Urteil
Anspruch auf Kostenübernahme für ein bestimmtes Farberkennungsgerät (Color Test 2000 statt Colorino) durch die Krankenversicherung

Gericht:

SG Düsseldorf 4. Kammer


Aktenzeichen:

S 4 KR 171/05


Urteil vom:

18.01.2007


Tenor:

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 15.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2005 verurteilt, an die Klägerin 884 EUR zu zahlen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Streitig ist die Versorgung mit dem Farberkennungsgerät Color Test 2000 anstelle des von der Beklagten bewilligten Colorino.

Die am 00.00.1949 geborene Klägerin beantragte am 11.02.2005 bei der Beklagten unter Vorlage der ärztlichen Verordnung der Augenärztin L-C1 vom 12.01.2005 die Kostenübernahme für das Farberkennungsgerät Color Test 2000. Der beigefügte Kostenvoranschlag der Firma C2 Blindenhilfsmittelversand vom 02.02.2005 belief sich auf 894 EUR. In einem zweiten Kostenvoranschlag der Firma N GmbH vom 08.02.2005 war von dem Listenpreis von 894,00 EUR ein 12-prozentiger Rabatt abgezogen, so dass sich das Angebot auf 786,72 EUR belief.

Die Beklagte stellte der Klägerin das Farberkennungsgerät Colorino zu Testzwecken zur Verfügung. Die Kläger bewertete das Gerät Colorino als unzureichend, da es z. B. dunkelblau, dunkelgrün und dunkelbraun als schwarz angab. Das Gerät Color Test 2000 erkenne diese Unterschiede jedoch sehr wohl.

Mit Bescheid vom 15.03.2005 stellte die Beklagte fest, dass sie für das Hilfsmittel Color Test 2000 einen Kostenanteil von 187,20 EUR übernehme.

Den dagegen am 30.03.2005 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass das von der Beklagten für die Berechnung des zugesagten Kostenanteils zugrunde gelegte Hilfsmittel Colorino zur Deckung der Grundbedürfnisse nicht ausreiche. Kleidung und Wäsche könnten mit diesem Gerät nicht zuverlässig beurteilt werden. Die Beklagte ließ beide Geräte gutachtlich durch den Dipl.-Ing. I begutachten. Der Gutachter führte u.a. aus: Das Colorino stelle für einen Blinden bzw. stark sehbehinderten Menschen einen zur grundsätzlichen Erkennung und Unterscheidung von Farbtönen ausreichende Versorgung dar. Eine feine Unterscheidung z. B. verschiedener Rottöne wie Rose, Erdbeerrot, purpur oder rotbraun ermögliche das Gerät kaum. Mischfarben wie Orange oder Rosa würden oftmals einer der beiden Farbkomponenten zugeordnet. Eine Farbansage wie z. B. intensiv gelb ermögliche keine Unterscheidung zwischen kräftigem Sonnenblumengelb, Signalgelb, Ocker oder Orange. Zur Auswahl farblich abgestimmter Kleidung wird der Benutzer in den meisten Fällen auf die Hilfe eines normal Sehenden angewiesen sein. Die Farbe sehr dunkler oder sehr heller Gegenstände würde oft falsch gedeutet. Das Farberkennungsgerät Color Test 2000 unterscheide verschiedene Farbtöne wesentlich feiner und ermögliche auch die Unterscheidung genannter Beispiele. Die Trefferquote sei wesentlich höher als bei dem Colorino. Die Benennung einzelner Farbnuancen nach den Begriffen eines normal Sehenden wie z. B. Zitronengelb oder Tannengrün erscheine bei der Verwendung des Gerätes durch einen von Geburt an blinden Menschen jedoch fraglich. Wäre das Gerät von einem Menschen verwendet, der seine Sehkraft erst im Laufe seines Lebens verloren hätte, könnten diese Angaben jedoch entscheidend dafür sein, wie gut sich der Benutzer die jeweilige Farbe vorstellen könne. Die Anzahl der richtigen Erkennung der Farben sei hoch. Auch dunkle und helle Farbtöne würden fast immer richtig zugeordnet und präzise benannt.

Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005 als unbegründet zurück. Das Colorino sei zur Erkennung von einfachen Farbtönen ausreichend. Die Mehrkosten für das Color Test 2000 könnten daher nicht übernommen werden.

