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Urteil
Gefährdung des Erfolges der Eingliederungshilfe durch Heimwechsel, Übernahme von Heimsonderschulkosten

Gericht:

BVerwG 5. Senat


Aktenzeichen:

5 C 50/91 | 5 C 50.91


Urteil vom:

02.09.1993


Grundlage:

  • BSHG § 39 Abs 1 S 1 |
  • BSHG § 40 Abs 1 Nr 3 |
  • BSHG § 3 Abs 1 |
  • BSHG § 4 Abs 2 |
  • BSHG § 47V |
  • BSHG § 2 Abs 1 |
  • BSHG § 3 Abs 2 S 3 |
  • BSHG § 43 Abs 2 |
  • BSHG § 12 Nr 1

Leitsatz:

1. Im Rahmen der Eingliederungshilfe scheiden Betreuungseinrichtungen, deren Inanspruchnahme durch den Behinderten nicht ohne gravierende Beeinträchtigung des Eingliederungserfolges möglich ist, als Alternativen der Bedarfsdeckung im Sinne des § 3 Abs. 2 BSHG aus.

2. Hat ein Dritter den Bedarf des Hilfebedürftigen tatsächlich gedeckt, darf dies dem Sozialhilfeanspruch dann nicht entgegengehalten werden, wenn der Dritte die Hilfeleistung nur deshalb erbracht hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig eingegriffen oder ein Eingreifen abgelehnt hat.

Orientierungssatz:

1. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BSHG mutet Eltern behinderter schulpflichtiger Kinder - unabhängig von ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen - bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung mit notwendiger Heimunterbringung lediglich zu, die Mittel für die Kosten des Lebensunterhalts in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen aufzubringen. Sinn dieser Vorschrift ist es, die Eltern behinderter mit denen nichtbehinderter Kinder hinsichtlich der aus einer angemessenen Schulbildung ihrer Kinder folgenden Lasten wirtschaftlich gleichzustellen (vgl. BVerwGE 48, 228 (234)). Dieser Zweck würde vereitelt, wenn der Sozialhilfeträger das behinderte Kind bei der Inanspruchnahme einer angemessenen Schulbildung mit notwendiger Heimunterbringung auf Unterhaltsansprüche gegen seine Eltern verweisen könnte.

Rechtszug:

vorgehend VGH Mannheim 1991-11-06 6 S 2494/88
vorgehend VG Karlsruhe 1988-06-15 2 K 427/87

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Übernahme der Kosten für den Besuch der in Rheinland-Pfalz gelegenen A.- V.- Schule im P.institut für Hörsprachbehinderte in F. für das Schuljahr 1987/88.

Der 1979 geborene Kläger ist ein mehrfach behindertes, gehörloses Kind. Neben beidseitiger Gehörlosigkeit und dem damit verbundenen Stummsein bestehen schwere Verhaltensstörungen mit autistischen Zügen. Das Schulamt stellte den Kläger zweimal vom Schulbesuch zurück und stellte fest, daß er förderungsbedürftig im Sinne des Besuchs eines Sonderschulkindergartens für Gehörlose mit Heimunterbringung sei.

Im April 1986 beantragten die in Baden-Württemberg wohnhaften Eltern des Klägers beim P.institut für Hörsprachbehinderte in F. die Aufnahme ihres Sohnes in den dortigen Heimsonderkindergarten. Mit Schreiben vom 14. Mai 1986 bat das P.institut den Beklagten um Kostenübernahmeerklärung, der daraufhin in Ermittlungen eintrat, ob nicht eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit für den Kläger auch in einer Einrichtung Baden- Württembergs vorhanden sei. Am 24. Juli 1986 beantragten auch die Eltern des Klägers unter Vorlage einer fachärztlichen Bescheinigung beim Beklagten die Übernahme der Heimkosten. Der Beklagte schloß das Verfahren vor Beginn des Vorschuljahres nicht ab. Der Kläger wurde deshalb am 25. August 1986 in den Heimsonderkindergarten des P.instituts aufgenommen.

