I
Im Streit steht die Versorgung mit einer Matratze, die zur Linderung von Schlafstörungen bei Kindern mit stark beeinträchtigter Mobilität beitragen soll.
Die 2007 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin erkrankte im Säuglingsalter an einer schweren BNS-Epilepsie, in deren Folge sich ein West-Syndrom mit schwerster komplexer Behinderung entwickelte. Sie leidet infolgedessen an einer frühkindlichen Hirnschädigung mit schwerwiegender psychomotorischer Entwicklungsstörung sowie zentralmotorischer Koordinationsstörung schweren Grades mit muskulärer Hypotonie. Aufgrund dessen fehle die Möglichkeit aktiver Fortbewegung und Kommunikation. Verbunden damit sind nach ärztlicher Einschätzung durch den Bewegungsmangel bedingte und medikamentös nicht behandelbare Schlafstörungen, die vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung bereits 2013 festgestellt worden waren und nächtliche Schlafphasen unterbrochen von längeren Wachphasen sowie Unruhezuständen zur Folge haben.
Den 2015 gestellten Antrag auf Versorgung mit einer nach Erprobung ärztlich verordneten Lagerungsmatratze, die nach der Konzeption des Herstellers die Eigenbewegung des Kindes durch Mikrostimulation unterstützen und dadurch die Schlafqualität fördern soll, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 23.6.2015; Widerspruchsbescheid vom 28.1.2016).
Das SG hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Versorgung mit der begehrten Matratze verurteilt und die Bestimmung eines Eigenanteils in Höhe des Anschaffungspreises einer nicht behinderungsadaptierten Kindermatratze in deren Belieben gestellt: Die Matratze diene dem mittelbaren Behinderungsausgleich durch Verminderung der nächtlichen Wachphasen im Sinne des ungestörten Nachtschlafs als Befriedigung der allgemeinen Grundbedürfnisse (Gerichtsbescheid vom 28.10.2019). Das
LSG hat die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen: Auch wenn unterstellt werde, dass die Matratze konstruktionsbedingt Hilfsmittel und kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand sei und ein ungestörter Schlaf zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zähle, fehle es an dem ausreichenden Nachweis ihres medizinischen Nutzens. Der dafür nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats erforderliche Konsens der beteiligten Kreise nach dem allgemein anerkannten aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse (Verweis auf
BSG vom 15.3.2012
B 3 KR 2/11 R SozR 42500 § 33 Nr 38 RdNr 21) sei hier nicht feststellbar. Die S3Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin zum Bereich "Nicht erholsamer Schlaf" bezögen sich weder auf das bei der Klägerin vorliegende Krankheitsbild noch auf das begehrte Matratzensystem. Medizinische Fachveröffentlichungen dazu existierten ebenfalls ebenso nicht wie außer einer herstellerseitigen Studien, was der behandelnde Arzt nachvollziehbar bestätigt habe und was seiner Ansicht nach aus strukturellen Gründen auch nicht möglich sei (Urteil vom 9.9.2021).
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (
§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V). Das Hilfsmittel diene ausschließlich dem Behinderungsausgleich und habe keinen Bezug zu einem therapeutischen Konzept, insoweit seien die Anforderungen des
LSG an die Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zu hoch; insbesondere stelle die begehrte Matratze keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar, weshalb der Vorbehalt des
§ 135 Abs 1 SGB V nicht greife.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. September 2021 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 28. Oktober 2019 zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1
SGG). Im Ergebnis zutreffend hat das
LSG entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit der streitbefangenen Lagerungsmatratze hat; jedenfalls derzeit steht dem die Sperrwirkung des Methodenbewertungsvorbehalts nach § 135 Abs 1 Satz 1
SGB V entgegen.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den Entscheidungen der Vorinstanzen der Bescheid vom 23.6.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.1.2016, durch den die Beklagte die beantragte Versorgung der Klägerin mit der Lagerungsmatratze abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4
SGG). Bereits erstinstanzlich hat sie klarstellend beantragt, dass sich ihr Begehren speziell auf die für Kinder angebotene Lagerungsmatratze und nicht auf die in der Verordnung bezeichnete Dekubitusmatratze bezieht. Bei dieser Klarstellung handelt es sich bereits deshalb nicht um eine unzulässige Klageänderung, weil die Beklagte sich darauf eingelassen und einen Sachantrag gestellt hat (§ 99 Abs 2
SGG, vgl
BSG vom 3.7.2012 B 1 KR 23/11 R BSGE 111, 155 = SozR 42500 § 31 Nr 21, RdNr 9).
