Urteil
Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch eines schwerbehinderten Bewerbers im Rentenalter

Gericht:

ArbG Koblenz 6. Kammer


Aktenzeichen:

6 Ca 461/24


Urteil vom:

13.08.2024


Grundlage:

Leitsatz:

1. Lädt ein dem TVöD unterfallender öffentlicher Arbeitgeber einen schwerbehinderten Bewerber in Ansehung der Regelungen des § 33 Abs. 1 lit. a) und Abs. 5 TVöD nicht zum Vorstellungsgespräch ein, weil der Bewerber das Eintrittsalter für die gesetzliche Regelaltersrente erreicht hat, liegt darin jedenfalls dann keine Diskriminierung wegen des Alters, wenn der Personalbedarf des Arbeitgebers durch die Einstellung eines anderen Bewerbers gedeckt werden kann, der die Altersgrenze noch nicht erreicht hat und die geforderten Qualifikationen aufweist. Dies gilt unabhängig davon, ob der abgelehnte Bewerber zuvor bei einem dem TVöD nicht unterfallenden Arbeitgeber beschäftigt war.

2. Liegen diese Voraussetzungen vor, fehlt es ebenso an einer Diskriminierung des abgelehnten Bewerbers wegen seiner Schwerbehinderung. Die Entscheidung des Arbeitgebers, im Rentenalter befindliche Bewerber nicht in das Bewerbungsverfahren einzubeziehen, unterfällt seinem organisatorischen Ermessen und ist der die fachliche Eignung betreffenden späteren Auswahlentscheidung vorgelagert. Nur Letztere wird aber vom Schutzzweck der in § 165 Satz 3 SGB IX vorgesehenen Verpflichtung erfasst, einen schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, um ihm Gelegenheit zu geben, den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung zu überzeugen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Landesrecht Rheinland-Pfalz

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Der Streitwert wird auf 7.728,87 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Der Beklagte, ein öffentlich-rechtlicher Eigenbetrieb des W-kreises, schrieb im Sommer 2023 eine zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu besetzende Stelle als „Verwaltungsangestellte (m/w/d)“ in Vollzeit aus, befristet für 24 Monate und vergütet nach Entgeltgruppe E5 TVöD-VKA. In der Stellenausschreibung heißt es u.a.:

„Die Vergütung der ausgeschriebenen Stelle richtet sich nach dem TVöD mit Aufstiegsmöglichkeiten bei entsprechender Leistung und tariflicher Bewertung. Zudem erhalten Sie die im öffentlichen Dienst üblichen Sozialleistungen. Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung und Qualifikation bevorzugt.“

Hierauf bewarb sich mit Schreiben vom 11.09.2023 der am ------1956 geborene Kläger, der zu diesem Zeitpunkt das Eintrittsalter für die gesetzliche Regelaltersrente erreicht hatte und seit einigen Jahren Erwerbsminderungsrente aufgrund seiner Schwerbehinderung bezog. In seinem Anschreiben wies er darauf hin, seine anerkannte Schwerbehinderung wirke sich auf seine künftige Tätigkeit nicht aus. Seinen Schwerbehindertenausweis fügte er den Bewerbungsunterlagen bei. Am 25.09.2023 erhielt er vom Beklagten eine Absage mit der Begründung, man habe sich für einen anderen Bewerber entschieden. Auf seine Bitte vom 11.10.2023, ihm die Gründe für die Ablehnung mitzuteilen, erfolgte keine Reaktion. Daraufhin machte der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2023 eine Diskriminierungsentschädigung mit der Begründung geltend, er sei entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, darin liege ein gravierender Verstoß gegen die Diskriminierungsvorschriften zum Schutz schwerbehinderter Menschen. Mit Schreiben vom 07.12.2023 teilte ihm der Beklagte mit, ausweislich der Stellenausschreibung habe sich das zu begründende Arbeitsverhältnis nach dem TVöD mit entsprechenden Aufstiegsmöglichkeiten richten sollen. Die Regelungen des TVöD sähen aber eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Monats vor, in dem die Beschäftigten das gesetzlich festgesetzte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet hätten. Dies sei bei ihm im Mai 2023 der Fall gewesen. Mit Schreiben vom 09.12.2023 teilte der Kläger mit, an seinem Begehren festzuhalten. Gleiches erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 20.12.2023 hinsichtlich seiner Rechtsauffassung.

Der Kläger vertritt die Ansicht, ihm stehe eine Entschädigung nach den Regelungen des AGG zu, da er wegen seines Alters und seiner Schwerbehinderung vom Beklagten diskriminiert worden sei. Nach § 165 Satz 3 SGB IX hätte er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen. Dass dies nicht geschehen sei, indiziere gem. § 22 AGG eine Diskriminierung. Zudem liege eine Altersdiskriminierung darin, dass der Beklagte ihn wegen seines Alters nicht berücksichtigt habe. Zu Unrecht berufe er sich auf § 33 Abs. 1 lit. a) TVöD. Diese Norm regle nicht die Einstellung, sondern die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die tariflichen Regelungen enthielten keine Höchstaltersgrenze für die Einstellung und rechtfertigten selbst im Falle einer zulässigen Altersgrenzenregelung nicht, Bewerber im Rentenalter gar nicht erst in die Auswahl für eine ausgeschriebene Stelle mit einzubeziehen. Diesen dürfe nicht die Chance genommen werden, den Arbeitgeber von ihrer Bewerbung zu überzeugen.


Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Entschädigung in Höhe von 7.728,87 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.12.2023 zu zahlen.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, da der TVöD die Arbeitsverhältnisse mit Erreichen des gesetzlichen Regelrentenalters enden lasse, hätte er den Kläger nicht einstellen dürfen bzw. wäre ein gleichwohl begründetes Arbeitsverhältnis bereits nach einer juristischen Sekunde gem. § 33 Abs. 1 lit. a) TVöD umgehend wieder beendet worden. Weiter trägt er vor, mit der Schwerbehinderung des Klägers habe seine Absage nichts zu tun. Diese beruhe vielmehr auf dem Umstand, dass der Kläger das gesetzliche Regelrenteneintrittsalter erreicht gehabt habe. Zudem weise sein Lebenslauf lange Zeiten von Arbeitslosigkeit sowie nicht erklärbare Lücken auf, woraus eine im Vergleich zu den anderen Bewerbern erheblich schlechtere Eignung und Qualifikation folge. Vor diesem Hintergrund sei man zu dem Ergebnis gelangt, dass er offensichtlich ungeeignet sei. Schließlich sei sein Klagebegehren rechtsmissbräuchlich. Schon Google schlage bei der Eingabe seines Namens die automatische Vervollständigung „AGG-Hopper“ vor. So habe der Kläger in der Vergangenheit zahlreiche Diskriminierungsentschädigungsverfahren geführt (was unstreitig ist). Dies zeige, dass er lediglich die formale Bewerberstellung erlangen wolle, um dann eine Diskriminierungsentschädigung geltend zu machen. Dafür spreche auch, dass er bei seiner Bewerbung keine Gehaltsvorstellung angegeben und sich mit den in der Stellenausschreibung genannten Kriterien der praktischen Erfahrung im Bereich der öffentlichen Verwaltung sowie der Bereitschaft zur Fortbildung und Qualifikation in der öffentlichen Verwaltung überhaupt nicht oder nur fadenscheinig auseinandergesetzt habe. Zudem lebe er in D-Stadt. Es sei kein Grund für einen Umzug ersichtlich, sei er doch durch seine Rente ausreichend abgesichert.

Demgegenüber trägt der Kläger vor, seine Bewerbung sei ebenso wie die in der Vergangenheit sehr wohl ernst gemeint gewesen. Soweit ihm die Möglichkeit hierzu eröffnet worden sei, habe er seine Bewerbungen in verschiedenen Bundesländern bis in die Vorstellungsgespräche hinein verfolgt, um die entsprechenden Stellen zu erlangen. Wenn er von potentiellen Arbeitgebern Diskriminierungsentschädigungen verlangt habe – teilweise erfolgreich, teilweise nicht – habe er damit lediglich seine gesetzlichen Rechte wahrgenommen. Auch wenn er eine Rente beziehe, wolle er seine Lebenssituation verbessern. Daher bewerbe er sich – ernsthaft – auch auf räumlich entferntere Stellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Dem Kläger steht kein Entschädigungsanspruch zu.

1. Der Kläger hat seinen Anspruch gegenüber dem Beklagten form- und fristgerecht iSv § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht. Die Absage auf seine Bewerbung erhielt er am 25.09.2023, Entschädigungsansprüche erhob er mit Schreiben vom 17.11.2023.

2. Seine Klage wahrte die Frist des § 61b Abs. 1 ArbGG. Die außergerichtliche schriftliche Geltendmachung erfolgte mit Schreiben vom 17.11.2023, der gem. § 167 ZPO maßgebliche Klageeingang bei Gericht – die Zustellung erfolgte „demnächst“ – datiert vom 16.02.2024.

3. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet.

a) Der Beklagte ist Arbeitgeber iSv § 6 Abs. 2 AGG. Darunter fallen auch Personen, die um Bewerbungen für ein Arbeitsverhältnis bitten (BAG 19.08.2010 – 8 AZR 466/09 – Rn. 30; 27.01.2011 – 8 AZR 580/09 – Rn. 21, juris).

b) Der Kläger als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis gilt gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG als Beschäftigter iSv § 6 Abs. 1 Satz 1 AGG. Ob seine Bewerbung subjektiv nicht ernst gemeint war, sondern in rechtsmissbräuchlicher Weise zur Erlangung eines Entschädigungsanspruchs eingesetzt wurde, ist für den formalen Bewerberstatus iSv § 6 Abs. 1 AGG irrelevant.

