Urteil
Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Vergütung für den Träger einer Werkstatt für behinderte Menschen

Gericht:

BSG 8. Senat


Aktenzeichen:

B 8 SO 1/18 R


Urteil vom:

29.05.2019


Grundlage:

Terminvorschau und Terminbericht:

Der Kläger ist Träger einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Nachdem er und der beklagte Sozialhilfeträger in ihren Verhandlungen über die Vergütung der in der Werkstatt erbrachten Leistungen bis auf die Frage der Berücksichtigung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung für die im Arbeitsbereich der Werkstatt beschäftigten Menschen Einigkeit erzielt hatten, rief der Kläger die Schiedsstelle an, die den Antrag auf Berücksichtigung der Beiträge ablehnte. Das LSG hat diese Entscheidung bestätigt.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Bei den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung handle es sich um Grund- und Vorhaltekosten, die sich aus den Besonderheiten einer WfbM ergäben und bei der Vergütung durch den Sozialhilfeträger zu berücksichtigen seien.

Das BSG hat das Urteil des LSG und die Entscheidung der Schiedsstelle aufgehoben. Bei den Beiträgen zur Berufsgenossenschaft, die der Kläger für die im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) Beschäftigten zu zahlen hat, handelt es sich um berücksichtigungsfähige Kosten iS von § 41 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 SGB IX, die für die Erfüllung der Aufgaben und fachlichen Anforderungen der WfbM als Träger von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben notwendig sind, nicht jedoch um solche, die mit der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt im Zusammenhang stehen und nur dann bei den Pauschalen und Beträgen nach § 76 Abs. 2 SGB XII zu berücksichtigen sind, wenn sie unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der WfbM und der dort beschäftigten behinderten Menschen nach Art und Umfang über die in einem Wirtschaftsunternehmen üblicherweise entstehenden Kosten hinausgehen (§ 41 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 SGB IX). Der Gesetzgeber ist insoweit von einem Alternativverhältnis beider Kostenpositionen ausgegangen. Deshalb führt der Umstand, dass mit der Beschäftigung im Arbeitsbereich der Werkstatt auch wirtschaftliche Arbeitsergebnisse angestrebt werden, nicht dazu, alle Kosten, die mit der Arbeitsleistung der behinderten Menschen in Zusammenhang stehen, der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt zuzuordnen.

Rechtsweg:

LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14.06.2017 - L 9 SO 31/15 KL

Quelle:

Rechtsprechung im Internet

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Juni 2017 und die Entscheidung der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII des Landes Schleswig-Holstein vom 13. Juli 2015 aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 28 191,80 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit ist die Entscheidung einer Schiedsstelle über die Berücksichtigung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung bei der Festsetzung der vom Beklagten zu zahlenden Vergütung für die im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigten behinderten Mitarbeiter.

Die Klägerin ist Trägerin einer WfbM, die im Kreisgebiet des Beklagten liegt. 2012 schlossen die Beteiligten eine Leistungs- und Prüfungsvereinbarung nach §§ 75 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), die in der Folge regelmäßig durch Anpassungsvereinbarungen fortgeschrieben wurde. Auf ein im Januar 2015 übersandtes Angebot der Klägerin auf Abschluss einer Vergütungsvereinbarung für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.12.2015, in dessen zu vergütenden Tagessatz u.a. 0,16 Euro für die Beiträge zur Berufsgenossenschaft (BG) der im Arbeitsbereich der WfbM beschäftigten und betreuten behinderten Menschen enthalten waren, übersandte der Beklagte am 19.2.2015 ein Gegenangebot, das die BG-Beiträge unberücksichtigt ließ. Diese seien als Kosten, wie sie üblicherweise in einem Wirtschaftsunternehmen anfielen, nicht berücksichtigungsfähig. Die Höhe des strittigen Betrags haben die Beteiligten übereinstimmend auf 28 191,80 Euro beziffert.

