1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 30.08.2023 - Az. 2 Ca 293/23 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung.
Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80. Auf Basis des Arbeitsvertrages vom 24.11.2022 (Bl. 7
ff. der Akte) wurde der Kläger bei der Beklagten beginnend ab dem 01.01.2023 als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik eingesetzt. In § 2 des Arbeitsvertrages wurde eine Probezeit von sechs Monaten mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen vereinbart. Im Unternehmen der Beklagten sind regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung bestehen nicht.
Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war der Beklagten die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bekannt. Die Schwerbehinderteneigenschaft fand bei der Stellenbesetzung Berücksichtigung im Hinblick auf das Anforderungsprofil und das individuelle Leistungsvermögen des Klägers.
Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 30.03.2023 (Bl. 19 der Akte) die streitgegenständliche Probezeitkündigung zum 15.04.2023. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 31.03.2023 zu. Den Kündigungsausspruch zeigte die Beklagte beim Integrationsamt lediglich an.
Mit seiner am 20.04.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 28.04.2023 zugestellten Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Probezeitkündigung zur Wehr gesetzt.
Er hat sich erstinstanzlich auf einen Sonderkündigungsschutz nach dem
SGB IX berufen. Wegen Verstoßes gegen § 134
BGB sei die Kündigung nichtig. Gemäß
Art. 5 EGRL 78/2000 seien für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen. Dies impliziere, dass ein Arbeitnehmer entsprechend seiner Behinderung auf einer Stelle einzusetzen sei, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweise. Unter Berufung auf eine Entscheidung des
EuGH vom 10.02.2022 (
C-485/20) gebe es daher einen Anspruch auf das Angebot eines entsprechenden Arbeitsplatzes. Die Kündigung sei ferner wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot gemäß
§§7 AGG, 134
BGB und wegen Unverhältnismäßigkeit gemäß § 242
BGB unwirksam. Denn die Beklagte habe – insoweit unstreitig - das Integrationsamt nicht beteiligt und das Präventionsverfahren gemäß
§ 167 SGB IX als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht durchgeführt.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.03.2023 nicht beendet wird;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht;
3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder zu 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Leiter Haustechnik weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Kündigung als Probezeitkündigung für wirksam erachtet. Eine Begründung für eine Probezeitkündigung sei nicht erforderlich. Ein Verstoß gegen §§ 134, 242
BGB liege nicht vor. Der besondere Kündigungsschutz wegen Schwerbehinderung des Klägers entstehe gemäß
§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX erst nach Ablauf von sechs Monaten. Die vom Kläger zitierte
EuGH-Rechtsprechung ändere hieran nichts, zumal es keine konkreten Vorgaben zur unionsrechtlichen Umsetzung gebe. Eine der Kündigung vorausgehende Beteiligung des Integrationsamtes nach § 167
ff. SGB IX habe es nicht bedurft. Die Kündigung sei auch nicht unverhältnismäßig, da ein vergleichbarer Arbeitsplatz nicht vorhanden gewesen sei. Eine generelle Verpflichtung zum Angebot einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit habe nicht bestanden.
Mit Urteil vom 30.08.2023 (Bl. 50–57 der Akte) hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der allgemeine Feststellungsantrag gemäß § 256
ZPO sei bereits unzulässig. Im Übrigen sei die Kündigungsschutzklage unbegründet. Dem Kläger stehe der besondere Kündigungsschutz nach
§ 168 SGB IX nicht zu. Denn die Wartezeit nach § 173
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX sei noch nicht abgelaufen. Hieran ändere auch die Entscheidung des
EuGH vom 10.02.2022 (C-485/20) nichts. Denn die dortige Ausgangslage sei eine andere gewesen. Der dortige Kläger sei für eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stelle angestellt worden und im Nachgang so schwer erkrankt, dass er die Stelle nicht mehr habe ausüben können. Vorliegend sei die Kündigung jedoch nicht wegen einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes des Klägers erfolgt und stehe auch nicht - was unbestritten geblieben ist - im Zusammenhang mit der Schwerbehinderteneigenschaft. Im Gegenteil sei die bei Abschluss des Arbeitsvertrags bereits bekannte Schwerbehinderung bei dem Anforderungsprofil und der Stellenbesetzung berücksichtigt worden. Mangels Vergleichbarkeit der Sachlagen scheide eine Übertragung der Entscheidung des
EuGH auf die hiesige Fallgestaltung aus. Zudem sei der Vortrag der Beklagten, es habe keinen anderweitigen geeigneten Arbeitsplatz gegeben, vom Kläger nicht konkret bestritten worden. Es fehle daher an der tatsächlichen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des
