Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Aufnahme zweier Messgeräte für Glukose und Cholesterin in das Hilfsmittelverzeichnis (
HMV).
Die Klägerin ist Herstellerin von Diabetes-Produkten und vertreibt diese in Deutschland, Österreich sowie anderen europäischen Ländern. Sie stellt neben - im
HMV gelisteten - Blutzuckermessgeräten unter anderem die Messgeräte W. Duo Messgerät für Glukose und Cholesterin W.... (mg/dl) und W.... (mmol/l) her und vertreibt diese auch in Deutschland. Die Messgeräte messen sowohl den Blutzucker als auch den Gesamtcholesteringehalt im Kapillarblut und werden von der Klägerin auch als kombinierte Messgeräte (
z.B. mit dem Slogan "W. Duo - 2 Werte für mich") beworben. Für die Bestimmung des Blutzuckergehalts und des Cholesterinwertes werden hierbei unterschiedliche Teststreifen benötigt.
Am 6. Dezember 2012 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Aufnahme der beiden vorgenannten Messgeräte in das
HMV.
Mit Anhörungsschreiben vom 16. Januar 2013 stellte der Beklagte eine Ablehnung des Antrages in Aussicht und wies darauf hin, dass Produkte, die der Diagnose wie beispielsweise Messgeräte für Cholesterin dienen, keine Hilfsmittel im Sinne des
§ 33 SGB V seien.
Die Klägerin machte demgegenüber geltend, es handele sich grundsätzlich um Blutzuckermessgeräte, deren Aufnahme in das
HMV Gegenstand des Antrages sei. Die Möglichkeit der Cholesterinmessung stelle lediglich ein zusätzliches Feature dar. Überdies gebe die Selbstbestimmung des Cholesterinwerts den Patienten die Möglichkeit, an der Kontrolle ihrer Erkrankung mitzuwirken und die Auswirkung von Therapieänderungen selbst zu verfolgen und die Therapieadhärenz zu steigern. Dem Schreiben beigefügt war eine Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin PD
Dr. B. vom 16. Dezember 2012, in der dieser zu der Einschätzung gelangte, dass es sinnvoll erscheine, einem gewissen Kreis an PatientInnen die Möglichkeit zur gelegentlichen Cholesterin-Selbstmessung zugänglich zu machen.
Der Beklagte holte eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (
MDS) vom 22. April 2013 ein, der zu der Einschätzung gelangte, der medizinische Nutzen der Zusatzfunktion der Selbstmessung des Cholesterinwertes sei weder durch Leitlinien noch durch wissenschaftliche Studien belegt.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2013 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er derzeit überprüfe, ob die medizinisch-technischen Anforderungen für die Aufnahme der Produkte innerhalb der Produktart 21.34.02.1 "Blutzuckermessgeräte" erfüllt seien. Da der medizinische Nutzen für die Selbstmessung der Cholesterinwerte nicht vorliege, sei im Falle der Listung des Produktes im
HMV geplant, innerhalb der Merkmale hierauf hinzuweisen. Die Klägerin erklärte sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Der
MDS reagierte auf eine entsprechende Anfrage des Beklagten nicht.