Die Klägerin rief am 17.4.2015 die Schiedsstelle an und beantragte die Festsetzung eines Tagessatzes in Höhe von 61,88 Euro, darin enthalten 0,16 Euro für die BG-Beiträge. Die Schiedsstelle lehnte den Antrag ab (Entscheidung vom 13.7.2015). Der Träger der WfbM habe als Unternehmer die BG-Beiträge grundsätzlich selbst zu tragen. Die Beiträge seien nicht als notwendige Kosten (§ 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX), in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022), im Folgenden: a.F.; vgl. jetzt § 58 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB IX) vom Sozialhilfeträger zu vergüten, denn es handele sich um Kosten, wie sie in einem Wirtschaftsunternehmen üblicherweise anfielen. Der Lohn der in der WfbM beschäftigten behinderten Menschen sei in der Regel so hoch, dass auch unter Berücksichtigung der BG-Beiträge noch ein angemessenes Arbeitsentgelt gezahlt werden könne. Zudem finde sich im Gesetz, anders als für die Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung, keine Erstattungsregelung für die BG-Beiträge.

Die Klage der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (LSG) vom 14.6.2017). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG u.a. ausgeführt, BG-Beiträge für die in der WfbM beschäftigten behinderten Menschen seien § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB IX zuzuordnen und gingen nicht über die in einem Wirtschaftsunternehmen üblicherweise entstehenden Kosten hinaus. Zwar komme dem Produktionsprozess in der WfbM immer eine Doppelfunktion zu (Teilhabe am Arbeitsleben einerseits, Herstellung marktverwertbarer Produkte andererseits). Ebenso wie Arbeitsentgelte aus dem Produktionserlös zu zahlen seien, da sie nicht behinderungsbedingt, sondern produktionsbedingt entstünden, fielen aber auch die BG-Beiträge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie in jedem anderen Wirtschaftsunternehmen, produktionsbedingt an.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und 2 SGB IX a.F. Aufgrund der Unfallversicherungspflicht der in der WfbM beschäftigten Menschen mit Behinderung (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII)) seien die damit verbundenen Beiträge unabwendbar. Bei den BG-Beiträgen handele es sich um Grund- und Vorhalteaufwand, der sich aus den Besonderheiten einer WfbM ergebe und § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB IX a.F. zuzuordnen sei. Anders als ein reiner Wirtschaftsbetrieb habe die WfbM u.a. die Aufgabe, arbeitsbegleitende, pädagogische Maßnahmen anzubieten und die Teilhabe am Arbeitsleben sicherzustellen (§ 136 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX a.F., jetzt § 219 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auch insoweit seien die Werkstattbeschäftigten gesetzlich unfallversichert, der Beitrag decke mithin auch diese Zeiten und Tätigkeiten ab. Würden die BG-Beiträge nicht über die Vergütung gedeckt, minderten sie im Übrigen das Arbeitsergebnis und damit letztlich auch die Mittel, die der Finanzierung eines angemessenen Arbeitsentgelts der behinderten Beschäftigten dienten. Dies würde dem Zweck der WfbM als Rehabilitationseinrichtung widersprechen.


Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Juni 2017 und die Entscheidung der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII des Landes Schleswig-Holstein vom 13. Juli 2015 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung der Schiedsstelle für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Gegenstand des Verfahrens ist die Entscheidung der Schiedsstelle, gegen die sich die Klägerin mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) wendet (vgl. hierzu nur Bundessozialgericht (BSG) vom 23.7.2014 - B 8 SO 2/13 R - BSGE 116, 227 = SozR 4-3500 § 77 Nr. 1, RdNr. 11).

Die Entscheidung der Schiedsstelle, die eine Schlichtungsmaßnahme eines sachnahen, weisungsfreien, mit Interessenvertretern paritätisch zusammengesetzten Gremiums darstellt (BSG, aaO, RdNr. 9 mwN) und deren Entscheidungsspielraum sich am Vereinbarungsspielraum der Vertragsparteien misst, ist gerichtlich im Rahmen der normativen Vorgaben der §§ 75 ff. SGB XII regelmäßig nur eingeschränkt dahin überprüfbar, ob die verfahrensrechtlichen Regelungen eingehalten sind, der Sachverhalt ermittelt ist und die Schiedsstelle bei der Abwägung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange ihren Gestaltungsspielraum nicht verkannt hat (BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 3/13 R - BSGE 116, 233 = SozR 4-3500 § 76 Nr. 1, RdNr. 14 mwN; BSG vom 7.10.2015 - B 8 SO 19/14 R - SozR 4-3500 § 75 Nr. 8 RdNr. 12 mwN).

