Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer von der Beklagten erklärten Anfechtung des Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin wurde bei der Beklagten in der Fertigung eingesetzt. Sie besitzt eine abgeschlossene Ausbildung als Einzelhandelskaufmann. Sie ist seit 1978 mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. als Schwerbehinderte anerkannt. Im Verlaufe des Vorstellungsgespräches 1979 beantwortete die Klägerin die Frage nach einer Körperbehinderung wahrheitswidrig mit nein.
1982 kam es nach zweistündiger Arbeitsleistung an der von der Klägerin bedienten Maschine zu einer Beschädigung des Werkzeugs. Daraufhin kündigte die Beklagte der Klägerin fristlos. Acht Tage nach der Kündigung suchte die Klägerin die Beklagte auf und teilte ihr mit, daß sie schon seit 1978 als Schwerbehinderte anerkannt sei. Noch am gleichen Tage focht die Beklagte den Arbeitsvertrag an.
Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils des
LAG und zur Zurückverweisung der Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Arbeitsverhältnis sei durch die von der Beklagten ausgesprochene Anfechtung aufgelöst worden, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat die Anfechtung zu Unrecht bereits aufgrund des von ihm gewürdigten Sachverhalts als begründet angesehen und damit die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers auf die Frage nach einer Körperbehinderung überspannt.
1. Die Klägerin hat die Frage nach einer Körperbehinderung wahrheitswidrig beantwortet.
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter einer Körperbehinderung einen "dauernden körperlichen Schaden" ( Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,
Bd. IV, Stichwort: Körperbehinderung, Seite 1559; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982,
Bd. IV, Stichwort: Körperbehinderung, Seite 276). Als körperbehindert wird derjenige angesehen, der "einen angeborenen oder durch Krankheit, Unfall
etc. erworbenen körperlichen Schaden hat und dadurch in seinen Bewegungsmöglichkeiten, allgemein in den Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten und in der Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist" (Brockhaus/Wahring, a.a.O.).
Beschränkt auf die für eine Erwerbsunfähigkeit maßgeblichen Folgen wird dagegen die in § 1
SchwbG erwähnte und unter den weiteren Voraussetzungen des § 1
SchwbG zu einer Schwerbehinderung führende körperliche Behinderung definiert. Körperliche Behinderung im Sinne des § 1
SchwbG liegt vor, wenn infolge einer körperlichen Regelwidrigkeit die Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend gemindert ist (Wilrodt/Neumann,
SchwbG, 6. Aufl. 1984, § 1 Rz. 18; Gröninger,
SchwbG, Stand Mai 1984, § 1 Ziff. 3).
Ob die Frage der Beklagten nach einer Körperbehinderung ganz allgemein auf das Vorliegen eines dauernden körperlichen Schadens oder auf das Vorliegen einer körperlichen Regelwidrigkeit, die zu einer dauernden Minderung der Erwerbsunfähigkeit geführt hat, gerichtet war, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da bei der Klägerin nach den Feststellungen des
LAG sowohl eine Behinderung vorlag, die von dem allgemeinen Begriff der körperlichen Behinderung als auch von dem im Sinne des § 1
SchwbG umfaßt ist.
Insoweit ist das
LAG auch zutreffend davon ausgegangen, die Beklagte habe die Klägerin nicht nach dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft gefragt. Der Begriff des Schwerbehinderten hat im Erwerbsleben eine ganz bestimmte Bedeutung. Schwerbehinderte im Sinne des Schwerbehindertengesetzes sind gemäß § 1
SchwbG Personen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert und infolge ihrer Behinderung in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um wenigstens 50% gemindert sind, sofern sie rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes wohnen, sich gewöhnlich aufhalten oder eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ausüben.
Die Körperbehinderung stellt keinen Unterfall der Schwerbehinderung dar, sondern eine der möglichen Voraussetzungen der Schwerbehinderteneigenschaft. Dem Wortlaut nach hat die Beklagte eindeutig nicht nach einer Schwerbehinderung, sondern nach einer Körperbehinderung gefragt. Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin darin eine Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft gesehen hat, da ihr jedenfalls bewußt war, daß von dieser Frage die bei ihr vorliegenden Körperbehinderungen mit umfaßt waren.