4. Das Begehren des Klägers ist nicht rechtsmissbräuchlich.

a) Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern sich eine Person nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber iSv § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 48; 31.03.2024 – 8 AZR 238/21 – Rn. 37 ff., juris). Für das Vorliegen der Voraussetzungen, die die Einwendung des Rechtsmissbrauchs begründen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet (BAG 31.10.2022 – 8 AZR 238/21 – Rn. 39, juris). Er muss deshalb Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den rechtshindernden Einwand begründen.

b) An entsprechendem hinreichenden Sachvortrag des Beklagten fehlt es jedoch.

aa) Entsprechender Vortrag wird nicht schon dadurch entbehrlich, dass die Autovervollständigungsfunktion von Google dem Klarnamen des Klägers wohl den Begriff AGG-Hopper hinzufügt. Dass dies eine gerichtliche Bewertung beeinflussen oder die „Bewertung“ der Suchmaschine den Beklagten von substantiiertem Sachvortrag entbinden würde, kann der Beklagte nicht ernsthaft erwarten.

bb) Dass der Kläger in der Vergangenheit eine Vielzahl an Bewerbungen verfasst hat, lässt für sich genommen noch nicht darauf schließen, er sei in Wahrheit gar nicht daran interessiert gewesen, eine der ausgeschriebenen Stellen auch zu erhalten. Davon ist nur dann auszugehen, wenn von vornherein der Wille des Bewerbers fehlt, die ausgeschriebene Stelle tatsächlich einzunehmen, während in Wirklichkeit nur eine Entschädigung angestrebt wird (BAG 16.09.2008 –9 AZR 791/07 – Rn. 57; 21.07.2009 – 9 AZR 431/08 Rn. 50, juris). Ein solches Vorgehen des Klägers kann ebenso dafür sprechen, dass er eine neue berufliche Herausforderung und finanzielle Absicherung bzw. – in Anbetracht der bezogenen Rente – Verbesserung seiner Lebenssituation suchte und es ihm daher mit seinen Bewerbungen in der Vergangenheit wie auch mit seiner hier streitgegenständlichen Bewerbung durchaus ernst gemeint war (vgl. BAG 26.01.2017 – 8 AZR 848/13 – Rn. 143; 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 52, juris).

cc) Der weitere Einwand, der Kläger habe sich in mehreren Bewerbungsverfahren mit nahezu identischer Begründung beworben, ist für sich betrachtet ebenfalls nicht geeignet, den Einwand des Rechtsmissbrauchs zu begründen (BAG 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 53, juris).

aaa) Zum einen ist das diesbezügliche Vorbringen des Beklagten bereits vollkommen unsubstantiiert, da weder ersichtlich wird, auf welche und wie viele Bewerbungsverfahren des Klägers er sich berufen will, noch, worin die Bewerbungsunterlagen übereingestimmt hätten und worin sie sich bei ernsthaftem Bewerbungswillen nach Meinung des Beklagten hätten unterscheiden sollen. Zudem ändert sich an manchen maßgeblichen Unterlagen wie etwa dem Lebenslauf oder dem beruflichen Werdegang / Curriculum (wie im übrigen auch der Schwerbehinderteneigenschaft) naturgemäß nichts, weshalb diese Angaben nicht individuell für den jeweiligen potentiellen neuen Arbeitgeber angepasst werden müssen. Selbst hinsichtlich der auf die auf den jeweiligen Arbeitgeber zugeschnittenen Bewerbungsanschreiben ist nicht erkennbar, in welchem Maße sich diese in welchen Punkten voneinander hätten unterscheiden müssen, damit der Beklagte einen ernsthaften Bewerbungswillen des Klägers annehmen wollte.

bbb) Zum anderen mag der Umstand, wie viel Mühe sich ein Bewerber mit seinem Anschreiben und den weiteren Bewerbungsunterlagen gibt, wie ansprechend seine Präsentation ist und wie eindringlich und überzeugend er sein Interesse an der ausgeschriebenen Stelle bekundet, für die konkrete Auswahlentscheidung des Arbeitgebers von Bedeutung sein. Es existiert indes weder ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass nur derjenige, der ein solches Bewerbungsschreiben verfasst, an der Stelle interessiert ist, noch der gegenteilige Erfahrungssatz, dass derjenige, dessen Bewerbungsschreiben diesen Vorgaben nicht entspricht, sich nur mit dem Ziel bewürbe, die formale Position des Bewerbers iSv § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machen zu können (BAG 26.01.2017 – 8 AZR 848/13 – Rn. 136; 31.03.2022 – 8 AZR 238/21 – Rn. 47; 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 53, juris).

dd) Ebenso wenig steht dem Entschädigungsanspruch der Umstand entgegen, dass der Kläger in der Vergangenheit eine Vielzahl von Entschädigungsklagen gegen öffentliche Arbeitgeber angestrengt haben soll, denn auch darin liegt für sich genommen noch kein ausreichendes Indiz für eine nicht ernsthafte Bewerbung. Ein Bewerber ist nicht daran gehindert, aus seiner Sicht bestehende, ihm durch das Gesetz eingeräumte Rechte wie eben auch den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wahrzunehmen und vor Gericht zu verfolgen, wenn er die Voraussetzungen als gegeben erachtet (BAG 21.07.2009 – 9 AZR 431/08 – Rn. 52, juris).

