Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Zwischen den Beteiligten ist - zuletzt noch - umstritten, ob Veränderungen im Bereich des rechten Schultergelenks (Defekt der Supraspinatussehne, Schleimbeutel- und Spornbildung) als weitere Folgen eines Arbeitsunfalls anzuerkennen sind. Soweit der Kläger mit der Klage zunächst außerdem Ansprüche Heilbehandlungsmaßnahmen und Verletztengeld aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung geltend gemacht hatte, hat er die Klage in der mündlichen Verhandlung am 27.06.2019 zurückgenommen
Der 1966 geborene, seit September 2013 als Maler und Lackierer beschäftigte Kläger erlitt am 23.10.2017 einen Arbeitsunfall: Beim Stand auf einer Gerüstlage wollte er eine
ca. 30
kg schwere Leiter auf die nächste Gerüstlage befördern. Hierzu hob er die Leiter mit nach vorn angewinkelten Armen langsam nach oben an. Bei diesem Vorgang verspürte der Kläger einen stichartigen Schmerz und einen Kraftverlust im rechten Schultergelenk; er konnte die Leiter nicht mehr halten (ihm wurde schwarz vor Augen), weshalb die Leiter auf ihn zurückfiel und an der rechten Hüfte traf (
vgl. Unfallschilderungen des Klägers u.a. vom 06.03.2018 und in den Begründungen von Widerspruch und Klage).
Nach Erstbehandlung durch seinen Hausarzt stellte sich der Kläger am 24.10.2017 bei dem Chirurgen
Dr. R. vor. Dieser erhob Druckschmerzen im Bereich des rechten Schultergelenks und der Schultergelenkmuskulatur; aktiv konnte der Kläger den rechten Arm bis 90° zur Seite und bis 80° nach vorne anheben. Außerdem bestand eine Sensibilitätsminderung der Finger 2 bis 5 und am Unterarm ellenseitig rechts. Äußere Verletzungszeichen konnte
Dr. R. nicht objektivieren. Die radiologische Untersuchung ergab keinen Anhalt für eine Fraktur oder Arthrosezeichen im Schultergelenk.
Dr. R. äußerte den Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenverletzung rechts und diagnostizierte als Gesundheitsstörung eine Verstauchung der rechten Schulter (
vgl. Durchgangsarztbericht vom 24.10.2017). Eine von ihm veranlasste kernspintomographische Untersuchung ergab eine subtotale Partialruptur der Supraspinatussehne im humeralen Ansatzbereich, einen spornartigen spondylophytären subacrominalen Anbau und Entzündungen der Bursa subacromialis, vor allem der Bursa subcoracoidea (
vgl. Schreiben der Radiologin
Dr. C. vom 09.11.2017). Im Zwischenbericht vom 22.11.2017 erachtete
Dr. R. den Unfallhergang als ursächlich für die Rotatorenmanschettenverletzung und stellte die Indikation zur Arthroskopie und Rekonstruktion; hierbei könne eine Histologie und die Klärung eines Unfallereignisses erfolgen.
Am 05.02.2018 unterzog sich der Kläger in der A-Sportklinik einer diagnostischen Arthroskopie des rechten Schultergelenks mit Dekompression und Rekonstruktion der bursaseitigen Supraspinatussehne. Der operierende Unfallchirurg
Dr. H. erachtete den Sehnenschaden als eher degenerativ bedingt mit nur untergeordneter traumatischer Beeinflussung; wirkliche traumatische Veränderungen, Einblutungszeichen oder typische Rupturzeichen konnte er nicht objektivieren und führte zusammenfassend aus, es handle sich um einen typischen degenerativen bursaseitigen Ablösungsschaden (
vgl. Operationsbericht vom 05.02.2018). Eine histologische Untersuchung erfolgte nicht (Auskunft des A-MVZ vom 27.02.2018).
