Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.
Der 19xx geborene, als
CNC-Fräser beschäftigt gewesene Kläger erlitt am 08.03.2017 einen Arbeitsunfall, als er während seiner Tätigkeit mit dem rechten Zeigefinger in die Fräsmaschine geriet. Dabei zog er sich eine offene Grundgliedfraktur mit Zerreißung der Strecksehne zu (
vgl. Durchgangsarztbericht des Chirurgen
Prof. Dr. G. vom 20.03.2017). Während eines ersten stationären Aufenthaltes in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Y. (
BG-Klinik) erfolgte noch am Unfalltag die offene Reposition der Fraktur (
vgl. Entlassungsbericht vom 16.03.2017). Wegen Verheilung der Fraktur in Fehlstellung und Ausbildung einer Pseudarthrose erfolgten am 10.08.2017 eine Strecksehenentenolyse und eine Korrekturosteotomie mit Re-Osteosynthese (
vgl. Entlassungsbericht der
BG-Klinik vom 14.08.2017). Eine weitere stationäre Behandlung zur Materialentfernung und Resektion eines nicht eingeheilten Beckenkammspans fand im Oktober/November 2017 in der
BG-Klinik statt (
vgl. Entlassungsbericht vom 02.11.2017). Außerdem unterzog sich der Kläger dort in der Zeit vom 07.02. bis zum 14.03.2018 einer komplexen stationären Rehabilitationsmaßnahme (
vgl. Entlassungsbericht vom 15.03.2018). Vom 14.05. bis zum 12.06.2018 nahm er an einer arbeitsplatzbezogenen musculoskelettalen Rehabilitationsmaßnahme im Gesundheitszentrum B. teil (
vgl. Entlassungsbericht vom 12.06.2018). Daran schloss sich ab dem 18.06.2018 bis zum 13.07.2018 eine Arbeits- und Belastungserprobung beim früheren Arbeitgeber an. Ab dem 16.07.2018 bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 31.03.2019 war der Kläger im zuletzt ausgeübten Beruf wieder vollschichtig erwerbstätig.
Gestützt auf Behandlungsberichte der
BG-Klinik vom 16.07.2018 und des Chirurgen
Dr. S. sowie eine beratungsärztliche Stellungnahme des
Dr. F. lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei über die 26. Woche nach Eintritt des Arbeitsunfalls
bzw. dem Ende des Verletztengeldanspruchs hinaus nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert. Als Unfallfolgen berücksichtigte die Beklagte dabei:
"Rechts: Versteifung des Zeigefingermittel- und Zeigefingerendgelenkes, endgradige Bewegungseinschränkung des Zeigefingergrundgelenkes sowie Belastungsbeschwerden."
(Bescheid vom 06.02.2019, Widerspruchsbescheid vom 13.03.2019).
Deswegen hat der Kläger am 11.04.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er leide unfallbedingt an einer massiven Bewegungseinschränkung des rechten Zeigefingers; das rechte Handgelenk schwelle laufend an und sei instabil. Zur Stützung seines Klagebegehrens legt der Kläger das Schreiben des
Dr. S. vom Juli 2019 einschließlich eines Aufsatzes von Ludolph/Schürmann zur "Neubewertung der
MdE bei unfallchirurgisch-orthopädischen Arbeitsunfall- und BK-Folgen in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV)" vor.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 06. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08. März 2017 ab dem 16. Juli 2018 Verletztenrente nach einer
MdE um 20 v. H. der Vollrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der in elektronischer Form geführten Prozessakte Bezug genommen.
Die Klage ist, als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54
Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 4
i.V.m. § 56 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG() zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat seit dem Zeitpunkt des Wiedereintritts von Arbeitsfähigkeit am 16.07.2018 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08.03.2017 keinen Anspruch auf Verletztenrente.
1. Dass der Kläger am 08.03.2017 in Ausführung seiner versicherten Tätigkeit als
CNC-Fräser einen Arbeitsunfall (§ 8
Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 7
Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (
SGB VII)) erlitten hat, ist zwischen den Beteiligten weder streitig noch zweifelhaft.