EuGH erscheine es nicht sachgerecht, von einer generellen Begünstigung der schwerbehinderten Menschen während der Probezeit auszugehen. Mangels Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes stehe dem Kläger kein allgemeiner Kündigungsschutz zur Seite. Die Kündigung stelle sich auch nicht nach allgemeinen Vorgaben als unwirksam dar. Auf die weiteren Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 26.09.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 18.10.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach einem am 15.11.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Fristverlängerungsantrag innerhalb der bis zum 27.12.2023 verlängerten Frist mit einem am 21.12.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger führt an, zwar sei unbestritten die Wartezeit des § 173
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX bei Ausspruch der Kündigung nicht erfüllt gewesen, so dass eine Zustimmung des Integrationsamts nicht erforderlich gewesen sei. Gleichwohl habe die Beklagte gegen die Pflicht zum Angebot eines leidensgerechten Arbeitsplatzes verstoßen. Insbesondere sei ein Einsatz des Klägers als Mitarbeiter in der Haus- und Betriebstechnik oder als Springer möglich. Die Beklagte betreibe mehrere Senioreneinrichtungen an diversen Standorten. An all diesen Standorten würden ständig Hausmeister
bzw. Haustechniker benötigt. Der Kläger sei zwar als Leiter Haus- und Betriebstechnik eingestellt worden. Er habe jedoch hauptsächlich reguläre Mitarbeitertätigkeiten ausgeführt. Die Beklagte hätte ihn auch zur Fachkraft für Arbeitssicherheit weiterbilden oder als Haushandwerker einsetzen können.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ergebe sich aus der Entscheidung des
EuGH vom 10.02.2022 sehr wohl, dass auch in der Probezeit vor Ausspruch einer Beendigungskündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zu prüfen sei, ob nicht eine andere Beschäftigung im Unternehmen möglich sei. Die Beklagte habe eine solche sie nicht belastende Prüfung nicht vorgenommen, obwohl es Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben habe. Die streitgegenständliche Kündigung verstoße daher gegen das Benachteiligungsverbot nach
§ 7 AGG und sei unwirksam.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 30.08.2023, 2 Ca 293/23, abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.03.2023 nicht beendet wird;
2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Leiter Haustechnik weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den Vortrag zu angeblichen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für verspätet. Abgesehen davon habe es im Unternehmen der Beklagten keine freien Arbeitsplätze gegeben. Es treffe nicht zu, dass der Kläger in den Betriebsstätten überwiegend als Haustechniker mit regulären Mitarbeitertätigkeiten befasst gewesen wäre. Ein solcher Einsatz sei allenfalls im Rahmen von vorhandenen Defiziten erfolgt. Die Etablierung eines den gesamten Unternehmensbereich umfassenden dauerhaften zentralen Springers sei nicht notwendig. Es bestünden innerhalb der einzelnen Betriebsstätten funktionierende Vertretungsregelungen. Schonarbeitsplätze seien nicht vorhanden. Die vom Kläger für sich reklamierte weitere Einsatzmöglichkeit bei der Beklagten hätte die Kündigung eines nachgeordneten anderen Mitarbeiters erfordert, was zu einem Verdrängungswettbewerb nach unten geführt hätte. Durch Ausspruch der Probezeitkündigung habe der Kläger weder eine Diskriminierung noch eine Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung erfahren. Die Ausdehnung des Kündigungsschutzes für einen schwerbehinderten Menschen auf die Probezeit führe zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung nicht behinderter Arbeitnehmer.
Die Beklagte führt an, der Kläger sei im Wissen um dessen Schwerbehinderteneigenschaft als Leiter für Haus- und Betriebstechnik für das Gesamtunternehmen mit mehreren Betriebsstätten an neun Standorten in drei Bundesländern (Thüringen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen) eingestellt worden. Aufgrund der damit verbundenen Standortwechseltätigkeit habe die Beklagte im Zusammenhang mit der Einstellung nach etwaigen Leistungseinschränkungen gefragt. Der Kläger habe bekundet, Hörgeräte zu tragen, und eine Leistungsminderung verneint. Zugunsten des Klägers seien dennoch Homeofficezeiten eingeführt worden. Im Rahmen der Arbeitserprobung habe sich der Kläger dann aber als fachlich ungeeignet erwiesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung zweiter Instanz am 04.06.2024 hat die Beklagte auf Befragen der Kammer bestätigt, dass ein Präventionsverfahren nach § 167
Abs. 1
SGB IX vor Ausspruch der Kündigung nicht durchgeführt worden sei. Es sei lediglich beim Integrationsamt das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung erfragt worden. Dies habe das Integrationsamt verneint.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz vom 04.06.2024 (Bl. 141 der Akte) Bezug genommen.
A. Die Berufung des Klägers ist zulässig.
Insbesondere wurde die Berufung form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, § 66
Abs. 1 Satz 1
ArbGG, § 64
Abs. 6
ArbGG i.V.m. § 520
Abs. 3
ZPO.
B. Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die streitgegenständliche Kündigung vom 30.03.2023 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 15.04.2023 beendet. Der nur für den Fall des Erfolgs mit dem Kündigungsschutzantrag gestellte hilfsweise Weiterbeschäftigungsantrag fiel der Berufungskammer nicht zur Entscheidung an. Gegen die Abweisung des allgemeinen Feststellungsantrags durch das Erstgericht ist der Kläger mit seiner Berufung nicht vorgegangen.