Nach weiterer Sachaufklärung und gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Chirurgen
Dr. S. anerkannte die Beklagte das Unfallereignis dem Grunde nach als Arbeitsunfall und als dessen Folge Prellung der rechten Hüfte; diese habe keine Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit nach sich gezogen. Keine Unfallfolgen seien ein Defekt der Supraspinatussehne sowie eine Schleimbeutelentzündung und Spornbildung. Ansprüche auf Verletztengeld und Heilbehandlung aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestünden nicht: Der Unfallhergang sei bereits dem Grunde nach nicht geeignet gewesen, Schädigungen der rechten Schulter hervorzurufen; außerdem sprächen die intraoperativen Befunde nicht für traumatische, sondern eher für degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette (Bescheid vom 30.04.2018).
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, er leide erst seit dem Arbeitsunfall an Beschwerden des rechten Schultergelenks; hier habe zuvor auch keine ärztliche Behandlung stattgefunden. Schon deshalb sei eine degenerative
bzw. chronifizierte Erkrankung als Ursache seiner Beschwerden unwahrscheinlich. Der Operationsbericht vom Februar 2018 belege überdies nicht den originären posttraumatischen Zustand. Er - der Kläger - sei außerdem nicht in einem Alter, in dem generell von einer verstärkten körperlichen Degeneration auszugehen sei. Die im Operationsberichtsbericht beschriebene Spornbildung sei logische Folge der Supraspinatussehnen-Verletzung, weil der Körper zur Eigenstabilisation derartige osteophytäre Anbauten innerhalb eines Zeitraums von 15 Wochen bilden könne. Gleiches gelte für die Bursitis. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 15.10.2018).
Deswegen hat der Kläger am 07.11.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des
Dr. R. im Zwischenbericht vom 22.11.2017 und legt zur Stützung seines Klagebegehrens u.a. ein Schreiben der Chirurgin M. vor.
Das Gericht hat die Orthopäden Dres. Z. und N. und die Chirurgin M. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört:
Dr. Z. hat unter Beifügung des Entlassungsberichts und der Krankenakte des Klägers über die während des Heilverfahrens in der Reha-Klinik H. im Juli/August 2018 erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen berichtet und ausgeführt, der Kläger leide neben der Rotatorenmanschettenruptur an deutlichen degenerativen Halswirbelsäulen-Veränderungen und erheblichen nicht somatischen schmerzunterhaltenden Faktoren. Die durch das Unfallereignis eingetretene Arbeitsunfähigkeit habe zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Heilverfahren am 15.08.2018 noch angedauert.
Dr. N. hat die im Rahmen der Behandlung des Klägers im A-MVZ erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen mitgeteilt und zusätzlich auf Bandscheibenprotrusionen und neurologische Beschwerden hingewiesen. Die Unfallfolgen an der rechten Schulter seien bis zur Operation und im Rahmen der postoperativen Nachsorge behandlungsbedürftig gewesen. Die Chirurgin M. hat bekundet, die Ruptur der Supraspinatussehne liege seit dem Unfallereignis im Oktober 2017 vor. Der Kläger gebe auch nach der Operation fortbestehende Schmerzen und Bewegungseinschränkungen an. Die Unfallfolgen seien weiterhin behandlungsbedürftig; Arbeitsunfähigkeit bestehe fortlaufend ohne Unterbrechung. Ihrer Auskunft hat die sachverständige Zeugin weitere Arztunterlagen beigefügt.
Der Kläger beantragt - zuletzt -,
den Bescheid vom 30. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, "Defekt der Supraspinatussehne, Schleimbeutelentzündung und Spornbildung im Bereich des rechten Schultergelenks" als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Oktober 2017 anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der in elektronischer Form geführten Prozessakte Bezug genommen.
Die Klage ist mit dem zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 27.06.2019 gestellten Sachantrag als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54
Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG)) zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54
Abs. 2 Satz 1
SGG). Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, die vorliegend geltend gemachten Gesundheitsstörungen im Bereich des rechten Schultergelenks als - weitere - Folgen des Arbeitsunfalls vom 23.10.2017 anzuerkennen.
1. Dass der Kläger am 23.10.2017 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit als Maler und Lackierer (§ 2
Abs. 1
Nr. 1
SGB VII) einen Arbeitsunfall (§ 7
Abs. 1
i.V.m. § 8
Abs. 1 Satz 1
SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht auch nicht umstritten.