Nach erneuter Anhörung lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Aufnahme der beiden oben genannten Messgeräte in das
HMV mit Bescheid vom 19. März 2015 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin, mit dem diese nochmals betonte, dass sie lediglich die Aufnahme der Messgeräte in das
HMV als Blutzuckermessgerät begehre und es insoweit auf den medizinischen Nutzen als Cholesterinmessgerät nicht ankomme, und mit dem sie ferner geltend machte, dass auch ein gleichartiges Produkt eines anderen Herstellers (A. der Firma R.) im
HMV gelistet sei, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2015 zurück. Bei der zusätzlichen Messung des Cholesterinwerts handele es sich um eine wesentliche Funktion neben der Blutzuckermessung des Gerätes, welche das Indikationsspektrum gegenüber herkömmlichen Blutzuckermessgeräten ändere. Es handele sich daher um ein neuartiges Produkt, das der Produktart der Blutzuckermessgeräte nicht zugeordnet werden könne und bisher nicht anerkannt sei. Aus entsprechenden Leitlinien oder Empfehlungen ergäben sich keine Hinweise auf eine objektive Erforderlichkeit einer vom Versicherten regelmäßig durchzuführenden Cholesterinselbstmessung bei Vorliegen eines Diabetes mellitus. Auch wissenschaftliche Studien hierzu seien nicht vorgelegt worden. Der Nutzen der Cholesterinmessung im Zusammenhang mit Diabetes mellitus sei daher nicht belegt. Eine Listung als Blutzuckermessgerät unter Hinweis auf die weitere Funktion der Cholesterinmessung und deren nicht belegten Nutzen komme nicht in Betracht, da das Risiko für die Versicherten bestehe, aufgrund selbst erhobener Cholesterinmesswerte eigenständige Schlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen und sich damit unter Umständen selbst zu gefährden. Eine Erhebung der Cholesterinwerte und die daraus resultierende therapeutische Entscheidung über lipidsenkende Maßnahmen obliege allein dem Arzt. Die European Society of Cardiology (ESC) empfehle zudem in ihren Leitlinien bei einer lipidsenkenden Therapie zeitlich deutlich längere Bestimmungsintervalle der Cholesterinwerte, als bei der Blutzuckermessung, die mehrmals am Tag durchgeführt werde. Die in Rede stehenden Messgeräte seien insoweit auch unwirtschaftlich. Die Cholesterinmessung sei im EBM als Laborleistung abgebildet und könne in einer ärztlichen Praxis genauer und preisgünstiger durchgeführt werden. Soweit vergleichbare Geräte anderer Hersteller in
HMV gelistet seien, werde dem nachgegangen und sei davon auszugehen, dass diese am Markt nicht mehr verfügbar seien.
Am 15. Juni 2015 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.
Sie ist der Ansicht, ihr stehe ein Anspruch auf Aufnahme der beiden in Rede stehenden Messgeräte in das
HMV zu. Versorgungsziel der beiden Messgeräte sei allein die Nutzung als Blutzuckermessgerät. Insoweit gelte der medizinische Nutzen als erwiesen und sei auch unstreitig. Das Zusatzmerkmal der Cholesterinmessung sei nicht Gegenstand des Antrages gewesen. Auf den Nachweis des medizinischen Nutzens als Cholesterinmessgerät komme es daher für die Eintragung nicht an. Die beiden Funktionen der Messgeräte seien schon wegen der Erforderlichkeit unterschiedlicher Teststreifen nicht untrennbar miteinander verbunden, sondern funktionell getrennt. Insofern würde es bei nicht nachgewiesenem Nutzen der Cholesterinmessung genügen, die Listung der Teststreifen für die Cholesterinmessung zu verweigern und könnte auch der behandelnde Arzt die Nutzung steuern, indem er lediglich Blutzuckerteststreifen verordne, wenn er allein die Notwendigkeit für die Messung des Blutzuckers sehe. Halte der Arzt dagegen die Cholesterinmessung für angebracht, werde er den Patienten insoweit auch die Nutzung des Messgerätes und die Häufigkeit der Messung einweisen, weshalb insofern auch kein Gefährdungspotenzial bestehe. Der grundsätzliche Nutzen einer Cholesterinmessung sei überdies auch nicht zweifelhaft, was die Abbildung der entsprechenden Laborleistungen im EBM belege. Die Selbstmessung durch den Patienten diene allein Praktikabilitätsgesichtspunkten. Da sich die Messgeräte nicht nur an Diabetiker richteten und beide Messfunktionen funktional getrennt seien, komme es nicht darauf an, ob eine Cholesterinmessung bei Diabeteserkrankten grundsätzlich sinnvoll sei. Unerheblich sei auch, ob die Messung von Cholesterin als ärztliche Leistung möglicherweise kostengünstiger sei. Die übrigen Voraussetzungen für eine Eintragung gemäß § 139