In der letzten mündlichen Verhandlung haben die Parteien übereinstimmend erklärt, manche der vom Kläger angestrengten Verfahren seien für ihn erfolglos verlaufen, andere hätten hingegen zu einer Entschädigungszahlung geführt. Vor diesem Hintergrund und insbesondere vor der hier streitentscheidenden, höchstrichterlich noch nicht geklärten Frage, ob ein sich bereits im Rentenalter befindlicher schwerbehinderter Bewerber vom öffentlichen Arbeitgeber zumindest zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden muss, durfte der Kläger eine entsprechende Rechtsverletzung in Betracht ziehen und versuchen, die ihm für diesen Fall zustehenden gesetzlichen Rechte aus § 15 Abs. 2 AGG wahrzunehmen. Darin liegt nichts Anstößiges.

ee) Dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Bewerbung bereits eine Rente bezog, steht einer ernst gemeinten Bewerbung nicht entgegen. Ob der Kläger mit seiner Rente – deren Höhe der Beklagte zwar als auskömmlich bezeichnet, jedoch noch nicht einmal beziffert hat – zufrieden ist und diese für seine Lebenssituation als genügend betrachtet, obliegt seiner Beurteilung und nicht der Wertung des Beklagten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt ebenso wenig von der finanziellen Situation eines Stellenbewerbers ab wie die gesetzlichen Diskriminierungsverbote.

ff) Auch der Umstand, dass der Kläger in D-Stadt wohnt und die vom Beklagten ausgeschriebene Stelle in deutlicher Entfernung dazu liegt, indiziert kein rechtsmissbräuchliches Verhalten. Der Kläger hat mehrere konkrete Vorstellungsgespräche in verschiedenen Bundesländern von Februar bis August 2023 benannt und damit dargelegt, dass er Einladungen auch über weite Entfernungen Folge geleistet hat. Dass der Beklagte dies pauschal bestreitet, genügt insoweit nicht, denn es liegt an ihm, seinen Einwand des Rechtsmissbrauchs durch hinreichende Indizien zu begründen. Zudem ist es nachvollziehbar, dass ein Bewerber, der in der Nähe keinen Arbeitsplatz findet, sich im weiteren räumlichen Umkreis umsieht und dort nach Stellenangeboten sucht. Dies kann ebenso gut dafür sprechen, dass er ernsthaft an der Aufnahme einer Arbeit interessiert ist.

gg) Auch eine Gesamtschau der aus Sicht des Beklagten für einen Rechtsmissbrauch sprechenden Umstände lässt das Entschädigungsverlangen des Klägers nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Es kann nicht angenommen werden, dass er nicht jedenfalls auch daran interessiert war, einen passenden Arbeitsplatz zu finden. Dafür spricht nicht zuletzt, dass er noch im Sommer 2022 eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst beim Finanzamt X-Stadt angetreten und sich von Februar bis August 2023 zu Vorstellungsgesprächen im Bereich des öffentlichen Dienstes in Lampertheim (Hessen), Siegburg (Nordrhein-Westfalen), Erfurt (Thüringen), Stade (Niedersachsen), Frankfurt a.M. (Hessen) und Bayreuth (Bayern) eingefunden hat.

c) Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers liegt damit nicht vor.

5. Ein Entschädigungsanspruch steht ihm gleichwohl nicht zu, denn es fehlt an einer Diskriminierung durch den Beklagten.

a) Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG unmittelbare wie auch mittelbare Benachteiligungen iSv § 3 Abs. 1, 2 AGG erfasst. Er untersagt in seinem Anwendungsbereich eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals, unter anderem wegen des Alters oder einer Behinderung.

b) Zwischen der Benachteiligung und einem der in § 1 AGG genannten verpönten Merkmale muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Dieser ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen solchen Grund anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG 23.11.2017 – 8 AZR 372/16 – Rn. 20; 25.11.2021 – 8 AZR 313/20 – Rn. 22 f., juris). Für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf einen solchen Kausalzusammenhang sieht § 22 AGG eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, welche eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 25.10.2018 – 8 AZR 501/14 – Rn. 51; 25.11.2021 – 8 AZR 313/20 – Rn. 24; 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 42; 23.11.2023 – 8 AZR 164/22 – Rn. 23, juris). Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt, wobei in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts alle Umstände des Rechtsstreits zu berücksichtigen sind (BAG 17.12.2009 – 8 AZR 670/08 – Rn. 19; 22.07.2010 – 8 AZR 1012/08 – Rn. 65; 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 – Rn. 54; 26.01.2017 – 8 AZR 736/15 – Rn. 30; 25.11.2021 – 8 AZR 313/20 – Rn. 25; 23.11.2023 – 8 AZR 164/22 – Rn. 23, juris). Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist.

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger keine Diskriminierung durch den Beklagten erfahren.

aa) Im Hinblick auf seine Schwerbehinderung ist er schon nicht benachteiligt worden.

aaa) Unstreitig wurde der schwerbehinderte Kläger vom Beklagten zu keinem Vorstellungsgespräch eingeladen, obgleich § 165 Satz 3 SGB IX vorsieht, dass eine solche Einladung zu erfolgen hat. Die Schwerbehinderung war dem Beklagten auch bekannt bzw. musste dies sein, da der Kläger sie in seinem einseitigen Bewerbungsschreiben ausdrücklich erwähnt und den Bewerbungsunterlagen seinen Schwerbehindertenausweis beigefügt hat.

bbb) Die Einladung war nicht nach§ 165 Satz 4 SGB IX wegen offensichtlichen Fehlens der fachlichen Eignung des Klägers für die ausgeschriebene Stelle entbehrlich.