2. Nach Eintritt eines Versicherungsfalls, u.a. eines Arbeitsunfalls, haben Versicherte Anspruch auf Geldleistungen u.a. in Form von Verletztenrente (§ 26
Abs. 1 Satz 1
SGB VII). Dieser Anspruch setzt voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56
Abs. 1 Satz 1
SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, sofern die Folgen eines Versicherungsfalls die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56
Abs. 1 Sätze 2 und 3
SGB VII).
Die
MdE richtet sich im Unfallversicherungsrecht nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56
Abs. 2 Satz 1
SGB VII), d.h. dem sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 1 sowie Ricke in Kasseler Kommentar, Stand August 2019, § 56
SGB VII,
Rdnr. 16). Damit kommt es auf den bisherigen Beruf oder die bisher berufliche Tätigkeit - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen (§ 56
Abs. 2 Satz 3
SGB VII) abgesehen - nicht an (
vgl. BSG SozR 3-2200 § 581
Nr. 7;
BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 2 und Breithaupt 2010, 31 bis 37). Bei der Festsetzung der unfallbedingten
MdE sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) im Interesse der Gleichbehandlung aller Versicherten die im unfallrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Regel- oder Normalsätze als Anhaltspunkte unter Einbeziehung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu beachten (
vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 15, 22, 23, 27 und 28 sowie vom 13.09.2005 -
B 2 U 4/04 R- (juris)). Die
MdE-Bewertung enthält weder ein Ermessen noch eine exakte Berechnung, sondern eine nur zu Annäherungswerten kommende Schätzung im Sinne einer Tatsachenfeststellung (
vgl. BSG SozR 3-2200 § 581
Nr. 5). Zur Mitwirkung ist regelmäßig ein fachkundiger Arzt berufen. Da aber die Höhe der
MdE letztlich eine Rechtsfrage betrifft, sind die Gerichte und die Unfallversicherungsträger nicht an seine Schätzung gebunden (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 1 und SozR 3-2200 § 581
Nr. 8); vielmehr haben sie die
MdE aus der aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens gewonnenen Überzeugung in eigener Verantwortung zu prüfen und
ggf. zu korrigieren (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 2, vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R - und vom 30.06.2009 - B 2 U 3/08 R - (jeweils juris)).
3. An diesen Rechtsgrundlagen und Beurteilungsmaßstäben orientiert, sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden. Denn der Kläger hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08.03.2017 keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung, weil seine Erwerbsfähigkeit seit dem Wiedereintritt von Arbeitsfähigkeit am 16.07.2018 nicht - wie erforderlich - um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Anhaltspunkte für einen sogenannten Stützrententatbestand i.
S. des § 56
Abs. 1 Sätze 2 und 3
SGB VII sind weder vorgetragen noch aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens sonst ersichtlich.