Abs. 4
SGB V lägen ebenfalls vor. Der Anwendungsbereich der regelmäßigen selbstständigen Cholesterinmessung sei ein erhöhter Cholesterinspiegel und werde zudem in der Gebrauchsanweisung der Messgeräte näher beschrieben. Die Qualitätsanforderungen an die Genauigkeit, an die Lagerfähigkeit des Materials und an die Handhabung durch den Anwender seien in den Protokollen definiert, deren Einhaltung im Zuge der Konformitätsbewertung durch die Benannte Stelle überprüft würden. Die Versagung der Aufnahme der beiden Messgeräte in das
HMV verletze die Klägerin in ihrem Grundrecht aus
Art. 12 Grundgesetz (
GG) und stelle darüber hinaus eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne von
Art. 3
Abs. 1
GG dar, weil das vergleichbare Gerät A. der Firma R. ebenfalls unter der Gruppe der Blutzuckermessgeräte gelistet sei (Produktnummern 21.34. 02.1011 und 21.34.02.1012) und nach wie vor aktiv beworben und vertrieben werde.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 19. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Produkte W. Duo Messgerät f. Glukose u. Cholesterin,
Art.-Nr. W.... (mg/dl) und W. Duo Messgerät f. Glukose u. Cholesterin,
Art.-Nr. W.... (mmol/l) in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Bescheides und trägt ergänzend vor: Der medizinische Nutzen eines Cholesterinmessgerätes
bzw. eines kombinierten Blutzucker- und Cholesterinmessgerätes sei nicht nachgewiesen. Anonymisierte Studien zu der Frage, ob die Kontrolle des Blutzuckers und der Lipidwerte mittels Teststreifen einen Nutzen erbringen, lägen nicht vor. Ebenso fehle es an Studien zur Reliabilität und Validität der Lipid- und Blutzuckerbestimmung mit Teststreifen. Entgegen vorheriger Überlegungen komme auch eine alleinige Listung als Blutzuckermessgeräte nicht in Betracht, weil beide Funktionen in dem Produkt untrennbar miteinander verbunden seien und den Versicherten mit der Abgabe des Produkts stets beide Funktionen zur Verfügung gestellt würden, was von der Klägerin auch so beabsichtigt sei. Gerade die Kombination von Blutzucker- und Cholesterinmessgeräten berge ein Gefährdungspotenzial, das einen Nachweis des therapeutischen Nutzens in Bezug auf beide Funktionen notwendig mache. Während Blutzuckermessungen mehrmals täglich zu erfolgen hätten, um den Insulinwert zu bestimmen und gegebenenfalls entsprechende Insulingabe vorzubereiten, sei eine tägliche Überprüfung des Cholesterinwertes nicht geboten und obliege die Behandlung mit lipidsenkenden Maßnahmen allein dem Arzt. Nach den medizinischen Leitlinien werde in jährlichen oder noch längeren Abständen die Bestimmung von Lipiden, Gesamtcholesterin, LDL/HDL-Cholesterin und Triglyceride zur Früherkennung von Fettstoffwechselstörungen angeregt. Hierzu werde vom Arzt eine entsprechende Laboruntersuchung angeordnet, in der gegebenenfalls auch noch weitere Blutbestandteile untersucht werden könnten. Dafür seien die von der Klägerin hergestellten Messgeräte jedoch weder erforderlich noch geeignet, da sie neben dem Blutzucker- nur den Gesamtcholesterinwert messen, der lediglich einen von mehreren maßgeblichen Werten darstelle und allein nicht hinreichend aussagekräftig sei. Auch sei ungeklärt, inwieweit die Messmethode mit einer Blutuntersuchung im Labor qualitativ vergleichbar sei. Insoweit könne die Kombination beider Messsysteme bei den Versicherten Missverständnisse hervorrufen und zu einer Überdosierung vorhandener Medikamente führen.
