Urteil
Keine Anerkennung einer Berufskrankheit (BK Nr. 1317) bei einem Drucker - Zusammenhang zwischen Erkrankung und beruflicher Tätigkeit nicht hinreichend wahrscheinlich

Gericht:

LSG Saarland 7. Senat


Aktenzeichen:

L 7 U 26/16


Urteil vom:

06.02.2019


Grundlage:

  • SGB VII § 9 Abs. 1 |
  • SGB X § 44

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger an einer Berufskrankheit (BK) Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösemittel oder deren Gemische leidet.

Der Kläger wurde von 1968-1972 in der Hansa-Druckerei in ... zum Drucker ausgebildet, sowohl im Buchdruck als auch Offset. Nach dem Militärdienst im Jahr 1974 arbeitete er als Buchdrucker bis 1976, dann absolvierte er eine Ausbildung als Schwimmmeister bis 1979 und war anschließend bis 1991 Buchdrucker bei der ... Zeitung. Von 1991-2006 war er Maschinenführer und Teamleiter (ab 1998) in der Fertigung von Zigarettenpackungen an Druckmaschinen (Firma MMP in ...).

Im Dezember 1998 erstellte Dr. ... wegen Atemnot und Schwindel eine BK-Anzeige nach Nr. 4302 (durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen). Der Kläger habe Umgang mit Druckfarben und Lösungsmitteln und Beschwerden seit etwa Mitte bis Ende der Neunzigerjahre. Er leide unter einer Nahrungsmittelallergie und Heuschnupfen. Die Beklagte zog Unterlagen bei, so einen Bericht von Prof. Dr. ... vom 9.8.1995, der vermutete, die Kombination aus Lösungsmitteln, Vibrationen, Geräuschen und Stress am Arbeitsplatz könnten eine Reaktion des gesamten Systems von Herz und Kreislauf nach sich ziehen, weiter einen Bericht von Dr. ... vom 27.9.1995 mit einem dringenden Verdacht auf essenzielle arterielle Hypertonie mit Herzrasen, Kopfschmerzen und Schwindel, bedingt durch den Blutdruck; die grobe neurologische Untersuchung war ohne Befund. Weiter einen Bericht der CCT-Klinik Herz Jesu in ... vom 11.7.1996 über einen Notfall am 9.7.1996 mit exazerbiertem Blutdruck, einen Bericht der Nervenklinik und Poliklinik der Uniklinik ... Abteilung Neurologie vom 22.8.1996 mit Kribbelparästhesien, bis auf eine diskrete Pallhypästhesie war die klinisch neurologische Untersuchung beider Beine unauffällig. Einen Hinweis auf eine Polyneuropathie durch Lösungsmittel sowie extrapyramidale Störungen fand die Klinik nicht. Dr. ... in ... berichtete am 27.1.1999 von einem unauffälligen neurologischen Befund bei seitengleichen Reflexen, keine sensiblen oder motorischen Störungen. Die Nervenleitgeschwindigkeit war unauffällig und ein Carpaltunnelsyndrom lag nicht vor.

Eine Arbeitsplatzanalyse der Beklagten vom März 2000 im Betrieb MMP unter Beteiligung des Klägers berichtete von 4 Offset-Druckmaschinen, bei denen Reinigungsarbeiten teilweise von Hand durchgeführt wurden. Von einer Einhaltung der Luftgrenzwerte sei auszugehen, im August 1999 hatten Messungen die Einhaltung der Grenzwerte für lsopropanol und Kohlenwasserstoffe bestätigt.

Im Gutachten vom 18.5.2000 konnte Dr. ... einen Zusammenhang der bronchialen Erkrankungen des Klägers mit der beruflichen Exposition nicht mit Sicherheit feststellen. Es handele sich um ein anlagebedingtes Leiden.

Dr. ... berichtete am 3.12.2002 von seitengleichen Reflexen bei der neurologischen Untersuchung, ebenso von einer handschuh- und sockenförmigen Hypästhesie und Hyperpathie, wörtlich: "also Polyneuropathie". Rötungen im Gesicht seien klassisch für alle Lösungsmittelberufe. Er verwies auf ein PET mit deutlichen Leistungsschäden, diese Untersuchung sei dank der Aktivitäten der Krankenkassen alleine von den Patienten zu bezahlen, es sei aber die genaueste technische Untersuchung, mit der man unwiderlegbar die zahllosen schweren Hirnschäden der Unterklasse in gefährlichen Berufen feststellen könne. Diese Methode habe in die Düsternis der Berufskrankheiten mehr Klarheit und mehr Recht gebracht, als es die Bemühungen der Berufsgenossenschaften über Jahrzehnte täten. Besonders liebevoll mit den Patienten und mit ihm gegenüber habe sich regelmäßig die BG Druck und Papier verhalten, Einzelheiten könne er sich sparen. Er diagnostizierte eine Neuropathie sowie weitere Erkrankungen und eine deutliche Wesensänderung. Es sei undenkbar, dass jemand gesund bleiben könne nach derartigen jahrzehntelangen Expositionen in einer Druckerei. Die Familien seien regelmäßig mit betroffen durch das, was die Eltern in der Kleidung und dem Körper mit sich nach Hause brachten. Dies sei nach der Pisa-Studie ein Gegenwartsthema.