Unfallbedingt leidet der Kläger nach den aktenkundigen, im Wege des Urkundenbeweises (§ 118
Abs. 1
S. 1
i.V.m. §§ 415 ff der Zivilprozessordnung) verwerteten medizinischen Unterlagen, insbesondere dem Entlassungsbericht des Gesundheitszentraums B. vom 12.06.2018, dem Behandlungsbericht der
BG-Klinik vom 16.07.2018 und den von
Dr. S. am 02.10.2018 erhobenen Befunden und Krankheitsäußerungen an einem annähernd frei beweglichen Grundglied des rechten Zeigefingers (Streckung/Beugung bis 15-0-80°) und Versteifungen des Zeigefingermittelgelenks in 60° Beugestellung (Mittelgelenk) und des Zeigefingerendgelenkes in Streckstellung. Die übrigen Finger der rechten Hand waren zu diesem Zeitpunkt wie auch bei der Nachuntersuchung durch
Dr. S. im Oktober 2018 frei beweglich. Bei der Vorstellung des Klägers im Juni 2018 erhoben die Ärzte der
BG-Klinik außerdem reizlose Narben- und Weichteilverhältnisse mit allenfalls leichtgradiger und nur intermittierend, d.h. vorübergehend auftretender Schwellneigung ohne Anhalt für ein komplexes regionales Schmerzsyndrom oder Infektgeschehen. Damit übereinstimmend berichteten auch die Ärzte des Gesundheitszentrums B. über reizlose Operationsnarben an der Streckseite des rechten Zeigefingers ohne Entzündungszeichen und Sensibilitätsstörungen. Hiervon abweichende Befunde hat
Dr. S. auch in seinem Verlaufsbericht vom 30.01.2019 nicht mitgeteilt. Auch der Kläger hat eine seither eingetretene Verschlechterung der Bewegungsausmaße der Zeigefingergelenke nicht geltend gemacht. Eine - wie vorgetragen - wesentliche Instabilität und/oder funktionell relevante Schwellneigung des rechten Handgelenks ist nicht zur Überzeugung der Kammer (§ 128
Abs. 1
S. 1
SGG) erwiesen: Denn bei der Abschlussuntersuchung zur Rehabilitationsmaßnahme im Gesundheitszentrum B. konnte der Kläger das rechte Handgelenk bis 70-0-80° strecken und beugen und um jeweils 30° nach außen und innen ab-
bzw. anspreizen, was physiologischen Normalwerten entspricht (
vgl. Wendler/Schillings, Kommentar zu Versorgungsmedizinische Grundsätze, 8. Aufl. 2017, Seite 498 sowie Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 14. Aufl. 2019, Seite 137). Die Umfangsvermehrung am rechten Zeigefinger war mit 0,5
cm (so die Ärzte des Gesundheitszentrums B.) nur leichtgradig ausgeprägt und tritt mit den Ärzten der
BG-Klinik auch nur intermittierend auf. Für Letzteres spricht auch der Umstand, dass sich in den Verlaufsberichten des
Dr. S. vom 02.10.2018, 29.10.2018 und vom 16.11.2018 keine Angaben zu einer Schwellung in der unfallverletzten rechten Hand finden. Soweit
Dr. S. im Verlaufsbericht vom 30.01.2019 auf ein "immer" leicht angeschwollenes Handgelenk mit Instabilität hingewiesen hat, hat er hierzu keine objektiven Befunde mitgeteilt. Die an diesem Tag von ihm außerdem beschriebene massive Schwellung der Hand, wegen derer
Dr. S. Arbeitsunfähigkeit für einen (!) Tag attestiert hatte, dürfte daher ebenfalls vorübergehend vorgelegen haben.
Maßgebend für die Einschätzung und Bewertung der unfallbedingten
MdE sind jedoch primär die sich aus den Unfallfolgen ergebenden Funktionsbeeinträchtigungen des Versicherten, die länger als 26 Wochen nach dem Unfallereignis andauern (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 124; Scholz in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., 2014, § 56,
Rdnr. 47 und Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, a.a.O., Seite 117).
Die zuletzt im Gesundheitszentraum B., der
BG-Klinik und von
Dr. S. erhobenen konkreten Bewegungsausmaße des rechten Zeigefingers rechtfertigen danach in Anwendung der unfallmedizinischen und unfallrechtlichen Bewertungsgrundsätze keine - auch keine vorübergehende -
MdE in rentenberechtigendem Ausmaß von wenigstens 20 v.H. der Vollrente. Denn die Bewegungseinschränkungen der Zeigefingermittel- und -endgelenke entsprechen auch zur Überzeugung des erkennenden Gerichts - wie bereits der Beklagten - nicht dem Verlust eines Zeigefingers im Grund- oder Mittelglied, für den - überdies nur für die Dauer von sechs Monaten im Rahmen einer Gesamtvergütung - eine
MdE um 20 v.H. der Vollrente als Gesamtvergütung vorgesehen ist (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 605, Abbildungen 1.4 und 1.5). Erst recht entspricht der Befund keiner stärkeren Beuge- oder Streckhemmung aller Gelenke der Finger oder aller Gelenke des Daumens und des Zeigefingers, für die ebenfalls eine
MdE um 20 v.H. der Vollrente zustünde (
vgl. Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, a.a.O., Seite 179). Hierauf hat - im Ergebnis - der Beratungsarzt
Dr. F. zu Recht hingewiesen. Dessen Stellungnahme als qualifiziertem Beteiligtenvorbringen (
vgl. hierzu u.a.