Die Vorgaben des Verwaltungsverfahrensrechts sind eingehalten. Insbesondere war der Beklagte der für den Abschluss von Vergütungsvereinbarungen örtlich (§ 41 Abs. 3 Satz 2 SGB IX a.F. iVm § 77 Abs. 1 Satz 2 SGB XII) und sachlich (§ 97 Abs. 1 SGB XII iVm § 1 Abs. 1 Satz 1 schleswig-holsteinisches Gesetz zur Ausführung des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (AG-SGB XII) vom 31.3.2015, Gesetz- und Verordnungsblatt (GVOBl) für Schleswig-Holstein S 90) zuständige Sozialhilfeträger (vgl dazu BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 3/18 R). Der Schiedsspruch ist auch im Übrigen formell rechtmäßig ergangen. Die Beteiligten haben den Verfahrensgegenstand vor der Schiedsstelle auf die Einbeziehung der BG-Beiträge für die behinderten Menschen im Arbeitsbereich der WfbM in die Vergütung nach § 76 Abs. 2 SGB XII beschränkt. Nur darüber hatte die Schiedsstelle unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen in der Begründung des Schiedsspruchs auch entschieden. Der Schiedsspruch ist schließlich auch nicht wegen eines Begründungsmangels (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)) formell rechtswidrig; denn die von der Klägerin gerügte inhaltliche Richtigkeit und Nachvollziehbarkeit der Begründung sowie die inhaltliche Bestimmtheit (§ 33 SGB X) des Schiedsspruchs stellen keine Frage der formellen Begründung dar (vgl. dazu BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 3/18 R - mwN).

Der Schiedsspruch ist allerdings materiell rechtswidrig. Zu Unrecht hat es die Schiedsstelle abgelehnt, die BG-Beiträge, die die Klägerin für die im Arbeitsbereich der WfbM tätigen behinderten Menschen zu zahlen hat, bei der Bemessung der Vergütung zu berücksichtigen. Dabei steht der Schiedsstelle wegen der Frage, ob und wenn ja, welche Kosten entweder § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB IX a.F. zuzuordnen sind (zum Alternativverhältnis der Regelungen nach Nr. 1 und Nr. 2 vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Entwurf des SGB IX, BT-Drucks 14/5800 zu Art. 1, § 41 S. 27, dazu im Einzelnen s. unten) und welche Kosten aus dem Arbeitsergebnis der WfbM zu zahlen sind (§ 12 Abs. 4 Satz 3 Werkstättenverordnung (WVO) in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung) kein Entscheidungsfreiraum zu (vgl. dazu nur BSG vom 5.7.2018 - B 8 SO 28/16 R - SozR 4-3250 § 41 Nr. 2 RdNr. 16).

Wegen der Vergütungsvereinbarungen zwischen Trägern der Sozialhilfe und einer WfbM als Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben (§ 136 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F.) verweist § 41 Abs. 3 Satz 2 SGB IX a.F. auf die Vorschriften des Zehnten Kapitels des SGB XII. Danach ist die Höhe der Vergütung unter Berücksichtigung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit zu bestimmen (§ 75 Abs. 3 Satz 2 SGB XII, § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB IX a.F.; zum Verhältnis beider Normen zueinander: BSG vom 5.7.2018 - B 8 SO 28/16 R - SozR 4-3250 § 41 Nr. 2 RdNr. 15 mwN). Dabei berücksichtigen die Beträge gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (Grundpauschale, Maßnahmepauschale, Investitionsbetrag) alle für die Erfüllung der Aufgaben und fachlichen Anforderungen der Werkstatt notwendigen Kosten (§ 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB IX a.F.) bzw. die mit der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt in Zusammenhang stehenden Kosten, soweit diese unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Werkstatt und der dort beschäftigten behinderten Menschen nach Art und Umfang über die in einem Wirtschaftsunternehmen üblicherweise entstehenden Kosten hinausgehen (§ 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB IX a.F.).

