Die Klage ist zulässig und begründet.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 22.9.2009 hat die Beklagte die Versorgung der Klägerin abgelehnt und der Klägerin lediglich einen Zuschuss in Höhe des Vertragspreises eines sonst erforderlichen Aktivrollstuhls ohne Rechtsanspruch zugestanden. Auch mit ihrem Zugeständnis mit Schreiben vom 12.12.2011, der Klägerin weitere 1.400,-
EUR zu zahlen, hat die Beklagte den Versorgungsanspruch der Klägerin nicht anerkannt. Die Beklagte hat die Versorgung der Klägerin mit dem streitgegenständlichen Dreirad und die komplette Kostenerstattung nach Anschaffung des Dreirades durch die Klägerin zu Unrecht abgelehnt. Nach Selbstbeschaffung hat die Klägerin einen Kostenerstattungsanspruch nach
§ 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V,
§ 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX.
Die Sachleistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (
GKV) für die Versorgung ihrer Versicherten mit Hilfsmitteln bestimmt sich nach
§ 33 SGB V.
Versicherte haben nach § 33
Abs. 1
SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 SGB V ausgeschlossen sind. Anspruch auf Versorgung besteht nur, soweit das begehrte Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenversicherung gemäß
§ 12 Abs. 1 SGB V nicht bewilligen (
vgl. BSG, Urteil vom 24.5.2006,
B 3 KR 12/05 R juris Rn. 16 [zweisitziger Elektrorollstuhl]. Diese Voraussetzungen müssen vorliegen, gleich ob es sich um eine Erstbeschaffung oder - wie vorliegend - um eine sog "Ersatzbeschaffung" handelt. Denn auch bei vorangegangener Versorgung mit einem Hilfsmittel müssen bei einer erneuten Anschaffung sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 33
SGB V erfüllt sein (
BSG, Urteil vom 24.5.2006, B 3 KR 12/05 R juris Rn. 17; Urteil vom 25.6.2009,
B 3 KR 2/08 R, juris Rn. 16 [Badeprothese]).
Nicht entscheidend für den Versorgungsanspruch ist, ob das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis (
§ 139 SGB V) gelistet ist, denn es handelt sich bei diesem Verzeichnis nicht um eine abschließende Regelung i.
S. einer Positivliste (
BSG, Urteil vom 15.11.2007,
B 3 A 1/07 R, juris Rn. 20).
Hiervon ausgehend hat die Klägerin Anspruch auf Versorgung mit einem Dreirad unter zwei Gesichtspunkten. Ziel der Versorgung durch die Beklagte ist zum einen die Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung (§ 33
Abs. 1 Satz 1, 1. Alt
SGB V), zum anderen der Behinderungsausgleich (§ 33
Abs. 1 Satz 1, 3. Alt
SGB V). Ob die Klägerin das Dreirad zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung (§ 33
Abs. 1 Satz 1, 2. Alt
SGB V) benötigt, kann offengelassen werden.
Aufgabe der
GKV bei der Hilfsmittelversorgung zum Behinderungsausgleich (§ 33
Abs. 1 Satz 1, 3. Alt
SGB V) ist allerdings allein die an Gesundheit, Organfunktion und Behandlungserfolg orientierte medizinische Rehabilitation. Darüber hinausgehende soziale oder berufliche Rehabilitationsleistungen könnten allenfalls von anderen Sozialleistungsträgern erbracht werden.
Soweit die Klägerin das Dreirad für die Bewältigung von Strecken nutzt, die über den Nahbereich der Wohnung hinausgehen, ist das Hilfsmittel allerdings nicht "zum Behinderungsausgleich" erforderlich. Denn wegen der allein auf die medizinische Rehabilitation beschränkten Leistungspflicht der
GKV ist diese im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs in Bezug auf Mobilitätshilfen nur verpflichtet, Versicherten die Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums zu ermöglichen. Es sind deshalb nur solche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die dem Grundbedürfnis dienen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und diese zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (
BSG, Urteil vom 7.10.2010,
B 3 KR 5/10 R, juris Rn 14
m.w.N.).
Soweit die Klägerin das Dreirad für kürzere, im Nahbereich ihrer Wohnung liegende Strecken nutzt, ist das Hilfsmittel i.