1. Die Kündigung vom 30.03.2023 ist wirksam.
a) Die Wirksamkeit der Kündigung ergibt sich allerdings nicht bereits aus
§§ 4,
7 KSchG. Der Kläger hat die Klagefrist des
§ 4 KSchG, die auch bei Kündigungen innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses greift (
BAG 28.06.2007 – 6 AZR 873/06 – Juris Rn. 10), in Bezug auf die ihm am 31.03.2023 zugegangene Kündigung mit seiner am 20. April 2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 28.04.2023 – und damit „demnächst" - zugestellten Klage eingehalten.
b) Auf eine fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung nach
§ 1 Abs. 2 KSchG kann sich der Kläger nicht berufen, weil mangels Erfüllung der Wartezeit des § 1
Abs. 1
KSchG für das erst seit drei Monaten bestehende Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung kein allgemeiner Kündigungsschutz bestand. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig.
c) Eine vorherige Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 168
SGB IX war ebenfalls nicht erforderlich, da die Wartezeit des § 173
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX nicht erfüllt war. Dies hat das Integrationsamt auf Befragen der Beklagten dieser gegenüber auch bestätigt.
An dem Ablauf der Wartefrist für das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes ist auch vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorgaben festzuhalten. Insbesondere ergibt sich unter Berücksichtigung der Rahmenrichtlinie 2000/78/
EG vom 27.11.2000 (
ABl. EG Nr. L 303 vom 02.12.2000
S. 16) kein anderes Ergebnis. Zweck der Richtlinie ist nach
Art. 1 die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung
u. a. wegen einer Behinderung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten. Gemäß
Art. 2 der Richtlinie sind mittelbare und unmittelbare Diskriminierungen wegen einer Behinderung untersagt.
Art. 5 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten. Daran gemessen ist die Ausgestaltung des Kündigungsschutzes behinderter Menschen auch innerhalb der ersten sechs Monaten des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses gemeinschaftsrechtskonform. Das Gemeinschaftsrecht fordert angemessene Vorkehrungen zum Schutz vor Entlassungen. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung sind auch Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber muss die Möglichkeit zur Erprobung des Mitarbeiters haben. Der geltende besondere Kündigungsschutz nach § 168
ff. SGB IX wird dem gerecht (
BAG 28.06.2007 -
6 AZR 750/06 - unter III. 2. f) - Juris Rn. 43/44- zur Vorgängerregelung der
§§ 85 ff. SGB IX). Das Integrationsamt ist bei der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen in den ersten sechs Monaten nicht zu beteiligen (
BAG 21.04.2016 –
8 AZR 402/14). Der schwerbehinderte Mensch ist gleichwohl in den ersten sechs Monaten seines Arbeitsverhältnisses nicht schutzlos. Dem besonderen Schutz behinderter Arbeitnehmer vor Kündigungen ist im Rahmen der Auslegung und Anwendung des § 242
BGB Rechnung zu tragen (
BAG 28.06.2007 - 6 AZR 750/06 - unter III. 2. f) bb) - Juris Rn. 44- zur Vorgängerregelung der §§ 85
ff. SGB IX).
Abgesehen davon hat auch der Kläger in der Berufungsinstanz nicht mehr die Rechtsauffassung vertreten, die vorherige Zustimmung des Integrationsamts sei vor Ablauf der Wartezeit des § 173
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX erforderlich gewesen.
d) Die streitgegenständliche Kündigung ist auch nicht als diskriminierende Kündigung gemäß § 134
BGB unwirksam.
aa) Allerdings sind Kündigungen, die gegen gesetzliche Diskriminierungsverbote verstoßen, außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes nach § 134
BGB iVm § 7
AGG bzw. § 164 Abs. 2 SGB IX rechtsunwirksam (
vgl. BAG 26.03.2015 – 2 AZR 237/14 – Rn. 32;
BAG 19.12.2013 -
6 AZR 190/12 – Rn. 14).
bb) Jedoch ist eine Diskriminierung des Klägers durch die vorliegende Probezeitkündigung nicht feststellbar und ergibt sich insbesondere nicht aus vom Kläger unkonkret behaupteten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten.
Erfolglos beruft sich der Kläger hierzu auf die Entscheidung des
EuGH vom 10.02.2022 (C-485/20). Entgegen seiner Auffassung hätte die Entscheidung des
EuGH im vorliegenden Fall nicht zu einer Prüfpflicht von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten geführt. Und selbst bei Annahme einer Prüfpflicht bezogen auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Sinne der klägerischen Argumentation wäre das Vorhandensein freier Arbeitsplätze nicht feststellbar und vom Kläger nicht konkret dargelegt.
(1) Allerdings hat der
EuGH in der zitierten Entscheidung ausgeführt,
Art. 5 RL 2000/78 sei dahin auszulegen, dass der Begriff "angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“ impliziere, dass ein Arbeitnehmer auch in der Probezeit auf einer anderen Stelle […] einzusetzen sei, wenn er aufgrund seiner Behinderung für ungeeignet erklärt wurde, die wesentliche Funktion seiner bisherigen Stelle zu erfüllen, sofern der Arbeitgeber durch diese Maßnahme nicht unverhältnismäßig belastet werde.