Die im Verfahren eingeholten fachärztlichen und fachbehördlichen Stellungnahmen ergaben, daß das P. institut wegen seiner besonderen Verfahren der Sprachstützung besonders geeignet für den Kläger sei, aber auch die in Baden-Württemberg gelegene Staatliche Schule für Gehörlose und Sprachbehinderte in H. als für den Kläger geeignete Förderungseinrichtung in Betracht komme. Nach Abschluß seiner Ermittlungen übernahm der Beklagte mit Bescheid vom 27. Februar 1987 die im P.institut entstehenden Kosten für das Vorschuljahr 1986/87 als Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 a BSHG, wies aber ausdrücklich darauf hin, daß eine behindertengerechte Förderung des Klägers auch in H. möglich sei und man lediglich unter Berücksichtigung der Verhaltensstörung und der damit zusammenhängenden Kontaktschwierigkeiten des Klägers davon abgesehen habe, ihn mitten im Schuljahr nach H. überwechseln zu lassen. In Anbetracht der erheblichen Mehrkosten, die durch die Unterbringung des Klägers in F. in Höhe von monatlich 2085,60 DM anfielen, werde der Beklagte überprüfen, ob sich die Kontaktfähigkeit des Klägers stabilisiert habe und ein Schulwechsel nach den Sommerferien möglich sein werde.

Mit Bescheid vom 7. Mai 1987 stellte das Staatliche Schulamt K. fest, daß der Kläger sonderschulpflichtig sei und gemäß § 84 Abs. 3 SchulG Heimunterbringung notwendig sei. Das P.institut erscheine für den Kläger besonders geeignet. Der Beklagte forderte im Juni 1987 einen Entwicklungsbericht über den Kläger beim P. institut an und bat die Eltern, ihren Sohn nochmals in der Staatlichen Schule für Gehörlose und Sprachbehinderte in H. vorzustellen, damit festgestellt werden könne, ob der Kläger eventuell nach den Sommerferien in diese Einrichtung überwechseln könne. Den vom P.institut übersandten Unterlagen war zu entnehmen, daß weitere Entwicklungsfortschritte des Klägers davon abhängig seien, daß der Kläger in seiner gewohnten kleinen Gruppe verbliebe und die derzeitigen Bezugspersonen beibehalten würden. Eine Vorstellung des Klägers in der Staatlichen Schule in H. unterblieb, weil die Eltern dem Kläger die damit verbundenen Belastungen ersparen wollten und der dortige Schulleiter eine derartige Vorstellung nicht für dringend notwendig hielt. Daraufhin lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten für die Unterbringung des Klägers im P.institut für das Schuljahr 1987/88 mit Bescheid vom 30. September 1987 ab und erklärte sich lediglich bereit, den für eine Unterbringung des Klägers in der Staatlichen Heimsonderschule in H. anfallenden Aufwand (445,83 DM) abzüglich des von den Eltern des Klägers aufgrund der häuslichen Ersparnis zu übernehmenden Kostenbeitrages in Höhe von 203 DM, mithin 242,83 DM als Kostenzuschuß zu leisten. Der Beklagte begründete dies damit, daß der Kläger in H. genauso behindertengerecht gefördert werden könne wie in F.; das in § 3 Abs. 2 BSHG formulierte Wunschrecht finde seine Grenze dann, wenn seine Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Der durch den Aufenthalt des Klägers in F. entstehende Aufwand liege um monatlich 2147,67 DM über dem in H. entstehenden und könne deshalb als unverhältnismäßiger Mehraufwand nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen werden.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage des Klägers, gerichtet auf Verpflichtung des Beklagten, die begehrte Eingliederungshilfe für das Schuljahr 1987/88 durch Übernahme der Kosten für den Besuch des P.instituts zu gewähren, hatte im zweiten Rechtszug im wesentlichen aus folgenden Gründen Erfolg: Die Anwendung des Kostenvorbehalts nach § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG setze begrifflich das Bestehen von Alternativen voraus. Die für die Einschulung zur Auswahl stehenden Sonderschulen müßten zur Erreichung der Aufgaben der Eingliederungshilfe sowohl in objektiver wie in subjektiver Hinsicht sämtlich möglich, geeignet und zumutbar sein. Könne beispielsweise nach der individuellen Lage des Behinderten zur Erreichung des Zwecks der Eingliederungshilfe auf eine kontinuierliche Betreuung durch bestimmte Bezugspersonen und auf den Fortbestand einer vertrauten Umgebung nicht verzichtet werden, so sei ihm auch der Wechsel in eine andere Einrichtung nicht zuzumuten. Dies sei nach der vom Senat eingeholten Sachverständigenbeurteilung beim Kläger der Fall. Dem Anspruch auf Kostenübernahme könne auch nicht der Einwand unzulässiger "Selbsthilfe" und der Schaffung vollendeter Tatsachen durch die Eltern des Klägers entgegengesetzt werden. Denn der Beklagte habe durch seine schleppende Bearbeitung des Kostenübernahmebegehrens die Verengung seines Entscheidungsspielraums durch das Entstehen jener personalen Bindungen des Klägers, deren Abbruch nunmehr seiner Entwicklung schädlich wäre, selbst verschuldet.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen klageabweisenden Gerichtsbescheids begehrt.
Er rügt die Verletzung der Regelungen in § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2 Satz 3, § 39 Abs. 3 Satz 1 und § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG sowie eine unzutreffende Würdigung der festgestellten Tatsachen. Das Berufungsgericht hätte die Berufung bereits wegen § 2 Abs. 1 BSHG zurückweisen müssen, weil der Kläger die erforderliche Hilfe von seinen Eltern erhalten habe.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Beklagten ist unbegründet, so daß sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Sie bezieht sich - wie die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat übereinstimmend klargestellt haben - allein auf das Schuljahr 1987/88. Für diesen Zeitraum hat der Kläger Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch der Sonderschule für Gehörlose (A.- V.-Schule) im P.institut in F. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Der Kläger gehört unbestritten zu diesem Personenkreis. Auch die weiteren Voraussetzungen der Eingliederungshilfe nach § 39 Abs. 3, § 40 Abs. 1 Nr. 3, § 47 BSHG in Verbindung mit § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung sind erfüllt. Nach § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung umfaßt die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG auch sonstige Maßnahmen zugunsten behinderter Kinder, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Insoweit sind auch die hier in Rede stehenden Kosten des Besuchs der Heimsonderschule in F. notwendige Folge der Behinderung des Klägers. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat das Staatliche Schulamt K. mit Bescheid vom 7. Mai 1987 eine Entscheidung nach § 84 Abs. 3 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg des Inhalts getroffen, daß es erforderlich sei, den Kläger als Sonderschulpflichtigen zur Erfüllung der Schulpflicht in einem Heim unterzubringen.

Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß dem Kostenübernahmeanspruch des Klägers der Einwand unverhältnismäßiger Mehrkosten (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG) nicht entgegengehalten werden kann. § 3 Abs. 2 BSHG regelt das "Wunschrecht" des Hilfesuchenden in bezug auf die Gestaltung der Hilfe; er betrifft das "Wie" der Hilfeleistung und setzt deshalb begrifflich Alternativen der Bedarfsdeckung voraus (vgl. BVerwGE 91, 114 ( 116)).

Hieran fehlt es im Fall des Klägers. Denn nach den tatsächlichen, gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts war zwar auch die Staatliche Heimsonderschule für Gehörlose und Sprachbehinderte in H. geeignet und bereit, den Kläger behindertengerecht zu betreuen; ein Wechsel nach H. anläßlich der Einschulung des Klägers zum Schuljahr 1987/88 hätte aber infolge der Unterbrechung des in F. im Vorschuljahr zu seinen Bezugspersonen (mühsam) aufgebauten Kontakts zu einem Rückfall in der ohnehin zu langsam verlaufenden Kommunikationsentwicklung des Klägers sowie dazu geführt, daß die wenigen bisher über Buchstaben und Bilder erreichten sprachlichen Zuordnungsvorgänge sowie die Besserung der autistischen Kommunikationsstörungen sich verlangsamt und die autismusunabhängigen Verhaltensstörungen sich eher verschlimmert hätten; damit stelle sich ein Wechsel der schulischen Einrichtung als gravierende Beeinträchtigung des Zwecks der Eingliederungshilfe dar (Urteilsabdruck S. 15). Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß dem Kläger unter diesen Umständen ein Wechsel von F. nach H. nicht zumutbar war und damit die Staatliche Heimsonderschule in H. als eine Alternative der Bedarfsdeckung im Sinne des § 3 Abs. 2 BSHG ausschied. Art, Form und Maß der Sozialhilfe richten sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers und der Art seines Bedarfs (§ 3 Abs. 1 BSHG). Steht die Gewährung von Eingliederungshilfe in Frage, kann der Behinderte nur auf die Inanspruchnahme derjenigen Einrichtungen verwiesen werden, die nach ihrer personellen und sächlichen Ausstattung eine der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem der Art und Schwere der Behinderung des Hilfesuchenden gerecht werdende Erfüllung der Aufgabe der Eingliederungshilfe erwarten lassen. Dabei darf nicht bei der Prüfung stehengeblieben werden, ob die betreffende Einrichtung ein der Behinderung des Hilfesuchenden gerecht werdendes Betreuungsangebot unterbreiten kann, also zu seiner Eingliederung objektiv geeignet ist. Von Bedeutung ist vielmehr auch, ob die Betreuungseinrichtung für den Behinderten ohne gravierende Beeinträchtigung des Eingliederungserfolges zugänglich ist; denn auch hiervon kann Erfolg oder Mißerfolg der Eingliederungshilfe abhängen. Es ist deshalb auch die konkrete Lebenssituation des Behinderten im Zeitpunkt des Beginns der Eingliederungsmaßnahme in den Blick zu nehmen. Ist sie dadurch gekennzeichnet, daß der Behinderte in ein soziales Beziehungsgeflecht eingebettet ist, dessen Auflösung nicht ohne schwerwiegende Beeinträchtigungen des Erfolgs der Eingliederungshilfemaßnahme möglich ist, dann scheiden Betreuungseinrichtungen, die nur unter Auflösung dieses Beziehungsgeflechts für den Hilfesuchenden zugänglich sind, als geeignete Alternativen der Eingliederungshilfe aus. In der Rechtsprechung des Senats ist deshalb anerkannt, daß der Sozialhilfeträger gehindert sein kann, einem Hilfesuchenden, der sich in Widerspruch zu einem ablehnenden Sozialhilfebescheid für eine unverhältnismäßig teure Betreuungseinrichtung entschieden hat, den Kostenvorbehalt des § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG auch dann noch entgegenzuhalten, wenn ein Wechsel der Betreuungsstätte ohne nachteilige Auswirkungen auf den Erfolg der Eingliederungsmaßnahme nicht mehr möglich ist (vgl. BVerwGE 64, 318 (320)).

