß komme und der Fuß abends in Ruhe oder nach längerem Sitzen immer wieder einschlafe und sie Parästhesien und ein "komisches Gefühl" im rechten Fuß spüre. Dieser fühle sich tagsüber permanent kalt an, verfärbe sich abends rot und sei dann heiß, was sie beim Einschlafen störe. Wegen der Schmerzen könne sie auch keine Schuhe mit Absätzen tragen. Gegenüber E hat die Klägerin am 06.03.2019 über stechende Schmerzen im Bereich der rechten Leiste bei Belastung sowie Druckschmerzen bei längerem Laufen geklagt, ferner über ein taubes Gefühl und eine Sensibilitätsstörung im rechten Oberschenkel sowie ein "pelziges Gefühl" unterhalb des Knies. Nachts brenne der Fuß, tagsüber sei er kalt. Ihre Gehstrecke sei auf 2
km limitiert. W hat den Befund auf Nachfrage am 10.07.2020 als "unverändert" bezeichnet.
(4) Soweit die Klägerin in der Klage- und Berufungsbegründung vorgetragen hat, der Nervus obturatorius sei mit einem Einzel-
GdB von 20 zu bewerten, kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Laut dem neurologischen Gutachten von F vom 04.12.2017 hat die konservative Weiterbehandlung nach dem Unfall zu einer raschen, vollständigen Remission der ursprünglichen Nervus obturatorius-Parese geführt. Hinzu kommt, dass dieser Nerv in den
VG nicht aufgeführt ist und insoweit auch keine funktionellen Einschränkungen mehr ersichtlich sind.
Ausgehend von einem Einzel-
GdB von 30 für die Teilläsion des Ischiasnervs einschließlich der dauerhaften Schmerzen sowie jeweils einem Einzel-
GdB von 10 für die Bewegungseinschränkungen der Hüfte rechts und die Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis ergibt sich für das Funktionssystem "Beine" ein
GdB von 30.
c. Im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" liegen keine Beeinträchtigungen vor, die einer
GdB-Bewertung zugrunde gelegt werden können.
aa) Auf psychiatrischem Fachgebiet liegt unter Berücksichtigung der objektiven Befunde kein Einzel-
GdB vor. Aus dem psychologischen Bericht der
BG-Klinik L vom 26.03.2015 geht zwar hervor, dass die Klägerin durch den Unfall und dessen Folgen emotional belastet gewesen ist. Im weitere Verlauf ist auch eine Anpassungsstörung diagnostiziert worden (s. psychologischer Konsilbericht vom 27.04.2015,
BG-Berichte vom 27.07.2015, 10.01.2016, 31.03.2016 und 08.07.2016, die eine ambulante Psychotherapie bei der S1 nach sich gezogen hat. Diese hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 22.01.2018 angegeben, die Klägerin von September 2015 bis April 2017 niederfrequent (insgesamt 19 Sitzungen) psychotherapeutisch behandelt zu haben, wobei die Behandlung der Verarbeitung und Akzeptanzentwicklung bezüglich der unfallbedingten körperlichen Langzeitschäden, der chronischen Schmerzsymptomatik und dem Umgang mit verletzungsabhängigen Zukunftsängsten gedient habe. Der anfängliche Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung habe nicht bestätigt werden können. Die Beeinträchtigungen hat S1 als leicht bezeichnet. Eine medikamentöse Behandlung der psychischen Beeinträchtigungen ist nicht dokumentiert. Nach dieser ambulanten Behandlung ist im Sommer 2017 eine vollständige Rückbildung der Symptomatik erfolgt. Dafür spricht nicht nur die Beendigung der Therapie durch S1 im April 2017, sondern der Senat stützt sich hier auf die überzeugenden Ausführungen des F, der in seinem zweiten Gutachten vom 04.12.2017 einen unauffälligen psychopathologischen Befund erhoben und überzeugend ausgeführt hat, dass die psychoreaktive Störung klinisch und anamnestisch erwartungsgemäß vollständig abgeklungen ist. Auch aus dem im Klageverfahren S 13 U 1599/18 eingeholten Gutachten der E, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, ergibt sich, dass die Anpassungsstörung seit 2017 als remittiert zu betrachten ist. Damit liegt keine psychische Erkrankung mehr vor, die nach den
VG, Teil B,
Nr. 3.7 mit einem
GdB zu bewerten wäre. Aber auch für den Zeitraum vom 20.02.2015 bis zur Remission der Anpassungsstörung im April 2017 kann der Argumentation der Klägerin, soweit sie die Anpassungsstörung in der Berufungsbegründung mit einem Einzel-
GdB von 20 bewertet hat, nicht gefolgt werden. Denn nach den
VG, Teil B,
Nr. 3.7 (Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen) sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem
GdB von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem
GdB von 30 bis 40 und schwere Störungen (zum Beispiel schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem
GdB von 50 bis 70 sowie mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem
GdB von 80 bis 100 zu bewerten. Hier hat es sich um eine nur leichte Anpassungsstörung aus konkretem Anlass (Unfallereignis) ohne das Erfordernis medikamentöser Therapie gehandelt, die unter niederfrequenter psychotherapeutischer Behandlung in 26 Monaten remittiert ist. Ein
GdB von 20 lässt sich damit nicht begründen.