Entgegen der Auffassung des Klägers folgt aus der Entscheidung des
EuGH jedoch nicht, dass bei einer Probezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen stets sämtliche Einsatzmöglichkeiten auf unbesetzten oder besetzten Arbeitsplätzen zu überprüfen wären. Denn der
EuGH hat eine solche Pflicht auf Fälle beschränkt, in denen die Maßnahme den Arbeitgeber „nicht unverhältnismäßig“ belastet. Dass der Arbeitgeber durch den Einsatz des dortigen Klägers auf einer anderen Stelle nicht unverhältnismäßig belastet wäre, war nach dem der Vorlage zugrundeliegenden Sachverhalt bereits deshalb der Fall, da der betroffene Mitarbeiter nach Einstellung infolge einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit infolge der Schwerbehinderung nachträglich ungeeignet wurde und zudem noch vor Ausspruch der Kündigung bereits auf einem anderweitigen, leidensgerechten Arbeitsplatz eingesetzt worden war.
In eine nach dem
EuGH anzustellende Verhältnismäßigkeitsprüfung müsste nach Auffassung der erkennenden Kammer indes das Erprobungsinteresse des Arbeitgebers in der Wartezeit einfließen. Denn die Erprobung des Arbeitnehmers ist ein durch
Art. 12
GG geschütztes Recht des Arbeitgebers. Und als abwägungsrelevantes Element einer Zumutbarkeitsprüfung ist das berechtigte Erprobungsinteresse des Arbeitgebers in den ersten sechs Monaten auch einfachgesetzlich über § 164
Abs. 4 Satz 3
SGB IX berücksichtigungsfähig. So ist in § 164
Abs. 4 Satz 3
SGB IX geregelt, dass etwaige Beschäftigungsansprüche schwerbehinderter Menschen dann nicht bestehen, soweit deren Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar
bzw. mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre. Diese Zumutbarkeitsprüfung erlaubt es, berechtigte Interessen einem Beschäftigungsinteresse schwerbehinderter Menschen entgegenzusetzen.
Die Entscheidung des
EuGH bedarf nach dem Verständnis der erkennenden Kammer auch keiner Umsetzung in deutsches Recht. Denn die dem
EuGH vorliegende Sachverhaltskonstellation wäre auch nach bisherigem Verständnis mit der Systematik des deutschen Kündigungs- und Schwerbehindertenrechts lösbar gewesen: Denn auch bisher waren schwerbehinderte Arbeitnehmer mit Blick auf unschwer bestehende oder gar erprobte Weiterbeschäftigungsmöglichketen während der Wartezeit nicht rechtlos gestellt. Denn Arbeitnehmern ohne Kündigungsschutz wird ein Mindestschutz durch die zivilrechtlichen Generalklauseln gewährleistet (
BVerfG 27.01.1998 – 1 BvL 15/87 – Leitsatz 2), etwa über § 138
BGB oder § 242
BGB. Arbeitnehmer sind daher vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen. Auch ist über die zivilrechtlichen Generalklauseln ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme gewährleistet. Die dem
EuGH vorliegende Fallgestaltung wäre unschwer über § 242
BGB lösbar. Einem schwerbehinderten Arbeitnehmer, der bereits vor Ausspruch der Kündigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz eingesetzt worden war, die offenbar ohne weiteres mögliche Weiterbeschäftigung zu versagen, wäre schwerlich mit dem Willkürverbot und einem geforderten Mindestmaß an Rücksichtnahme vereinbar. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man, wenn trotz unschwer bestehender Einsatzmöglichkeit eine ausgesprochene Probezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen als diskriminierende Kündigung nach § 164
Abs. 2
SGB IX iVm § 134
BGB unwirksam wäre. Die anderweitige Einsatzmöglichkeit steht als Ausprägung des Beschäftigungsanspruchs nach § 164
Abs. 4
SGB IX unter einem Zumutbarkeitsvorbehalt, was in der dem
EuGH vorliegenden Konstellation wegen des bereits erprobten Einsatzes sicherlich zu bejahen wäre.
Eine solche, die Zumutbarkeit eines anderen Einsatzes belegende Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Etwaige – vom Kläger verneinte – Einschränkungen waren bereits bei Einstellung Gegenstand der Gespräche. Die fehlende Eignung hat auch – soweit ersichtlich – nichts mit der Schwerbehinderung zu tun. Der Kläger hat sich aus Sicht der Beklagten schlicht nicht bewährt. Es ist nicht ersichtlich und seitens des Klägers nicht vorgetragen, dass der Kläger wegen behindertenspezifischer Einschränkungen ungeeignet wäre oder aus diesem Grund die Anforderungen der Stelle nicht erfüllen kann. Die Kündigung steht daher - anders als im Vorlageverfahren beim
EuGH - nicht im Zusammenhang mit einer erst nachträglich aufgrund Schwerbehinderung eintretenden Ungeeignetheit. Der hiesige Kläger wurde auch nicht bereits zuvor auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz eingesetzt. Vor diesem Hintergrund ist die Kammer der Auffassung, dass der Beklagten ein Einsatz des Klägers auf einem anderweitigen Arbeitsplatz von vornherein nicht zumutbar war. Ihr Erprobungsinteresse hat – auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des
EuGH – Vorrang. Eine Prüfpflicht hinsichtlich freier Stellen bestand nicht.
(2) Selbst wenn mit dem Kläger aus der Entscheidung des
EuGH folgen sollte, dass bei einer Probezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen stets Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen wären, folgt hieraus nicht die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung im vorliegenden Fall. Denn der Kläger hat das Vorhandensein geeigneter freier Arbeitsplätze nicht dargelegt.