Der Beklagte hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wiederholt vorgetragen, daß die beim Kläger im P. institut in Gang gekommene Entwicklung durch einen Schulwechsel nicht erheblich beeinträchtigt worden wäre. Sollte der Beklagte damit geltend gemacht haben wollen, daß die für den Kläger mit einem Schulwechsel verbundenen Belastungen nur vorübergehender Art und deshalb unbeachtlich gewesen wären, so könnte dem im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht gefolgt werden. Richtig ist zwar, daß bei Eingliederungsmaßnahmen, die - wie Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG - längerfristig angelegt sind, im Einzelfall anfängliche Beeinträchtigungen im Verlauf der Eingliederungsmaßnahme wieder ausgeglichen werden können und in Fällen dieser Art deshalb nachteilige Auswirkungen auf den Erfolg der Eingliederungsmaßnahme nicht zu besorgen sind. Einen solchen Sachverhalt hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt, sondern in tatrichterlicher Würdigung der extremen Mehrfachbehinderung des Klägers, die diesem eine Kommunikation mit anderen Menschen ohnehin nur "auf schmalstem Grat" erlaube, jede Erschwerung d i e s e r Situation "als erheblich, ja möglicherweise verhängnisvoll" bewertet. An diese Bewertung, die die Annahme einer lediglich vorübergehenden Beeinträchtigung des Eingliederungserfolges bei einem Schulwechsel des Klägers ausschließt, ist der Senat in Ermangelung dagegen vorgebrachter Revisionsgründe gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Zu Recht hat das Berufungsgericht weiter entschieden, daß dem Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme nicht der Einwand unzulässiger "Selbsthilfe" und der Schaffung vollendeter Tatsachen durch seine Eltern entgegengesetzt werden kann. Zwar haben die Eltern des Klägers diesen unter Mißachtung des Ablehnungsbescheides des Beklagten vom 30. September 1987 in der A.-V.-Schule des P.instituts belassen. Diese Ablehnung war jedoch nicht rechtmäßig, da, wie ausgeführt, eine andere kostengünstigere Einschulungsalternative für den Kläger nicht bestand. Lehnt aber der Sozialhilfeträger die Hilfegewährung rechtswidrig ab, dann darf sich der Hilfesuchende um der Effektivität des Rechtsschutzes willen selbst helfen und vom Sozialhilfeträger die Übernahme der hierdurch entstandenen Kosten verlangen (vgl. BVerwGE 40, 343 ( 346); 58, 68 (74); 90, 154 (156); 90, 160 (162): Die Einklagbarkeit abgelehnter Sozialhilfe wäre uneffektiv, wenn der Träger der Sozialhilfe durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der Sozialhilfeleistung auf Jahre hinausschieben oder gar den mit dem bekanntgewordenen Bedarf entstandenen Anspruch vereiteln könnte. Zu keinem anderen Ergebnis führt es, wenn man die Umstände einbezieht, die zur Reduzierung des Auswahlermessens des Beklagten (§ 4 Abs. 2 BSHG) auf die A.-V.-Schule des P.instituts als einziger behindertengerechter Heimsonderschule für den Kläger geführt haben. Zwar hatte der Beklagte über den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für den Besuch des Sonderschulkindergartens im P.institut noch nicht entschieden, als die Eltern den Kläger am 25. August 1986 dort unterbrachten. Aber auch vor Erlaß einer ablehnenden Entscheidung des Sozialhilfeträgers kommt in Eilfällen um der Effektivität der gesetzlichen Gewährung des Rechtsanspruchs des Bürgers auf Fürsorgeleistungen willen eine Selbsthilfe des Hilfesuchenden in Betracht, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung des Sozialhilfeträgers abzuwarten (vgl. BVerwGE 26, 217 (220); 90, 154 (156); 90, 160 (162)). So lag es hier.