Urteil
Erstattung von Kosten für den Eigenanteil an einem selbst beschafften Hörgerät

Gericht:

LSG Niedersachsen-Bremen


Aktenzeichen:

L 4 KR 487/13


Urteil vom:

02.12.2015


Tenor:

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 8. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Rechtsweg:

SG Osnabrück, Bescheid vom 8. Oktober 2013 - S 3 KR 395/12

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Erstattung von Kosten für den Eigenanteil an einem selbst beschafften Hörgerät.

Der am H ... I. 1940 geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) krankenversichert. Er leidet ausweislich der Verordnung des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. J. vom 22. Juli 2011 unter einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit beidseits. Im Juli 2011 wählte er bei seinem Hörgeräteakustiker, der Firma K. Hörgeräte L., das Modell KINDchili 9 HP zum Gesamtpreis von 5.212,- Euro aus. Im Bericht zur Hörgeräteversorgung wird bescheinigt, dass die Anpassungsphase am 28. Juli 2011 begann und am 02. Dezember 2011 endete. Im Bericht wird unter dem Datum 29. Juli 2011 und unter der Rubrik "Teil 1 (Versorgungsanzeige)" ein sog. "Vertragspreis" iHv 1035,00 Euro berechnet. Der Kläger bestätigte den Empfang der beidseitigen Hörgeräteversorgung am 02. Dezember 2011. In einem als Versicherteninformation bezeichneten Formular bestätigte der Kläger unter dem 02. Dezember 2011, dass er über das qualitativ hochwertige Angebot einer eigenanteilsfreien Versorgung (ohne Aufzahlung, ausgenommen der gesetzlichen Zuzahlung) informiert worden sei und dass er mit einer zu leistenden höheren Vergütung für das vom ihm ausgewählte Hörsystem einverstanden sei.

Unter Vorlage oa Verordnung seines behandelnden Arztes und eines Angebotes/Auftrags seines Hörgeräteakustikers vom 06. Dezember 2011 (Bl. 3 dVA) beantragte er am 07. Dezember 2011 bei der beklagten KK die "volle" Übernahme der Kosten für eine beidseitige Versorgung mit dem Hörgerät der Firma KIND Chili 9HP iHv 5.212,00 Euro. Ausweislich des beigefügten Hörprotokolls könnte durch die stereophone Versorgung mit dem Hörgerät Chili 9HP die Verständlichkeit im Störschall um 10% verbessert werden. Im Vergleich zur Messung ohne Hörgerät und ohne Störschall werde durch die stereophone Anpassung eine Verbesserung der Verständlichkeit um 55% erzielt.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme ab. Der Hörgeräteakustiker habe bezüglich der Versorgung mit Hörhilfen inklusive Zubehör über die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker Verträge abgeschlossen. In diesen Verträgen sei geregelt, dass der Hörgeräteakustiker für Versicherte eigenanteilsfreie Angebote entsprechend der Produktgruppe 13 zum angemessenen Ausgleich des Hörverlustes bei allen Schwerhörigkeitsgraden sowie für Tinnitus-Versorgungen vorhalte. Der Hörgeräteakustiker garantiere eine eigenanteilsfreie Versorgung der Versicherten mit modernen, hochwertigen Hörsystemen. Der Kläger sei durch den Hörgeräteakustiker über das qualitativ hochwertige Angebot einer eigenanteilsfreien Versorgung informiert worden. Eine zusätzliche Kostenübernahme zu dem bereits übernommenen Betrag iHv 1035,00 Euro sei nicht möglich.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 28. Dezember 2011. Im Widerspruchsverfahren legte der Hörgeräteakustiker auf Aufforderung der beklagten KK (Schreiben vom 13. März 2012 und 04. April 2012) die ärztliche Verordnung, das Hörprotokoll, den Anpassungsbericht und den Kostenvoranschlag über die Kosten der begehrten Versorgung vor. Die beklagte KK wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2012 zurück. Im Falle des Klägers sei mit der Kostenübernahme im Rahmen der geltenden Vertragspreise eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung gewährleistet. Eine darüber hinausgehende Kostenbeteiligung bzw. Kostenerstattung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei nicht möglich. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Urteil vom 17. Dezember 2009 (Az.: B 3 KR 20/08 R) entschieden, dass die KKen verpflichtet seien, auch die Kosten für digitale Hörgeräte über den Festbetrag hinaus zu übernehmen, sofern dies medizinisch notwendig sei. Dieses Urteil ziele auf einen Personenkreis ab, welcher nach ärztlicher Einschätzung an einem nahezu 100%-Hörverlust leide. Dies entspräche nach dem vorgenannten Urteil sowie bundesweit anerkannten Messmethoden einem Schwerhörigkeitsgrad von an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Aus den Unterlagen ließe sich entnehmen, dass beim Kläger nach den bundesweit anerkannten Messmethoden ein Hörverlust von 65 dB beidseits zu ermitteln sei. Hiernach ergebe sich ein Schwerhörigkeitsgrad von hochgradiger Schwerhörigkeit, jedoch nicht von an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Der Kläger sei dem vom Urteil erfassten Personenkreis nicht zuzuordnen. Eine zusätzliche Kostenübernahme sei nicht möglich.