(a) Die klägerische Auffassung als richtig unterstellt, kann sich die Prüfpflicht von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zur Vermeidung einer Probezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nur auf freie Arbeitsplätze beziehen. Auch der
EuGH spricht nur von freien Arbeitsplätzen (
EuGH 10.02.2022 – C-485/20 – Juris Rn. 48). Übertragen in das deutsche Kündigungsrecht kann die
EuGH-Rechtsprechung allenfalls zu einer Prüfpflicht bezogen auf freie Stellen führen (so auch Brockmann/Gundt ZESAR 2023, 33–40, unter VII). Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit dem Zumutbarkeitsvorbehalt in § 164
Abs. 4 Satz 3
SGB IX. Der Zumutbarkeitsvorbehalt des Beschäftigungsanspruchs schwerbehinderter Menschen steht dem Erfordernis einer Freikündigung besetzter Arbeitsplätze zugunsten schwerbehinderter Menschen entgegen.
(b) Die Darlegungslast bezogen auf die Darstellung freier Stellen trifft den Kläger.
Denn für Tatsachen, aus denen sich eine Treuwidrigkeit der Kündigung ergeben soll, trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast (
BAG 28.06.2007, 6 AZR 750/06 – Juris Rn. 31). Für das Nichtanbieten eines freien Arbeitsplatzes als Beleg für die Treuwidrigkeit der Kündigung innerhalb der Wartezeit trüge daher der Kläger die Darlegungslast. Und für das nicht erfolgte Angebot eines freien Arbeitsplatzes als Indiz für eine diskriminierende Kündigung ist ebenfalls der Kläger darlegungspflichtig. Denn die Tatsachen, die eine diskriminierende Kündigung indizieren sollen, hat nach
§ 22 AGG derjenige vorzutragen - und zu beweisen - der sich auf diese Indizien beruft (
vgl. BAG 23.11.2023 –
8 AZR 164/22 - Rn. 23;
BAG 14.06.2023 –
8 AZR 136/22 – Rn. 20/21). Erst nach Darlegung entsprechender Indizien kann es zu der im Gesetz angelegten Umkehr der Beweislast kommen.
Auch im Zusammenhang mit der Prüfung von Beschäftigungsmöglichkeiten im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes hat der Arbeitnehmer freie Stellen zu benennen. Zwar ist der Arbeitgeber für das Fehlen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten gemäß § 1
Abs. 2 Satz 4
KSchG darlegungs- und beweispflichtig. Allerdings gilt eine abgestufte Darlegungslast (
BAG 29.08.2013 - 2 AZR 721/12 – Beck-online Rn. 19; KR-Rachor. 13. Auflage 2022, § 1
KSchG Rn. 588). Der Arbeitnehmer hat daher im Rahmen seiner abgestuften Darlegungslast konkret darzustellen, wie und wo eine solche Beschäftigung möglich sein soll und dass ein entsprechender Arbeitsplatz frei
bzw. jedenfalls absehbar frei wird (
vgl. BAG 29.08.2013 - 2 AZR 721/12 - Beck-Online Rn. 21).
Im Ergebnis hätte daher der Kläger darstellen müssen, dass in den von ihm angeführten Einsatzbereichen freie Arbeitsplätze vorhanden gewesen wären. Einen solchen Vortrag zu freien Arbeitsplätzen hat der Kläger entgegen der ihn treffenden Pflicht nicht gehalten. Bereits die erste Instanz hatte im Urteil das Erfordernis angesprochen, den Vortrag der Beklagten zu dem Fehlen anderweitiger Arbeitsplätze zu bestreiten. Die Problematik des Vorliegens freier Arbeitsplätze war auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz. Zwar hat der Kläger mit seiner Berufungsbegründung Einsatzmöglichkeiten bei der Beklagten und Weiterbildungsmöglichkeiten angeführt. Dass diese Arbeitsplätze auch frei gewesen wären, hat er jedoch nicht dargestellt. Dem Einwand der Beklagten, sie hätte einen solchen Arbeitsplatz freikündigen müssen, ist der Kläger nicht konkret entgegengetreten.
cc) Die streitgegenständliche Kündigung ist auch nicht gemäß § 134
BGB in Verbindung mit § 164
Abs. 2 Satz 1
SGB IX wegen Nichtdurchführens eines Präventionsverfahrens gemäß § 167
Abs. 1
SGB IX unwirksam.
(1) Allerdings hat die Beklagte nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz ein Präventionsverfahren gemäß § 167
Abs. 1
SGB IX unter Beteiligung jedenfalls des Integrationsamts nicht durchgeführt.
(2) Die erkennende Kammer ist allerdings der Auffassung, dass die Beklagte vor Ablauf der Wartezeit in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses nicht verpflichtet war, ein Präventionsverfahren durchzuführen.