2. Nach § 26
Abs. 1 Satz 1
SGB VII haben Versicherte nach Eintritt eines Versicherungsfalls, u.a. eines Arbeitsunfalls, wegen der Unfallfolgen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung u.a. in Form von Verletztengeld (§ 45
ff. SGB VII).
a) Dieser Anspruch setzt indes voraus, dass Gesundheitsstörungen "infolge" eines Versicherungsfalls entstanden sind. Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen deshalb (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung
bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und
ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (
vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff ...), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (
vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff ...;
BSG SozR 3-5670 Anlage 1
Nr. 2108
Nr. 2
m.w.N.;
BSG SozR 4-5671 Anlage 1
Nr. 4104
Nr. 2 und
BSG SozR 4-2700 § 9
Nr. 9). "Hinreichend wahrscheinlich" bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (
vgl. BSGE 45, 285, 286 und
BSG SozR 1300 § 45
Nr. 49).
Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (
vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
b) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (
vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (
vgl. hierzu Grüneberg in Palandt,
BGB, 78. Auflage 2019, Vorb. v. § 249, Rdnrn. 26 und 68
ff. m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden
bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs
bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (
vgl. BSGE 1, 72, 76).
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das
BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (
B 2 U 1/05 R (= SozR 4-2700 § 8
Nr. 17) und B 2 U 26/04 R (= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff.)) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:
Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist dabei nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben
z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen "Erfolg" rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (
vgl. BSG SozR
Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und
BSG SozR
Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung,
Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8
Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als "wesentlich" anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache "der Erfolg" eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (
vgl. BSGE 12, 242, 245 und
BSG SozR
Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht "wesentlich" und damit keine Ursache
i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden (
vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f;
BSG SozR 2200 § 548
Nr. 75;
BSG SozR 4-2700 § 8
Nr. 15 und
BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860
ff.).
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungszusammenhang, vor allem, wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Es gibt aber im Bereich des Arbeitsunfallrechts keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies insbesondere bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 8
Nr. 17,
Rdnr. 18).
3. Daran orientiert hat es die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu Recht abgelehnt, Gesundheitsstörungen im Bereich des rechten Schultergelenks (Defekt der Supraspinatussehne, Schleimbeutelentzündung und Spornbildung) als - weitere - Unfallfolgen anzuerkennen.
a) Fest steht, dass bei dem Kläger ein Defektbereich im Bereich der Supraspinatussehne rechts, ein spornartiger spondylophytärer subacrominaler Anbau und eine Bursitis der Bursa subacromialis, vor allem jedoch der Bursa subcoracoidea, bestanden
bzw. weiterhin vorhanden sind. Dies entnimmt die Kammer dem Bericht der Radiologin
Dr. C. vom 09.11.2017 und dem Operationsbericht des
Dr. H. vom 05.02.2018.
b) Diese Gesundheitsstörungen sind indes nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis vom 23.10.2017 zurückzuführen.
aa) Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 128
Abs. 1 Satz 1
SGG) - wie auch der Beklagten - war der vom Kläger glaubhaft und konsistent geschilderte Hergang bereits dem Grunde nach nicht geeignet, eine traumatische Verletzung der Supraspinatussehne zu bewirken. Nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung (
vgl. hierzu u.a. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 431 ff ...), der die Kammer folgt, gelten als potentiell geeignete Verletzungsmechanismen für einen traumatischen Rotatorenmanschettenriss ein massives plötzliches Rückwärtsreißen oder Heranführen des Armes, wenn dieser zuvor fixiert war,
z. B. beim Rückschlag einer Maschine oder beim Hängenbleiben mit dem Arm bei erheblicher Beschleunigung des Körpers, ein Sturz aus der Höhe nach vorne und Festhalten mit der Hand oder ein Treppensturz und Festhalten mit der Hand am Geländer, so dass der Arm nach hinten gerissen wird, das unplanmäßige Auffangen eines schweren stürzenden Gegenstandes sowie der Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm mit Aufprall auf Hand oder Ellenbogen. Dagegen können direkte Krafteinwirkungen auf die Schulter wie Sturz, Prellung, Schlag, eine fortgeleitete Krafteinwirkung bei seitlicher oder vorwärtsgeführter Armhaltung (Stauchung), ein Sturz in den elevierten, d.h. nach oben ausgestreckten Arm, aktive Tätigkeiten, die zu einer abrupten, aber planmäßigen Muskelkontraktion führen (Heben, Halten, Werfen) und plötzliche Muskelanspannungen nicht zu isolierten Verletzungen der geschützt in der Tiefe liegenden Supraspinatussehne führen (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seiten 431, 433 und Hansis/Mehrhoff, Die
BG 2000, 98, 99 f). Eine unfallbedingte Verletzung von Sehnen der Rotatorenmanschette setzt danach eine unnatürliche Zugbelastung der Sehnen voraus; fehlt diese unnatürliche Zugbelastung, wie etwa beim einem vom Versicherten bewusst und kontrolliert ausgeführten Hebevorgang, kann der Vorgang, wie heftig er auch gewesen sein mag, nicht Ursache des Rotatorenmanschettenschadens sein (
vgl. Beickert/Bühren, Trauma und Berufskrankheit 1998, 61, 65).