S. der
GKV dagegen erforderlich. Denn die Klägerin ist nicht bereits mit einer für sie geeigneten Hilfe in Form eines elektrischen Rollstuhls versorgt. Sie hat vielmehr auf die Versorgung mit einem solchen Rollstuhl ausdrücklich verzichtet. Sie erschließt sich als stark gehbehinderter Mensch den Nahbereich ihrer Wohnung in aller Regel mit dem Dreirad. Auch im Büro fährt sie nach ihren glaubhaften Angaben bis zu ihrem Schreibtisch. In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin bis zum Tisch der Prozessbeteiligten gefahren und hat sich von dort auf den bereitstehenden Stuhl umgesetzt.
Das Dreirad ist zum zweiten als Therapiedreirad auch als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung (§ 33
Abs. 1 Satz 1, 1. Alt
SGB V) erforderlich. Insoweit stützt sich die Kammer auf das im Verfahren vor dem Sozialgericht Düsseldorf eingeholte orthopädische Sachverständigengutachten von
Dr. PM., das die therapeutische Wirkung der Benutzung des Dreirads schlüssig und überzeugend begründet. Ebenso wirksame, aber wirtschaftlich günstigere Therapiealternativen stehen zur Überzeugung der Kammer nicht zur Verfügung. Das Training mit dem Dreirad ist ein im Rahmen der Krankenbehandlung erforderliches Hilfsmittel zur Mobilisation der Klägerin, zur Lungenbelüftung und zur Vorbeugung gegen Osteoporose.
Grundsätzlich fallen zwar Maßnahmen oder Hilfen zur Bewegungsförderung nur ausnahmsweise in die Leistungszuständigkeit der Krankenkassen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG, Urteil vom 7.10.2010, B 3 KR 5/10 R, juris Rn. 20
ff.) können jedoch bewegliche sächliche Mittel zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation - wie hier das Therapiedreirad - in besonders gelagerten Fällen Hilfsmittel "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" i.
S. von § 33
Abs. 1 Satz 1, 1. Alt
SGB V sein. Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient ein bewegliches sächliches Mittel nach der Rechtsprechung des
BSG, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Eine unmittelbare Bedienung des Hilfsmittels durch den Arzt selbst ist dabei nicht zwingend erforderlich, so dass ein Hilfsmittel nicht schon deshalb nach § 33
Abs. 1
SGB V ausgeschlossen ist, weil die praktische Anwendung durch den Versicherten selbst erfolgt. Jedoch ist nicht jedwede gesundheitsfördernde Betätigung als "spezifischer Einsatz im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung" anzusehen. Keinen ausreichend engen Bezug zu einer konkreten Krankenbehandlung weisen nach den dargelegten Maßstäben demgemäß diejenigen gesundheitsförderlichen Maßnahmen auf, die (nur) allgemein auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung von Restfunktionen des behinderten Menschen, die Erhöhung der Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung zielen. Ein weitergehender spezifischer Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung i.
S. von
§ 27 Abs. 1 SGB V kommt daher nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung i.
S. der Behandlungsziele des § 27
Abs. 1 Satz 1
SGB V als erforderlich anzusehen sind. Davon ist bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung - wie hier mit dem Therapiedreirad - dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der Physikalischen Therapie hat, die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des Versicherten (
vgl. § 33
SGB I und
§ 9 Abs. 1 SGB IX) als wirtschaftlich darstellt.
Dr. PM. hat in seinem fachorthopädischen Gutachten überzeugend dargelegt, welche konkreten Behandlungsziele mit der Benutzung des Dreirades erreicht werden können. Er nennt die Erhaltung und Verbesserung der Restbeweglichkeit des Köpers, die Verbesserung der Lungenbelüftung und auch die Verbesserung des seelischen Gleichgewichts, die Minderung depressiver Episoden und damit auch des Auftretens einer hiermit in Zusammenhang stehenden chronischen Darmerkrankung. Auch wenn hier auch eine allgemeine gesundheitsfördernde Wirkung der Aktivität Dreirad-Fahren beschrieben wird, so ist doch diese Betätigung auch als "spezifischer Einsatz im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung" anzusehen. Bei dem Einsatz des Dreirades als Therapiedreirad ist die positive Einwirkung des Autonomiegewinns auf die Psyche der Klägerin, wie sie am Ende des Gutachtens von
Dr. PM. beschrieben wird, aus Sicht der Kammer besonders hervorzuheben.
Diese Versorgung ist zum Zwecke der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung auch erforderlich i.