2. Zutreffend weist das Berufungsgericht auch darauf hin, daß nach der ständigen Rechtsprechung des
BAG nicht jede unwahre Beantwortung einer in einem Einstellungsfragebogen gestellten Frage eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123
BGB darstellt, sondern nur eine falsche Antwort auf eine zulässigerweise gestellte Frage (
BAG AP
Nr. 2 zu § 123
BGB;
BAG EzA § 123
BGB Nr. 23 mit
Anm. von Wank).
3. Rechtsfehlerhaft sieht das Berufungsgericht jedoch die Frage nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung als ohne weiteres zulässig an.
Zwar ist - soweit ersichtlich - das Problem, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung fragen darf, weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur bisher eingehend behandelt worden. Da durch die Körperbehinderung jedoch grundsätzlich der Gesundheitszustand beeinträchtigt ist, ist es gerechtfertigt, in diesen Fällen die Grundsätze anzuwenden, die zur Zulässigkeit der Frage nach Krankheiten
bzw. dem Gesundheitszustand entwickelt worden sind.
a) Nach allgemeiner Meinung wird dem Arbeitgeber ein Fragerecht nur insoweit zugestanden, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat (
BAG AP
Nr. 15 zu § 123
BGB und AP
Nr. 17 zu § 123
BGB; Neumann, DB 1961, 1291 f.; Hofmann, ZfA 1975, 1 f., 27; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 26 III 2,
S. 96). Dieses Interesse des Arbeitgebers muß objektiv so stark sein, daß dahinter das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktreten muß (
vgl. Kemter, RdA 1962, 307 f., 309; Hofmann, aaO, 5 f.; Falkenberg, BB 1970, 1013 f.). Dementsprechend richtet sich der Umfang des Fragerechts des Arbeitgebers hinsichtlich bestehender Krankheiten danach, ob diese im Zusammenhang mit dem einzugehenden Arbeitsverhältnis stehen (
vgl. Haberkorn, RdA 1962, 416 f.; Schmid, BB 1969, 631; Hümmerich, BB 1979, 428 f.). Im wesentlichen beschränkt sich daher das Fragerecht des Arbeitgebers auf folgende Punkte (
LAG Berlin, DB 1974, 99;
LAG Frankfurt, DB 1972, 2359;
ArbG Stade, BB 1971, 1235):
- Liegt eine Krankheit
bzw. eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes vor, durch die die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wiederkehrenden Abständen eingeschränkt ist?
- Liegen ansteckende Krankheiten vor, die zwar nicht die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, jedoch die zukünftigen Kollegen oder Kunden gefährden?
- Ist zum Zeitpunkt des Dienstantritts
bzw. in absehbarer Zeit mit einer Arbeitsunfähigkeit zu rechnen,
z.B. durch eine geplante Operation, eine bewilligte Kur oder auch durch eine zur Zeit bestehende akute Erkrankung?
b) Diesen Grundsätzen steht auch nicht die Entscheidung des Ersten Senats des
BAG vom 7.2.1964 (
BAG AP
Nr. 6 zu § 276
BGB Verschulden bei Vertragsabschluß) entgegen.
Der Entscheidung kann nicht entnommen werden, daß dem Arbeitgeber ein unbeschränktes Fragerecht nach dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers bei der Einstellungsverhandlung zusteht und die wahrheitswidrige Beantwortung einer solchen Frage ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung bedingt.
Zu beachten ist zunächst, daß es im damaligen Fall nicht um eine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung ging, sondern um einen infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage entstandenen Schaden des Arbeitgebers (Inseratskosten), für dessen Ersatz ein fahrlässiges Verhalten bei den Vertragsverhandlungen ausreicht.