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Beklagte vom 16. Mai (Eingang des Schreibens des P.instituts vom 14. Mai 1986 beim Beklagten) bis zum 25. August 1986 Zeit, um den Eltern des Klägers eine ebenso behindertengerechte, aber kostengünstigere Betreuungsalternative in Baden-Württemberg anzubieten. Dafür, daß diese Zeitspanne zu gering war, als daß der Kläger eine Entscheidung des Beklagten vor Beginn des Vorschuljahres hätte erwarten können, sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich; auch der Beklagte behauptet dies nicht. Das Berufungsgericht hat vielmehr festgestellt, daß der Beklagte den Fall des Klägers schleppend und ohne den erforderlichen Nachdruck behandelt hat (vgl. Urteilsabdruck S. 16 f.). Ein weiteres Zuwarten war dem Kläger, dessen Förderungsbedürftigkeit im Sinne des Besuchs eines Sonderschulkindergartens für Gehörlose das Staatliche Schulamt K. mit Bescheid vom 22. Juli 1986 festgestellt hatte, im Hinblick auf den Beginn des Vorschuljahres nicht zumutbar. Das hat der Beklagte selbst dadurch anerkannt, daß er die Kosten für den Besuch des Sonderschulkindergartens schließlich rückwirkend zum Beginn des Vorschuljahres übernahm. Für die abschließende Entscheidung benötigte der Beklagte über den Zeitpunkt des Beginns des Vorschuljahres hinaus noch weitere sechs Monate. Das Berufungsgericht hat all dies zutreffend dahin gewertet, daß das aus dem tatsächlichen Aufenthalt des Klägers im Sonderschulkindergarten des P.instituts folgende Risiko, einem durch das Erfordernis des Betreuungskontinuums verengten Entscheidungsspielraum gegenüberzustehen, dem Beklagten in nicht geringem Maße selbst zur Last fällt und daher dem Kläger nicht als unzulässige "Selbsthilfe" entgegengehalten werden kann.
Der Beklagte wendet demgegenüber ein, das Berufungsgericht habe die seiner Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen falsch gewürdigt, weil unstreitig feststehe, daß die Unterbringung des Klägers in der Sonderschule der Staatlichen Schule für Gehörlose und Sprachbehinderte in H. bereits zu Beginn des Schuljahres ohne weiteres möglich gewesen wäre. Ein Fehler in der Beweiswürdigung wird damit jedoch nicht aufgezeigt. Denn nach der zutreffenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts kam es für die Entscheidung des Falles nicht allein darauf an, ob die Heimsonderschule in H. zu einer behindertengerechten Betreuung des Klägers fähig und bereit war; entscheidungserheblich war vielmehr auch und vor allem, ob nach Art und Ausmaß der Behinderung des Klägers diesem ein Wechsel der Betreuungsstätte ohne Beeinträchtigung des ihm zustehenden Anspruchs auf Eingliederungshilfe möglich und zumutbar war. Das Berufungsgericht hat dies in Würdigung des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens verneint. Hiergegen hat der Beklagte zulässige und begründete Rügen nicht erhoben.

