II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. 1. Hinsichtlich der Zulässigkeit ergeben sich keine Probleme. Insbesondere hat die ASt die von ihr beanstandeten Punkte, die sich auf die Grundlagen der Ausschreibung beziehen, schon vor Abgabe ihres Angebots rechtzeitig gerügt; einer weiteren Rüge nach Erhalt der § 13 VgV-Mitteilung bedurfte es nicht. 2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet, weil die Vorgaben, die seitens der Ag in Bezug auf die Eignung der Bieter aufgestellt wurden, nicht vergaberechtskonform sind.
a) Nach Punkt A.3 der Verdingungsunterlagen ist für den Nachweis der Fachkunde erforderlich, dass der Bieter
bzw. das ihm zur Verfügung stehende Personal entweder die ausgeschriebene Leistung oder eine vergleichbare Leistung innerhalb der letzten drei Jahre bereits durchgeführt hat. Wie die Ag selbst anerkennt, geht die Variante "Erfahrung mit der ausgeschriebenen Leistung" von vornherein ins Leere, da die Leistung nach
§ 38a SGB IX erst mit Wirkung zum 30. Dezember 2008 in das Gesetz eingeführt wurde; die streitgegenständliche Leistung ist daher noch nie vergeben worden, so dass insoweit auch keine Erfahrungen eines Bieters vorliegen können. Es bleibt damit nur die zweite Variante "Erfahrungen mit vergleichbaren Leistungen". Hier hat die Ag unter A.3 zwar beispielhaft -"
z.B." - zwei Gruppen von Maßnahmen benannt, die ihrer Meinung nach vergleichbar sind, nämlich "
DIA-
AM" und Maßnahmen für nach dem
SGB III geförderte behinderte Menschen im Sinne der unter B.2.2 definierten Zielgruppe zur Erst- und Wiedereingliederung. Die Ag hat es aber unterlassen, einen abstrakten Maßstab für die Vergleichbarkeit zu formulieren; die beispielhafte Benennung der beiden Maßnahmegruppen ist nicht in dem Sinne selbsterklärend, als daraus automatisch ablesbar wäre, worauf es der Ag ankommt und welche Gesichtspunkte genau Maßstab für die Vergleichbarkeit sein sollen. Auch im Frage- und Antwortkatalog wurde hier keine weiterführende Klarheit hergestellt, da auf entsprechende Nachfrage unter Wiederholung der bereits unter A.3 der Verdingungsunterlagen genannten Aspekte lediglich ausgeführt wurde, eine Aufzählung aller Maßnahmen, denen Vergleichbarkeit zuzubilligen ist, sei nicht möglich. Mit der Antwort auf diese Frage hat die Ag nicht nur keine zielführende Klarheit für die Bieter dahin geschaffen, welche abstrakten Gesichtspunkte Maßstab für die Vergleichbarkeit sein sollen, was für eine hilfreiche Beantwortung der Anfrage umso nötiger gewesen wäre, als die Ag eine Aufzählung vergleichbarer Projekte nicht für möglich hält. Die Ag hat vielmehr sogar im Gegenteil weitere Verwirrung dadurch geschaffen, als sie hier ausführt, die vergleichbaren Leistungen "müssen" diesen Vorgaben genügen, wohingegen in den Verdingungsunterlagen nur eine beispielhafte Nennung erfolgt ist. Auch wenn die ASt selbst, die ihre Referenzen ohne Rücksicht auf deren Vergleichbarkeit ja jedenfalls erst einmal angegeben hat, hierdurch nicht beschwert ist, dürfte eine inhaltliche Einschränkung der Vorgaben der Verdingungsunterlagen über den Frage-Antwort-Katalog kaum vergaberechtskonform sein. Weil der Katalog Teil der Verdingungsunterlagen werden soll, entsteht dadurch zumindest ein intransparenter Widerspruch.
Vor dem Hintergrund, dass es sich um eine völlig neue Maßnahme handelt, wäre es aber erforderlich gewesen, schon in den Verdingungsunterlagen eindeutige Aussagen dazu zu machen, welche abstrakten Gesichtspunkte Maßstab für die Vergleichbarkeit sein sollen. Es ist ohnehin ein grundlegendes Prinzip des Vergaberechts, das über den Transparenzgrundsatz auch im Rahmen der hier einschlägigen Basisvorschriften gilt, dass die Bieter von Anfang an die Möglichkeit haben müssen, zu erkennen, welche Eignungsanforderungen gestellt werden, um frustrierten Aufwendungen für ein nutzloses -da von einem von vornherein ungeeigneten Bieter eingereichtes - Angebot vorzubeugen. Dies gilt insbesondere bei der erstmaligen Ausschreibung einer neuen gesetzlichen Maßnahme, wo klar ist, dass es für den Fachkundenachweis noch keine identischen Leistungen aus der Vergangenheit geben kann und dass bei den potentiellen Bietern noch Unsicherheit besteht, was der Auftraggeber als vergleichbar ansieht. Hier wäre die Ag aufgefordert gewesen, sich spätestens infolge der eingehenden Bieterfragen im Fragen-Antwort-Katalog klarer zu positionieren.
