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Urteil
Selbständiger Zahnarzt - Bezug von Altersrente - kein Anspruch auf Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Gericht:

VG München 15. Kammer


Aktenzeichen:

M 15 K 10.2373 | 15 K 10.2373


Urteil vom:

30.07.2010


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Gewährung von begleitenden Hilfen im Arbeitsleben gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Buchst. c SGB IX i.V.m. §§ 21 Abs. 4, 20 der Schwerbehindertenausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) i.V.m. der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) zur Anschaffung eines behindertengerechten PKW.

Der am ... 1941 geborene Kläger ist selbständiger Zahnarzt.

Gemäß Änderungsbescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München I - Versorgungsamt - vom 23. Oktober 2000 ist der Kläger schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100. Er erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G und aG.

Der Kläger bezieht seit 1. November 2006 eine Altersrente von derzeit 1.208,45 EUR aus seiner berufsständischen Versorgung.

Der Kläger beantragte am 25. März 2009 beim Beklagten die Gewährung von begleitenden Hilfen im Arbeitsleben gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c SGB IX i.V.m. §§ 21 Abs. 4, 20 SchwbAV i.V.m. der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) zur Anschaffung eines behindertengerechten PKW, um seine Zahnarztpraxis erreichen zu können, die er weiterführen wolle. Es sei ihm unzumutbar, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, da er auf Prothesen und/oder einen Rollstuhl angewiesen sei.

Mit Schreiben vom 26. März 2009 teilte der Beklagte mit, dass die Förderung des Integrationsamtes mit Erreichen der Altersgrenze für den Bezug der gesetzlichen Rentenversicherung ende, da der Bezug von Altersrente den Lebensunterhalt ohne Teilhabe am Arbeitsleben sicherstelle. Es entspreche daher sachgerechter Ermessensausübung, die Tätigkeit von Rentnern nicht zu fördern. Es werde daher beabsichtigt, den Antrag abzulehnen. Es werde Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 29. März 2009. Der Rentenbezug sei gesetzlich erlaubt. Das Erfordernis fehlenden Rentenbezugs ergebe sich nicht aus dem Gesetz. Durch seine Tätigkeit als Zahnarzt sichere er außerdem Arbeitsplätze.

Der Kläger wiederholte seinen Vortrag mit Schreiben vom 3. August 2009, beim Beklagten eingegangen am 12. August 2009, und bat um baldige Entscheidung.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 6. August 2009 ab. Er wiederholt im Wesentlichen die Begründung aus dem Schreiben vom 26. März 2009.

Der Kläger legte durch seine Bevollmächtigte am 20. August 2009 Widerspruch ein, der mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2009 begründet wurde. Tatsächlich führe er seine Praxis weiter und benötige dafür ein behindertengerechtes Fahrzeug. Er habe daher nach wie vor am Arbeitsleben teil. Der Bezug von Altersrente sei dafür irrelevant. Im Übrigen verweist er auf seine Ausführungen vom 29. März 2009 und 3. August 2009.

Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 27. Januar 2010 mit, dass der Widerspruch aller Voraussicht nach zurückgewiesen werde und empfahl, diesen zurückzunehmen. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben würden aus Mitteln der Schwerbehindertenausgleichsabgabe gezahlt. Diese würden von den Arbeitgebern erbracht und sollten die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben fördern. Mit Erreichen der Altersgrenze für den Bezug der gesetzlichen Altersrente sei die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in das Arbeitsleben nicht mehr nötig, da der Lebensunterhalt anderweitig sichergestellt sei. Der Sinn und Zweck der Ausgleichsabgabe, schwerbehinderten Menschen, die aufgrund ihres Alters noch auf einen Arbeitsplatz angewiesen seien, die Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, könne dann nicht mehr erfüllt werden. Ein Hinzuverdienst zur Altersrente sei daher nicht mehr förderbar.