Die Beiträge zur BG sind entgegen der Auffassung des LSG für die Erfüllung der Aufgaben und der fachlichen Anforderungen der Werkstatt notwendig und deshalb als Kosten i.S. von § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB IX a.F. zu berücksichtigen, denn sie betreffen den Aufgabenbereich, der der Eingliederung des behinderten Menschen durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dient. Sie sind insoweit Annexkosten, die aufgebracht werden müssen, um die eigentliche Teilhabeleistung in der WfbM erst zu ermöglichen. Dass es sich dabei um Kosten handelt, die auch in einem Wirtschaftsunternehmen anfallen, ändert an dieser Zuordnung der Kosten nichts. Dies ergibt sich aus der Gesetzesentwicklung und systematischen Überlegungen.

Der Gesetzgeber des SGB IX (vgl. BT-Drucks 14/5074) hatte § 41 Abs. 3 SGB IX a.F. in seinem Entwurf zunächst wie folgt formuliert: "Die Leistungen umfassen alle für die Erfüllung der Aufgaben und der fachlichen Anforderungen der Werkstatt notwendigen Personal- und Sachkosten. Dazu gehören auch die mit der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt in Zusammenhang stehenden Kosten, soweit diese unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Werkstatt und der dort beschäftigten behinderten Menschen nach Art oder Umfang über die in einem Wirtschaftsunternehmen üblicherweise entstehenden Kosten hinausgehen". Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung trat hingegen für eine Neufassung der Regelung ein, die der Gesetz gewordenen und im vorliegenden Fall maßgeblichen Aufteilung in Kosten nach § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und Kosten nach § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB IX a.F. entspricht. Zur Begründung wurde insoweit ausgeführt, die neue Formulierung der bei der Vergütung durch den Sozialhilfeträger zu berücksichtigenden Kosten stelle sicher, "dass Kosten entweder der Nummer 1 oder der Nummer 2 zuzuordnen sind. Fallen daher Kosten (z.B. Werkstattleiter/in) unter die Nummer 1, können sie keine Kosten nach Ziffer 2 sein" (BT-Drucks 14/5800 S 27).

Der Gesetzgeber des SGB IX ist also von einem Alternativverhältnis der Kostenpositionen in Nr. 1 und Nr. 2 ausgegangen. Dann aber kann der Umstand, dass mit der Beschäftigung in der WfbM - auch - wirtschaftliche Arbeitsergebnisse angestrebt werden sollen, um an die im Arbeitsbereich beschäftigten behinderten Menschen ein ihrer Leistung angemessenes Arbeitsentgelt zahlen zu können (§ 138 Abs. 2 SGB IX a.F., § 12 Abs. 3 WVO), nicht als Argument dafür dienen, jede Betätigung im Arbeitsbereich als wirtschaftliche Betätigung iS des § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB IX a.F. anzusehen (so auch Cramer, Werkstätten für behinderte Menschen, 5. Aufl. 2009, § 136 SGB IX RdNr. 11). Denn dies würde zu einem Leerlaufen des § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB IX führen, weil dann letztlich jede Beschäftigung im Arbeitsbereich der WfbM allein wegen des anzustrebenden wirtschaftlichen Arbeitsergebnisses als wirtschaftliche Betätigung anzusehen wäre und ein eigenständiger Anwendungsbereich für § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB IX, anders als vom Gesetzgeber gewollt, gerade nicht verbliebe. Vielmehr tritt das Ziel der Beschäftigung, wirtschaftliche Arbeitsergebnisse zu erzielen, neben die in § 41 Abs. 2 SGB IX a.F. genannten Rehabilitationsziele, umgesetzt durch vielfältige, auf einem umfassenden Förderkonzept beruhende Einzelmaßnahmen. Die Ausgestaltung des Arbeitsbereichs der WfbM, der in seiner Ausstattung möglichst derjenigen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entsprechen soll (§ 5 Abs. 2 WVO) muss letztlich der Tatsache Rechnung tragen, dass die WfbM auch als Wirtschaftsbetrieb am Markt teilnimmt; die WfbM kann also im Arbeitsbereich nur solche Arbeitsplätze anbieten (vgl. § 5 Abs. 1 WVO), deren Ergebnisse auch als Produkt oder Dienstleistung vermarktet werden kann (Ritz in Deinert/Welti, Behindertenrecht, 2. Aufl. 2018, S 1232).