Nach einem Bericht vom 16.1.2003 über den PET-Befund von Dr. ... vom 9.4.2003 erstellte Dr. ... am 21.1.2003 eine Ärztliche Berufskrankheitenanzeige wegen einer Polyneuropathie sowie chemischer Überempfindlichkeit unter Verweis auf testpsychologische Untersuchungen des Diplom-Psychologen ... . Es gebe einen schwachen Hinweis auf eine zerebrale Insuffizienz und kognitive Leistungsminderungen in Teilbereichen. Dies entspreche einer toxischen Enzephalopathie aufgrund langjähriger Lösungsmittelexposition.

Die Beklagte zog weitere Unterlagen bei, so einen Bericht des Brüderkrankenhauses in ... vom 20.1.1994 über eine stationäre Notfallbehandlung vom 27.10.1993 bis 28.11.1993 wegen einer Tachykardie und einer medikamentösen Behandlung. In einem Bericht der Hochwaldklinik vom 12.1 .2000 lässt sich bei Erkrankungen der LWS, HWS, einer Hypertonie und Bronchitis lesen, dass die Sensibilität ungestört ist. Vom 12.9.2002 bis 20.9.2002 wurde der Kläger im Elisabeth-Krankenhaus in ... wegen entgleister Hypertonie und Tachykardie mit Blutdruckkrise behandelt. Dort wird von Entgleisungen mehrmals jährlich berichtet. Grob orientierend sei die neurologische Untersuchung unauffällig. Es fanden sich Zeichen einer Schädigung des Herzmuskels.

Nach Konsultation ihres Beratungsarztes beschied die Beklagte am 27.6.2003 den Kläger dahin, dass eine BK-Nr. 1317 ebenso wenig vorliege wie Ansprüche des Klägers hieraus gegeben seien. Sie verwies auf die Ermittlungen und einen fehlenden objektiven Befund. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.9.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; der Widerspruch des Klägers sei nicht begründet worden. Das anschließende Klageverfahren S 3 U 161/03 wurde durch Klagerücknahme vom 11.12.2003 beendet.

Vom 8.10.2003 bis 13.10.2003 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung im Elisabeth-Krankenhaus in ... wegen Hypertonie und plötzlichem Schwindel, stark erhöhtem Blutdruck sowie plötzlich auftretender Cephalgie.

In einem Bericht an die Deutsche Rentenversicherung vom 1.6.2004 beschrieb Dr. ... einen unauffälligen neurologischen Befund ohne sensible oder motorische Störungen bei guten Reflexen.

Für die Deutsche Rentenversicherung erstellte Dr. ... am 15.2.2005 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Der neurologische Status war ohne Befund und Sensibilitätsstörungen nicht nachweisbar. Der Kläger leide unter einer Anpassungsstörung mittleren Grades.

Vom 22.4.2005 bis 20.5.2005 befand sich der Kläger in der Klinik ... in einer Reha wegen orthopädischer Probleme, kognitiver Minderung der Belastbarkeit, Anpassungsstörungen und essenzieller Hypertonie. Im Abschlussbericht ist die Rede von einer deutlichen Diskrepanz zwischen Schilderung der Beschwerden und Leistungsbereitschaft, der Kläger habe mit dem Erwerbsleben abgeschlossen. Er gebe unverändert eine langjährige Exposition gegenüber Lösungsmitteln an und halte diese als Ursache seiner Erkrankung unverrückbar fest. Er könne als Drucker zumutbar 6 Stunden und mehr arbeiten. Die Diagnose einer Polyneuropathie fand sich in diesem Bericht nicht.

Für die Deutsche Rentenversicherung erstellte Dr. ... am 18.9.2005 einen Befundbericht. Der Kläger habe eine behinderte Tochter im Alter von 25 Jahren und die Geburt sei zu einer Zeit gewesen, als er mitten in der Druckerei-Arbeit gewesen sei. Behinderte Kinder seien nicht selten von Eltern in toxischen Berufen. Dr. ... beschrieb eine deutliche Polyneuropathie mit handschuh- und sockenförmiger Hypästhesie und Hyperpathie, eine ausgeprägte Hemiparese links und deutliche Hörstörungen.