Eine Dispositionsbefugnis der Klägerin, die Aufnahme der Messgeräte auf ausgewählte Funktionen zu beschränken, bestehe nicht. Die Klägerin habe bereits den Anwendungsbereich
bzw. Indikationsrahmen des Messgerätes im Hinblick auf die Kombination beider Messfunktionen nicht hinreichend konkret dargelegt. Insoweit könnten auch die Anforderungen an die Qualität und die Gebrauchsinformation hinsichtlich des kombinierten Blutzucker- und Cholesterinmessgerätes nicht abschließend definiert werden. Auf den Nachweis des medizinischen Nutzens könne auch nicht im Hinblick auf ein bereits gelistetes Kombinationsprodukt eines anderen Herstellers verzichtet werden. Die von der Klägerin angeführten Messgeräte A. GC mmol/l und A. GC mg/dl der Firma R. würden vom Hersteller nicht mehr beworben und seien möglicherweise durch das nicht im
HMV aufgeführte Modell "A. P." abgelöst worden. Der Hersteller sei zwischenzeitlich bereits zu der beabsichtigten Streichung der Produkte aus dem
HMV angehört worden. Überdies stehe der Klägerin kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Berlin ergibt sich aus § 57a
Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Bei der Entscheidung des Beklagten über die Aufnahme eines Hilfsmittels in das
HMV handelt es sich um eine Entscheidung auf Bundesebene (Hencke, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung,
SGB V,
Bd. 4, 19. Aufl. 2009, § 139 Rn. 4;
vgl. hierzu auch Bockholdt, SGb 2012, 317, 323).
Die instanzielle Zuständigkeit des Sozialgerichts ergibt sich aus § 8
SGG. Ein Fall von § 29
Abs. 2 bis 4
SGG liegt nicht vor.
II. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54
Abs. 1 Satz 1
SGG statthaft (
vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2006 -
B 3 KR 28/05 R -, Rn. 17; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rn. 20b; Knispel, in: BeckOK-SGB V, Stand: 01.12.2015, § 139 Rn. 26; für eine Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54
Abs. 4
SGG dagegen
BSG, Urteile vom 22. April 2009 -
B 3 KR 11/07 R -, Rn. 13; und 8. Juli 2015 -
B 3 KR 6/14 R -, Rn. 10) und auch im Übrigen zulässig.
Die Entscheidung über einen Antrag auf Eintragung in das
HMV erfolgt gemäß
§ 139 Abs. 6 Satz 4 SGB V durch einen Verwaltungsakt.
III. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufnahme der beiden streitgegenständlichen Messgeräte in das
HMV.
Ein Anspruch auf Aufnahme in das
HMV besteht nach § 139
Abs. 4
SGB V, wenn für das Hilfsmittel Funktionstauglichkeit, Sicherheit, die Erfüllung
ggf. zusätzlicher Qualitätsanforderungen nach
Abs. 2 und, soweit erforderlich, der medizinische Nutzen nachgewiesen sind und es mit den für eine ordnungsgemäße Handhabung erforderlichen Produktinformationen in deutscher Sprache versehen ist.
Bei den in Rede stehenden Messgeräten handelt es sich um Hilfsmittel im Sinne des § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V und auch der nach § 139
Abs. 3 Satz 1
SGB V erforderliche Antrag der Klägerin als Herstellerin liegt vor.
Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Aufnahme in das
HMV scheitert jedoch am fehlenden Nachweis des medizinischen Nutzens der Messgeräte im Hinblick auf die Cholesterinselbstmessung.