Entgegen der Ansicht des Beklagten stehen Gründe des Nachrangs der Sozialhilfe dem Hilfebegehren nicht entgegen. Zwar erhält nach § 2 Abs. 1 BSHG Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen erhält. Dieser Grundsatz findet jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seine Begrenzung in den bereits oben dargelegten Erfordernissen effektiver Rechtsdurchsetzung. Hat ein Dritter den Bedarf des Hilfebedürftigen tatsächlich gedeckt, darf dies dem Sozialhilfeanspruch dann nicht entgegengehalten werden, wenn der Dritte die Hilfeleistung nur deshalb erbracht hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig eingegriffen oder ein Eingreifen abgelehnt hat (vgl. BVerwGE 23, 255 (257); 52, 214 (226); 65, 52 (53); 90, 154 (156) sowie Urteil vom 4. September 1980 - BVerwG 5 C 55.79 - (FEVS 29, 45/47 = ZfSH 1981, 23/24)).
Von einem solchen Sachverhalt kann im vorliegenden Fall ausgegangen werden. Zwar hat das Berufungsgericht nicht ermittelt, wer die Sonderschulkosten für den Kläger im streitgegenständlichen Schuljahr getragen hat. Hierfür kommen nach Lage der Dinge jedoch nur der Träger des P.instituts oder die Eltern des Klägers in Betracht. Bei beiden kann ohne Beweiserhebung davon ausgegangen werden, daß sie die Unterbringungskosten dem Kläger nur vorschießen und nicht mit einer den Beklagten befreienden Wirkung leisten wollten. Für den Träger des P.instituts ergibt sich dies daraus, daß er den Beklagten bei Aufnahme des Klägers um Kostenübernahme ersucht hat, während die Eltern des Klägers dies für den Beklagten unmißverständlich dadurch zum Ausdruck gebracht haben, daß sie einerseits ihren Sohn trotz Ablehnung der Kostenübernahme im P.institut belassen, andererseits aber im Namen ihres Sohnes auf Kostenübernahme geklagt haben.

Nicht weiter nachzugehen braucht der Senat der Frage, ob und inwieweit die Eltern des Klägers diesem gegenüber zur Zahlung der Sonderschulkosten nach zivilem Unterhaltsrecht verpflichtet waren. Denn § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BSHG mutet Eltern behinderter schulpflichtiger Kinder - unabhängig von ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen - bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung mit notwendiger Heimunterbringung lediglich zu, die Mittel für die Kosten des Lebensunterhalts in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen aufzubringen. Sinn dieser Vorschrift ist es, die Eltern behinderter mit denen nichtbehinderter Kinder hinsichtlich der aus einer angemessenen Schulbildung ihrer Kinder folgenden Lasten wirtschaftlich gleichzustellen (vgl. BVerwGE 48, 228 (234)). Dieser Zweck würde vereitelt, wenn der Sozialhilfeträger das behinderte Kind bei der Inanspruchnahme einer angemessenen Schulbildung mit notwendiger Heimunterbringung auf Unterhaltsansprüche gegen seine Eltern verweisen könnte.

Referenznummer:

WBRE310646103


Informationsstand: 17.02.1994