bb) Ausgehend von den wiederholten, in sich konsistenten und deshalb glaubhaften Hergangsschilderungen des Klägers gegenüber
Dr. R. bei der Erstvorstellung am 24.10.2017, gegenüber der Beklagten bei der persönlichen Vorsprache am 06.03.2018, gegenüber den Ärzten der Reha-Klinik H. bei der Aufnahmeuntersuchung am 25.07.2018 und den Ärzten des A-MVZ am 24.11.2017 sowie zuletzt in den Begründungen seines Widerspruchs und der Klage ist der Unfallablauf schon dem Grunde nach nicht geeignet gewesen, eine Ablösung der Supraspinatussehne am Tuberculum majus zu bewirken. Denn insbesondere ein massives plötzliches Rückwärtsreißen des linken Armes lag danach gerade nicht vor. Vielmehr hat der Kläger die etwa 30
kg schwere Leiter im Rahmen einer von ihm willentlich getragenen und gesteuerten Eigenbewegung mit nach vorn angewinkelten Armen nach oben angehoben. Dieses innere und durch seine Willensbildung und Kraftanstrengung von ihm gesteuerte und kontrollierte Geschehen schloss eine unnatürliche Zugbelastung der Sehnen der Rotatorenmanschette, insbesondere der Supraspinatussehne, von außen gerade aus. Denn eine irgendwie geartete plötzliche Ablenkung, eine Fehlgängigkeit oder sonstige überraschende Momente im Sinne einer unnatürlichen Zugbelastung der Sehnen sind dabei ersichtlich nicht aufgetreten. Die völlig vom Willen des Klägers gesteuerte Handlung wies mithin - abgesehen vom Auftreten plötzlich einschießender Schmerzen im rechten Schultergelenk, dem Loslassen der Leiter und deren Anprall an die rechte Hüfte - gerade kein Überraschungsmoment auf. Dementsprechend hat
Dr. R. bei der Erstuntersuchung am 24.10.2017 auch keine äußeren Verletzungszeichen objektiviert.
cc) Gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall vom 23.10.2017 und der kernspintomographisch und arthroskopisch nachgewiesenen Veränderung der Supraspinatussehne rechts spricht weiter der Umstand, dass nach dem MRT-Befund vom 09.11.2017 keine für eine traumatische Verletzung typische Veränderung, nämlich eine vollständige Ruptur der Supraspinatussehne vorlag. Denn
Dr. C. hat allein eine subtotale Partial-, d.h. eine Teilruptur der Supraspinatussehne objektiviert. Traumatypisch ist indes eine vollständige Ruptur der Supraspinatussehne (
vgl. hierzu
LSG Baden-Württemberg vom 26.01.2011 - L 2 U 1936/09 -,
Rdnr. 36 (juris)).
dd) Weiter spricht auch der intraoperative Befund vom 05.02.2018 gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallhergang und der Teilruptur der Supraspinatussehne. Denn
Dr. H. hat in seinem Operationsbericht "wirklich traumatische Veränderungen" ausdrücklich verneint. Auch Einblutungs- oder typische Rupturzeichen konnte er nicht objektivieren. Seine Schlussfolgerung, es handle sich um einen "typischen degenerativen bursaseitigen Ablösungsschaden", ist deshalb für das erkennende Gericht gut nachvollziehbar und überzeugend. Den degenerativen Vorschaden der Rotatorenmanschette hat auch der sachverständige Zeuge
Dr. N. bestätigt.