1. Der Nachweis des medizinischen Nutzens der Cholesterinselbstmessung ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht entbehrlich.
a) Die Entbehrlichkeit ergibt sich nicht daraus, dass die Klägerin nur die Eintragung der Messgeräte als Blutzuckermessgeräte beantragt hat. Denn eintragungsfähig ist nur das Hilfsmittel insgesamt. Die Eintragung erfolgt produktbezogen hinsichtlich des gesamten Hilfsmittels. Ebenso wie sie nicht auf sachenrechtlich selbstständige Teilkomponenten eines komplexen Hilfsmittelsystems begrenzt werden kann, wenn deren Wirkung nur im Gesamtsystem eintritt (siehe dazu
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Februar 2010 -
L 9 KR 18/08 -, juris Rn. 23
ff.; Engelmann, in jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 139 Rn. 29; Butzer, in: Becker/Kingreen,
SGB V, 4. Aufl. 2014, § 139 Rn. 6), kann die Eintragung auch nicht auf einzelne Funktionen eines einheitlichen Hilfsmittels beschränkt werden (
vgl. auch - zur fehlenden Eintragungsfähigkeit bei Vorliegen einer grundsätzlich über den mittelbaren Behinderungsausgleich hinausgehenden "überschießenden Funktion" -
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Dezember 2015 - L 1 KR 61/11 -, juris Rn. 35). Dies folgt aus Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.
aa) Nach dem Wortlaut des § 139
Abs. 4
SGB V ist "das Hilfsmittel" aufzunehmen, wenn der Hersteller die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, ... nachgewiesen hat. Gegenstand der Aufnahme ist daher "das Hilfsmittel" in seiner Gesamtheit (
vgl. auch
BSG, Urteil vom 15. März 2012 -
B 3 KR 6/11 R -, Rn. 13). Eine funktionell beschränkte Aufnahme ist im Gesetz nicht vorgesehen.
bb) In dieselbe Richtung weist die Regelungssystematik der Vorschrift (siehe hierzu
BSG, a.a.O., Rn. 14). Danach ist die Aufnahme in das
HMV Ergebnis eines jeweils auf ein konkretes Hilfsmittel gerichteten Antragsverfahrens, in dem der Hersteller Qualitätsnachweise zu eben diesem Produkt zu erbringen hat, das auf Seiten des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen Prüfpflichten ebenfalls zu genau diesem Hilfsmittel auslöst (§ 139
Abs. 5 Sätze 2 und 3
SGB V) und an dessen Abschluss zwingend eine "Entscheidung" über den Antrag stehen muss (§ 139
Abs. 6 Sätze 2 bis 4
SGB V). Auch dies lässt den Schluss zu, dass zum einen der Antrag auf Aufnahme eines Hilfsmittels in das
HMV ausschließlich produktbezogen zu verstehen ist und zum anderen als Entscheidungsmöglichkeit jedenfalls bei Hilfsmitteln im Sinne von § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V nur die Aufnahme in das
HMV oder die Ablehnung des Antrags wegen Nichterfüllung der gesetzlichen Aufnahmevoraussetzungen gegeben ist (
vgl. BSG, a.a.O.), nicht aber eine nur partielle funktionsbezogene Aufnahme
Soweit § 139
Abs. 2 Satz 1
SGB V zur Festlegung indikations- oder einsatzbezogener besonderer Qualitätsanforderungen ermächtigt, soweit dies zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist, lässt sich dem im Umkehrschluss entnehmen, dass eine darüber hinausgehende Beschränkung des Einsatzes auf einzelne von mehreren Funktionen eines einheitlichen Hilfsmittels nicht zulässig ist.
cc) Dieses Verständnis des § 139
SGB V entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift.
Zwar hat das
HMV nach ständiger Rechtsprechung des
BSG nicht die Aufgabe, abschließend als Positivliste darüber zu befinden, welche Hilfsmittel der Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung beanspruchen kann, sondern es stellt für die Gerichte nur eine unverbindliche Auslegungshilfe dar (
vgl. BSG, Urteil vom 3. August 2006 -
B 3 KR 25/05 R -, Rn. 11; Urteil vom 15. November 2007 -
B 3 A 1/07 R -, Rn. 20; Urteil vom 15. März 2012 -
B 3 KR 6/11 R -, Rn. 15, 17; Urteil vom 24. Januar 2013 -
B 3 KR 22/11 R -, Rn. 13
m.w.N.). Gleichwohl ist dem
HMV unabhängig von Leistungsansprüchen der Versicherten eine wesentliche Steuerungsfunktion für die Hilfsmittelversorgung in der
GKV zugedacht.