BSG vom 06.10.2016 - B 5 R 45/16 B,
Rdnr. 19 und Bay.
LSG vom 18.06.2013 - L 15 BL 6/10,
Rdnr. 73 (jeweils juris)) zu folgen, bestehen daher keine Bedenken. Die
MdE-Tabellenwerte sind allgemeine (generelle) Tatsachen, die für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm - nämlich des in § 56
Abs. 2
SGB VII verwendeten Begriffs der
MdE -, und damit für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle, relevant sind. Bei einer Vielzahl von Unfallfolgen haben sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der
MdE Erfahrungswerte herausgebildet. Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und dienen als Hilfsmittel für die
MdE-Einschätzung im Einzelfall. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze sind zwar für die Entscheidung im Einzelfall nicht bindend, bilden aber als in sich stimmiges Beurteilungsgefüge die Grundlage für eine gleichförmige Bewertung der
MdE (
vgl. BSG vom 18.03.2003 -
B 2 U 31/02 R -, Rdnr 17 und vom 07.05.2019 -
B 2 U 25/17 R -,
Rdnr. 33 (jeweils juris)).
Anders ist auch nicht aufgrund des Schreibens des
Dr. S. vom 04.07.2019 zu entscheiden. Denn
Dr. S. möchte bei seiner Einschätzung der unfallbedingten
MdE auch eine konkrete berufliche Betroffenheit des Versicherten berücksichtigt wissen. Dies ist indes nach derzeitiger Rechtslage im Hinblick auf den das gesetzliche Unfallversicherungsrecht beherrschenden Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung - von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen (§ 56
Abs. 2
S. 3
SGB VII) abgesehen - nicht zulässig (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 2; BSGE 70, 47, 49 und
BSG NZS 1996, 393, 394). Dies ergibt sich hinreichend deutlich aus der Gesetzesformulierung in § 56
Abs. 2
S. 1
SGB VII (" verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.").
Auch der vom Kläger herangezogene Aufsatz von Ludolph/Schürmann zur "Neubewertung der
MdE bei unfallchirurgisch-orthopädischen Arbeitsunfall- und BK-Folgen in der gesetzlichen Unfallversicherung" (= MedSach 2016, 60 ff) führt nicht zum Erfolg des Klagebegehrens. Derzeit ist im Hinblick auf den Wandel durch geänderte Anforderungen des Arbeitsmarkts und den medizinisch-therapeutischen Fortschritt eine wissenschaftliche Diskussion darüber in Gang, inwieweit die teilweise über Jahrzehnte alten
MdE-Erfahrungswerte in der unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur diesem Wandel noch gerecht werden. Zur Diskussion gestellt sind mittlerweile die Vorschläge der Kommission "Gutachten" der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zur Neubemessung der
MdE-Erfahrungssätze. Diese Vorschläge sind Gegenstand der Diskussion zur Reform der
MdE-Einschätzung. Sie versehen, von Ausnahmen abgesehen, die bisherigen
MdE-Bewertungssätze mit niedrigeren
MdE-Sätzen
bzw. führen neue Bewertungsgrundsätze in die wissenschaftliche Auseinandersetzung ein. Die Vorschläge berücksichtigen insbesondere den gewandelten allgemeinen Arbeitsmarkt: Händische Arbeiten wie schweres Heben und Tragen, Schaufeln, Bohren oder Montieren sind im Wesentlichen durch den Einsatz von Maschinen abgelöst worden; lediglich im Handwerk und im Haushaltsbereich sind Greif-, Halte- und Druckbewegungen noch weit verbreitet oder alltagsüblich. Nahezu flächendeckend ist heute das Bedienen von Tastaturen - insbesondere von Buchstaben- und Zahlenfeldern sowie sonstiger (Druck-)Tasten - durch das Berühren mit den Fingern, weshalb Fingerverluste oder -teilverluste zwischenzeitlich weit größere Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Folge haben (