Im Klageverfahren beim Sozialgericht für das Saarland (SG) S 9 R 220/06 zu diesem Rentenverfahren erstellte Dr. ... am 13.12.2006 ein Gutachten mit der Angabe zunehmender Hypästhesie symmetrisch und stromförmig, nach den Zehen zunehmend. Elektroneurographisch zeigten sich die sensiblen NLG des N. suralis auf beiden Seiten deutlich verlangsamt, motorisch zeige sich der N. peroneus links langsamer, ebenso der N. tibialis; diese Befunde passten zu einer Polyneuropathie, die von Dr. ... attestierte Halbseitenlähmung rechts liege bei seiner Untersuchung nicht vor. Bei der Hirnleistungsschwäche gebe es eine deutliche Verschlimmerung im Vergleich zu Dr. ... Die Ursache der Defizite sei nicht bekannt.

Dr. ... ergänzte am 12.3.2008, die geringe Polyneuropathie verursache keine nennenswerte Leistungsminderung. Die Hirnleistungsfähigkeit zeige nur leichtgradige Einschränkungen, eine Erwerbsunfähigkeit liege nicht vor. Prof. Dr. ... nehme in dessen Gutachten nach § 109 SGG an das SG vom 22.1.2008 keine psychischen Untersuchungen vor und stütze sich auf Dr. ... sowie die PET. Am 7.5.2008 ergänzte er schließlich, Prof. Dr. ... beschreibe die psychisch-geistige Situation nicht. Auch die Neuropathie werde nicht durch notwendige Zusatzuntersuchungen verifiziert. Es gebe nur eine geringe Verlangsamung der NLG.

Schließlich hat im Rentenklageverfahren Dr. ... am 7.8.2009 ein weiteres Gutachten erstellt. Dieser erkannte deutliche Beeinträchtigungen der Konzentration und der Merkfähigkeit sowie des Gedächtnisses. Die Tests hatten eine mittelgradige kognitive Beeinträchtigung bei Verdacht auf Demenz ergeben. Ferner stellte er eine axional demyelinisierende sensomotorische Neuropathie unklarer Atiologie fest. Das von Dr. ... beschriebene Krankheitsbild sei deutlich progredient und es bestehe eine Polyneuropathie in beschriebener Form, dies seit mindestens Anfang 2005 nach dem Gutachten von Dr. ... .

Ergebnis des Rentenklageverfahrens S 9 R 220/06 war ein gerichtlicher Vergleich im September 2009, dass der Kläger eine Rente bei voller Erwerbsminderung ab 41.11.2007 erhalt.

Unter dem 11.11.2009 stellte der Kläger im Hinblick auf die BK-Nr. 1317 einen Überprüfungsantrag mit Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. ... nach § 109 SGG in dem Klageverfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund. Prof. Dr. ... diagnostizierte dort ohne eigene Untersuchungen und Befundungen eine Enzephalopathie Ila und eine sensible Polyneuropathie im Bereich beider Unterschenkel nebst anderen Erkrankungen. Er verwies auf das PET von Dr. ... der eine zerebrale Minderperfusion des Gehirns als Indikator einer Enzephalopathie festgestellt habe. Bezüglich der sensiblen Polyneuropathie stehe die Ursache nicht fest, die Hypertonie sei als Ursache der Enzephalopathie mit zu berücksichtigen, es bestehe aber eine additive Belastung durch Lösungsmittel bei fortbestehender Hypertonie.

Der Präventionsdienst (PD) der Beklagten ermittelte neurotoxische Losungsmittel bei der Arbeit bei der ... Zeitung in Form von n-Hexan, Dichlormethan, Trichlorethen und Xylol, eine Überschreitung der Grenzwerte könne nicht bestätigt werden. Ähnliches gelte für die Tätigkeit bei MMP. Expositionen im Sinne der BK-Nr. 1317 seien daher eher gering gewesen.

Die Beklagte holte ein Gutachten bei Dr. ... ein. Dieser erkannte im Gutachten vom 31:1.2011 einen Umgang des Klägers mit organischen Lösungsmitteln mit neurotoxischem Potenzial, außerdem mit Isopropanol und Methanol, diese Exposition habe aber nur Stunden angedauert und sei im Laufe des Arbeitslebens rückläufig gewesen. Messungen aus 1999 hatten eine dauerhaft sichere Einhaltung der Grenzwerte ergeben. Erstmals habe Dr. ... am 3.12.2002 eine Minderung der kognitiven Kapazitäten dargestellt, dies seien aber nur leichtgradige Befunde gewesen. Im Frühjahr 2005 seien die Einschränkungen schon deutlicher gewesen und Dr. ... beschreibe deutliche Störungen, Dr. ... eine Verschlimmerung der Hirnleistungsdefizite und Dr. ... ein ganz erhebliches demenzielles Syndrom. Damit habe sich die Erkrankung nach dem Ausscheiden aus dem Beruf 2005 erheblich, sogar rasant verschlechtert. Die dementielle Entwicklung spreche für eine Enzephalopathie. Es gebe aber deutliche außerberufliche Gesundheitsstörungen in Form von Bluthochdruck mit mehrfachen intensivmedizinischen Interventionen. Gerade solche Blutdruckkrisen führten zu einer erheblichen Schädigung des ZNS. Die Verschlechterung nach Ende der Exposition sei untypisch für eine Enzephalopathie durch Lösungsmittel, der Blutdruck mit Spitzen sei ein wesentlicher außerberuflicher Grund für die Entstehung einer Hirnleistungsschwache.