Denn ein gelistetes Hilfsmittel hat den in § 139
SGB V im Einzelnen vorgeschriebenen Nachweis- und Prüfungsprozess zu durchlaufen, so dass dessen objektive Erforderlichkeit, also die objektive Eignung und Notwendigkeit des begehrten Hilfsmittels zur Erreichung der in § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V genannten Versorgungsziele, im Sinne einer generellen Tatsache feststeht und nicht in jedem einzelnen Versorgungsfall erneuter Überprüfung bedarf (so
BSG, Urteil vom 15. März 2012, a.a.O., Rn. 17). Das
HMV stellt insofern eine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die medizinische und pflegerische Praxis dar (
vgl. BSG, Urteil vom 15. November 2007 - B 3 A 1/07 R -, Rn. 20)
Dieser Zweck würde jedoch verfehlt, soweit ein in das
HMV aufgenommenes Hilfsmittel mit mehreren Funktionen angeboten und aktiv beworben wird, die Funktionstauglichkeit und der medizinische Nutzen aber nur für einzelne dieser Funktionen nachgewiesen sind (
vgl. auch
LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Denn sofern ein Produkt im
HMV gelistet ist, kann in der medizinischen und pflegerischen Praxis berechtigt davon ausgegangen werden, dass der Nachweis der objektiven Eignung und Notwendigkeit des begehrten Hilfsmittels zur Erreichung der in § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V genannten Versorgungsziele für alle Funktionen erbracht ist, für die das Hilfsmittel angeboten und beworben wird.
Diese berechtigte Erwartung wird nicht allein dadurch erschüttert, dass das Hilfsmittel in einer bestimmten Produktgruppe (hier der Blutzuckermessgeräte) gelistet wird, die nur eine von mehreren Funktionen abbildet und/oder dass im
HMV ein ausdrücklicher Hinweis aufgenommen wird, dass der medizinische Nutzen nur hinsichtlich einer von mehreren Funktionen nachgewiesen ist, wenn der Hersteller - wie hier - ein Hilfsmittel explizit für mehrere Funktionen anbietet und auch aktiv mit dieser Multifunktionalität wirbt. Denn die Anforderungen an den Nachweis der Funktionstauglichkeit und des medizinischen Nutzens richten sich - was die Klägerin selbst zutreffend erkennt - nach dem mit dem Einsatz des Hilfsmittels verfolgten Versorgungsziel (so Knispel, a.a.O., Rn. 13). Dessen Bestimmung richtet sich aber in Anbetracht der Aufgabe des
HMV nicht nach den bloßen subjektiven Angaben des Herstellers, sondern nach dem objektiven Nutzerhorizont. Dieser wird wiederum geprägt durch die Art und Weise, wie das Produkt am Markt angeboten und beworben wird. Wird ein multifunktionales Hilfsmittel daher explizit als solches angeboten und beworben, ist der (aus der Angabe der
HMV-Nummer ersichtliche) Umstand, dass das Hilfsmittel im
HMV eingetragen ist, geeignet, in der medizinischen und pflegerischen Praxis ein (berechtigtes) Vertrauen in den Nachweis der objektiven Eignung und Erforderlichkeit des Hilfsmittels bezüglich sämtlicher angebotener und beworbener Funktionen hervorzurufen. Damit, dass sich im
HMV selbst - etwa im Rahmen der indikations- und einsatzbezogenen Qualitätsanforderungen - insofern Hinweise auf Beschränkungen der Eintragung finden, muss der Adressatenkreis nicht rechnen.