S. von § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V, denn ebenso wirksame, aber wirtschaftlich günstigere Alternativen als das Training mit dem Dreirad stehen nicht zur Verfügung. Insbesondere ist die Klägerin nicht auf das Training mit einem - üblicherweise preisgünstigeren - sog "Heimtrainer" zu verweisen. Einen handelsüblichen Heimtrainer kann die Klägerin bei den bei ihr bestehenden körperlichen Gegebenheiten nicht benutzen. Auch unterstützt und fördert das Training mit dem Therapiedreirad den Gleichgewichtssinn der Klägerin insbesondere durch die Notwendigkeit zur Koordination von gleichzeitigem Treten und Lenken in einer Weise, wie es durch einen statischen Heimtrainer ohnehin nicht erreicht werden könnte. Angesichts der für das Dreirad lediglich einmaligen Anschaffungskosten und voraussichtlicher Nutzbarkeit von vielen Jahren ist auch davon auszugehen, dass die Anschaffung sich im Vergleich zu einer hochfrequenten Krankengymnastik rechnet. Zudem hat
Dr. PM. in seinem Gutachten zum Ausdruck gebracht, das krankengymnastische Übungen nicht denselben Effekt haben können wie die Benutzung des Dreirads. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer auch schon dadurch, dass die Klägerin das Dreirad praktisch ständig benutzt, eine Frequenz, die bei einer auf Therapeuten angewiesenen Krankengymnastik nicht erreicht werden könnte. Selbst wenn die Kosten - wofür wenig spricht - in der Summierung über Jahre gleich hoch wären, hätte dem Wunsch der Klägerin wegen des ihr nach § 33
SGB I und § 9
Abs. 1
SGB IX eröffneten Wahlrechts bei gleichermaßen geeigneten und wirtschaftlichen Alternativen entsprochen werden müssen. Ein genereller Vorrang krankengymnastischer Leistungen als Heilmittel (
§ 32 SGB V) gegenüber der Versorgung mit Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung besteht nicht.
Das Therapiedreirad wurde der Klägerin auch im Wege einer formellen vertragsärztlichen Verordnung i.
S. von
§ 73 Abs. 2. Nr. 7 SGB V verordnet. Der Sachleistungsanspruch gegenüber der
GKV nach § 33
Abs. 1
SGB V setzt eine solche Verordnung aber nicht einmal zwingend voraus (
BSG, Urteil vom 7.10.2010, B 3 KR 5/10 R, juris Rn. 24).
Das individuell an die körperlichen Bedürfnisse der Klägerin angepasste Therapiedreirad ist auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (§ 33
Abs. 1 Satz 1, letzter Halbs.
SGB V) von der Sachleistungspflicht der
GKV ausgenommen. Die Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens hängt davon ab, ob ein Gegenstand bereits seiner Konzeption nach den Zwecken des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V dienen soll oder - falls dies nicht so ist - den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt und von körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt wird. Fährräder in Form eines üblichen Zweirades sind allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, ebenso serienmäßig hergestellte Liegedreiräder, die auch von gesunden Menschen genutzt werden (
BSG, Urteil vom 7.10.2010, B 3 KR 5/10 R, juris Rn. 25
m.w.N.).
Mit den vorgenannten Fortbewegungsmitteln ist das von der Klägerin beantragte Dreirad indes nicht vergleichbar. Denn das Dreirad der Klägerin ist individuell angefertigt und auf die Körpermaße der Klägerin, die nicht den Körpermaßen und Hebelverhältnissen eines gleichgroßen Kindes entsprechen, abgestimmt. Es handelt sich um eine Sonderkonstruktion, die von einem nicht kleinwüchsigen Menschen, auch einem Kind gleicher Körperlänge, nicht genutzt werden könnte.