(1) Diese Voraussetzung ist nicht schon dann erfüllt, wenn der schwerbehinderte Bewerber mutmaßlich schlechter geeignet ist als ein oder mehrere Mitbewerber, da er durch die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gerade die Chance bekommen soll, den öffentlichen Arbeitgeber trotz der schlechteren Papierform von seiner Eignung zu überzeugen (BAG 21.07.2009 – 9 AZR 431/08 – Rn. 28; 23.11.2023 – 8 AZR 164/22 – Rn. 36, juris).

(2) Vorliegend macht der Beklagte lediglich geltend, der Lebenslauf des Klägers weise Lücken sowie längere Zeiten an Arbeitslosigkeit auf, der Kläger habe schlechte Beurteilungen erhalten und sei aus dem letzten Arbeitsverhältnis im Jahre 2022 beim Finanzamt X-Stadt umgehend wieder ausgeschieden. All dies vermag nicht die vom Gesetz geforderte offensichtliche Nichteignung zu begründen und dem schwerbehinderten Bewerber die Chance zu nehmen, den Arbeitgeber durch ein persönliches Gespräch doch noch von sich und seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Lücken im Lebenslauf können verschiedene Gründe haben, ebenso die kurze Dauer eines Arbeitsverhältnisses oder Zeiten von Arbeitslosigkeit. Daraus den Schluss zu ziehen, der Kläger sei ungeachtet seiner ausgewiesenen Kenntnisse, Qualifikationen und Erfahrung nicht nur weniger geeignet als andere Mitbewerber, sondern offensichtlich ungeeignet, gründet sich auf keine belastbaren Anhaltspunkte.

(3) Gleiches gilt hinsichtlich des Einwands des Beklagten, der Kläger habe sich in seiner Bewerbung nicht oder lediglich fadenscheinig mit den in der Stellenbeschreibung genannten Kriterien „praktische Erfahrung im Bereich der öffentlichen Verwaltung“ und „Bereitschaft zur Fortbildung und Qualifikation in der öffentlichen Verwaltung“ auseinandergesetzt, keine Gehaltsvorstellungen angegeben und sei lediglich oberflächlich auf seine Ausbildung und die verlangten EDV-Kenntnisse eingegangen.

Gehaltsvorstellungen muss ein Bewerber nicht schon im Bewerbungsschreiben kundtun. Auch ist kein Grund ersichtlich, bereits im Bewerbungsschreiben eine ausführliche und detaillierte Auseinandersetzung des Bewerbers mit sämtlichen in der Stellenausschreibung genannten Kriterien, Angaben und Hinweisen zu verlangen, andernfalls die Bewerbung als nicht ernst gemeint abgetan oder wegen offensichtlicher Nichteignung zurückgewiesen werden könnte, insbesondere dann, wenn die Kriterien in der Bewerbung aufgegriffen werden, der Arbeitgeber dies aber als oberflächlich oder fadenscheinig bewertet. Damit stünde die hohe Hürde der offensichtlichen Nichteignung in § 165 Satz 4 SGB IX der beliebigen Bewertung des Arbeitgebers anheim. Dies würde dem mit der Regelung bezweckten möglichst weitgehenden Schutz schwerbehinderter Bewerber zuwiderlaufen und den Arbeitgeber nicht in eine verstärkte Pflicht nehmen, sondern es im Gegenteil seinem Gusto überlassen, welchen Grad der (Nicht)Eignung er der Intensität und Tiefe des Bewerbungsschreibens subjektiv entnehmen möchte. Sachliche Gründe, die eine offensichtliche Nichteignung des Klägers für die ausgeschriebene Stelle nahelegen könnten, sind weder ersichtlich noch vom Beklagten vorgebracht.

ccc) Da der Kläger mithin an sich nach § 165 Satz 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch hätte eingeladen werden müssen, der Beklagte dies aber nicht getan hat, ist eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung grds. nach § 22 AGG indiziert (vgl. BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 46; 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 25; 23.01.2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 37; 19.01.2023 – 8 AZR 437/21 – Rn. 36 ff.; 23.11.2023 – 8 AZR 164/22 – Rn. 37, juris). Da für einen entsprechenden Kausalzusammenhang bereits eine Mitursächlichkeit für die benachteiligende Handlung genügt, die Behinderung bei der Entscheidung des Arbeitgebers also überhaupt nicht zu Lasten des schwerbehinderten Bewerbers berücksichtigt werden darf, besteht ein Entschädigungsanspruch bereits dann, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass in dem die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflussenden Motivbündel die Schwerbehinderung als negatives Kriterium mit enthalten ist (BAG 21.07.2009 – 9 AZR 431/08 – Rn. 38, 40; 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 42, juris).