b) Abgesehen davon, dass die Vorgaben der Ag in den Verdingungsunterlagen und im Frage-/ Antwortkatalog zu ungenau und widersprüchlich sind, sind die von der Ag genannten Anforderungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Referenzmaßnahmen nicht vergaberechtskonform. Die Ag stellt für die Vergleichbarkeit maßgeblich auf die Zielgruppe ab, von der sie ausdrücklich "behinderte Menschen, die werkstattbedürftig im Sinne des
§ 136 SGB IX sind", ausnimmt. Daraus leitet sich auch die negative Antwort auf die Bieterfrage ab, ob Eingangsverfahren und/oder Bildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen vergleichbar seien; die Ag hat diese Vergleichbarkeit mit dem Hinweis verneint, nach B.2.2 zählten werkstattbedürftige Menschen ausdrücklich nicht zur Zielgruppe. Fehlerhaft ist diese Anknüpfung an der Vergleichbarkeit der Zielgruppe jedoch aus folgenden Erwägungen:
Richtig und völlig unstreitig ist zwar, dass die Maßnahme nach § 38a
SGB IX auf behinderte Menschen abzielt, die nicht dauerhaft werkstattbedürftig
i.S.v. § 136
SGB IX sind. Es entspricht gerade der gesetzgeberischen Intention und damit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, aus einer konkreten Bedarfslage heraus eine neue Maßnahme für behinderte Menschen zu schaffen, deren Behinderung auf der einen Seite nicht so schwerwiegend ist, als dass sie dauerhaft als werkstattbedürftig anzusehen wären, die aber auf der anderen Seite eben doch so gravierend ist, dass eine Teilnahme an höher qualifizierten Maßnahmen des
SGB III wie berufsvorbereitenden Maßnahmen oder eine Berufsausbildung ausscheidet. Es ist aber ein Fehlschluss, aus der Tatsache, dass die Maßnahme auf nicht werkstattbedürftige behinderte Menschen abzielt, abzuleiten, dass - so die Ag im Fragen- und Antwortkatalog - Eingangs- und Berufsbildungsbereich nach
§ 40 SGB IX generell und per se keine vergleichbaren Maßnahmen seien, da sie eine andere Zielgruppe beträfen. Dies ist insofern vom Sachverhalt her nicht richtig, als sich die Personengruppe, auf die § 38a
SGB IX abzielt, bislang - also vor Schaffung der neuen, in der praktischen Umsetzung befindlichen Regelung - eben gerade und vornehmlich in den Werkstätten für behinderte Menschen betreut wird
bzw. - soweit es sich um Abgänger spezieller Förderschulen handelt - nach Beendigung der Schulausbildung in einer solchen Werkstatt Aufnahme findet. Dies ist auch damit zu erklären, dass die gesetzliche Aufgabe von Werkstätten für behinderte Menschen eben nicht nur darin besteht, behinderten Menschen selbst eine Beschäftigung zu bieten. Vielmehr sind Werkstätten u.a. auch dafür zuständig, den "Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen" zu fördern (§ 136
Abs. 1
S. 3
SGB IX,
vgl. auch
§ 41 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX,
§ 5 Abs. 4 Werkstättenverordnung (WVO)) und die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit behinderter Menschen "soweit wie möglich zu entwickeln, verbessern oder wiederherzustellen" (§ 40
Abs. 1
Nr. 2
SGB IX). Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales einschließlich der Stellungnahmen von Sachverständigen verschiedener Verbände zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung Unterstützter Beschäftigung bestätigen diese Einschätzung insoweit vollumfänglich, als dort durchgängig die Rede davon ist, geeigneten behinderten Menschen mit der Unterstützen Beschäftigung eine Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, die eine Alternative zur Beschäftigung in Werkstätten darstellt (BT-Drs. 16/10905 vom 12.11.2008). So wird hier
z.B. unter Bezugnahme auf den Koalitionsvertrag festgehalten, dass das neue Instrument des § 38a
SGB IX mehr Menschen die Möglichkeit geben soll, ihren Lebensunterhalt außerhalb von Behindertenwerkstätten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erarbeiten (BT-Drs. aaO.,
S. 8). In Parallelverfahren zum vorliegenden Nachprüfungsverfahren wurde auch seitens beigeladener Einrichtungen bestätigt, dass der fragliche Personenkreis ohne Schaffung der neuen Maßnahme in Werkstätten für behinderte Menschen Aufnahme finden würde. Die fehlende Vergleichbarkeit von Eingangs- und Berufsbildungsbereich mit der falschen Zielgruppe zu begründen, basiert vor diesem Hintergrund auf einem unzutreffenden Sachverhalt; die Zielgruppe der streitgegenständlichen Maßnahme findet sich sehr wohl jedenfalls auch in den Werkstätten für behinderte Menschen und wird in Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich von diesen betreut.