(a) Die Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 167
Abs. 1
SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung (so zu der Vorgängerregelung des
§ 84 Abs. 1 SGB IX:
BAG 28.06.2007 - 6 AZR 750/06 – Juris Rn. 37). Das Gesetz ordnet eine solche Rechtsfolge nicht an. § 167
SGB IX steht nicht im Kapitel Kündigungsschutz. Auch der Zweck des § 167
Abs. 1
SGB IX fordert diese Rechtsfolge nicht. Durch die dem Arbeitgeber auferlegten besonderen Verhaltenspflichten in § 167
Abs. 1
SGB IX soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden. Ziel der gesetzlichen Prävention ist die frühzeitige Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu erreichen (
BAG 28.06.2007 - 6 AZR 750/06 – Juris Rn. 37).
§ 167
Abs. 1
SGB IX ist vielmehr eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Auch wenn das Klärungsverfahren selbst im Verhältnis zur Kündigung keine mildere Maßnahme ist, dient es doch zur Feststellung der Umstände, aufgrund derer eine Kündigung durch andere, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende Maßnahme vermieden werden kann. Nichts Anderes gilt für das in § 167
Abs. 2 geregelte betriebliche Eingliederungsmanagement. Da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung keine Anwendung findet und § 167
SGB IX den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert, hat die unterbliebene Durchführung der dort genannten Verfahren keine kündigungsrechtlichen Folgen für Kündigungen, die innerhalb der Wartezeit erfolgen. Selbst wenn der Arbeitgeber die Verfahren nach § 167
Abs. 1 und
Abs. 2
SGB IX durchführt, ist er innerhalb der Wartezeit des § 1
Abs. 1
KSchG nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer aufgrund der hierbei gewonnenen Erkenntnisse zur Vermeidung einer Kündigung auf einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen (
BAG 28.06.2007 - 6 AZR 750/06 – Juris Rn. 38).
Dieses aus dem gesetzlichen Gesamtzusammenhang hergeleitete Auslegungsergebnis findet im Wortlaut des § 167
Abs. 1
SGB IX Anklang. Dort wird mit dem Begriff der „personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten“ Schwierigkeiten an die Terminologie des
KSchG, nämlich an die in § 1
Abs. 2
KSchG verwendeten Begriffe „Gründe … in der Person“, „Gründe … in dem Verhalten“ und „dringende betriebliche Erfordernisse“ angeknüpft (s. zu
§ 84 Abs. 1 SGB IX BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 – Rn. 28;
BAG 28.06.2007 – 6 AZR 750/06 – Juris Rn. 39). Soweit § 167
Abs. 1
SGB IX - anders als § 1
Abs. 2
KSchG - nicht das Vorliegen von Kündigungsgründen fordert, sondern Schwierigkeiten und damit Unzuträglichkeiten, die noch nicht den Charakter von Kündigungsgründen aufweisen, ausreichen lässt, beruht dies darauf, dass das in § 84
Abs. 1
SGB IX geregelte Verfahren ein präventives Verfahren ist, das dem Entstehen von Kündigungsgründen zuvorkommen soll (
vgl. BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 – Rn. 28;
BAG 07.12.2006 -
2 AZR 182/06 - Rn. 30).
In der Wartezeit nach § 1
Abs. 1
KSchG kommt es auf einen Kündigungsgrund iSv. § 1
Abs. 2
KSchG indes nicht an. Vielmehr sollen die Parteien während dieser Zeit prüfen können, ob sie sich dauerhaft vertraglich binden wollen. Die Bindung des Arbeitgebers während der Wartezeit nach § 1
Abs. 1
KSchG ist mit Rücksicht auf seinen Grundrechtsschutz nach
Art. 12
GG gering ausgeprägt. Der Arbeitgeber kann aus Motiven kündigen, die weder auf personen-, verhaltens- noch betriebsbedingten Erwägungen beruhen, solange die Kündigung nicht aus anderen Gründen (zB §§ 138, 242
BGB) unwirksam ist. Es bedarf noch nicht einmal irgendwie gearteter „Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis“ iSv. § 167
Abs. 1
SGB IX (s.
BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 – Rn. 29).
Das verdeutlicht, dass ein Unterbleiben des Präventionsverfahrens nur dann kündigungsrechtliche Folgen haben kann, wenn das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist und ein nach § 1
Abs. 2 Satz 1
KSchG geeigneter Kündigungsgrund vorliegt. Entsprechendes gilt für das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 167
Abs. 2
SGB IX. Auch dort wird mit dem Erfordernis einer 6-wöchigen Arbeitsunfähigkeit an die vom
BAG entwickelten Voraussetzungen der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung angeknüpft. Hinzu kommt, dass gemäß § 173
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX der präventive Kündigungsschutz Schwerbehinderter nicht für Kündigungen gilt, die in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Das Integrationsamt ist in diesen Fällen vor Ausspruch der Kündigung nicht zu beteiligen. Der Arbeitgeber hat solche Kündigungen nach § 173
Abs. 3
SGB IX nur innerhalb von vier Tagen dem Integrationsamt anzuzeigen (
BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 – Rn. 30;
BAG 28.06.2007 – 6 AZR 750/06 – Juris Rn. 39).
Im Ergebnis ist daher der Arbeitgeber während der Wartezeit iSv. § 1
Abs. 1
KSchG nicht verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167
Abs. 1
SGB IX durchzuführen. Die Kammer schließt sich diesbezüglich der Argumentation des Bundesarbeitsgerichts an (zur Vorgängerregelung des § 84
Abs. 1
SGB IX:
BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 – Rn. 27
ff.;
BAG 28.06.2007 – 6 AZR 750/06 – Juris Rn. 37-39).