bb) Auch für die wiederkehrenden Kopfschmerzen, die bei der Klägerin nach dem Joggen oder bei der Arbeit auftreten, ist kein
GdB festzustellen. Zwar nimmt die Klägerin deswegen nach eigenen Angaben an etwa sieben Tagen im Monat Ibuprofen 600 ein (Gutachten F), es handelt sich jedoch nach der überzeugenden Diagnose von F um episodische Spannungskopfschmerzen. Eine - nach den
VG, Teil B, Nr. 2.3 mit einem
GdB zu berücksichtigende - Migräne ist ärztlicherseits nicht festgestellt worden.
d) Den Gesamt-
GdB hat das SG Heilbronn zutreffend mit 40 festgestellt. Ausgehend von einem Einzel-
GdB von 30 jeweils für das Funktionssystem "Arme" sowie das Funktionssystem "Beine" liegt bei der Klägerin ein Gesamt-
GdB von 40 vor.
Nach den
VG, Teil A,
Nr. 3 d) ist es bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Allerdings ist bei der Beurteilung der Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zu beachten, dass sich eine Funktionsbeeinträchtigung auch besonders nachteilig auf eine andere auswirken kann. Besteht ein
GdB von 30 und kommt ein weiterer
GdB von 30 hinzu, kann dies dann zu einer Erhöhung um 20 und nicht nur um 10 Punkte führen, wenn eine wesentliche Zunahme der Behinderung vorliegt (
vgl. Urteil des Senats vom 24.10.2018 -
L 3 SB 5/17, juris Rn. 37).
Diese Voraussetzung ist vorliegend jedoch nicht erfüllt. Die sich aus den Gesundheitsstörungen des rechten Beines ergebenden Einschränkungen wirken sich nicht besonders nachteilig auf die Einschränkung durch die Schulter aus. Es besteht trotz der Einschränkungen durch die Sensibilitätsstörungen, Missempfindungen und Schmerzen ein flüssiges und koordiniertes Gangbild mit erhaltener Schrittlänge und normalem Abrollverhalten. Weiterhin ist zuletzt keine Medikation der neuropathischen Schmerzen erfolgt, die Klägerin treibt regelmäßig Sport und es kommt erst bei längeren Strecken zu Schmerzen im rechten Fuß. Daraus folgt, dass zwar eine zusätzliche Beeinträchtigung vorliegt, diese führt aber bei der Klägerin nach Überzeugung des Senats nicht zu einer so wesentlichen Zunahme der Behinderung, dass eine Schwerbehinderung zu bejahen wäre. Der sachverständige Zeuge W sowie der Versorgungsarzt S4 haben unter Würdigung der orthopädischen Einschränkungen der Klägerin wiederholt ebenfalls einen Gesamt-
GdB von 40 als sachgerecht befürwortet.
Dass der Gesamt-
GdB der Klägerin nicht mit mindestens 50 einzuschätzen ist, ergibt sich auch daraus, dass bei der Bemessung des Gesamt-
GdB ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen ist. Denn nach den
VG, Teil A,
Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der
GdB-Tabelle der
VG feste Grade angegeben sind. So ist ein
GdB von 50 beispielsweise nach den
VG, Teil B,
Nr. 18.13 oder 18.14 bei Verlust eines Armes im Unterarm oder Verlust eines Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke anzunehmen. Das Ausmaß einer solchen doch gravierenden Funktionsbehinderung wird durch die bei der Klägerin dokumentierten Einschränkungen nicht erreicht.
Nach alledem war die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Heilbronn vom 22.04.2020 zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
6. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160
Abs. 2
Nr. 1 und 2
SGG gegeben ist.