Dass es sich bei den BG-Beiträgen unter Vergütungsgesichtspunkten um Annexkosten zu den in der WfbM erbrachten Teilhabeleistungen handelt, machen auch deren Ziele deutlich, die nicht ausschließlich in der wirtschaftlichen Betätigung liegen. Leistungen in WfbM werden nach § 39 SGB IX a.F. (jetzt § 56 SGB IX) erbracht, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern. Insoweit modifiziert § 39 SGB IX a.F. die allgemeinen Zielsetzungen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wie sie in § 33 Abs. 1 SGB IX a.F. (jetzt § 49 Abs. 1 SGB IX) festgelegt sind. Die Rehabilitationsleistungen im Arbeitsbereich der WfbM zielen nämlich nicht nur auf die Teilhabe am Arbeitsleben, in dem sie auf die Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer der Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung (§ 41 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a.F.) gerichtet sind und insoweit der allgemeinen Zielsetzung des § 33 Abs. 1 SGB IX a.F. entsprechen. Vielmehr verfolgt die Werkstattbeschäftigung auch das Ziel der Weiterentwicklung der Persönlichkeit der behinderten Menschen (§ 39 SGB IX a.F.); ermöglicht wird zudem die Teilnahme an arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der im Berufsbildungsbereich erworbenen Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit (§ 41 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX a.F.). Auch dienen die Leistungen im Arbeitsbereich einer WfbM der Förderung des Übergangs geeigneter behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen (§ 41 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX a.F.). Es handelt sich bei der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer WfbM mithin um eine Komplexmaßnahme (Ritz aaO, S 1222), die nicht nur auf wirtschaftliche Arbeitsergebnisse, sondern auch auf die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit und die Förderung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit zielt. Der Unfallversicherungsschutz der Werkstattbeschäftigten erstreckt sich dabei auch auf solche Maßnahmen, die allenfalls mittelbar mit dem Ziel der Erbringung wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung verbunden sind (vgl. zum Unfallversicherungsschutz beim therapeutischen Reiten einer Werkstattbeschäftigten noch vor Einführung des SGB VII: BSG vom 13.6.1989 - 2 RU 1/89 - BSGE 65, 138 = SozR 2200 § 539 Nr. 133).

Nicht zuletzt sind die Beiträge zur BG systematisch nicht sonstigen Sozialversicherungsbeiträgen gleichzustellen, die im Grundsatz hälftig von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu zahlen sind, sich nach der Höhe des Arbeitsentgelts richten und im Ausgangspunkt aus dem Werkstattlohn bzw. Arbeitsergebnis der Werkstatt zu zahlen sind. Deshalb spricht die Existenz von Erstattungsregelungen für die vom Arbeitgeber zu tragenden Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung, die auf den Werkstattträger entfallen, einerseits und das Fehlen entsprechender Regelungen für den BG-Beitrag andererseits weder gegen noch für das gefundene Ergebnis.

Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung tragen allein die Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen (§ 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Hintergrund dieser alleinigen Beitragspflicht ist die mit der gesetzlichen Unfallversicherung einhergehende Haftungsfreistellung des Arbeitgebers bei Eintritt eines Versicherungsfalls (vgl. §§ 104 ff. SGB VII), also die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht. Damit wirken die Normen zur Haftungsbegrenzung materiell wie eine Haftpflichtversicherung zugunsten der Unternehmer und dienen damit auch dem Betriebsfrieden beim Eintreten eines Versicherungsfalls (so Bundesgerichtshof (BGH) vom 10.12.1974 - VI ZR 73/73 - BGHZ 63, 313, juris RdNr. 11 mwN). Für die Bemessung der Beiträge ist nicht allein die Höhe des jeweiligen Entgelts der versicherten Person maßgeblich. Vielmehr bilden Berechnungsgrundlage für die Beiträge neben den Arbeitsentgelten der Finanzbedarf (Umlagesoll) und die Gefahrklassen (§ 152 Abs. 1 SGB VII), diese festgesetzt im Gefahrtarif der jeweils zuständigen BG. Dabei werden die Gefahrklassen aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet. Der Gefahrtarif (hier: Gefahrtarif der BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege vom 1.1.2013) wiederum ist gegliedert nach Gewerbezweigen und umfasst alle Versicherten, die in einem Gewerbezweig tätig sind, also die Gefahrtarifstelle 17 "Werkstätten für behinderte Menschen, Beschäftigungs- und Qualifizierungseinrichtungen/-projekte" sowohl die in der WfbM beschäftigten behinderten Menschen als auch beispielsweise nicht behindertes Fachpersonal in der Werkstatt oder in der Küche. Eine Gleichstellung mit anderen Beiträgen zur Sozialversicherung verbietet sich damit schon im Ansatz.

