Die Beteiligten streiten um die Ausstattung mit einem zweisitzigen Elektrofahrzeug.
Die Klägerin, geboren ... 1949, ist aufgrund einer spastischen Tetraplegie mit vorwiegendem Befall der Beine und erheblicher Fußfehlstellung erheblich gehbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen. Ihr Sehvermögen beträgt auf dem rechten Auge 1/20, auf dem linken Auge ist sie erblindet. Wegen dieser Gesundheitsstörungen liegt ein anerkannter Grad der Behinderung von 100 vor. Als gesundheitliche Merkmale sind durch das Versorgungsamt festgestellt: Blind, Notwendigkeit ständiger Begleitung/Hilflosigkeit, außergewöhnliche Gehbehinderung/ erhebliche Gehbehinderung, gesundheitliche Voraussetzungen für Rundfunkgebührenbefreiung.
Die Klägerin ist verheiratet und lebt mir ihrem Mann, der ebenfalls auf einen Rollstuhl angewiesen ist, in einer gemeinsamen Wohnung. In dieser bewegt sich die Klägerin mit einem Gehgestell
bzw. einem Faltrollstuhl. Außerhalb des Hauses nimmt sie einen Fahrdienst, einen Zivildienstleistenden oder für den täglichen Weg zu ihrem Arbeitsplatz als Telefonistin ein Taxi in Anspruch. Aufgrund der Anerkennung als "schwerstpflegebedürftig" erhält sie Leistungen zur Pflege nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI).
Bis 1995 war das Ehepaar im Besitz eines vom Ehemann gesteuerten zweisitzigen Elektrofahrzeugs. Das Fahrzeug wurde im Rahmen von Einzelfallentscheidungen je zur Hälfte von der Beklagten als Krankenversicherung der Klägerin wie auch von der Beigeladenen als Krankenversicherung des Ehemannes finanziert. Im Oktober 1995 wurde das Fahrzeug durch einen Brand völlig zerstört. Eine Neuversorgung lehnte die Beigeladene mit Bescheid vom 16. Juli 1996 mit der Begründung ab, dass der Ehemann aufgrund einer zwischenzeitlichen Versorgung mit einem (einsitzigen) Elektrorollstuhl bereits ausreichend versorgt sei. Eine Kostenübernahme - auch anteilige - an einem weiteren zweisitzigem Elektrofahrzeug scheide daher aus.
Die Klägerin beantragte daraufhin bei der Beklagten eine vollständige Kostenübernahme. Das lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 1. Oktober und 5. November 1996 zwar ab, bot der Klägerin jedoch die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl an. Auch einen Überprüfungsantrag der Klägerin unter Hinweis darauf, dass sie einen Elektrorollstuhl nicht steuern könne, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. September 1998 ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos ( Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1999).
Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben.
Sie hat vorgetragen, dass sie zum Verlassen der Wohnung und zur Teilnahme am Straßenverkehr auf das zweisitzige Elektrofahrzeug angewiesen sei. Soziale Kontakte, welche sie zur Stabilisierung ihrer psychischen Behinderung pflegen müsse, könne sie nur mit dem begehrten Fahrzeug wahrnehmen. Das Fahrzeug diene dem Ausgleich der bei ihr vorhandenen Behinderungen. Aufgrund ihrer Sehbehinderung könne sie einen Elektrorollstuhl nicht selbst steuern. Bei dem Zweisitzer sei jedoch gewährleistet, dass der Ehemann das Fahrzeug steuere und somit ihre Seh- und Orientierungshilfe ausgleiche. Die Beklagte könne ihr nicht entgegenhalten, dass das beantragte Fahrzeug auch dem Ausgleich der Behinderungen ihres Ehemannes diene. Der Ehemann sei schon mit einem Rollstuhl durch die Beigeladene versorgt und könne mit diesem auch die Wohnung verlassen.
Das Sozialgericht hat zur Frage, ob aus medizinischen Gründen die Beschaffung des Elektrofahrzeuges für die Klägerin erforderlich ist, ein Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Sozialmedizin M in Auftrag gegeben.
Danach befragt, ob aus medizinischen Gründen die Klägerin eine Versorgung mit einem zweisitzigen Elektrofahrzeug benötige, ist der Gutachter nach Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis gekommen, dass man erwarten könne, dass mit der begehrten Versorgung soziale Spannungen bei der Klägerin vermieden und damit eventuell eine Teil der depressiven Einbrüche der Klägerin gemildert werden könnten. Hierbei könne es aber um keine medizinische Therapie mit bilanzierbaren Wirkungen, sondern nur darum gehen, dass die Klägerin ihr Familienleben individueller und auch mit privaten Kontakten ohne Fremdpersonen außer Haus gestalten könne.
Das Sozialgericht Hamburg hat mit Urteil vom 5. November 2003 der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Ausstattung der Klägerin mit einem zweisitzigen Elektrofahrzeug verurteilt. Nach Auffassung des Sozialgerichts verschafft erst ein zweisitziges Elektrofahrzeug der Klägerin den zu den Grundbedürfnissen zählenden und von der Beklagten abzudecken den Freiraum. Ohne das begehrte Fahrzeug verfüge die Klägerin nicht über den Freiraum, der in der Regel durch einen handbetriebenen Rollstuhl eröffnet werde. Zum nötigen Freiraum gehöre auch die Möglichkeit, spontan aufzubrechen und eine Zweisamkeit auch außerhalb der Wohnung zu leben. Ein gleichermaßen wirksames, weniger aufwändigeres Hilfsmittel stehe nicht zur Verfügung.
Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Sie weist darauf hin, für den Ausgleich der Behinderung der Klägerin bereits einen Faltrollstuhl zur Verfügung gestellt zu haben. Mit den vorhandenen Hilfsmitteln könne die Klägerin alle notwendigen Wege erledigen. Das von der gesetzlichen Krankenversicherung zu befriedigende Grundbedürfnis auf Fortbewegung sei bereits erfüllt, wenn der Betroffene in der Lage sei, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und sie für einen kurzen Spaziergang oder für Alltagsgeschäfte zu verlassen. Dies sei bei der Klägerin gewährleistet. Lediglich Wege alleine mit ihrem Ehemann könne die Klägerin nicht ohne Fremdhilfe unternehmen. Dies sicherzustellen, sei jedoch nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. November 2003 aufzuheben.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. November 2003 zurückzuweisen.
Sie betont nochmals, dass erst mit dem beantragten Fahrzeug der nötige körperliche und geistige Freiraum gewährleistet werde. Nur mit dem zweisitzigen Elektrofahrzeug sei sie in der Lage, spontan aufzubrechen. Ohne das Fahrzeug sei sie darauf angewiesen, vier Wochen vorher den Fahrdienst zu benachrichtigen oder einen Zivildienstleistenden zu beantragen. Ohne das begehrte Fahrzeug sei sie nicht in der Lage, allein mit ihrem mehrfachbehinderten Ehemann ein Gespräch außerhalb der Wohnung zu führen, ohne dass eine Begleitperson zugegen sei.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen, der sachverständigen Ausführungen und des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig und auch begründet.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Ausstattung mit einem zweisitzigen Elektrofahrzeug.
Nach § 33
Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V - in der seit dem 1. Juli 2001 geltenden Fassung) haben Versicherte Anspruch unter anderem auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34
Abs. 4
SGB V ausgeschlossen sind. Die genannten Ausschlussgründe liegen nicht vor. Weder ist das beantragte zweisitzige Elektrofahrzeug ein in der nach § 34
Abs. 2
SGB V erlassenen Verordnung vom 13. Dezember 1989 (Bundesgesetzblatt I, 2237) ausgeschlossenes Hilfsmittel noch handelt es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Das begehrte Fahrzeug ist jedoch nicht erforderlich, um eine Behinderung bei der Klägerin auszugleichen. Ein von der Beklagten zu gewährendes Hilfsmittel ist nur dann erforderlich, wenn sein Einsatz der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient. Zu den Grundbedürfnissen in diesem Sinne gehören körperliche Grundbedürfnisse (Gehen, Stehen und Treppen steigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme und Ausscheidung), elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von
Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissen) umfasst (
vgl. BSG 16. September 1999,
B 3 KR 9/98 R = SozR 3-2500 § 33
Nr. 32 mit weiteren Nachweisen).
Das Grundbedürfnis der Klägerin, sich einen gewissen körperlichen Freiraum zu erschließen, ist bereits mit dem von der Beklagten zur Verfügung gestellten herkömmlichen Rollstuhl sichergestellt. Alle notwendigen Wege, einschließlich der Wege zur Arbeit, kann die Klägerin mit Hilfe Dritter, im Beisein oder in Abwesenheit des Ehemannes, erledigen.
Es ist der Klägerin einzuräumen, dass sie gegenüber dem Ehemann, der mit einem eigenen Elektrofahrzeug ausgestattet ist und sich damit selbständig im Alltag bewegen kann, ein Weniger an Freiraum hat. Der ihr zur Verfügung stehende Faltrollstuhl verlangt stets die Unterstützung Dritter. Ihr Angewiesensein auf Dritte würde aber auch durch das zweisitzige Elektrofahrzeug nicht überwunden. Auch in diesem Fall bliebe sie auf die Unterstützung Dritter angewiesen, auch wenn Dritter stets ihr Ehemann sein könnte.
Dass die Klägerin allein mit dem Elektrofahrzeug unabhängig von Dritten gemeinsam mit ihrem Ehemann Unternehmungen durchführen kann, eröffnet keinen Anspruch gegenüber der Beklagten. Soweit die Klägerin spontan Unternehmungen mit ihrem Ehemann durchführen will und auch außerhalb der Wohnung mit ihrem Ehemann allein sein möchte, ist dies ein mehr als nachzuvollziehendes Bedürfnis. Es handelt sich hierbei aber nicht um ein selbständiges Grundbedürfnis, sondern nur um einen Anwendungsfall des Bedürfnisses nach Mobilität, welches - wie dargelegt - durch die Beklagte über den Faltrollstuhl bereits befriedigt ist. Ein Bedürfnis nach Zweisamkeit ist hiervon sicher zu unterscheiden. Abgesehen davon, dass ein solches Bedürfnis nur zu einem Teil außerhalb der Wohnung befriedigt wird und die Klägerin mit ihrem Ehemann in einer gemeinsamen Wohnung lebt, ist dieses Bedürfnis nicht zu den von der Beklagten zu erfüllenden Grundbedürfnissen zu zählen.
Der Senat verkennt nicht die Erleichterung, die ein zweisitziges Elektrofahrzeug in Anbetracht der Sehbehinderung für die Klägerin darstellen würde. Diese Erleichterung zu verschaffen, fällt jedoch nicht in den Aufgabenkreis der Beklagten.
Aus medizinischen Gründen im Sinne einer Therapie der psychischen Gesundheitsstörungen der Klägerin ist eine Versorgung mit dem beantragten Fahrzeug nicht zwingend erforderlich. Dies ergibt sich überzeugend aus dem vom Sozialgericht eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160
Abs. 2
Nr. 1 oder
Nr. 2
SGG ist nicht gegeben.