Dagegen hat die Klägerin am 07.11.2005 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Nach dem Urteil des BSG vom 17.01.1996 - 3 RK 38/94 - gehöre es zu den Grundbedürfnissen eines Menschen, Farben nuanciert und detailliert darstellen und begreifen zu können. Diesem Anspruch würde das Colorino nicht gerecht. Das von der Beklagten angebotene Colorino stelle daher keine ausreichende Versorgung im Sinne des Gesetzes dar. Auf die Unterstützung durch den Ehegatten könne die Klägerin nicht verwiesen werden, da dieser ebenfalls blind sei. Außerdem sei von Bedeutung, dass sowohl sie als auch ihr Ehegatte nicht von Geburt an blind waren, sondern erst seit einigen Jahren erblindet seien, wären sie durchaus in der Lage, sich die vom Gerät genannten Farben vorzustellen. Sie hätte das Gerät von der Firma N inzwischen gekauft und ihr seien von der Firma N mit Rechnung vom 18.02.2005 ein Betrag von 894 EUR in Rechnung gestellt worden. Der Rabatt von 12% wäre nur gewährt worden, wenn das Gerät über die Kasse gekauft worden wäre. Da sie sich jedoch das Gerät selbst unmittelbar beschaffen musste, wäre der Rabatt nicht abgezogen worden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2005 zu verurteilen, an die Klägerin 884 EUR abzüglich 10% Zuzahlung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Farberkennungsgerät Color Test 2000 sei nicht erforderlich im Sinne des § 31 SGB V. Auch wenn das gewährte Gerät Colorino nach Aussage des Herstellers nicht alle Farbunterschiede angeben könne, sei nach Auffassung der Beklagten 150 Farbnuancen ausreichend, um einen gewissen körperlichen und geistigen Freiraum zu erschließen.

Das Gericht hat einen Befundbericht der behandelnden Augenärztin Frau L-C1 vom 11.01.2006 beigezogen. Die Klägerin sei trotz ihrer hochgradigen Behinderung eine sehr agile und mobile Frau. Da auch ihr Mann erblindet sei, wäre ein Farberkennungsgerät als besonderer Ausgleich zur Sicherung der Mobilität, Lebensqualität und Unabhängigkeit von fremder Hilfe unbedingt erforderlich.

Das Gericht hat des Weiteren eine Auskunft des Herstellers des Hilfsmittels eingeholt: In der Auskunft der Firma D vom 15.05.2006 heißt es u.a. Das Color Test Gerät mache Blinde unabhängig von fremder Hilfestellung und ermögliche das Sortieren der Wäsche, die Auswahl der richtigen Schuhe, die Unterscheidung von Objekten gleicher oder ähnlicher äußerer Form wie z. B. Dosenflaschen, Wäsche und Kartons und das Erkennen des Reifegrades von Erdbeeren und anderen Früchten usw ... Die einfache Version des Color Test sei das Colorino, das mit einer anderen Messmethode ca. 150 verschiedene Farbnuancen erkenne. Das seien jedoch nur 9% der Erkennungskapazität des Color Testes, wodurch sich die Zuteilung des bestmöglichen Namens erheblich erschwere. Es könne daher vorkommen, dass der dem Messergebnis zugeteilte Farbname mit der üblichen Farbbezeichnung nur mangelhaft übereinstimme. Der Colorino beschreibe die Farben außerdem nur in universeller und nicht in der ergänzenden herkömmlichen Weise und verfüge über keine Analysefunktion.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Zur Unrecht hat die Beklagte die Kostenübernahme für das Color Test 2000 abgelehnt und lediglich die Übernahme der Kosten für das preiswertere Colorino zugesagt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für das Color Test 2000 abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung.

Der Erstattungsanspruch beruht auf § 13 Abs. 3 SGB V. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Um eine unaufschiebbare Leistung im Sinne der genannten Vorschrift handelte es sich offensichtlich nicht.

Die Beklagte hat jedoch die Versorgung mit dem Color Test 2000 zu Unrecht abgelehnt und die Selbstbeschaffung durch die Klägerin beruht auf dieser rechtswidrigen Ablehnung.

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfalle erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (erste Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (zweite Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Ein Farberkennungsgerät ist kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (BSG Urteil vom 17.01.1996 - 3 RK 38/94).

Ein Anspruchsausschluss nach § 34 Abs. 4 SGB V in Verbindung mit der vom BMG erlassenen Verordnung liegt ebenfalls nicht vor.

Grundsätzlich stellt ein Farberkennungsgerät ein geeignetes Hilfsmittel zum Ausgleich einer hochgradigen Sehbehinderung bzw. Blindheit und somit einer Behinderung im Sinne der zweiten Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V dar (BSG Urteil vom 17.01.1996 a.a.0).