An diesem Ergebnis ändert nichts, dass der Gesetzgeber zum einen mit dem Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter ((SVBG) vom 7.5.1975, BGBl I 1061) nicht nur die Kranken- und Rentenversicherungspflicht für die im Arbeitsbereich einer WfbM tätigen behinderten Menschen, sondern zugleich einen Erstattungsanspruch (nur) für diese Sozialversicherungsbeiträge normiert hat (§ 9 Satz 1 SVBG), der in § 251 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), § 179 Abs. 1 iVm. § 168 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) und § 59 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Gesetzliche Pflegeversicherung - (SGB XI) fortgeführt worden ist und zum anderen die auf den Träger der WfbM entfallenden Sozialversicherungsbeiträge - wie das Arbeitsentgelt der behinderten Menschen auch - (zunächst) aus dem Arbeitsergebnis zu zahlen und damit nicht Teil der Vergütung nach § 76 Abs. 2 SGB XII sind. Doch kann weder der Gesetzesbegründung zum SVBG noch der zu den Erstattungsregelungen nach dem SGB V, VI oder XI eine gesetzgeberische Haltung zur Frage, wer die BG-Beiträge für die im Arbeitsbereich einer WfbM beschäftigten behinderten Menschen abschließend trägt, entnommen werden. Der Gesetzgeber des SVBG hat vielmehr nur den Befund dokumentiert (vgl. BT-Drucks 7/1992 S. 12 zu § 1), dass die behinderten Menschen bereits unfallversichert seien und deshalb eine gesetzliche Regelung (anders als für die Bereiche der Kranken- und Rentenversicherung) insoweit entbehrlich sei (zur rechtlichen Herleitung des - insoweit vom Gesetzgeber angenommenen - Unfallversicherungsschutzes BSG vom 13.6.1989 - 2 RU 1/89 - BSGE 65, 138 = SozR 2200 § 539 Nr. 133). Die Notwendigkeit einer Erstattungsregelung für die im SVBG erstmals normierten - sonstigen - Sozialversicherungsbeiträge wurde damit begründet, dass die Träger der WfbM nicht in der Lage seien, die besonderen Beitragslasten zur sozialen Sicherung allein zu tragen und deshalb öffentliche Mittel des Bundes und der Länder bereit gestellt würden (BT-Drucks 7/1992 S. 14 zu § 8).

Soweit der Beklagte meint, § 44 Abs. 1 Nr. 2 Buchst b SGB IX a.F. stütze seine Auffassung, wonach die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 SGB IX a.F. genannten Rehabilitationsträger (und damit nicht der Sozialhilfeträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX a.F.) u.a. durch Beiträge zur Unfallversicherung nach dem SGB VII ergänzt würden, übersieht er, dass § 44 SGB IX a.F. lediglich eine Regelung für ergänzende, unterhaltssichernde Leistungen an leistungsberechtigte Personen trifft, die akzessorisch von der Hauptleistung (u.a. Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben) vom jeweils zuständigen Rehabilitationsträger zu erbringen sind. Schon diese gänzlich andere Zielrichtung der Leistungen lässt jegliche Übertragung auf die Frage, wer BG-Beiträge im Verhältnis zwischen Leistungserbringer, Leistungsträger und behindertem Menschen endgültig zu tragen hat, ausscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei der Beklagte nach § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X keine Gerichtskosten zu tragen hat.

Referenznummer:

R/R9000


Informationsstand: 16.01.2020