Dabei hat es der Senat als für die Haftung bei Vertragsschluß ausreichende Fahrlässigkeit angesehen, daß die damalige Beklagte eine zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen bestehende akute Erkrankung auf ausdrückliches Befragen der Klägerin verschwiegen hatte. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß ein derartiges Verhalten ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung bedingt. Vielmehr hat der Erste Senat in seinen damaligen Entscheidungsgründen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dann, wenn die Beklagte angenommen habe, zum Zeitpunkt des Dienstantritts wieder arbeitsfähig zu sein, die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer Erkrankung nicht die Annahme einer arglistigen Täuschung rechtfertige (
BAG AP
Nr. 6 zu § 276
BGB Verschulden bei Vertragsschluß).
Der Entscheidung läßt sich somit nicht der Grundsatz entnehmen, der Arbeitnehmer müsse die Frage nach dem Gesundheitszustand unabhängig davon wahrheitsgemäß beantworten, ob dieser für die vorgesehene Tätigkeit erheblich ist.
Hinzukommt, daß das
BAG in seiner damaligen Entscheidung den Begriff des Gesundheitszustandes offensichtlich nur unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsfähigkeit
bzw. Arbeitsunfähigkeit verwendet hat. In der Entscheidung des Ersten Senates ist dagegen nicht die Frage angesprochen, ob dem Arbeitgeber ein Fragerecht in Bezug auf Krankheit und körperliche Beeinträchtigung zusteht, die in keinem Zusammenhang mit der zu verrichtenden Tätigkeit stehen.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich daher aus dieser Entscheidung nicht herleiten, die Frage nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung sei ohne weiteres zulässig.
c) Vielmehr ist nach den zur Begrenzung des Fragerechts des Arbeitgebers nach Krankheiten aufgestellten Grundsätzen die Frage nach einer Körperbehinderung nur insoweit zulässig, als sie auf eine durch die Körperbehinderung mögliche Beeinträchtigung der zu verrichtenden Arbeit gerichtet ist.
Die Klägerin durfte daher vorliegend die Frage nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung nur dann nicht wahrheitswidrig beantworten, wenn die bei ihr vorliegenden Behinderungen ihre Eignung als Maschinenarbeiterin erfahrungsgemäß beeinträchtigt hätten. Diese Einschränkung des Fragerechts der Beklagten hat das Berufungsgericht nicht beachtet, so daß das angefochtene Urteil aufzuheben war.
5. Je nachdem, ob die Körperbehinderungen der Klägerin erfahrungsgemäß geeignet gewesen sind, die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für die ihr zugedachte Arbeit zu beeinträchtigen, hatte die Klägerin die Frage nach der Körperbehinderung wahrheitsgemäß zu beantworten oder nicht. Im ersteren Falle hat die Klägerin die Beklagte i.
S. des § 123
BGB arglistig getäuscht, wenn sie sich möglicher nachteiliger Auswirkungen ihrer Körperbehinderung auf die zu erbringende Arbeitsleistung bewußt war.
6. Dagegen kann eine arglistige Täuschung nicht darin gesehen werden, daß die Klägerin bei der Einstellung ihre Schwerbehinderteneigenschaft verschwiegen hat.
Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft wird von Rechtsprechung und Lehre uneingeschränkt als zulässig erachtet (
BAG AP
Nr. 19 zu § 123
BGB; Wilrodt/Neumann, aaO, § 12 Rz. 45; Schaub, a.a.O.,
S. 98). Dieses uneingeschränkte Fragerecht wird begründet mit den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für den Arbeitgeber durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstehen. Angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und der betrieblichen Auswirkungen der Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer darf der Arbeitgeber daher uneingeschränkt nach der Schwerbehinderteneigenschaft fragen (Hümmerich, a.a.O., 430
m.w.N.).
Die Klägerin ist von der Beklagten vorliegend nicht nach dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft, sondern nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung gefragt worden. Da das Vorliegen einer bloßen Körperbehinderung noch nicht die an die Schwerbehinderteneigenschaft geknüpften gesetzlichen Verpflichtungen auslöst, können die für die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft aufgestellten Grundsätze nicht auf die Frage nach einer Körperbehinderung übertragen werden.