Ob ein vergleichbares sonderangefertigtes Dreirad auch kostengünstiger hätte angeschafft werden können, wurde von der Kammer nicht ausermittelt. Zwar hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 7.10.2010 (B 3 KR 5/10, juris Rn. 27
ff.) ausgeführt, dass sich die Sachleistungspflicht nach § 33
Abs. 1
SGB V auf die kostengünstigste Hilfsmittelversorgung beschränkt. Danach besteht kein Anspruch auf Optimalversorgung, sondern nur auf ausreichende, wirtschaftliche und zweckmäßige Hilfsmittel. Wählt der Versicherte etwa aus Komfortgründen ein teureres Hilfsmittel, hat er die Mehrkosten im Vergleich zu dem kostengünstigeren, funktionell ebenfalls geeigneten Hilfsmittel selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5
SGB V;
§ 31 Abs 3 SGB IX). Dies gilt grundsätzlich auch für die Höhe des Erstattungsanspruchs, denn hier erfolgt eine Erstattung ebenfalls nur für "notwendige" (§ 13
Abs. 3 Satz 1
SGB V)
bzw. "erforderliche" (§ 15
Abs. 1 Satz 3
SGB IX) Leistungen. Der Versicherte soll wirtschaftlich nur so gestellt werden, als hätte die Krankenkasse die Sachleistung rechtzeitig zur Verfügung gestellt. Daraus folgt zum einen, dass der Erstattungsanspruch der Höhe nach nicht auf diejenigen Kosten begrenzt ist, die der Krankenkasse bei rechtzeitiger Leistung entstanden wären. Zum anderen können der Krankenkasse im Fall der Erstattung wegen zu Unrecht abgelehnter Leistungen auch dann wirtschaftlich höhere Kosten als bei einer Sachleistung entstehen, wenn sie es wegen der Verlagerung des Verschaffungsrisikos auf den Versicherten hinzunehmen hat, dass dieser seinen Bedarf mit zwar der Sache nach erforderlichen, aber - für ihn nicht offensichtlich - kostenmäßig unwirtschaftlichen Mitteln deckt. Der Versicherte muss lediglich die ihm offensichtlichen und zumutbaren Möglichkeiten der Schadensminderung oder -begrenzung nutzen (
BSG, Urteil vom Urteil vom 7.10.2010, B 3 KR 5/10, juris Rn. 27).
Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, das Dreirad hätte von einem anderen Fahrradbauer wesentlich günstiger angefertigt werden können. Sie hat auch keinen alternativen Kostenvoranschlag eines anderen Spezialfahrradbauers vorgelegt oder verlangt. Die Firma TP hatte die Klägerin auch schon zuvor mit einem Dreirad versorgt, war also mit den speziellen Bedürfnissen der Klägerin vertraut. Ohne eingehende Befragung und Vermessung der Klägerin durch einen Spezialfahrradbauer ließe sich ein alternativer Kostenvoranschlag für die Anfertigung eines Dreirads aus Sicht der Kammer auch nicht seriös einholen. Da die Gesamtsumme für den Bau des Spezialfahrrads der Kammer plausibel erscheint, und der Beklagten ein Rabatt von 500,-
EUR wegen erneuter Beauftragung derselben Firma zugutekommt, hält die Kammer im konkreten Fall weitere Ermittlungen für nicht gefordert.
Soweit das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 7.10.2010 (B 3 KR 5/10, juris Rn. 28) darauf abhebt, dass das Dreirad auch ein von Gesunden als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens benutztes handelsübliches Zweirad ersetzt, und hieraus ableitet, dass bei Hilfsmitteln, die neben ihrer Zweckbestimmung i.
S. von § 33
Abs. 1
SGB V einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ersetzen, die Versicherten einen Eigenanteil für ersparte Aufwendungen in Höhe des wirtschaftlichen Wertes des ersetzten Gebrauchsgegenstandes selbst zu tragen haben, greift diese Überlegung vorliegend nach Ansicht der Kammer nicht durch. Das Bundessozialgericht hat ausgeführt, dass wirtschaftlicher Maßstab hierfür die durchschnittlichen Anschaffungskosten für ein handelsübliches Markenfahrrad für Damen mit zwei Rädern seien, die das Tatsachengericht zu ermitteln habe. Denn Maßstab für die Frage, welche Anschaffung der Versicherte sich durch die Versorgung mit dem Hilfsmittel erspart, ist dasjenige Produkt, welches gesundheitlich nicht eingeschränkte Personen üblicherweise benutzen. Die Kammer hat solche Ermittlungen nicht angestellt, weil sie - anders als in dem vom
BSG entschiedenen Fall 7.10.2010, Aktenzeichen B 3 KR 5/10 - keinen Anlass sieht, die Anschaffungskosten für das Therapiedreirad um die durchschnittlichen Anschaffungskosten für ein handelsübliches Zweirad zu reduzieren.