Mit Bescheid vom 13.4.2011 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 27.6.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.9.2003 ab, die Polyneuropathie oder die Enzephalopathie hatte bereits 1976 vorliegen müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 1.6.2011 bestätigte die Beklagte den vom Kläger angefochtenen Bescheid.

im Gerichtsverfahren hat der Kläger weiter auf das Gutachten von Prof. Dr. ... im Rentenverfahren verwiesen.

Nach Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. ... vom 9.12.2011 sowie auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG von Prof. Dr. ... vom 24.4.2013 nebst Ergänzungen vom 30.8.2013, 17.7.2014 sowie 28.1.2015 und einem Zusatzgutachten von Dr. ... vom 5.4.2013, weiteren Ermittlungen des Präventionsdienstes und beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. ... hat das SG hat mit Urteil vom 19.5.2016 die Klage abgewiesen.

Im Wesentlichen hat es ausgeführt, man verweise auf Prof. Dr. ..., dass sicherheitstechnisch im Rahmen der Tätigkeit bei der ... Zeitung 6 neurotoxische Lösungsmittel bestätigt wurden; bei der Firma MMP sei Trichlorethen verwendet worden. Dies könne zu pranarkotischen Symptomen oder einer Narkose fahren. Außerberufliche neurotoxische Faktoren wie Alkohol, Medikamente oder Diabetes könnten diesen Verlauf beeinflussen. Sicherheitstechnisch sei der Umgang mit Listenstoffen bejaht worden und die Einwirkungskausalität könne als gegeben angesehen werden, auch wenn eine Überschreitung von Grenzwerten nicht unterstellt oder in aktenkundigen Messungen deren Einhaltung dokumentiert worden seien. Gesundheitlich habe der Kläger bis zu den achtziger Jahren keine Probleme verspürt, erst Mitte der achtziger Jahre habe er eine Abnahme der Leistungsfähigkeit und Verlängerung der Regenerationsphasen bemerkt. Insbesondere sei dies stärker nach dem Wechsel in die Zigarettenindustrie geworden. Haftungsbegründend führe Prof. Dr. ... aus, dass es sich nicht nur um geringe Expositionen gehandelt habe. Die Situation sei früher schlimmer gewesen als in den Messungen wiedergegeben. Kopfschmerzen und Schwindel seien aufgetreten, allerdings habe die Untersuchung im September 1996 einen weitgehend unauffälligen Untersuchungsbefund ergeben. Eine Polyneuropathie sei nicht diagnostiziert worden und auch die Untersuchung 2005 bei Dr. ... habe keine Auffälligkeiten diesbezüglich zeigen können. Auffallend sei jedoch eine deutliche kognitive Störung gewesen und auch Dr. ... habe Hirnleistungsdefizite im Sinne eines HOPS mit Verdacht auf Alterungsprozesse im Gehirn festgestellt, dies mit deutlicher Progredienz der Befunde. Erst im August 2009 sei eine Neuropathie elektrophysiologisch gesichert worden und nach einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren eine deutlich progrediente Demenz. Die Exposition gegenüber Losungsmittel habe spätestens im Dezember 2005 geendet und die lösungsmittelbedingte Polyneuropathie entwickele sich in der Regel in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der beruflichen Exposition. Häufig besserten sich Polyneuropathien nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeiten, nicht selten blieben sie aber konstant oder verschlechterten sich. Im Fall des Klägers sei die neurologische Untersuchung zum Zeitpunkt der höchsten Lösemittelbelastung unauffällig gewesen und erst 2009, also einige Jahre nach Beendigung der Exposition, habe die Polyneuropathie im Vollbeweis gesichert werden können. Die Exposition sei auch im Verlauf der Jahre deutlich rückläufig gewesen und als Differenzialdiagnose sei in erster Linie an Diabetes oder Alkohol zu denken. Aktenkundig sei diesbezüglich aber nichts. Der Kläger habe aber häufiger Blutdruckentgleisungen in der Nacht gehabt und Symptome wie Kopfschmerzen und Schwindel könnten auch damit zusammenhängen. Die Progredienz der Beschwerden nach Ende der Exposition sowie die schwer einstellbare arterielle Hypertonie sprachen primär nicht für einen kausalen Zusammenhang mit dem Beruf.