(b) Auch unter Berücksichtigung der Rahmenrichtlinie 2000/78/
EG vom 27.11.2000 (
ABl. EG Nummer L 303 vom 02.12.2000
S. 16) ergibt sich kein anderes Ergebnis.
Zunächst stellt das Präventionsverfahren keine „angemessene Vorkehrung“ im Sinne von
Art. 5 der Richtlinie 2000/78/
EG dar. Die erkennende Kammer schließt sich diesbezüglich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (
BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 - Rn. 21
ff. – zu § 84
Abs. 1
SGB IX) an, wonach das Präventionsverfahren selbst keine im konkreten Einzelfall geeignete, erforderliche und dem Arbeitgeber zumutbare materielle oder organisatorische Maßnahme beschreibt, sondern lediglich ein Verfahren, dessen Ziel es ist, frühzeitig zu ermitteln, worauf die Schwierigkeiten im Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis im konkreten Einzelfall zurückzuführen sind und ob und
ggf. welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um das Ziel zu erreichen, das Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortzusetzen.
Davon abgesehen sind bei der Prüfung angemessener Vorkehrungen zum Schutz vor Entlassungen behinderter Menschen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung auch Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber muss die Möglichkeit zur Erprobung des Mitarbeiters haben. Der besondere Kündigungsschutz nach § 168
ff. SGB IX nimmt hierauf Rücksicht, indem er erst nach Ablauf von sechs Monaten greift. Die Annahme kündigungsrechtlicher Konsequenzen bei der unterbliebenen Durchführung des Präventionsverfahren oder des betrieblichen Eingliederungsmanagements (§ 167
Abs. 1 und
Abs. 2
SGB IX) in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses hätte demgegenüber unangemessene Folgen. Sie würden zu einem Einstellungshinternis führen, weil der Arbeitgeber nicht mehr frei wäre, die konkrete Einsatzmöglichkeit des Arbeitnehmers in seinem Betrieb zu erproben. Das Erfordernis der Durchführung eines Präventionsverfahrens würde zudem die Erprobungsdauer von sechs Monaten verkürzen, da ein Prüfverfahren unter Einbindung externer Stellen wie dem Integrationsamt in aller Regel zeitaufwändig sein dürfte.
Die Kammer folgt nicht der Auffassung des Arbeitsgerichts Köln (Entscheidung vom 20.12.2023 -
18 Ca 3954/23 - Juris), wonach in Folge einer unionsrechtskonformen Auslegung und entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Arbeitgeber auch während der Wartezeit des § 1
Abs. 1
KSchG die Pflichten des § 167
Abs. 1
SGB IX einzuhalten habe. § 167
SGB IX diene – so das Arbeitsgericht Köln - der Umsetzung und Stärkung der in § 164
Abs. 4
SGB IX geregelten Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer auf leidensgerechte Beschäftigung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes. Eine Beschränkung der Verpflichtung zur Durchführung eines Präventionsverfahrens auf den Zeitraum nach Ablauf der Wartezeit ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch der Systematik der Norm. Vielmehr gebiete die unionsrechtskonforme Auslegung, dass Präventionsmaßnahmen unter Einschaltung der benannten Stellen stets zu ergreifen seien, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis sichtbar sind, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Eine generelle Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 167
Abs. 1
SGB IX für Arbeitsverhältnisse nach Ablauf der kündigungsschutzrechtlichen Wartefrist würde den Anforderungen des
Art. 5 RL 2000/78 nicht genügen. Denn auch der
EuGH (Urteil vom 10.02.2022 – C-485/20) habe verbindlich festgestellt, dass die Vorgaben der Richtlinie ungeachtet dessen anzuwenden sind, dass ein Arbeitnehmer zum Zeitpunkt seiner Entlassung "kein endgültig eingestellter Bediensteter" war. Da ein Verstoß des Arbeitgebers gegen 167
Abs. 1
SGB IX eine Benachteiligung wegen der Behinderung gemäß § 164
Abs. 2
SGB IX indiziere, ergebe sich die Unwirksamkeit einer Probezeitkündigung ohne Durchführung eines Präventionsverfahrens aus § 134
BGB.
Dem Arbeitsgericht ist zuzugeben, dass sich eine Beschränkung des 167
Abs. 1
SGB IX auf den Zeitraum nach Ablauf der Wartezeit aus dem Wortlaut und der unmittelbaren Stellung der Norm im Gesetz nicht ergibt. Nur für das auf § 167
SGB IX folgende Kapitel gilt § 173
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX. Mit den oben dargestellten weiteren systematischen Erwägungen seiner am Wortlaut der Norm orientierten Auslegung kommt das
BAG gleichwohl zu dem Ergebnis, dass erst nach Eingreifen des allgemeinen Kündigungsschutzes Präventionsmaßnahmen verpflichtend zu ergreifen sind. An dieser Argumentation ist festzuhalten.