Der Kläger teilte mit Schriftsatz vom 26. Februar 2010 mit, dass Sinn und Zweck der Schwerbehindertenausgleichsabgabe auch sei, den Bezug anderer Sozialleistungen zu verhindern oder zu verringern. Die Altersrente des Klägers sei nicht ausreichend, um die Lebenshaltungskosten und den vermehrten Bedarf aufgrund der Krankheit und der Behinderung zu decken. Der Kläger habe daher keine andere Möglichkeit, als seiner freiberuflichen Tätigkeit weiterhin nachzugehen. Angesichts der heute zu geringen Altersrenten sei die bestehende Regelung überholt.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2010 , dem Kläger zugestellt am 30. April 2010, zurückgewiesen. Der Beklagte wiederholt sein Vorbringen aus dem Schreiben vom 27. Januar 2010 und ergänzt, dass die fortgeführte Erwerbstätigkeit des Klägers an dieser Einschätzung nichts ändere, da die Gewährung einer Altersrente dazu diene, eine Sicherung des Lebensunterhalts dem Grunde nach sicherzustellen. Das dem Beklagten zukommende Ermessen sei daher in richtiger Weise ausgeübt worden.

Der Kläger hat am 25. Mai 2010 Klage erhoben. Der Kläger erhalte eine Altersrente in Höhe von 1.208,45 EUR und zahle alleine für seine private Krankenversicherung monatlich 394,68 EUR. Altersbedingt habe er sich auch keine sog. "Dritte Säule" der Alterssicherung mehr aufbauen können. Daraus werde deutlich, dass er auf seine freiberufliche Tätigkeit nach wie vor angewiesen sei. Es handele sich nicht um einen Hinzuverdienst. Eine Verweigerung des Zuschusses sei nicht sachgerecht. Es sei daher kein Grund ersichtlich, dass der Kläger, der außerdem drei Arbeitsplätze geschaffen habe, schlechter gestellt werden solle, als Personen, die teilweise Rente bezögen. Der Umstand, dass der Kläger Altersrente beziehe, könne in der Höhe des zu gewährenden Zuschusses berücksichtigt werden.

Der Kläger beantragt daher,

den Bescheid vom 6.8.2009 in Form des Widerspruchsbescheids vom 27.4.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Leistungen aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe für die Ersatzbeschaffung eines Kraftfahrzeuges mit behindertengerechter Zusatzausstattung (Hilfe zur Erreichung des Arbeitsplatzes) zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten vorgelegten Akten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Nach Zustimmung der Beteiligten konnte gem. § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Einzelrichter und gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Der Antrag ist gem. § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der gestellte Verpflichtungsantrag auch den Bescheidungsantrag als Minus enthält.

Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 6. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Ein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung i.S.v. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO besteht nicht.

Rechtsgrundlage der begehrten Leistung ist § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c SGB IX i.V.m. §§ 17 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, 20 i.V.m. § 21 Abs. 4 SchwbAV i.V.m. § 2 Abs. 1 KfzHV i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I.

Demnach kann das Integrationsamt im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen zur Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz erbringen. Bei den Mitteln handelt es sich um Zahlungen aus der Ausgleichsabgabe gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Sie darf nur für besondere Leistungen zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben einschließlich begleitender Hilfe im Arbeitsleben verwendet werden, soweit Mittel für denselben Zweck nicht von anderer Seite geleistet werden oder zu leisten sind (§ 77 Abs. 5 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 1 SchwbAV). Das Integrationsamt ist kein Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 SGB IX, der gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erbringen sowie eine möglichst selbstbestimmte und selbständige Lebensführung ermöglichen soll (VG Augsburg, Urt. v. 3.6.2008 Az. Au 3 K 07.914). Leistungen zum Erreichen des Arbeitsplatzes können nach Maßgabe der KfzHV auch für selbständige Schwerbehinderte gewährt werden (§ 20 i.V.m. § 21 Abs. 4 SchwbAV). Sie umfassen gem. § 2 Abs. 1 KfzHV Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs (Nr. 1) und für eine behindertengerechten Zusatzausstattung (Nr. 2).

Das Integrationsamt hat sein Ermessen gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Ein Anspruch besteht nur auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I; vgl. auch Hauck/Noftz, SGB IX, RdNr. 25 zu § 102). Dementsprechend unterliegt die Entscheidung des Integrationsamtes nur einer eingeschränkten verwaltungsrichterlichen Kontrolle. Das Gericht prüft nach § 114 Satz 1 VwGO lediglich, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dazu ist zu prüfen, ob die Behörde in ihre Ermessenserwägungen alle wesentlichen, den Streit zwischen den Parteien kennzeichnenden Gesichtspunkte eingestellt hat, ob sie dabei von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen ist und ob ihre sodann vorgenommene Gewichtung der widerstreitenden Interessen sachgerecht und vertretbar sowie das dabei gewonnene Abwägungsergebnis nicht schlechterdings unzumutbar ist.