Auf der anderen Seite sind die Ausführungen der Ag im Nachprüfungsverfahren insoweit sehr gut nachvollziehbar und sicherlich vollumfänglich in Einklang mit vergaberechtlichen Vorgaben, als sie dort die Bedeutung des Aspekts der erfolgreichen Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt betont. Auch nach Auffassung der Vergabekammer erscheint dieser Gesichtspunkt, auf den die Ag möglicherweise hinaus will, als entscheidend für den Erfolg der neuen Maßnahme: Das Ziel der Unterstützten Beschäftigung
i.S.d. § 38a
SGB IX ist, "behinderten Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten" (§ 38a
Abs. 1
S. 1
SGB IX). Von zentraler Bedeutung für die Beurteilung der Fachkunde eines potentiellen Auftragnehmers dürfte daher Know-how in Bezug auf die Vermittlung behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sein, und zwar völlig unabhängig davon, ob diese Erfahrung durch eine Werkstatt für behinderte Menschen im Rahmen von Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich gemacht wurde oder durch einen anderen Träger,
z.B. einen der in § 38a
Abs. 5
SGB IX beispielhaft genannten Integrationsfachdienste, mit einer anderen Maßnahme. Dieses Vermittlungskriterium, das wie ausgeführt spontan einleuchtend ist und das die Ag nunmehr anführt, wurde aber weder in den Verdingungsunterlagen noch im Frage- und Antwortkatalog auf die entsprechende Nachfrage, was denn als vergleichbar angesehen werde, genannt. Folglich konnten die Bieter die Angaben zu ihren bisherigen Erfahrungen aus vergleichbaren Leistungen nicht entsprechend ausrichten.
c) Ob die Angebotsfrist von 22 Werktagen für die Erstellung der Angebotskalkulation dieser vom Gesetzgeber neu eingeführten Maßnahmeart - wie die ASt meint - unangemessen kurz war, kann an dieser Stelle offenbleiben. Aufgrund des oben festgestellten Vergabefehlers erhalten die ASt wie auch die übrigen interessierten Bieter die Möglichkeit, ihre Angebote erneut zu kalkulieren. Da die Bieter Gelegenheit erhalten, neue Angebote abzugeben, kommt es für die Entscheidung ebenfalls nicht darauf an, ob die Wertung des derzeitigen Angebots der ASt vergabefehlerhaft war.
d) Der Ag ist daher zur Beseitigung des Vergabefehlers aufzugeben, ihre Vorgaben hinsichtlich der Vergleichbarkeit zu überprüfen und diese sodann in neuen Verdingungsunterlagen transparent in dem Sinne zu machen, dass auch wirklich erkennbar wird, welche Aspekte Maßstab für die Vergleichbarkeit sein sollen. Die Ag hat nach Konkretisierung der Verdingungsunterlagen allen interessierten Marktteilnehmern - also nicht beschränkt auf den bisherigen Bieterkreis - die Gelegenheit zur erneuten Angebotsabgabe einzuräumen. Die auf dieser Basis von den Bietern eingereichten Referenzen sind dann konkret und im Einzelnen daraufhin zu überprüfen, ob sie den Vorgaben entsprechen, welche die Ag aufgestellt hat; eine schematische Beurteilung dahin, dass Leistungen von Werkstätten für behinderte Menschen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich generell untauglich sind, verbietet sich dabei, da auch solche Tätigkeiten grundsätzlich mit den im Rahmen des § 38a
SGB IX zu erbringenden vergleichbar sein können,
vgl. oben. Wenn die Ag Vorgaben in Bezug auf die Erfahrung mit der Vermittlung behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt machen sollte, was in ihrem Ermessensspielraum liegt, so werden die Bieter konkret diese Erfahrungen darzulegen haben und die Ag wird im Einzelfall konkret prüfen müssen, inwieweit die Referenzen den Vorgaben entsprechen.