Der Kläger hat am 14. Juni 2012 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben und sein Begehren auf Erstattung des von ihm getragenen Eigenanteils in Höhe von 1.035,00 Euro weiterverfolgt. Zu Unrecht habe die Beklagte die Erstattung des Eigenanteils abgelehnt. Der Festbetrag sei für die Versorgung des Klägers nicht ausreichend bemessen und bilde deshalb keine Grundlage für die Begrenzung der Leistungspflicht. Die Versorgung mit Hörgeräten diene dem unmittelbaren Behinderungsausgleich und demzufolge sei das begehrte Hörgerät grundsätzlich erforderlich, weil es nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaube und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen biete. Das vom Kläger angeschaffte Hörgerät ermögliche eine bessere Unterscheidung von Worten in Umgebungsgeräuschen, ohne dass Rückkopplungseffekte - wie bei kostengünstigeren Hörgeräten - entstünden. Insgesamt ermögliche die gewählte Versorgung ein deutlich besseres Aufschließen zu den Verständigungsmöglichkeiten hörgesunder Menschen.

Das SG Osnabrück hat mit Gerichtsbescheid vom 8. Oktober 2013 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2014 nicht zu beanstanden sei. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten. Von den beiden Tatbestandsalternativen der hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V käme lediglich die zweite Alternative in Betracht. Dies setze voraus, dass die Beklagte dem Kläger zunächst eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe, und sodann dem Kläger dadurch, nämlich durch die Ablehnung der Leistung, Kosten entstanden seien. Dieser Kausalzusammenhang zwischen der - ggf. zu Unrecht erfolgten - Leistungsablehnung durch die KK und der bei dem Versicherten eingetretenen Kostenlast sei vorliegend nicht erfüllt. Dem Kläger seien nicht erst deshalb Kosten entstanden, weil die Beklagte mit Bescheid vom 20. Dezember 2011 seinen am 7. Dezember 2011 gestellten Antrag auf volle Kostenübernahme abgelehnt habe. Zu diesem Zeitpunkt seien die Kosten vielmehr bereits entstanden und zwar dadurch, dass sich der Kläger bereits zuvor, vor Beantragung bei der Beklagten, für die Versorgung mit den Hörgeräten der Firma K. Chili 9HP entschieden habe. Die kostenauslösende Entscheidung des Klägers für die Hörgeräte sei vor Ablehnung des Antrags durch die Beklagte erfolgt. Der Beschaffungsweg sei daher nicht eingehalten worden. Zu einer weiteren Kostentragung sei die Beklagte deshalb nicht verpflichtet.

Gegen das am 24. Oktober 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25. November 2013 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Ergänzend zu seinem bisherigen Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren trägt er vor, dass er sich nach der Anpassungsphase für das Gerät K. Chili 9HP entschieden habe und der Beklagten mitgeteilt habe, dass dieses Gerät nach seinem Empfinden und nach Aussage des Ohrenarztes das Beste für ihn sei. Er habe um Kostenübernahme gebeten. Zum Zeitpunkt der Antragstellung sei das Hörgerät nach seiner Auffassung noch nicht gekauft und bezahlt worden.


Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 8. Oktober 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die vollen Kosten für die Hörgeräte der Firma K. Chili 9HP in Höhe von 5.212,00 Euro zu übernehmen.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die bisherige Entscheidung für zutreffend und lehnt weiterhin eine Kostenübernahme ab.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 8. Oktober 2013 ist nicht zu beanstanden. Die Ablehnung der Kostenerstattung durch die Beklagte mit Bescheid vom 20. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung des Eigenanteils zu den von ihm beschafften Hörgeräten.

Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V. Danach gilt: Hat die KK eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender primärer Sachleistungsanspruch; er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die KKen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr BSGE 79, 125, 126 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S. 51; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12 Rdnr. 11). Der Anspruch ist gegeben, wenn die KK die Erfüllung des Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig ablehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. auch BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 19).

Wie bereits das SG zutreffend festgestellt hat, sind die Voraussetzungen für den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht erfüllt, weil der Kläger den sog. Beschaffungsweg nicht eingehalten hat. Im Ergebnis ist die Entstehung der Kosten für ihn nicht durch eine fehlerhafte Leistungsablehnung der beklagten KK verursacht worden. Der sog. Beschaffungsweg ist nur dann eingehalten, wenn vor der Selbstbeschaffung der Leistung die Entscheidung des zuständigen Versicherungsträgers abgewartet wurde. "Selbst beschafft" ist eine Hilfsmittel-Leistung nicht schon mit deren Auswahl. Die Auswahl ist dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren notwendig vorgeschaltet und scheidet deshalb mit Ausnahme von Vorfestlegung als Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt der Hilfsmittelbeschaffung aus. Anspruchshindernd ist vielmehr erst ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen Versichertem und Leistungserbringer. Unschädlich sind Auswahlentscheidungen, die den Versicherten nicht endgültig binden und die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind, wie bei der Hörgeräteversorgung die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommenden Geräte. Dazu gehört auch eine probeweise Hörgeräteüberlassung, die im vorliegenden Fall am 28. Juli 2011 begann und am 02. Dezember 2011 endete. Anders ist es allerdings dann, wenn der Versicherte bereits vor einer Entscheidung der KK eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingeht und der Leistungserbringer demgemäß auch im Falle einer Ablehnung des Leistungsbegehrens durch die KK die Abnahme und Bezahlung des Hilfsmittels verlangen kann (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, Az. B 3 KR 5/12 R; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Oktober 2015, L 2 R 741/14, beide zitiert nach juris). Vorliegend muss davon ausgegangen werde, dass der Kläger mit seinem Hörgeräteakustiker ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft spätestens am 02. Dezember 2011 abgeschlossen hat. Zu diesem Zeitpunkt nahm er die Hörgeräte zum dauerhaften Gebrauch in Empfang und erklärte sich zur Begleichung der Gesamtkosten auch für den Fall bereit, dass die beklagte KK (weitere) Kosten nicht übernehmen würde. Den Gesamtumständen lässt sich entnehmen, dass sich ein rechtlich objektiver Wille des Klägers zur Antragstellung hingegen erstmals am 07. Dezember 2011 zeigte. Damit wurde ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft bereits vor dem Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2011 geschlossen und der Beschaffungsweg nicht eingehalten.

Soweit der Kläger vorträgt, die beklagte KK sei bereits von Anfang an in die Beschaffung seiner Hörgeräte involviert, so dass es auf die eigentliche Antragstellung im Dezember 2011 nicht ankäme, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass sich ein Anspruch auf Erstattung der Kosten auch nicht aufgrund der Grundsätze der Rechtsprechung zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergeben kann. Der auf Kostenerstattung gerichtete Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V stellt eine abschließende Regelung dar. Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist daneben kein Raum, da auf dieses richterrechtliche Rechtsinstitut nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn spezielle gesetzliche Regelungen nicht zur Verfügung stehen (BSG, Urteil vom 2. November 2007, Az. B 1 KR 14/07 R, zitiert nach juris).

Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

Referenznummer:

R/R8854


Informationsstand: 01.09.2022