Das Gericht folge der Einschätzung von Prof. Dr. ..., diese sei in Übereinstimmung mit derjenigen von Dr. ... . Auch in Ansehung der Ausführungen von Prof. Dr. ... könne die BK 1317 nicht festgestellt werden. Dies hänge mit dem späten Zeitpunkt der Objektivierung der Erkrankung nach Expositionsende bzgl. Lösungsmittel zusammen. Die rein anamnestisch diagnostizierte Polyneuropathie im Dezember 2002 lasse eine Sicherung im Vollbeweis nicht zu. Die Grenzwerte seien eingehalten worden, obwohl bei der BK-Nr. 1317 eine Mindestdosis nicht definiert sei. Die MAK-Werte sprachen allerdings gegen die Kausalität. Der Kläger habe seit Jahren erhebliche hypertensive Entgleisungen und die Umstande gegen die Kausalität überwögen die Argumente dafür.

Der Kläger hat gegen das am 18.8.2016 zugestellte Urteil am 13.9.2016 Berufung eingelegt und auf die Ausführungen von Prof. Dr. ... verwiesen. Bei Würdigung der Anamnese liege der Beginn der Erkrankung deutlich vor der ersten klinischen Sicherung. Sei die Einwirkungskausalität bestätigt, sei es nicht gerechtfertigt, aus geringfügigen Überschreitungen der Exposition auf eine geringe Wahrscheinlichkeit der haftungsbegründenden Kausalität zu schließen. Prof. Dr. ... schließe andere Ursachen für die Erkrankungen aus.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 19.5.2016 sowie den Bescheid vom 13.4.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.6.2011 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 27.6.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.9.2003 festzustellen, dass er an einer Berufskrankheit Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung leidet,

hilfsweise, im Hinblick auf die widersprüchlichen Angaben in den Gutachten von Prof. Dr. .. einerseits und Prof. Dr. ... andererseits ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. ... vom 18.7.2017. Schließlich hat Prof. Dr. ... am 16.1.2018 sechs Fragen der Bevollmächtigten des Klägers beantwortet.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Rechtsweg:

SG Saarbrücken, Urteil vom 19.05.2016 - S 3 U 181/11
BSG, Urteil vom 16.03.2021 - B 2 U 11/19 R

Quelle:

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), hat keinen Erfolg, denn das SG hat zu Recht im Sinne von § 44 SGB X festgestellt, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend davon ausgegangen ist, dass der Bescheid vom 27.6.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.9.2003, mit dem eine BK-Nr. 1317 abgelehnt wurde, rechtlich nicht zu beanstanden und daher nicht abzuändern ist. Der Kläger leidet nicht an einer BK-Nr. 1317.

Eine Listen-BK hat im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale, die gegebenenfalls bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen missen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhange genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R, Rdnr. 9 mwN).

Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK-Nr. 1317 müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie vorliegen, die durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische entstanden ist, deren Einwirkungen der Versicherte in Folge seiner versicherten Tätigkeit ausgesetzt war.

Diese BK betrifft die Polyneuropathie oder Enzephalopathie, die durch neurotoxische Lösungsmittel bzw. deren Gemische entstanden ist. Im Hinblick auf die Polyneuropathie verursachen die neurotoxisch wirksamen organischen Chemikalien in der Regel eine distal-symmetrische sensible bzw. sensomotorische Polyneuropathie vom axonalen Typ. Die Diagnose kann auf der Basis typischer klinische Befunde wie Paresen, Muskelatrophien, erloschene Eigenreflexe der Muskulatur, Sensibilitätsstörungen in Form einer Hypästhesie und mittels neuropsychologischer Methoden wie EMG, Neuropathie, evozierte Potenziale gestellt werden. Die Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS) infolge einer ChemikalienIntoxikation wird als Enzephalopathie bezeichnet. Keine enge Korrelation von Befund und Symptomatik zeichnen funktionsabbildende Verfahren wie SPECT und PET aus. Die dort beschriebenen Auffälligkeiten im Kortex sind unspezifisch und finden sich auch bei psychischen Störungen. Aufgrund der unspezifischen klinischen Befunde ist toxische Enzephalopathie eine Ausschlussdiagnose, wenn andere Ursachen unwahrscheinlich sind (Triebig in Schönberger-Mehrtens-Valentin, 9. Auflage 2017, 5.10.2 Seite 264, mwN.).

Grundsätzlich besteht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Krankheitsbeginn, was bedeutet, dass sich die Krankheit wahrend oder kurz nach der beruflichen Exposition entwickelt. Ein längeres Intervall von Jahren zwischen letzter Exposition und Krankheitsbeginn ist toxikologisch nicht plausibel (Triebig aaO.). Eine toxische Polyneuropathie kann nach Ende der Exposition zeitlich begrenzt eine Zunahme der Symptomatik zeigen. Langfristig kommt es aber nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitgehenden Rückbildung der klinischen und neurophysiologischen Symptomatik, wobei im Einzelfall Reststörungen insbesondere bei anfangs schwer Erkrankten auch dauerhaft persistieren können (Triebig aaO.). Bei der Enzephalopathie wird eine Progression des Symptomerlebens und der psychischen Funktionsbehinderungen in den methodisch gesicherten Studien deutlich Überwiegend nicht beobachtet. Daher ist die Progredienz einer toxischen Enzephalopathie nach Expositionsende nicht der wahrscheinliche Verlauf der Erkrankung (vgl. auch LSG Hessen, Urteil vom 28.11.2016, L 9 U 37/13, Rn. 40). Nur bei sehr hohen und langen Expositionen wäre zur Erklärung eines progredienten Verlaufs eine sich gegenseitig verstärkende Wirkung von Alterungs- und Expositionseffekten zu bedenken (Triebig aaO., s. auch ebendort 5.10.3 S. 267).