ddd) An einem solchen Kausalzusammenhang, auch im Sinne einer bloßen Mitursächlichkeit, fehlt es vorliegend aber. Der Beklagte hat den Kläger nicht, auch nicht unter anderem, in Ansehung seiner Schwerbehinderung zu keinem Vorstellungsgespräch eingeladen, sondern allein vor dem Hintergrund, dass er die Auffassung vertritt, durch § 33 TVöD dahingehend gebunden zu sein, dass er mit dem bereits im Rentenalter befindlichen Kläger gar kein Arbeitsverhältnis mehr hätte begründen können oder dürfen, da ein solches im Bereich des TVöD gem. dessen § 33 Abs. 1 lit. a) automatisch mit Erreichen des Regelrentenalters beendet würde. Diese tarifliche Regelung hat mit der Schwerbehinderung von Arbeitnehmern im Allgemeinen wie auch mit der konkreten des Klägers nichts zu tun, weder unmittelbar noch mittelbar. In der vorgerichtlichen Kommunikation der Parteien wie auch im Verlauf des Prozesses war das entscheidende Kriterium für die Absage gegenüber dem Kläger stets dessen Alter. Dies hat der Kläger auch nicht in Abrede gestellt, sondern vielmehr die Auffassung vertreten, die in Bezug genommenen tariflichen Regelungen seien nicht im Sinne des Beklagten zu verstehen, andernfalls eine Altersdiskriminierung vorläge.

eee) Damit ist die zunächst gegebene Indizwirkung des § 22 AGG widerlegt. Die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers hat nach Überzeugung der Kammer bei der ablehnenden Entscheidung des Beklagten keine Rolle gespielt, auch keine mitursächliche.

bb) Allerdings liegt in der Absage des Beklagten eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters. Der Beklagte hat ihn unstreitig im Bewerbungsverfahren deshalb nicht berücksichtigt, weil er bereits die gesetzliche Regelaltersgrenze erreicht bzw. seit einigen Monaten überschritten hatte. Die unterschiedliche Behandlung des Klägers wegen seines Alters ist aber nach § 10 Satz 1 iVm Satz 2 AGG zulässig.

aaa) Sie ist nach § 10 Satz 1 AGG objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt.

(1) Bezüglich der Beendigung von Arbeitsverhältnissen ist anerkannt, dass Altersgrenzen iSv § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG individualvertraglich oder kollektivrechtlich wirksam vereinbart werden können (vgl. EuGH 12.10.2010 – C-45/09 – Rn. 45, 61 ff.; BAG 09.12.2015 – 7 AZR 68/14 – Rn. 35 ff.; 25.10.2017 – 7 AZR 632/15 – Rn. 39 ff.; 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 17, juris). Das legitime Ziel liegt in der besseren Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen mittels einer Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung (vgl. BAG 31.03.2022 – 8 AZR 238/21 – Rn. 21 ff.; 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 17, juris). Angesichts der demographischen Entwicklung und des Mangels von Berufseinsteigern in bestimmten Branchen ist dieses Ziel nicht schematisch im Sinne der bloßen Eröffnung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Jüngere zu verstehen, sondern jüngeren Menschen soll mit dem Ausscheiden Älterer aus dem Erwerbsleben auch noch ermöglicht werden, die Berufserfahrung anzusammeln, die im Wege eines beruflichen Aufstiegs zu erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. in Führungspositionen) und höherer Vergütung führen kann. Dies ist Teil der Generationengerechtigkeit und dient letztlich der gesamten Gesellschaft (BAG 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 17, juris). Dieses Ziel der ausgewogenen Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen kann auch die Verweigerung der Wiedereinstellung eines aufgrund einer Altersgrenze bereits ausgeschiedenen Beschäftigten rechtfertigen, die Zielsetzung ist insoweit identisch (BAG 31.03.2022 – 8 AZR 238/21 – Rn. 21 ff.; 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 18, 32, juris).

(2) Die einschlägigen Regelungen des TVöD, an den der Beklagte gebunden ist, entsprechen dieser Zielsetzung. Der TVöD sieht keine generelle Höchstaltersgrenze für die Begründung von Arbeitsverhältnissen vor, sondern ordnet in § 33 Abs. 1 lit. a) lediglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an „mit Ablauf des Monats, in dem die/der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet hat“. Dies ist der im Allgemeininteresse liegende Grundsatz. Allerdings eröffnet § 33 Abs. 5 TVöD die Wiedereinstellung bereits ausgeschiedener Beschäftigter, wobei dies – wie insbesondere § 33 Abs. 5 Satz 2 TVöD verdeutlicht – nicht den Regelfall darstellen soll, um der in Absatz 1 vorgesehenen Altersgrenze nicht die Wirkung zu nehmen, sondern vielmehr die Ausnahme. Die Wiedereinstellung ist daher auf Fälle entsprechenden Bedarfs zu beschränken und greift zudem nur bei fehlenden hinreichend qualifizierten jüngeren Bewerbern. Ansonsten ist die Verweigerung einer Wiedereinstellung wegen des Überschreitens der Regelaltersgrenze nach der tarifvertraglichen Konzeption grundsätzlich zulässig. Andernfalls würde der Zweck der Altersgrenze unterlaufen (zum Vorstehenden BAG 31.03.2022 – 8 AZR 238/21 – Rn. 27; [zum inhaltsgleichen § 33 TV-L] 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 19 ff., juris).

(3) Diese legitime Zielsetzung der ausgewogenen Verteilung der Beschäftigungschancen zwischen den Generationen ist auch iSv § 10 Satz 1 AGG objektiv und angemessen (BAG 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 22 mwN, juris).

bbb) Die Ablehnung des Klägers wegen Überschreitens der Regelaltersgrenze ist nach § 10 Satz 2 AGG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt. Das Mittel zur Erreichung des nach § 10 Satz 1 AGG legitimen Ziels der Generationengerechtigkeit ist angemessen und erforderlich (BAG 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 23, juris).

