II.
Der Antrag ist zulässig. Die Antragsgegnerin hat mit dem Bescheid vom 27. Mai 2010 gegenüber der Klägerin zwar mitgeteilt, dass die Beigeladenen ihr das begehrte Hilfsmittel zuzahlungsfrei zur Verfügung zu stellen haben, gleichzeitig hat sie aber damit abgelehnt, die Versicherte zuzahlungsfrei mit dem begehrten Hilfsmittel zu versorgen. Damit liegt in dem Bescheid vom 27. Mai 2010 auch eine Teilablehnung des begehrten Hilfsmittels, soweit seine Kosten oberhalb des Festsetzungsbetrages für Hörhilfen in der gesetzlichen Krankenversicherung liegen. Der Antrag ist auch begründet.
Ist - wie hier - eine begehrte Leistung (noch) nicht zuerkannt worden, setzt eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86b
Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 920
Abs. 2, 916 Zivilprozessordnung [ZPO]; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar sind (§ 86b
Abs. 2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §§ 920
Abs. 2, 917, 918
ZPO; Anordnungsgrund).
Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund bestehen. Die Antragsgegnerin ist im Wege der Sachleistung verpflichtet, der Versicherten das begehrte Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen und dafür eine entsprechende vorläufige Bewilligung vorzunehmen. Dabei ist es unerheblich, dass nicht schon ein Kostenerstattungsanspruch und ein Kostenerstattungsbegehren im Sinne des
§ 13 Abs. 3 SGB V vorliegt.
Denn die Antragstellerin hat einen Anspruch auf vorläufige Versorgung mit der begehrten Hörhilfe. Versicherte haben nach
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung unter anderem mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Leistungsbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen die Leistungen nach § 33
SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen (
§ 12 Abs. 1 SGB V; s. stellvertretend
BSG, Urteil vom 16. September 2004 -
B 3 KR 19/03 R).
Ein Anspruch auf die begehrte Versorgung besteht nach § 33
Abs. 1 Satz 1 Alternative 3
SGB V, denn das begehrte Hilfsmittel ist vorläufig erforderlich, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, (elementare) Körperpflegen, selbstständige Wohnen sowie Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Ebenso gehört dazu das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Denn die notwendige medizinische Versorgung ist grundlegende Voraussetzung, um die elementaren Bedürfnisse des täglichen Lebens befriedigen zu können (s.
BSG a.a.O. unter Hinweis auf
BSG SozR 4-2500 § 33
Nr. 3, dort m.w.Nachw.).
Die Antragstellerin kann, gemessen an diesen Maßstäben, zum Ausgleich der bei ihr bestehenden Hörbehinderung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung Hörgeräte beanspruchen, die über eine Störgeräuschunterdrückung und eine automatische Lautstärkeanpassung verfügen. Das dürfte zwischen den Beteiligten nicht streitig sein, denn die Antragsgegnerin geht auch davon aus, dass nur das begehrte Hilfsmittel des Typs Opticon Sumo DM für die Versorgung der Antragstellerin notwendig ist. Sie hat dies durch ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren, dass sie gegen die Beigeladene führt und das zum Aktenzeichen S 7 KR 159/10 ER erfasst ist aus Sicht der erkennenden Kammer hinlänglich verdeutlicht.
Die Geräte, die die Beigeladene eigenanteilsfrei angeboten hat, erfüllen nicht die für die Antragstellerin notwendigen Anforderungen an die Hörgeräte. Deshalb stellen sie keine ausreichende Versorgung im Sinne des § 12
Abs. 1
SGB V für die bei der Antragstellerin bestehenden Behinderung dar.
Denn die Antragstellerin hat der im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes für das Gericht glaubwürdig und nachvollziehbar geschildert, dass sie nur mit dem begehrten Hilfsmittel eine ausreichende Korrektur ihres bestehenden erheblichen Hörverlustes erzielen kann. Das ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Insbesondere ist sie nur mit dem begehrten Hilfsmittel zweckmäßig und ausreichend versorgt, da sie nur mit dem begehrten Hilfsmittel eine Verbesserung des Hörvermögens um 50 % erreichte. Mit den anderen angebotenen Geräten wurde nur eine Verbesserung von 10 %, 20 %
bzw. 30 % erzielt (Protokoll der Hörgeräteanpassung vom 15. Mai 2010).
Im vorliegenden Fall reicht ein Gerät das zum Festbetrag abgegeben wird gerade objektiv nicht aus, um die Behinderung der Antragstellerin ausreichend zweckmäßig auszugleichen. Mit den Hörgeräten zum Festbetrag Unitron Next Essential High Power und Oticon Go Power wurde nur eine Besserung von 10
bzw. 20 % erzielt. Die Antragsgegnerin ist dem entsprechenden Protokoll der Hörgeräteanpassung auch nicht entgegen getreten. Vielmehr hatte sie sogar die Beigeladene aufgefordert, die Versicherte mit dem begehrten Hilfsmittel zu versorgen.
Die Antragsgegnerin kann der Antragstellerin nicht entgegen halten, dass die Beigeladene das begehrte Hilfsmittel zum Festbetrag ausgeben muss.