Im vorliegenden Fall ist eine BK-Nr. 1317 weder in Form einer Polyneurapathie noch als Enzephalopathie belegt. Dies ergibt sich aus der Auswertung der vielen ärztlichen Befunde und Berichte aus der Verwaltungs- und Gerichtsakte sowie aus den eingeholten Gutachten. Bei Ende der Exposition im Jahr 2006 waren beide Krankheitsbilder noch nicht gesichert. Alle neurologischen Untersuchungen von 1995 bis 2005 waren ohne Befund. Lediglich Dr. ... hat am 3.12.2002 von einer Polyneuropathie gesprochen, diese Schlussfolgerung aber nicht nachvollziehbar und unbelegt alleine aus angegebener Hypästhesie und Hyperpathie geschlossen. Dass im Vordergrund der Ausführungen von Dr. ... sein "Privatkrieg" mit den Berufsgenossenschaften steht, belegen die Zusatze im Bericht von Dr. ... die für sich sprechen. Konkrete Untersuchungen außerhalb dieser Anamnese hat er nicht durchgeführt. Erstmals im August 2009 gab es Tests und Untersuchungen in den Ausführungen im Gutachten von Dr. ... der bei Verdacht auf Demenz eine messtechnisch gesicherte axonale demyelinisierende sensomotorische Polyneuropathie unklarer Atiologie mit Progredienz erkannte.

Die im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten bestätigen die Wertung des Senats, dass die Erkrankungen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Expositionen zurückzuführen sind, wodurch dem Kläger eine BK-Nr. 1317 nicht zugesprochen werden kann.

Prof. Dr. ... hat am 9.12.2011 ausgefuhrt, die berufliche Exposition gegenüber Lösungsmitteln habe im Dezember 2005 geendet und die neurologischen Untersuchungen seien zum Zeitpunkt der höchsten Belastung durch Lösungsmittel unauffällig ausgefallen. Erst 2009, Jahre nach Beendigung der Exposition, habe die Neuropathie im Vollbeweis gesichert werden können. Die Hirnleistungsdefizite bei toxischer Enzephalopathie traten in der Regel wahrend des Zeitraums der Exposition auf, es zeige sich aber in der Wissenschaft auch Jahre nach der Unterlassung eine Zunahme subjektiver Beschwerden und die Verschlechterung der Ergebnisse in den Testverfahren. Schon in den neunziger Jahren habe der Kläger eine Konzentrationsstörung sowie die Beeinträchtigung der Merkfähigkeit und Gedächtnisleistung sowie Kopfschmerz und Schwindel beschrieben, was als pranarkotisches Syndrom gedeutet werden könne. Er habe aber nicht über Übelkeit, Brechreiz und Zustande einer Euphorie berichtet. Zeitgleich hatten aber häufige Blutdruckentgleisungen festgestellt werden müssen mit mehrfachen intensivmedizinischen Interventionen. Die Progredienz der Erkrankungsbilder sowie die schwer einstellbare arterielle Hypertonie seien konkurrierende Faktoren und sprachen nicht primär für einen kausalen Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Erkrankung. Die anamnestischen Angaben des Klägers zum früheren Krankheitsverlauf vor Unterlassung der Tätigkeit seien nicht durch objektive Befunde gestützt. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen könnten nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden; er stimme mit Dr. ... überein. Diese Einschätzung hat Prof. Dr. ... in einer Ergänzung vom 23.5.2012 bestätigt.

Im auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG erstellten neurologischpsychiatrischen Zusatzgutachten des Dr. ... vom 5.4.2013 ist zu finden, er könne die kognitiven Defizite bestätigen, eine weitere Verschlechterung lasse sich aber nicht erkennen. Bei unauffälligem EEG könne eine Enzephalopathie anhand der Exploration und der körperlichen Untersuchung sowie der Zusatzuntersuchungen bestätigt werden, auch die Neuropathie sei nachgewiesen, dass diese allerdings demyelinisierend beschrieben werde, spreche eher gegen eine toxische Genese.