(1) Die altersbedingte Ablehnung eines Bewerbers, der die Regelaltersgrenze bereits überschritten hat, ist gerechtfertigt, wenn einer für den Arbeitgeber geltenden Regelung zur Altersgrenze durch seine Wiedereinstellung die Wirkung genommen würde. Dies ist der Fall, wenn der Personalbedarf durch die Einstellung eines Bewerbers gedeckt werden kann, der die vorgesehene Altersgrenze noch nicht erreicht hat und die geforderten Qualifikationen aufweist. Ist ein solcher Bewerber nicht vorhanden, widerspricht die erneute Einstellung eines Bewerbers, der die Altersgrenze bereits überschritten hat, nicht deren Zweck, weil die erstrebte Generationengerechtigkeit in diesem Fall nicht beeinträchtigt werden kann (BAG 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 25, juris).

Vorliegend hat der Beklagte unwidersprochen vorgetragen, statt des Klägers einen jüngeren Mitbewerber, der die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht hat, eingestellt zu haben. Dessen fachliche Eignung für die Stelle hat der Kläger nicht in Zweifel gezogen.

(2) Keine Rolle spielt, ob es sich insoweit um die Wiedereinstellung eines bereits vormals beim selben Arbeitgeber beschäftigten und daher nach § 33 Abs. 1 lit. a) TVöD ausgeschiedenen Arbeitnehmers handelt oder – wie im Falle des Klägers – nicht, der im Rentenalter befindliche Bewerber also vorher bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt war und dem TVöD nicht unterfiel. Hierfür spricht zum einen, dass der TVöD weder ein Einstellungshöchstalter vorsieht noch (wie § 33 Abs. 5 TVöD zeigt) generell eine Einstellung von im Rentenalter befindlichen Bewerbern untersagt. Zum anderen beziehen sich die Regelungen des TVöD naturgemäß nur auf ihm unterfallende Arbeitnehmer. Deren Arbeitsverhältnisse enden aber gem. § 33 Abs. 1 lit. a) TVöD mit dem Erreichen des gesetzlichen Regelrentenalters. Wenn § 33 Abs. 5 TVöD daran anknüpft, kann dem kein Verbot entnommen werden, andere als nach Absatz 1 ausgeschiedene (also vormals dem TVöD unterfallene) Arbeitnehmer nach Erreichen des Regelrentenalters einzustellen. Dem stünde auch der Grundsatz der im Zweifel gesetzes-, verfassungs- und europarechtskonformen Auslegung tariflicher Normen (BAG 21.01.1987 – 4 AZR 486/86 – Rn. 27; 21.02.2013 – 6 AZR 524/11 – Rn. 19; 03.07.2014 – 6 AZR 1088/12 – Rn. 21; 27.04.2017 – 6 AZR 459/16 – Rn. 17 f.; 21.03.2018 – 5 AZR 862/16 – Rn. 30; 21.01.2020 – 1 AZR 149/19 – Rn. 50, juris; BeckOK-ArbR/Waas, 01.06.2024, § 1 TVG Rn. 53; Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, Einl. Rn. 820) entgegen, da ein unbeschränktes, generelles Einstellungsverbot für im Rentenalter befindliche, vormals nicht dem TVöD unterfallene Bewerber in dieser Pauschalität gegen höherrangiges Recht verstieße. Es ist auch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, die Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Rentenalter nur solchen Arbeitnehmern vorzubehalten, die bis zum Rentenalter bzw. zumindest bei Renteneintritt im Geltungsbereich des TVöD beschäftigt waren.

Dementsprechend ist es dem öffentlichen Arbeitgeber dann allerdings auch gestattet, solchen „externen“ Bewerbern unter denselben Voraussetzungen eine Absage zu erteilen, wie sie für die Wiedereinstellung der in § 33 Abs. 5 TVöD genannten Personen gelten, welche bereits nach § 33 Abs. 1 lit. a) TVöD aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden waren (in diese Richtung auch BAG 31.03.2022 – 8 AZR 238/21 – Rn. 34, juris).

(3) Die finanzielle Situation des im Rentenalter befindlichen Bewerbers, insbesondere die Frage seiner hinreichenden finanziellen Absicherung durch eine bezogene Rente, ist in diesem Rahmen ohne Belang (BAG 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 33, juris).

(4) Der Beklagte war mithin berechtigt, den Kläger für eine Einstellung nicht in Betracht zu ziehen, wenn es sich um einen Dauerarbeitsplatz handeln sollte oder es für die ausgeschriebene Stelle einen fachlich geeigneten jüngeren Bewerber, der die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht hatte, gab. Letzteres ist hier unstreitig der Fall.

(5) Daran ändert die Schwerbehinderung des Klägers nichts.

(a) Zu einem öffentlichen Amt hat nach Art. 33 Abs. 2 GG jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang. Die Bestimmung begründet ein Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl. Dieser Bewerbungsverfahrensanspruch ist indes von der Organisationsfreiheit des öffentlichen Arbeitgebers abzugrenzen. Über die Einrichtung und nähere Ausgestaltung von Dienstposten entscheidet der Dienstherr nach organisatorischen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Es obliegt seinem organisatorischen Ermessen, wie er einen Dienstposten zuschneiden will und welche Anforderungen demgemäß der Bewerberauswahl zugrunde zu legen sind. Diese Organisationsentscheidung ist dem Auswahlverfahren nach Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagert (BAG 29.02.2024 – 8 AZR 187/23 – Rn. 17 ff.; 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 29, juris).