Ein anderes Verständnis würde zu dem Paradoxon führen, dass außerhalb der Wartezeit der bloß formelle Verstoß gegen die Pflichten des § 167
Abs. 1
SGB IX nach § 164
Abs. 2
SGB IX, § 134
BGB wegen § 22
AGG in aller Regel zu einem kaum zu widerlegenden Unwirksamkeitsgrund führen würde, wohingegen das Präventionsverfahren – ebenso wie das bEM-Verfahren nach § 167
Abs. 2
SGB IX - nach Einsetzen des allgemeinen Kündigungsschutzes allenfalls im Rahmen der Sozialwidrigkeit und der Verhältnismäßigkeitsprüfung Berücksichtigung finden könnte. Dies hängt mit dem Verhältnis von Kündigungsschutz und Diskriminierungsschutz zusammen. § 2
Abs. 4
AGG ist dahingehend zu verstehen, dass die Diskriminierungsvorgaben des
AGG – und damit auch § 7
AGG und § 164
Abs. 2
SGB IX – nach Einsetzen des allgemeinen Kündigungsschutzes durch das spezielle Kündigungsschutzsystem überlagert werden und als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit in den allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1
Abs. 2
KSchG einfließen (
BAG 06.11.2008 – 2 AZR 523/07 – Rn. 34
ff.). Auf Kündigungen vor Ablauf der Wartezeit findet
§ 2 Abs. 4 AGG demgegenüber keine Anwendung. Diskriminierungsverbote des
AGG kommen bei Wartezeitkündigungen unmittelbar zur Anwendung und erlangen über die zivilrechtlichen Generalklauseln
bzw. nach § 134
BGB Geltung (s. dazu
BAG 19.12.2013 - 6 AZR 190/12 – Rn. 22
ff.). Den Verstoß gegen § 167
Abs. 1
SGB IX als Diskriminierungsverbot anzunehmen und über § 134
BGB als Unwirksamkeitsgrund anzusehen, wäre dem Sanktionssystem des
SGB IX fremd. § 168
SGB IX sieht das Erfordernis einer vorherigen Kündigung vor und
§ 178 Abs. 2 Satz 3 SBG IX ordnet die Unwirksamkeit der Kündigung ausdrücklich an. Demgegenüber ist die Durchführung des Präventionsverfahrens – wie oben dargestellt – gerade kein formelles Wirksamkeitserfordernis für eine Kündigung und systematisch nicht als Teil des Kündigungsschutzes anzusehen. Erst durch eine Ausdehnung der Pflicht nach § 167
Abs. 1
SGB IX auf die ersten sechs Monate in Verbindung mit dem nach
Art. 2
Abs. 4
AGG eröffneten Indizcharakter von Verfahrensverstößen würde das Präventionsverfahren – nur! – für Kündigungen vor Ablauf der Wartezeit über §§ 164
Abs. 2, 134
BGB und § 22
AGG faktisch zu einer formellen Wirksamkeitsvoraussetzung. Dies ist nach Auffassung der Kammer mit dem Sanktionssystem im
SGB IX nicht zu vereinbaren und europarechtlich nicht geboten. Zwar deutet das Bundesarbeitsgericht an, dass eine Besserstellung von Arbeitnehmern außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes in Anbetracht einer potentiell diskriminierenden Kündigung insbesondere durch die direkte Anwendbarkeit von § 22
AGG nur die Konsequenz der Überlagerung des nationalen Kündigungsschutzrechts durch das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union sei (s.
BAG 19.12.2013 – 6 AZR 190/12 - Rn. 41). Der aufgezeigte Wertungswiderspruch im Sanktionssystem geht nach Auffassung der Kammer jedoch über das hinaus, was als Konsequenz der europarechtlichen Überlagerung hinnehmbar wäre.
Und aus der Entscheidung des
EuGH folgt ein solches Gebot nicht. Eine Aussage des
EuGH dazu, dass der Arbeitgeber sämtliche Verfahrensvorgaben zugunsten schwerbehinderter Menschen auch während der Wartezeit einzuhalten hätte, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Vielmehr stellt der
EuGH die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ausdrücklich unter den Vorbehalt, dass keine unverhältnismäßige Belastung des Arbeitgebers eintritt. Wegen des Erprobungsinteresses des Arbeitgebers spricht vieles dafür, eine voraussetzungslose Pflicht des Arbeitgebers, bei jeder Probezeitkündigung eines schwerbehinderten Menschen, der sich auf seiner Stelle nicht bewährt, die Durchführung eines Präventionsverfahrens unter Einschluss des Integrationsamts und
ggf. weiterer vorhandener Gremien zu verlangen, als unverhältnismäßig anzusehen.
C. Die Kostentragungspflicht des Klägers folgt aus § 97
Abs. 1
ZPO.
D. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 72
Abs. 2
Nr. 1
ArbGG zuzulassen. Die Frage, welche Auswirkung die Entscheidung des
EuGH vom 10.02.2022 (C-485/20) für das deutsche Kündigungsrecht gegenüber schwerbehinderten Menschen hat, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Auch scheint klärungsbedürftig, ob an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dazu, dass das Präventionsverfahren nach § 167
Abs. 1
SGB IX in den ersten sechs Monaten des Beschäftigungsverhältnisses nicht durchgeführt werden muss, auch vor dem Hintergrund europarechtlicher Anforderungen und dem Urteil des
EuGH festgehalten werden kann.