Vor diesem Hintergrund stellt auch die bloße Nichtaufnahme der Teststreifen für die Cholesterinmessung kein gleich geeignetes milderes Mittel zur Nichteintragung des Messgerätes bei nicht nachgewiesenem medizinischem Nutzen der Selbstmessung des Gesamtcholesterins dar. Die Eintragung des Messgerätes als solches in das
HMV vermittelt aus Sicht eines objektiven Nutzers jedenfalls in Verbindung mit der Bewerbung des Messgerätes durch die Klägerin bereits den Eindruck, der medizinische Nutzen der Cholesterinselbstmessung mittels dieses Messgerätes sei (abstrakt) nachgewiesen (
vgl. auch
LSG Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Dezember 2015 - L 1 KR 61/11 -, juris Rn. 36). Dieser (unzutreffende) Eindruck kann auch geeignet sein, den Versicherten dazu zu veranlassen, sich die Teststreifen auf eigene Kosten selbst zu beschaffen.
b) Auch aus der Listung gleichartiger Produkte eines anderen Herstellers kann die Klägerin insofern für sich nichts herleiten. Ungeachtet des Umstandes, dass der Beklagte nachvollziehbar dargelegt hat, dass die konkreten gelisteten Messgeräte der Firma R. nicht mehr am Markt angeboten werden und der Hersteller bereits zu einer Streichung angehört worden sei, kann in Ermangelung eines dem Beklagten insoweit zukommenden Eintragungsermessens allein aus einer unzutreffenden Listung eines anderen Hilfsmittels kein Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht abgeleitet werden (
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. März 2014 -
L 9 KR 82/11 -, juris Rn. 27; Ulmer, in: Wenner/Eichenhofer,
SGB V, 2. Aufl., § 139 Rn. 13).
2. Der medizinische Nutzen der Selbstmessung des Gesamtcholesterins mittels des von der Klägerin hergestellten Messgeräts und dazugehöriger Teststreifen ist nicht nachgewiesen.
Nach § 139
Abs. 4
SGB V ist der medizinische Nutzen des Hilfsmittels nachzuweisen, soweit dies erforderlich ist. Durch die Einschränkung "soweit erforderlich" sind zunächst Hilfsmittel, die allein dem Behinderungsausgleich dienen, vom Erfordernis des Nachweises eines medizinischen Nutzens ausgenommen (
BSG, Urteil vom 28. September 2006 - B 3 KR 28/05 R -, Rn. 33
m.w.N.; Butzer, a.a.O., Rn. 16; Knispel, a.a.O., Rn. 16).
Bei Hilfsmitteln, die - wie hier - zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung eingesetzt werden sollen, ist dagegen grundsätzlich ein medizinischer Nutzen nachzuweisen. Dieser ist unter Berücksichtigung des Behandlungskonzepts, innerhalb dessen das Hilfsmittel eingesetzt werden soll, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu beurteilen. Das bedeutet, dass in wissenschaftlich validen Studien und Analysen mehrheitlich medizinischer Nutzen und Funktionstauglichkeit des Hilfsmittels im Rahmen der ärztlichen Behandlung positiv beurteilt worden sind (siehe dazu
BSG, Urteil vom 15. März 2012 -
B 3 KR 2/11 R -, Rn. 21
ff.; Knispel, a.a.O.; Ulmer, a.a.O., Rn. 13, jeweils
m.w.N.).
Soweit allerdings das Hilfsmittel an Stelle schon gelisteter Hilfsmittel oder Produkte eingesetzt werden soll, sind klinische Studien grundsätzlich nicht notwendig. Insoweit genügt es, wenn das Hilfsmittel zumindest den gleichen therapeutischen Nutzen aufweist wie die bisher gebräuchlichen Produkte; der Nachweis eines darüber hinausgehenden Zusatznutzens kann nicht verlangt werden (
BSG, a.a.O.).