ee) Auch die weiteren Erstbefunde nach dem Unfallereignis lassen den ursächlichen Zusammenhang mit der hier streitgegenständlichen Supraspinatussehnenruptur nicht wahrscheinlich machen. Denn eine traumatische Schädigung der Rotatorenmanschette führt regelmäßig zu einem sogenannten Drop-Arm-Syndrom (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin. a.a.O., Seite 434), d.h. der für einen längeren Zeitraum bestehenden Unfähigkeit des Versicherten, den Arm aktiv nach vorn und zur Seite anzuheben. Ein solches Zeichen (auch Pseudoparalyse genannt) hat
Dr. R. in seinem Durchgangsarztbericht vom 24.10.2017 indes gerade nicht beschrieben: vielmehr konnte der Kläger am Unfallfolgetag den Arm aktiv bis 90° zur Seite und bis 80° nach vorne anheben.
ff) Zu berücksichtigen ist vorliegend weiter, dass die Rotatorenmanschette in hohem Maße der Texturstörung unterliegt. Diese führt zu einer herabgesetzten mechanischen Belastbarkeit bereits ab Beginn des dritten Lebensjahrzehnts. Symptomlose Defekte an der Supraspinatussehne sind dabei unter dem 40. Lebensjahr selten, die Wahrscheinlichkeit liegt hier bei weniger als 5 %. Zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr nehmen die "Partialrupturen" zu. Es bestehen inkomplette, meist gelenkseitige Teildefekte und Ausdünnungen des Sehnengewebes, wobei der symptomlose Defekt die Ausnahme bleibt. Zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr - zum Unfallzeitpunkt stand der im August 1966 geborene Kläger im 52. Lebensjahr - treten die meisten Rotatorenmanschettenschäden mit Krankheitsmerkmalen im Sinne von Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit auf. Die nicht-traumatischen, durch degenerative Prozess bedingten Schäden der Rotatorenmanschette stellen in der medizinischen Literatur den größten Anteil der Sehnenläsion dar (
vgl. zum Ganzen: Schönberger/Mehrtens/Valentin. a.a.O., Seite 430 f.).
c) Anders ist auch nicht vor dem Hintergrund zu entscheiden, dass die Teilruptur der Supraspinatussehne erstmals nach dem streitgegenständlichen Unfallereignis diagnostiziert worden ist und nach dem Vorbringen des Klägers zuvor weder Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich des rechten Schultergelenks bestanden noch hier ärztliche Behandlungsmaßnahmen erforderlich waren. Ungeachtet dessen, dass diese Angaben inhaltlich nicht zutreffen - so befand sich der Kläger wegen Schmerzen im Bereich der rechten Schulter bereits im April 2012 bei dem Allgemeinmediziner
Dr. Abele (
vgl. dessen Auskunft gegenüber der Beklagten vom 16.01.2018) und dem Chirurgen
Dr. Röthig (
vgl. Arztbrief vom 13.04.2012) in ärztlicher Behandlung und erlitt er im Juli 2015 bei einem Sturz während seiner versicherten Tätigkeit nach dem aktenkundigen Durchgangsarzt des
Prof. Dr. Müller vom 14.07.2015
u. a. eine Prellung der rechten Schulter - können Schadensanlagen bis zu einem Ereignis häufig selbst bei Defektzonen und eindrucksvollen bildgebenden Befunden lange Zeit klinisch stumm verlaufen (
vgl. LSB Baden-Württemberg vom 29.03.2018 - L 8 U 1532/17 - (unveröffentlicht);
LSG Baden-Württemberg vom 23.10.2015 - L 8 U 1345/14 -,
Rdnr. 35 und vom 26.01.2011 - L 2 U 1936/09 -,
Rdnr. 33
m.w.N., ferner Urteile des erkennenden Gerichts vom 24.02.2017 - S 1 U 1112/16 -,
Rdnr. 32 und vom 27.09.2018 - S 1 U 3399/17 -, Rn. 45 jeweils
m.w.N. (jeweils juris); aus der Literatur: Hepp/Lambert, Die Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur in sozialgerichtlichen Verfahren, MedSach 2009, 181 und Weber, MedSach 1993, 113). Der Zeitpunkt der klinischen Manifestation einer Symptomatik lässt daher keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des ihr zugrundeliegenden Defektes zu. Eine "leere Anamnese" schließt deshalb weder eine Schadensanlage noch einen Vorschaden aus; sie kann allein für sich auch nicht die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs begründen (
vgl. LSG Baden-Württemberg vom 23.10.2015 - L 8 U 1345/14 -,
Rdnr. 35 (juris) und Weber in MedSach 1993, 113). Auch allein der zeitliche Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen ist nicht geeignet, den ursächlichen Zusammenhang wahrscheinlich werden zu lassen (
vgl. BSG vom 17.12.2015 -
B 2 U 8/14 R -,
Rdnr. 20; ferner
LSG Berlin von 25.03.2003 - L 2 U 3/01 -,
Rdnr. 23; Bay.
LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -,
Rdnr. 54 und Sächs.
LSG vom 13.08.2014 - L 6 U 142/11 -,
Rdnr. 41 (jeweils juris)). Selbst aus der Abwesenheit konkurrierender Ursachen für einen Körperschaden lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfallereignis und einem Körperschaden nicht herleiten (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 8
Nr. 17,
Rdnr. 18 und Bay.
LSG vom 22.04.2009 - L 18 U 301/06,
Rdnr. 32 (juris)).
Angesichts dessen kommt dem Unfallhergang allein der Stellenwert einer - rechtlich nicht relevanten (
vgl. BSGE 96, 196, 200 und
BSG SozR 4-2700 § 8
Nr. 15, Rn. 11) - Gelegenheitsursache für die dabei zutage getretenen Binnenschäden an der rechten Schulter zu.
d) Soweit abweichend
Dr. R. in seinem Zwischenbericht vom 22.11.2017 den Unfallhergang als für die Rotatorenmanschettenverletzung rechts ursächlich verantwortlich bezeichnet, überzeugt dies aus den oben unter 3 b) bb) dargestellten Gründen nicht. Überdies erfolgte die Einschätzung des
Dr. R. (naturgemäß) ohne Kenntnis der später erhobenen intraoperativen Befunde vom 05.02.2018.
Die sachverständigen Zeugen
Dr. Z. und M. haben sich zum ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rotatorenmanschettenverletzung und dem Ereignis vom 23.10.2017 nicht geäußert
bzw. allein darauf hingewiesen, dass diese Gesundheitsstörung seither vorliegt.
Angesichts dessen hat die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu Recht einen Defekt der Supraspinatussehne rechts als - weitere - Unfallfolge abgelehnt.
4. Gleiches gilt für die nachgewiesene Schleimbeutelentzündung und die Spornbildung im rechten Schultergelenk:
Die Spornbildung stellt sich als spondylophytärer subacromialer Anbau dar, den
Dr. C. bereits bei der kernspintomographischen Untersuchung am 09.11.2017, mithin nur rund drei Wochen nach dem streitgegenständlichen Unfallereignis nachgewiesen hat. Derartige knöcherne Veränderungen entwickeln sich indes nach den Erkenntnissen der Kammer aus zahlreichen vergleichbaren unfallversicherungsrechtlichen Streitigkeiten innerhalb der letzten 30 Jahre richterlicher Tätigkeit nicht innerhalb eines derart kurzen Zeitraums. Insbesondere handelt es sich entgegen dem Vorbringen des Klägers in der Widerspruchsbegründung nicht um eine unfallbedingte "Eigenstabilisation". Vielmehr liegt auch insoweit ein rein degenerativer Schaden, mithin keine Unfallfolge, vor. Gleiches gilt für die von
Dr. C. objektivierte Bursitis, d.h. Schleimbeutelentzündung, der Bursa subacromialis, vor allem jedoch der Bursa subcoracoidea. Dies entnimmt die Kammer überdies der zutreffenden beratungsärztlichen Stellungnahme des
Dr. S ...
Deshalb sind auch weder die Schleimbeutelentzündung noch die Spornbildung als weitere Unfallfolgen anzuerkennen.
5. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig. Das Begehren des Klägers musste daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193
Abs. 1 und 4
SGG.