Gemessen an diesen Maßstäben begegnet die Entscheidung des Beklagten keinen Bedenken.

Der Beklagte durfte ermessensfehlerfrei davon ausgehen, dass es im Fall des Bezugs einer Altersrente der Förderung einer Teilhabe am Arbeitsleben nicht mehr bedarf. Aus dem Kontext der Regelung (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB IX sowie § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) ergibt sich, dass der Normzweck primär darin besteht, dem Schwerbehinderten die Aufnahme einer Beschäftigung und dadurch die ausschließliche Sicherung des Lebensunterhalts zu ermöglichen, sofern dadurch der Bezug von Rentenleistungen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden oder in der Höhe verringert werden kann. Dieser Zweck wird obsolet, wenn die Altersrente behinderungsunabhängig wegen Erreichen der entsprechenden Altersgrenze gezahlt wird. Dies unterscheidet den Kläger auch von Beziehern einer (teilweisen) Erwerbsunfähigkeitsrente, deren Höhe oder grundsätzliche Zahlung durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben noch beeinflusst werden kann.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass durch Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben der Bezug anderer Sozialleistungen generell ausgeschlossen werden soll. Gegen diese Annahme spricht schon § 77 Abs. 5 Satz 1 SGB IX, wonach demselben Zweck dienende Leistungen solche aus der Ausgleichsabgabe ausschließen. Auch § 18 Abs. 1 Satz 1 SchwbAV legt fest, dass Leistungen nach § 17 Abs.1 bis 1b SchwbAV nur erbracht werden dürfen, soweit Leistungen für denselben Zweck nicht von einem Rehabilitationsträger, vom Arbeitgeber oder von anderer Seite zu erbringen sind oder, auch wenn auf sie ein Rechtsanspruch nicht besteht, erbracht werden. Es entspricht außerdem dem Wesen der Ausgleichsabgabe als nichtsteuerliche öffentliche Sonderabgabe (Hauck/Noftz, RdNr. 4 zu § 77), dass sie zweckgebunden eingesetzt werden muss, so dass außerhalb der Zweckbindung der Bezug sonstiger Sozialleistungen nicht ausgeschlossen ist. Andernfalls wäre die Grenze zur nicht geförderten allgemeinen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft überschritten.

Dass die vom Kläger bezogene Altersrente für die Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards nicht ausreicht, ist ein behinderungsunabhängiges Problem, dem nicht mit Leistungen der Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben begegnet werden kann.

Nach dem dargelegten Sinn und Zweck der Regelungen über Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben konnte der Beklagte die vom Kläger begehrte Leistung aufgrund des Bezugs von Altersrente durch den Kläger bereits dem Grunde nach ablehnen und war nicht gehalten, diesen Gesichtspunkt lediglich bei der Höhe der Förderung zu berücksichtigen.

Soweit sich der Kläger darüber hinaus darauf beruft, dass er drei Arbeitsplätze in seiner Praxis geschaffen bzw. gesichert habe, handelt es sich um einen außerhalb des Normzwecks der Förderung der Teilhabe von Behinderten am Arbeitsleben liegenden Gesichtspunkt, so dass der Beklagte diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung über den Antrag ermessensfehlerfrei außer Betracht lassen konnte.

Zulässig war es hingegen, angesichts der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Mittel auch darauf abzustellen, dass dem Kläger gewährte Gelder bei der Auszahlung von Leistungen an solche behinderten Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz als alleinige Einnahmequelle benötigen, fehlen würden (vgl. hierzu Hauck/Noftz, RdNr. 25 zu § 102).

Angesichts der vom Beklagten aufgrund des Rentenbezugs des Klägers zu Recht verneinten Förderfähigkeit der begehrten Hilfe kann im Ergebnis offen bleiben, ob es dem Kläger aufgrund seiner Behinderung tatsächlich unzumutbar wäre, die Fahrten zur und von der Praxis mit öffentlichen Verkehrsmittel zurückzulegen.

Der Beklagte hat daher alle wesentlichen, den Streit zwischen den Parteien kennzeichnenden Gesichtspunkte eingestellt. Die vorgenommene Gewichtung der widerstreitenden Interessen war wie dargelegt am gesetzlichen Zweck ausgerichtet und damit sachgerecht sowie vertretbar, so dass es beim Bescheid vom 6. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2010 sein Bewenden hat.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 Hs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2 ZPO.

Referenznummer:

R/R5464


Informationsstand: 16.01.2013