Prof. Dr. ... hat im Gutachten nach § 109 SGG vom 24.4.2013 beschrieben, dass man schon in ... am 9.8.1995 ein Kribbeln in der Innenfläche der Hände und der Fußsohlen bemerkt habe, dies könne durch Lösungsmittel bedingt sein. Er sah sich nicht in der Lage, eine Stellungnahme abzugeben bei der von der Präventionsabteilung festgestellten niedrigen Exposition, das Gericht solle eine ergänzende Stellungnahme der Präventionsabteilung einholen und Zeugen befragen.

Prof. Dr. ... ergänzte am 30.8.2013, sowohl Dr. ... im Dezember 2002 als auch Prof. ... hatten keine Elektroneurographie erstellt, auch nicht Dr. ... und Dr. ... . Erst Dr. ... habe eine solche veranlasst und Dr. ... ebenfalls. Er gehe davon aus, dass man von der Erstdiagnose einer Polyneuropathie am 3.12.2002 ausgehen müsse, das klinische Bild dieser Diagnose müsse herangezogen werden. Weiter empfehle er eine ergänzende Stellungnahme der Praventionsabteilung wegen bestimmter Stoffe im Jahr 2005.

Die daraufhin erfolgten Ermittlungen des Präventionsdienstes vom 19.10.2013 und vom 13.3.2014 haben Verwendungen neurotoxischer Lösungsmittel sowohl wahrend der Tätigkeit bei der ... Zeitung als auch bei MMP ergeben in Form von "Gummi neu" und "Smash". Eine Angabe zur Konzentration in der Atemluft war nicht mehr feststellbar.

Daraufhin hat Prof. Dr. ... am 17.7.2014 im Wesentlichen ergänzt, Dr. ... habe im Dezember 2002 eine Polyneuropathie und Enzephalopathie erstmals bestätigt. Der Kläger sei einer langjährigen Exposition mit neurotoxischen Gefahrstoffen ausgesetzt gewesen, Die Erkrankungsbilder seien gesichert und eine Latenz zwischen Unterlassung der Tätigkeit und erstmaliger Diagnose bestehe nicht. Außerberufliche Ursachenfaktoren lagen nicht vor. Er schatze die MdE auf 40 % infolge des neurologischen Zusatzgutachtens. Er widerspreche Dr. ... denn die Erkrankungen könnten sich auch nach der Unterlassung bessern, konstant bleiben oder verschlechtern. Der Blutdruck sei keine Konkurrenzursache, erst dann, wenn dies zu einer Arteriosklerose der Hirngefäße oder einem Hirninfarkt geführt habe. Er widerspreche auch Prof. Dr. .... Dr. ... und Dr. ... hätten die entsprechenden Untersuchungsverfahren eingesetzt; die entsprechende Leitlinie sei aber erst 2008 veröffentlicht worden und wegen der klinischen Diagnostik sei davon auszugehen, dass beim Kläger erstmals im Dezember 2002 eine Polyneuropathie und Enzephalopathie diagnostiziert worden sei.

Beratungsärztlich nahm Dr. ... am 5.8.2014 hierzu Stellung. Die Einwirkung organischer Lösungsmittel sei zwar qualitativ, aber nicht quantitativ belegt. Eine gelegentliche Exposition habe bestanden, eine dauerhaft über den Grenzwerten bestehende aber nirgends gesichert. Der rasante Verlauf der Verschlimmerung der Erkrankungen nach Beendigung der Exposition spreche alleine schon gegen eine Verursachung durch Lösungsmittel. Eine Hypertonie führe nicht dann erst zu einer Konkurrenzursache für die Enzephalopathie, wenn eine Arteriosklerose der Hirngefäße dokumentiert oder ein Hirninfarkt eingetreten sei. Neurologisch sei hinl4nglich bekannt, dass eine Arteriosklerose des Gehirns und Mikroinfarkte mit einer Enzephalopathie einhergehen könnten.

In einer Erganzung vom 28.1.2015 hat Prof. Dr. ... eine rasante Verschlimmerung nach Beendigung der Einwirkung im Dezember 2005 verneint.

Dr. ... hat am 26.2.2015 entgegnet, die Grenzwerte seien eingehalten, was auch der Präventionsdienst im Marz 2000 bestätigt habe. Die neurotoxische Wirkung von Isopropanol sei gering, eine Haftungsbegründung der BK sei gegeben, wenn dauerhaft Expositionen über dem Grenzwert vorgelegen hatten; dies sei nicht der Fall gewesen. Eine Verschlimmerung lasse sich belegen, unabhängig davon, ob sie rasant gewesen sei oder nicht. Bei leichteren Fallen einer lösemittelbedingten Enzephalopathie sei in der Regel eine Rückbildung zu erwarten.