vgl. Ludolph/Schürmann,a.a.O.,
S. 64). Die Diskussionsvorschläge haben indes bislang keinen Eingang in die Standardwerke der unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur oder gar - wie vom Unfallsenat des Bundessozialgerichts zuletzt gefordert (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 4,
Rdnr. 25; hierzu auch Nusser/Spellbrink in SGb 2017, 550 ff) - einer den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen für den Bereich des Schwerbehindertenrechts und des Sozialen Entschädigungsrechts vergleichbaren Verrechtlichung gefunden. Sie sind auch deshalb für das erkennende Gericht, das die
MdE-Bemessung als tatrichterliche Aufgabe nach freier richterlicher Überzeugung und unter Beachtung rechtlicher Vorgaben vornimmt (
vgl. hierzu u.a.
BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 4,
Rdnr. 15;
BSG SozR 4-2700 § 200
Nr. 3,
Rdnr. 16 und
BSG vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R -,
Rdnr. 33 und vom 07.05.2019 - B 2 U 25/17 R -,
Rdnr. 11 (jeweils juris)), nicht verbindlich. Vor dem Hintergrund, dass die wissenschaftliche Diskussion um die
MdE-Erfahrungswerte in der gesetzlichen Unfallversicherung noch ergebnisoffen und noch nicht abgeschlossen ist, hält die Kammer deshalb im Wege der Einzelfallprüfung an den bislang in der unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur dargestellten
MdE-Bewertungskriterien fest.
Ungeachtet dessen ergäbe sich auch nach den Vorschlägen der
MdE-Gruppe vorliegend keine unfallbedingte
MdE um wenigstens 20 v.H. der Vollrente. Denn eine
MdE in diesem Ausmaß ist danach erst für den vollständigen Verlust eines Zeigefingers vorgesehen (
vgl. Ludolph/Schürmann, a.a.O,
S. 65). Gleiches gilt für die vollständige Versteifung eines Fingers, der dem Verlust gleichzustellen ist, weil ein gesteuerter Funktionseinsatz,
z.B. bei der Bedienung einer Tastatur, nicht mehr möglich ist. Vorliegend liegt indes - wie oben bereits ausgeführt - angesichts einer nahezu freien Beweglichkeit des Zeigefingergrundgelenks des Klägers keine vollständige Versteifung vor.
Dass die bisherigen unfallmedizinischen und unfallrechtlichen Bewertungsgrundsätze "inhaltlich unrichtig" (
vgl. BSG SozR 2200 § 581
Nr. 23) oder gar "offensichtlich"
bzw. "erkennbar" falsch (
vgl. BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 4,
Rdnr. 17 und
BSG vom 07.05.2019 - B 2 U 25/17 R -,
Rdnr. 33 a.E. (juris)) sind, ist für das erkennende Gericht nicht ersichtlich. Eine Verwerfung oder gar Nichtanwendung der
MdE-Tabellen ist deshalb nicht angezeigt. Denn hiermit würde der
MdE-Feststellung und damit der Bemessung von Versicherungsleistungen in der Alltagspraxis die Bewertungsgrundlage entzogen. Dies würde zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen, ein mit dem Rechtsstaatsgebot (
Art. 20
Abs. 3 des Grundgesetzes;
vgl. hierzu u.a. BVerfGE 133, 168
ff.,
Rdnr. 55) nicht zu vereinbarender Zustand (
vgl. Nusser/Spellbrink, a.a.O.,
S. 555).
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193
Abs. 1 und 4
SGG.