Denn anders als in dem dort entschiedenen Fall, in dem die Versicherte zusätzlich mit einem Aktiv- und einem Elektrorollstuhl versorgt war, hat die Klägerin auf die Versorgung mit diesen beiden Hilfsmitteln verzichtet. Aus ihrer Sicht und in ihrem täglichen Gebrauch ersetzt das Dreirad ihr den Elektrorollstuhl, weil sie damit Strecken zurücklegt, die sie sonst mit dem Elektrorollstuhl zurücklegen würde. Die Nutzung eines Aktivrollstuhls wäre ihr nur mit Hilfe einer sie schiebenden Begleitperson möglich.
Da es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht darauf ankommt, dass ein Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist, kann auch das Hilfsmittel Rollstuhl ganz verschieden ausgestaltet sein. Rollstühle mit Fahrradantrieb werden im Hilfsmittelverzeichnis unter der Rubrik Krankenfahrzeuge geführt. Auch diese Kategorisierung ist für das Gericht indessen nicht bindend. Aus Sicht der Kammer erfüllt das Spezialdreirad, soweit es dem Behinderungsausgleich (§ 33
Abs. 1
S. 1 3. Alt.
SGB V) und nicht der Krankenbehandlung (§ 33
Abs. 1
S. 1 1. Alt.
SGB V) dient, für die Klägerin die Funktion eines Rollstuhls. Dass es anders als ein Aktivrollstuhl nicht mit Arm- sondern mit Beinkraft angetrieben wird, erscheint der Kammer rechtlich unbeachtlich. Das Spezialdreirad verfügt über einen Rückwärtsgang, ist also ebenso wendig wie ein Rollstuhl. Insbesondere hat das Dreirad auch Dimensionen, die nicht über die Größe eines Rollstuhls hinausgehen. So konnte die Klägerin den Aufzug des Sozialgerichts mit ihrem Dreirad benutzen, während manche Elektrorollstühle hierfür zu groß sind. Da die Klägerin nicht in der Lage ist, mehr als wenige Schritte mit Unterarmgehstützen zu bewältigen, sitzt sie für Strecken, die mehr als wenige Schritte weit sind, in Innenräumen wie im Außenbereich auf dem Dreirad, das von ihr mit den Beinen angetrieben wird. Damit ist das Dreirad aus Sicht der Kammer im Rahmen des Behinderungsausgleichs funktionell ein Rollstuhl.
Das Spezialdreirad der Klägerin hat somit Doppelfunktion: Es ist, wie sich schlüssig aus dem Gutachten von
Dr. PM. ergibt, zum einen Therapiedreirad i.
S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 7.10.2009, B 3 KR 5/10 R, juris). Es ist zum anderen aber auch eine Mobilitätshilfe wie ein Rollstuhl. Bei einer solchen Konstellation hält es die Kammer nicht für gerechtfertigt, von den Anschaffungskosten für das Dreirad die durchschnittlichen Anschaffungskosten für ein handelsübliches Zweirad abzuziehen, weil ein solcher Abzug auch bei der Benutzung eines Rollstuhls nicht in Betracht kommt. Zwar kann die Klägerin ihren Verzicht auf eine Versorgung mit einem Rollstuhl im herkömmlichen Sinne jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen (§ 46
Abs. 1 am Ende
SGB I). Da die Klägerin aber schon seit 1999 und auch seit Antragstellung am 3.9.2009 auf Versorgung mit einem Dreirad keine Rollstuhlversorgung mehr beantragt, auf diese vielmehr verzichtet hat, steht für den bis zum Datum des Urteils überschaubaren Zeitraum fest, dass das Dreirad zum Zwecke des Behinderungsausgleichs eine Rollstuhlversorgung ersetzt. Zwar mag das Dreirad auch den Gebrauchsvorteil für die Klägerin haben, den ein handelsübliches Zweirad für einen Gesunden hat. Da die Beklagte aber wegen des Verzichts der Klägerin auf eine - unstreitig ihr zustehende - kumulative Versorgung mit einem von ihr allein zu bedienenden Elektrorollstuhl (wie auch auf die Versorgung mit einem von einer Begleitperson zu bedienenden Handrollstuhl) erhebliche Aufwendungen erspart, die mit Sicherheit höher liegen als die Anschaffung eines handelsüblichen Zweirades, sieht die Kammer wegen der Doppelfunktion des Dreirads als Therapiegerät einerseits und als funktionellen Rollstuhl andererseits einen Abzug von den Anschaffungskosten des Dreirades vorliegend nicht als gerechtfertigt an.
10,00
EUR muss die Klägerin nach § 61
SGB V als Zuzahlung selbst tragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.