Prof. Dr. ... führt in seiner vom Senat eingeholten Ergänzung vom 18.7.2017 im Wesentlichen aus, die Exposition habe 2006 nach der Kündigung und dem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente ab 2007 geendet. Objektive Befunde für eine Polyneuropathie und Enzephalopathie fehlten zunächst. Die Wissenschaft verlange elektrophysiologische Methoden, die lediglich bei Dr. ... und Dr. ... eingesetzt worden seien. Dr. habe keine neurologische Untersuchung durchgeführt. Dr. ... , habe nach Tätigkeitsaufgabe des Klägers lediglich links bei einem auf der rechten Seite unauffälligen Befund neurologische Auffälligkeiten beschrieben. Damit sei die Polyneuropathie nicht symmetrisch gewesen. Dr. ... habe 2009 eine axonal demyelinisierende Polyneuropathie rechts. gefunden, aber auch ein dementielles Syndrom mit deutlichen Auffälligkeiten bestätigt. Es scheine zu einer Verschlimmerung seit 2006 gekommen zu sein, eine Exposition habe aber nicht mehr bestanden. Die Arzte bestätigten, dass die Polyneuropathie als demyelinisierend beschrieben werde, was nach deren Ansicht gegen eine toxische Genese spreche, während ... den Zusammenhang bestätige; es bleibe dabei, dass die neurologischen Untersuchungen zur Zeit der höchsten Belastung mit Lösemitteln hinsichtlich der Polyneuropathie unauffällige Befunde ausgewiesen hatten und eine Enzephalopathie werde erst im Gutachten des Jahres 2013 bestätigt. Gegen eine BK spreche der unauffällige Befund der neurologischen Untersuchungen zur Zeit der beruflichen Tätigkeit 2005, die Sicherung der Polyneuropathie und Enzephalopathie erst nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit, der progrediente Krankheitsverlauf danach und die Diagnose einer Enzephalopathie erst 2013 nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeiten im Jahr 2006.

In seiner Stellungnahme zu den Fragen des Klägers vom 16.1.2018 wiederholt Prof. Dr. ... seine Aussagen, bekräftigt, dass die Deutsche Gesellschaft für Neurologie erst in der Leitlinie 2008 elektroneurographische Untersuchungen gefordert habe, der Kläger hinreichenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei, es falsch sei, dass eine zweifelsfreie Sicherung der Erkrankungen erst nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeiten erfolgt sei, sich eine wesentliche Progredienz der Polyneuropathie oder Enzephalopathie im Verhältnis zu den Untersuchungen von Dr. ... im Dezember 2002 sowie Dr. ... und Dr. ... nicht feststellen lasse und er dem Gericht die. Anerkennung der BK-Nr. 1317 empfehle.

Die Ausführungen von Prof. Dr. ... sind nicht überzeugend, beziehen sie sich nämlich hauptsachlich auf die These von Dr. ... aus dem Jahr 2002, die durch nichts belegt ist. Unabhängig davon, seit wann leitliniengerecht elektroneurographische Untersuchungen geboten sind, reicht es für den Beleg eines Krankheitsbildes der Polyneuropathie oder Enzephalopathie im Vollbeweis nicht aus, wenn aufgrund anamnestisch beschriebener Gefühlsstörungen ohne weitere Untersuchungen oder Befunderhebungen ein solches Krankheitsbild behauptet wird. Prof. ..., sieht nur die Möglichkeit einer solchen Erkrankung bereits seit 2002 und blendet aus, dass sich nach Expositionsende das Krankheitsbild weiter entwickelt hat bzw. gar erst entstanden ist. Insofern sind die Ausführungen von Prof. ... und Dr. ... überzeugend, wagen sie nämlich die Argumente für und gegen die Berufskrankheit ab und kommen zum nachvollziehbaren und zutreffenden Ergebnis, dass von einem Vollbeweis des Krankheitsbildes erst nach Ende der Exposition auszugehen und daher die Entwicklung der Erkrankung für eine Berufskrankheit untypisch ist. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Exposition und Erkrankung lasst sich deswegen nicht belegen, dies zumal dokumentiert ist, dass Konkurrenzursachen mit dem hohen Blutdruck und den dortigen Exazerbationen und Folgen sowie den erheblichen internistischen und kardiologischen Erkrankungen, über die intensiv berichtet wurde, nicht ausgeblendet werden können. Schließlich erwähnt Prof. ... auch die von "seinem" Zusatzgutachter Dr. ... getätigte Aussage nicht, die gefundene demyelinisierende Polyneuropathie passe nicht zu einer toxischen Genese.

Der vom Kläger gestellte Beweisantrag, im Hinblick auf die unterschiedlichen Darstellungen in den Gutachten von Prof. ... und Prof. ... ein weiteres Gutachten einzuholen, hat ebenfalls keinen Erfolg, denn der Senat war ohne ein solches weiteres Gutachten wie aufgezeigt in der Lage, eine Beweiswürdigung durchzuführen und die einzelnen Aussagen gegeneinander abzuwägen. Hierfür war ein weiteres Gutachten nicht erforderlich.

Die Berufung hat daher keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R8667


Informationsstand: 21.05.2021