(b) Zwar hat sich der Beklagte nicht auf eine solche Organisationsentscheidung berufen. Er hatte bei der Besetzung der Stelle wegen seiner Tarifgebundenheit aber die Vorgaben des TVöD zu beachten. Die Tarifvertragsparteien des TVöD haben die Entscheidung getroffen, die Wiedereinstellung von Bewerbern, die aufgrund der Regelaltersgrenze bereits ausgeschieden waren, nur im Ausnahmefall zuzulassen. Diese Entscheidung ist der nach Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zutreffenden Auswahlentscheidung – vergleichbar einer Organisationsentscheidung – vorgelagert. Dabei geht es nicht um das Interesse eines einzelnen öffentlichen Arbeitgebers an der Schaffung oder Aufrechterhaltung ausgewogener Altersstrukturen im Rahmen einer Auswahlentscheidung, sondern um das gesamtgesellschaftliche Anliegen der ausgewogenen Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen. Dessen Verwirklichung führt dazu, dass Bewerber, die die Regelaltersgrenze überschritten haben, zwar nicht von vornherein vom Auswahlverfahren ausgeschlossen sind. Bei Vorhandensein jüngerer geeigneter Bewerber darf ihre Nichtberücksichtigung aber allein mit dem Überschreiten der Regelaltersgrenze begründet werden, ohne dass noch eine Auswahlentscheidung nach den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG zu treffen wäre. Andernfalls wäre der verfassungsrechtlich zulässigen Regelung einer Altersgrenze praktisch die Grundlage entzogen, da ältere Bewerber aufgrund ihrer Berufserfahrung oftmals die am besten geeigneten Bewerber wären, insbesondere, wenn sie sich auf die Stelle bewerben, die aufgrund ihres eigenen Ausscheidens zu besetzen ist (BAG 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 30, juris).

(c) § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet den öffentlichen Arbeitgeber zwar auch dann, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn dieser mutmaßlich oder erkennbar nach der Papierform weniger gut geeignet für die Stelle ist als andere Bewerber. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber gleichwohl einladen. Der Schutzzweck der genannten Norm liegt darin, dass der schwerbehinderte Bewerber den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch persönlich „von seiner Eignung“ überzeugen und seine „Chancen im Auswahlverfahren“ verbessern können soll (BAG 21.07.2009 – 9 AZR 431/08 – Rn. 22, 46; 23.11.2023 – 8 AZR 164/22 – Rn. 36, juris). Dieser Schutzzweck greift aber nicht auf der dem eigentlichen Auswahlverfahren vorgelagerten Stufe der arbeitgeberseitigen Organisationsentscheidung bzw. Bindung an die Vorgaben des TVöD. Erst wenn auf der ersten Stufe (Organisationsentscheidung) im Rentenalter befindliche Bewerber ausnahmsweise in das Bewerbungsverfahren einzubeziehen sind – weil kein geeigneter jüngerer Mitbewerber vorhanden ist –, kommt die Frage nach der fachlichen „Eignung“, von der der schwerbehinderte Bewerber den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch persönlich überzeugen können soll, überhaupt zum Tragen. Das Bundesarbeitsgericht stellt für die Zulässigkeit einer Absage aufgrund erreichten Regelrentenalters ausdrücklich nicht darauf ab, ob der jüngere Mitbewerber genommen wird, sondern lediglich darauf, ob ein solcher jüngerer Bewerber „vorhanden ist“, mit dem der Arbeitgeber seinen Personalbedarf decken „kann“ (BAG 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 25, 30, juris), also nicht auch tatsächlich gedeckt haben muss. Der Arbeitgeber ist in einem solchen Fall zur „Nichtberücksichtigung“ des Rentners bereits im „Auswahlverfahren“ befugt, allein gestützt auf das Überschreiten der Regelaltersgrenze bei vorhandenem geeigneten jüngeren Mitbewerber, „ohne dass noch eine Auswahlentscheidung nach den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG [über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung] zu treffen wäre“ (BAG 25.04.2024 – 8 AZR 140/23 – Rn. 30, juris).

Da es mithin auf die Eignung und Leistung des Klägers in fachlicher Hinsicht nicht mehr ankam, bedurfte es auch keines Vorstellungsgesprächs, um ihm Gelegenheit zu geben, den Beklagten von seinen Kenntnissen, Fähigkeiten und seiner Eignung persönlich zu überzeugen. Nur dies will der Gesetzgeber aber mit der Regelung des § 165 Satz 3 SGB IX sicherstellen.

(6) Daher durfte der Beklagte den Kläger von vornherein im Bewerbungsverfahren unberücksichtigt lassen.

ccc) Darin lag keine Diskriminierung wegen des Alters oder der Schwerbehinderung des Klägers.

6. Dementsprechend war die Klage abzuweisen.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

C.

Die Berufung war gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG für den Kläger zuzulassen.

Referenznummer:

R/R9850


Informationsstand: 14.05.2025