Danach bedarf es zwar vorliegend hinsichtlich der Funktion des Messgerätes als Blutzuckermessgerät eines gesonderten Nachweises des medizinischen Nutzens wegen der bereits im
HMV gelisteten funktionsgleichen Blutzuckermessgeräte nicht, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist.
Hinsichtlich der Cholesterinmessung ist dagegen der Nachweis eines medizinischen Nutzens erforderlich. Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Cholesterinbestimmung im EBM (Ziffern 32060, 32061 und 32062) als ärztliche Laborleistung anerkannt ist. Denn zwischen der labormäßigen Bestimmung der Cholesterinwerte und der Selbstmessung der Patienten bestehen insoweit gravierende Unterschiede, die einen eigenständigen Nachweis des medizinischen Nutzens der Selbstmessung nicht entbehrlich machen. Zum einen kann eine Selbstmessung bestimmter Blutwerte durch den Patienten grundsätzlich nur dann medizinisch sinnvoll sein, wenn er hieraus auch selbst bestimmte Schlüsse, etwa im Hinblick auf die Ernährung und/oder Therapie ziehen kann. Setzen solche Schlüsse dagegen eine Auswertung der Werte durch einen Arzt voraus, ist nicht nachvollziehbar, welchen medizinischen Nutzen eine Selbstmessung bringen sollte. Insoweit ist auch das von dem Beklagten zu Recht angeführte Risiko einer Fehlinterpretation der Werte nicht von der Hand zu weisen.
Überdies weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass im Rahmen der labormäßigen Untersuchung mehrere weitere (Cholesterin-)Werte bestimmt werden und dass auch die medizinischen Leitlinien insoweit die Bestimmung mehrerer Werte (Lipide, Cholesterin, LDL/HDL-Cholesterin und Triglyceride) zur Früherkennung
bzw. Behandlung von Stoffwechselkrankheiten vorsehen. Insoweit stellt sich die Frage, welchen medizinischen Nutzen allein die isolierte Bestimmung des Gesamtcholesterins hat.
Nicht zuletzt weist der Beklagte auch nachvollziehbar darauf hin, dass im Rahmen einer medizinischen Nutzenbewertung auch zu klären wäre, inwieweit die Messmethode mittels Eigenmessgerät und Teststreifen mit einer Laboruntersuchung vergleichbar ist.
Dem Erfordernis eines Nachweises des medizinischen Nutzens der Cholesterinselbstmessung steht die (vormalige) Listung gleichartiger Messgeräte der Firma R. im
HMV nicht entgegen, weil diese gerade nur (zu Unrecht) in der Produktgruppe der Blutzuckermessgeräte gelistet sind
bzw. waren und insoweit weder dargelegt noch erkennbar ist, dass vor der Eintragung der medizinische Nutzen der Cholesterinselbstmessung nachgewiesen wurde (
vgl. auch Ulmer, a.a.O., Rn. 13 a.E.). Nach den Ausführungen des
MDS ist vielmehr der Nutzen der Zusatzfunktion der Cholesterinmessung (zusätzlich zur Messung des Blutzuckers) bisher nicht belegt.
Den Anforderungen des Qualitätsgebots genügende wissenschaftliche Nachweise hinsichtlich des medizinischen Nutzen der Selbstmessung des Gesamtcholesterins im Kapillarblut mittels Messgeräten und Teststreifen liegen nach den Ausführungen des
MDS in dem Gutachten vom 22. April 2013 nicht vor. Solche hat die Klägerin auch nicht benannt. Die einzig von ihr vorgelegte Stellungnahme des PD
Dr. B. vom 16. Dezember 2012 benennt keinerlei medizinische Leitlinien oder wissenschaftliche Studien und ist daher - worauf der
MDS zu Recht hinweist - erkenntnistheoretisch wertlos.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a
Abs. 1 Satz 1
SGG i.V.m. § 154
Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Kammer hat die Sprungrevision zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG hat.