Urteil
Aufnahme eines Handlaufes ins Hilfsmittelverzeichnis der GKV
Gericht:
SG Augsburg
Aktenzeichen:
S 12 KR 447/04
Urteil vom:
07.07.2005
SG Augsburg
S 12 KR 447/04
07.07.2005
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2004 wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, ihre eigenen Auslagen und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten.
III. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Die Klägerin begehrt die Aufnahme eines Handlaufes FlexoForte bzw. FlexoFit in das Hilfsmittelverzeichnis nach §§ 128, 139 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Die Klägerin ist Herstellerin eines Handlaufes, der nach einem Baukastensystem konzipiert ist und aus flexiblen und massiven Holzdrehteilen und Kugelgelenken besteht. Aufgrund dieser Eigenheit lassen sich Treppen jeder Länge und baulichen Form mit dieser Griffhilfe als Handlauf nachrüsten. Die Griffhilfe passt sich flexibel den örtlichen baulichen Gegebenheiten an, egal ob Kurven, Fenster oder Schrägen vorhanden sind. Sie verfügt über griffige, regelmäßige Einkerbungen und erlaubt einen Rundumgriff. Der Handgriff wird nach den Prospekten beworben als einziger oder zweiter Handlauf an Treppen sowie als gerader Handlauf in Räumen. Das Produkt soll auf Dauer oder auch nur leihweise bei vorübergehender Behinderung montiert werden.
Die Klägerin fragte am 10.05.2002 mit Telefax wegen eines eventuellen Antrages auf Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nach. Die Beklagte zu 3, die die Aufnahme von Produkten in das Hilfsmittelverzeichnis koordiniert, verwies mit Schreiben vom 24.06.2003 darauf, dass eine Produktart für Handläufe nicht vorgesehen sei. Es handle sich um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Zudem würden in eine Wohnung festeingebaute technische Hilfen nicht vom Anwendungsbereich des § 33 SGB V erfasst. Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 26.06.2002 gegen diese Beurteilung. Sie verwies darauf, dass die beiden Chefärzte der Geriatrischen Rehabilitationsklinik in Augsburg von diesem Produkt begeistert gewesen seien, und auch der Unfallchirurg Prof. Dr. R. sich den Handlauf als wesentliche Erleichterung bei Unfallverletzungen vorstellen könne. Der Handlauf sei mit sieben Schrauben in 40 Minuten montiert und in weniger als 10 Minuten auch wieder abmontiert. Damit sei er wieder verwendbar im nächsten Haus. Mit diesem Handlauf könne die Mobilität im eigenen Haus erhalten bleiben.
Mit Telefax vom 13.07.2002 beantragte die Klägerin dann die Aufnahme des Handlaufes in das Hilfsmittelverzeichnis. Zur Information über das Produkt wurden vorgelegt: - Prospekte und Fotos - Presseinformation zu einer Veranstaltung auf der afa 2002 (10.05.2002): Darin wird über Ausführungen eines Anwalts berichtet, der allen Hausbesitzern empfahl, einen zweiten Handlauf in Hinblick auf die Haftungsrechtsprechung bei Unfällen anzubringen. Die Arbeitsgruppe Hilfsmittel der Spitzenverbände der Krankenkassen beriet am 01.10.2002 über den Antrag der Klägerin. Es wurde die Auffassung vertreten, dass es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handle. Am 02. 01.2003 ging eine Firmeninformation (für Handwerkskollegen und Kunden) ein. Darin wird FlexoForte als beliebt bei älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen bezeichnet. FlexoForte sei überall dort, wo zweite Handläufe fehlen, die ideale Ergänzung, sei es im Pfarrheim, Kindergarten, Warenhaus oder Laden, Gaststätte, Hotel, öffentlich zugänglichen Büro- und Verwaltungsgebäuden. Zur Montage wird ausgeführt, dass Tausende von Treppenhäusern nachgerüstet werden müssten, ob zur eigenen Sicherheit oder aufgrund von Gesetzesanforderungen. Außerdem ging eine Presseinformation vom 16.01.2003 ein. Berichtet wird, dass das Produkt FlexoForte mit bestimmten DIN-Normen für barrierefreies Bauen konform sei, dass das System am 15.01.2003 auf der Baumesse München ausgezeichnet wurde und nun als erster Handlauf in Deutschland das DIN-Zeichen barrierefrei nutzen dürfe.
Mit Schreiben vom 22.04.2003 hörte die Beklagte zu 3 die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis an. Die Klägerin kündigte daraufhin am 22.05.2003 an, die Argumente durch gutachtliche Stellungnahmen entkräften zu wollen. Dem Schreiben lag eine Produktinformation anlässlich der Messe REHAB in Karlsruhe bei sowie eine Preisliste für Miete. Darin enthalten ist eine Aussage des Unfallchirurgen Prof. Dr. R., Chefarzt am Zentralklinikum A., der sich für einen zweiten vorübergehend angebrachten Handlauf in Treppenhäusern ausspricht bei Patienten, die mit Arm- oder Beinverletzungen entlassen werden. Des Weiteren ging eine gemeinsame Information des Sozialverbandes Bayern (VdK) und der Klägerin zur afa ( ohne Datum; 2003?) ein. Darin wird auf eine beabsichtigte Änderung der Bayer. Bauordnung (BayBO) hingewiesen, wonach öffentlich zugängliche Anlagen künftig in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen so errichtet und Instand gesetzt werden müssten, dass sie von Menschen mit Behinderungen und alten Personen barrierefrei erreicht werden können. Danach müssten an beiden Seiten einer Treppe griffsichere Handläufe angebracht sein. Auch an bereits bestehenden Anlagen fordere das Gesetz, einen gleichwertigen Zustand herzustellen. Danach müssten beispielsweise Treppen zu Arztpraxen, Apotheken künftig mit beidseitigen Handläufen aus- bzw. nachgerüstet werden. Dies gelte auch für Gebäude mit Publikumsverkehr bei den kommunalen und Staatsverwaltungen, Gerichten, Versicherungsgesellschaften, Banken, Kindergärten, Schulen und Alteneinrichtungen. Auch in größeren Gaststätten und Hotels sowie Versammlungsstätten und Verkaufsstätten seien in Hinblick auf das erhöhte Sicherheitsbedürfnis grundsätzlich beidseitige Handläufe an den Treppen gefordert.