Wie das BSG im Urteil vom 17.01.1996 (a.a.0.) ausführt, ist der Einsatz eines Farberkennungsgerätes der alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse eines Menschen zuzuordnen. Zu den Grundbedürfnissen gehören ganz allgemein die Schaffung eines körperlich und geistigen Freiraumes. Zu diesem Freiraum zähle auch die Fähigkeit, sich selbständig und möglichst ohne fremde Hilfe im eigenen Umfeld orientieren, zu recht finden und zu bewegen zu können. Die dazu notwendige Wahrnehmung der Umwelt erfolge bei dem sehfähigen Menschen in erster Linie durch den Sehsinn, seine anderen Sinne, Gehör, Gefühl, Geruch, Geschmack) ergänzten die visuelle Wahrnehmung. Ein blinder Mensch sei hingegen vollständig auf die in diesem Zusammenhang sekundären Sinne beim Erkennen und Unterscheiden von Gegenständen angewiesen. Er sei bei der Wahrnehmung seiner Umwelt und damit bei der Schaffung seiner Grundvoraussetzung für die zu seinem Freiraum gehörende Fähigkeit, sich im eigenen Umfeld zu orientieren, zurechtzufinden, zu bewegen, wesentlich eingeschränkt und behindert. Das Farberkennungsgerät diene dem teilweisen ersetzenden Ausgleich dieses behinderungsbedingten Defizits bei der alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse. Die Farbe sei ein wesentliches Merkmal zum Erkennen und Unterscheiden eines Gegenstandes. Das Gerät vermittele dem blinden Menschen hierüber auf akustischem Wege eine Vorstellung: Wird das "Auge" des Gerätes mit einem Gegenstand in Berührung gebracht, so wird auf einen ersten Knopfdruck hin über eine künstliche Sprachausgabe die Farbe genannt. Nach einem zweiten Knopfdruck werden die Anteile der Grundfarbe angegeben. Auf einen dritten Knopfdruck hin wird die Kennzahl genannt, unter der man in der Tabelle eine genaue Bezeichnung der Farbe bzw. Farbmischung nachlesen könne. Der spät erblindete Mensch erhalte so über sein Erinnerungsvermögen eine Vorstellung von der farblichen Gestaltung des Gegenstandes (so Urteil des BSG vom 17.01.1996 a.a.0.).

Das erkennende Gericht hat sich im Termin der mündlichen Verhandlung davon überzeugen können, dass Color Test Gerät in der technischen Funktion der oben genannten im Urteil vom BSG vom 17.01.1996 beschriebenen Arbeitsweise des dort zugrunde liegenden Farberkennungsgerätes noch entspricht.

Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln ist gemäß § 12 SGB V jedoch auf das Maß des Notwendigen und Ausreichenden beschränkt. Entgegen der Auffassung der Beklagten reicht das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Colorino jedoch zur Deckung der Grundbedürfnisse nicht aus und ist somit nicht ausreichend im Sinne von § 12 SGB V. Andererseits übersteigt das Gerät Color Test 2000 nicht das Maß des Notwendigen und Ausreichenden. Das Hilfsmittel soll den Behinderten die Möglichkeit verschaffen, allgemeine Grundbedürfnisse des täglichen Lebens möglichst ohne Fremdhilfe erfüllen zu können, um so einen körperlichen und geistigen Freiraum zu erschließen. Die Auswahl der täglichen Kleidung, der richtigen Schuhe und das Erkennen des Reifegrades von Erdbeeren und anderen Früchten gehören zu den elementaren Grundbedürfnissen eines Menschen im Ablauf des täglichen Lebens. Schon bei der Auswahl der täglichen Kleidung zeigt sich, dass das Colorino nicht geeignet ist, z. B. im Bereich der dunklen Farbtöne eine sichere und zutreffende Analyse zu bieten. Wie auch der Sachverständige Dipl.-Ing. I im Widerspruchsverfahren erläuterte, ist nur das Farberkennungsgerät Color Test 2000 in der Lage, Farbzwischentöne zuverlässig zu erkennen und anzugeben. Bei sehr dunklen oder sehr hellen Farben sei das Colorino unzuverlässig. Die Farben würden oft falsch gedeutet. Zur Auswahl der Kleidung sei der Benutzer des Colorino in den meisten Fällen auf die Hilfe eines normal Sehenden angewiesen. Dagegen könne das Farberkennungsgerät Color Test 2000 die verschiedenen Farbtöne wesentlich feiner und zutreffender wiedergeben. Aus diesen Ausführungen alleine ergibt sich schon, dass das Colorino den Sehbehinderten nicht in die Lage versetzt, ohne fremde Hilfe die im Alltag erforderlichen Farbbeurteilungen vornehmen zu können. Das Colorino befreit somit den Behinderten nicht von fremder Hilfe. Es ermöglicht nicht, ein von fremder Hilfe unabhängiges Leben. Soweit der Sachverständige darauf hinweist, dass von Geburt an erblindete Behinderte sich unter den entsprechenden differenzierten Farbbegriffen nichts vorstellen können, so trifft das auf die Klägerin nicht zu, da sie erst seit einigen Jahren erblindet ist. Somit ist das Color Test 2000 zur Deckung der Grundbedürfnisse der Klägerin erforderlich notwendig und ausreichend.

Die Beklagte ist daher verpflichtet, die Kosten für die Anschaffung des Color Test 2000 abzüglich des Eigenanteils von 10 EUR zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R4923


Informationsstand: 24.06.2011