Denn diese Regelung besteht im Rahmen des Vertragsverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen, jedoch nicht im Verhältnis zwischen der versicherten Antragstellerin und der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin ist im Wege des Sachleistungsprinzips verpflichtet, die Antragstellerin ausreichend medizinisch zu versorgen, entsprechend muss sie die begehrte Versorgung zumindest vorläufig bewilligen. Der Verweis darauf, dass die Beigeladene das begehrte Gerät zum Festbetrag ausgeben muss, tangiert das Sachleistungsprinzip nicht.
Denn auch das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (AZ:
B 3 KR 20/08 R) dargetan, dass soweit der Festbetrag für einen Behinderungsausgleich objektiv nicht ausreicht, dieser Umstand bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur - von Zuzahlungen abgesehenen - kostenfreien Versorgung der Versicherten führt (Rd. 8.).
Das
BSG hat weiter dargelegt, dass maßgebend für die gerichtliche Beurteilung des Festbetrages in tatsächlicher Hinsicht der Versorgungsbedarf ist, wie er von dem zu entscheidenden Einzelfall ausgehend für jeden Betroffenen in vergleichbarer Lage allgemein besteht (Rd. 11). Auch in dem vom
BSG vorliegenden, wie im hiesigen Fall, ist die Gruppe von Schwersthörgeschädigten mit einem beidseitigen Hörverlust von nahezu 100 % zu beurteilen gewesen.
Bei der Antragstellerin würde aber die Versorgung mit einem Festbetragsgerät hinter der Möglichkeit zurückstehen, die nach dem Stand der Hörgerätetechnik zum jetzigen Zeitpunkt besteht und Menschen mit hochgradiger Behinderung wesentliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben bietet.
Die Antragstellerin hat im Termin zur Erörterung glaubwürdig dargelegt, dass sie nur mit dem begehrten Hilfsmittel eine ausreichende Sprachverständigung mit ausreichender Störgeräuscheunterdrückung und mit dem fast vollständigen Fehlen von Rückkopplungen erzielen kann. Sie muss sich nicht darauf verweisen lassen, auf die Nutzung dieser technischen Vorteile zu verzichten. Die Antragsgegnerin hat in dessen nicht dargetan, dass eine andere Versorgung im Falle der Antragstellerin in Betracht käme und sie auch mit einem Gerät zum Festbetrag - das eben gerade nicht gezeigt oder aufgezeigt wurde - versorgt werden kann.
Sie kann der Antragstellerin auch nicht entgegenhalten, dass sie den Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen geschlossen habe. Sie verkennt, dass die Antragstellerin gesetzliche Leistungsansprüche nicht gegen Leistungserbringer hat, sondern gegen sie als die Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung. Es kann folglich nur Aufgabe der Antragsgegnerin sein, bei den Leistungserbringern oder der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker als Vertragspartnerin darauf hinzuwirken, dass Hörhilfen zum Festbetrag vorgehalten werden, welche auch die bei der Antragstellerin vorliegende Behinderung ausgleichen. Die Antragstellerin ist lediglich verpflichtet, sich das benötigte Hilfsmittel bei zugelassenen Leistungserbringern oder Hilfsmittel-Lieferanten auszusuchen und um die entsprechende Genehmigung bei der Antragstellerin nachzusuchen (
§ 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V, s. dazu
BSG SozR 4-2500 § 33
Nr. 1). Dies hat die Antragstellerin getan.
Die Antragsgegnerin kann die Antragstellerin aus diesem Grund auch nicht darauf verweisen, erst den den Festbetrag überschießenden Betrag vorzufinanzieren und letztlich einen Anspruch auf Kostenerstattung geltend zu machen, denn der Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung richtet sich grundsätzlich auf das Sachleistungsprinzip und die Kostenerstattung findet nur im Ausnahmefall des
§ 13 Abs. 3 SGB V statt.
Die Antragsgegnerin muss der Antragstellerin daher eine vorläufige Bewilligung über die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel ohne Begrenzung auf den Festbetrag bewilligen. Ob sie dafür das begehrte Hilfsmittel gegenüber der Beigeladenen unter Vorbehalt zahlt oder ob die Beigeladenen dazu im gerichtlichen Verfahren verpflichtet werden tangiert den Anspruch der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin nicht.
Auch ein Anordnungsgrund ist hier gegeben, die Antragstellerin ist zur Zeit mit zwölf Jahre alten Hörgeräten versorgt, mit denen sie bei Gesprächen mit Unbekannten kein ausreichendes Hörverstehen mehr hat, außerdem kann sie mit diesen Hörgeräten keine Telefonate führen. Ein Zuwarten auf eine gerichtliche Entscheidung ist ihr nicht zuzumuten. Ebenfalls ist es ihr nicht zuzumuten ausschließlich über einen Gebärdendolmetscher zu kommunizieren oder andere Personen für sie telefonieren zu lassen.
Dies gilt umso mehr als die Antragstellerin bemüht ist sich wieder ins Arbeitsleben einzugliedern, wofür sie sich gegebenenfalls auch telefonisch bewerben und vorstellen muss und auch in Bewerbungssituationen auf eine ausreichende Versorgung mit Hörhilfen angewiesen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Abs. 1
SGG in analoger Anwendung und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.