2. Rechtsgrundlage des Leistungsanspruchs ist
§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V (in der seither unveränderten Fassung des
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007, BGBl I 378). Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (Var 1), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (Var 2) oder eine Behinderung auszugleichen (Var 3), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Hiernach handelt es sich bei der begehrten Matratze um ein bewegliches sächliches Hilfsmittel iS des § 33
SGB V (vgl zum Hilfsmittelbegriff nur
BSG vom 30.9.2015 B 3 KR 14/14 R SozR 42500 § 33 Nr 48 RdNr 11), mit dem der Erfolg einer Krankenbehandlung gesichert werden soll, ohne als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens vom Versorgungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen zu sein (dazu 3.). Dessen Abgabe zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung setzt wegen der in Bezug auf deren Nutzen, etwaige Risiken und die Wirtschaftlichkeit wesentlichen, bisher nicht geprüften Neuerungen eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 Abs 1 Satz 1
SGB V voraus, an der es derzeit mangelt (dazu 4.). Einer der insoweit anerkannten Ausnahmefälle im Sinne eines sog Seltenheitsfalls liegt hier nicht vor (dazu 5.).
3. Nach den mit der begehrten Versorgung verfolgten Zielen soll die Lagerungsmatratze iS von § 33 Abs 1 Satz 1
SGB V zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung beitragen.
a) Ausgehend von der nach Funktionalität und schwerpunktmäßigen Zielrichtung bzw Zwecksetzung differenzierenden Betrachtung des Senats beim Einsatz von Hilfsmitteln des § 33 Abs 1 Satz 1
SGB V (vgl zuletzt
BSG vom 7.5.2020 B 3 KR 7/19 R SozR 42500 § 33 Nr 54 RdNr 15 mwN) dient ein Hilfsmittel nach seiner Rechtsprechung der "Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung", wenn es im Rahmen einer Krankenbehandlung (
§ 27 Abs 1 Satz 1 SGB V), dh zu einer medizinisch-therapeutischen Behandlung einer Erkrankung als der Kernaufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem
SGB V eingesetzt wird (vgl
BSG ebenda).
b) So liegt es hier. Ein und Durchschlafstörungen sind nach dem
ICD 10 (G 47.0) behandlungsbedürftige Erkrankungen (
§ 11 Abs 1 Nr 4 SGB V) mit eigenem Krankheitswert und damit der Krankenbehandlung iS des § 27 Abs 1
SGB V zugänglich. Auf der Basis der in der Produktbeschreibung dargestellten Wirkungsweise zielt die begehrte Matratze nach Funktionalität und Zwecksetzung nicht auf den Ausgleich einer ausgefallenen Körperfunktion, sondern auf eine veränderte Körperwahrnehmung und eine dadurch geminderte Muskelspannung der Kinder während der Schlafenszeit, um mangels anderer verfügbarer therapeutischer Ansätze jedenfalls so deren Schlafbeschwerden durch Einwirkung auf menschliche physiologische Funktionen zu lindern. Entsprechend stützt der Hersteller den Nutzen der Lagerungsmatratze auf ein therapeutisches Wirkprinzip ("Therapieform"). Im Vordergrund steht mithin die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs 1 Satz 1
SGB V (vgl
BSG vom 15.3.2018 B 3 KR 4/16 R juris RdNr 43). Dies schließt es zum einen aus, von einem Hilfsmittel zur Vorbeugung oder zum Ausgleich einer Behinderung nach § 33 Abs 1 Satz 1 Var 2 oder 3
SGB V auszugehen (vgl
BSG vom 15.3.2018 B 3 KR 18/17 R BSGE 125, 189 = SozR 42500 § 13 Nr 41, RdNr 27 ff), und zum anderen ist aufgrund dieser funktionellen Besonderheiten diese Matratze kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (vgl
BSG vom 10.9.2020 B 3 KR 15/19 R SozR 42500 § 33 Nr 55 RdNr 13).
4. Als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung fehlt der Lagerungsmatratze derzeit die erforderliche Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.
a) Stellen sich bei einem solchen Hilfsmittel Fragen zur Erforderlichkeit einer Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ernstlich, entfaltet die Regelung des § 135 Abs 1
SGB V vorwirkende Sperrwirkungen im Hinblick auf jedes in der gesetzlichen Krankenversicherung neu einzusetzende Hilfsmittel, solange das dazu berufene und entsprechend interessenplural zusammengesetzte Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses noch nicht entschieden hat, ob dessen Einsatz gemessen an den Schutzzwecken des § 135 Abs 1
SGB V einer Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesauschuss zu unterziehen ist oder ob sich die Voraussetzungen für die Versorgung und die dabei einzuhaltenden Maßgaben hinreichend sicher aus den bereits eingeführten Einzelelementen der fraglichen Methode ableiten lassen (vgl
BSG vom 14.6.2023 B 3 KR 8/21 R vorgesehen für BSGE und SozR 42500 § 33 Nr 57, RdNr 20).
Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen nach § 135 Abs 1 Satz 1
SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag Empfehlungen abgegeben hat über ua die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt dabei eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (stRspr; vgl
BSG vom 8.7.2015 B 3 KR 5/14 R SozR 42500 § 33 Nr 47 RdNr 32).
b) Ob es eines gesonderten Bewertungsverfahrens zu der Frage dieses medizinischen Nutzens der Lagerungsmatratze und kann er als belegt angesehen werden im Hinblick auf die Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme sowie der dafür gegebenenfalls in Betracht kommenden Krankheitsbilder bedarf, kann nach den Schutzzwecken des § 135 Abs 1 Satz 1
SGB V nur von dem dafür zuständigen Gremium des Gemeinsamen Bundesausschusses selbst beurteilt werden.
c) Hiernach kann die streitbefangene Lagerungsmatratze jedenfalls derzeit nicht beansprucht werden. Ihr Einsatz als therapeutisches Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung iS des § 27 Abs 1 Satz 1
SGB V fällt unter den von der Rechtsprechung entwickelten weiten Begriff der Behandlungsmethode, die bei einem bestimmten Krankheitsbild "systematisch" angewandt werden soll und auf ein bestimmtes diagnostisches oder therapeutisches Ziel ausgerichtet ist (vgl
BSG vom 8.7.2015 B 3 KR 5/14 R SozR 42500 § 33 Nr 47 RdNr 23 und
BSG vom 11.5.2017 B 3 KR 6/16 R SozR 42500 § 33 Nr 51 RdNr 25 ff und 37 f). Diese Methode ist insoweit neu, als die S3Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin eine Behandlung bei Ein- und Durchschlafstörungen durch Einsatz bestimmter Matratzen nicht vorsehen, vielmehr erfolgt vor allem eine Behandlung durch Arzneimittel.
d) Würde man wie die Ausgangsinstanzen dies anders sehen und ein Hilfsmittel zum Ausgleich der Behinderung annehmen, dürfte dem im Weiteren nach der jüngeren Rechtsprechung des
BSG wegen der in beiderlei Hinsicht sich stellenden Frage nach der medizinischen Eignung derzeit auch die Sperrwirkung des § 135 Abs 1 Satz 1
SGB V entgegenstehen, wonach mindestens bei jedenfalls auch zu kurativen oder präventiven Zwecken bestimmten Hilfsmitteln ausschließlich vom Gemeinsamen Bundesausschuss Feststellungen zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu treffen sind, wenn sie in medizinischer Hinsicht wesentliche, bisher nicht geprüfte Neuerungen im Vergleich zu in der ambulanten Versorgung etablierten Therapien betreffen (vgl eingehend
BSG vom 14.6.2023 B 3 KR 8/21 R vorgesehen für BSGE und SozR 42500 § 33 Nr 57, RdNr 19; vgl auch
BSG vom 19.10.2023 B 1 KR 16/22 R vorgesehen für BSGE und SozR 4, RdNr 20 ff zur Diagnose und Behandlung eines durch Geschlechtsinkongruenz verursachten Leidensdrucks).
5. Das ist auch nicht wegen eines Seltenheitsfalls unbeachtlich.
a) Für die Annahme eines Seltenheitsfalls als Ausnahme vom Methodenbewertungsvorbehalt des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 135 Abs 1 Satz 1
SGB V unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 1. Senats besteht hier kein Anlass (vgl zu dieser Rechtsprechung
BSG vom 19.10.2004 B 1 KR 27/02 R BSGE 93, 236 = SozR 42500 § 27 Nr 1, RdNr 23 ff;
BSG vom 3.7.2012 B 1 KR 25/11 R BSGE 111, 168 = SozR 42500 § 31 Nr 22, RdNr 19 und
BSG vom 19.3.2020 B 1 KR 22/18 R juris RdNr 28).
b) Um einen derartigen Seltenheitsfall handelt es sich vorliegend nicht, weil wie schon das Angebot der Herstellerfirma zeigt die streitbefangene Lagerungsmatratze nicht nur für Schlafbeschwerden wie im Fall der Klägerin angeboten wird und mithin die Möglichkeit von Studien zu den ihr zugesprochenen Eigenschaften nach dem Wirkmechanismus der Lagerungsmatratze nicht auf Krankheitsbilder wie dem der Klägerin beschränkt ist.
Dass die Ein- und Durchschlafstörungen mit langen Wachphasen als Ausprägung des schwerwiegenden Grundleidens der Klägerin selbst Krankheitswert haben, ändert an den vorstehenden rechtlichen Einordnungen nichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.