Mit Schreiben vom 30.06.2003 verwies die Klägerin nochmals auf die einfache Montage und die Leihgebühr von ca. 449,00 EUR für sechs Wochen. Das Anliegen werde von einer Reihe von bekannten Ärzten und Kliniken unterstützt. Das Produkt werde gerade von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen und Unsicherheiten sehr geschätzt und diene dazu, Unfälle zu vermeiden und eine frühere Entlassung nach Hause zu ermöglichen. Beigelegt waren ein Fragebogen zur Beurteilung durch den Patienten, ein weiterer Prospekt für das Produkt FlexoFit, indem darauf hingewiesen wird, dass eine Kostenbeteiligung der Pflegekasse für Maßnahmen zur Wohnfeldverbesserung möglich ist, sowie ein Rechtsgutachten der Kanzlei B. u. a. vom 12.12.2002 zum Erfordernis beidseitiger Handläufe auf Treppen in öffentlich zugänglichen Gebäuden. Mit Bescheid vom 09.07.2003 wurde der Antrag durch die Beklagte zu 3 im Namen der Spitzenverbände der Krankenkassen abgelehnt.
Hiergegen legten die Bevollmächtigten der Klägerin am 17.07.2003 Widerspruch ein. Zur Begründung haben sie am 06.11.2003 vorgetragen, dass es sich bei dem Handlauf um ein Hilfsmittel für einen Behinderten und nicht um eine fest in einem Gebäude eingebaute technische Hilfe handle. Es müsse auf den konkreten Einsatzort und Einsatzzweck abgestellt werden. Für die meisten Menschen sei ein zweiter Handlauf an engen Wohnungstreppen überflüssig bzw. sogar hinderlich. Daher liege trotz großer Verbreitung von Handläufen allgemein kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand vor, sondern ein Gegenstand, der für die speziellen Bedürfnisse von Kranken oder Behinderten hergestellt werde. Bereits am 23.10.2003 gingen eine CD- ROM sowie ein Flyer der Firma FlexoFit ein. Darin wird behauptet, dass die Krankenversicherung einspringe, wenn der Arzt den zweiten Handlauf verschreibe. Die Arbeitsgruppe Hilfsmittel beriet in ihrer Sitzung vom 11.11.2003 noch vor Eingang der Widerspruchsbegründung über den Antrag und verblieb bei der bisherigen Ablehnung. Am 16.12.2003 befasste sie sich erneut mit dem Antrag und lehnte diesen weiterhin an. Die Bevollmächtigten beriefen sich mit Schreiben vom 02.02.2004 darauf, dass im Hilfsmittelverzeichnis auch sog. Griffhilfen verzeichnet seien und der Handlauf eine solche Griffhilfe darstelle. In einer weiteren Besprechung der Arbeitsgruppe Hilfsmittel vom 26.02.2004 wird die Auffassung vertreten, dass die im Hilfsmittelverzeichnis unter Produktgruppe 4 Badehilfen gelisteten Stütz- und Sicherheitsgriffe nur zum Einsatz in Badezimmern bzw. Toiletten zulässig seien unter dem Gesichtspunkt, dass die Benutzung der Toilette bzw. des Badezimmers Bestandteil der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sei. Nach Abstimmung mit den übrigen Beklagten erließ die Beklagte zu 3 den Widerspruchsbescheid vom 10.05.2004.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 02.06.2004 hiergegen Klage zum Sozialgericht Köln erhoben. Zur Begründung einer Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis haben sie sich darauf berufen, dass der Handlauf medizinisch erforderlich sei, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern bzw. Behinderungen auszugleichen. Bei der Bewältigung von Treppenstufen lediglich mit einem Handlauf drohe beispielsweise bei einem Beinamputierten die Gefahr von Stürzen, oder bei frisch an der Hüfte Operierten dass durch die zusätzliche Belastung der Erfolg der Krankenbehandlung gefährdet oder verzögert werde. Hinsichtlich der Frage, ob es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand handle, sei auf Zweck und Funktion des Gegenstandes abzustellen. Dieser liege in der griffsicheren Bewältigung von Treppen, wobei ein Nichtbehinderter Treppen auch ohne Griffhilfe problemlos nutzen könne. Beantragt werde nur die Aufnahme als sog. zweiter Handlauf an Treppen und an Wänden in Wohnungen Behinderter, sodass praktisch ausgeschlossen sei, dass diese Gegenstände in dieser Funktion von Nichtbehinderten angeschafft würden. Auch die Verbreitung sei dementsprechend in Privathaushalten gering. Das Sozialgericht Köln hat sich mit Beschluss vom 10.12.2004 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Augsburg verwiesen. Die Beklagte zu 3 hat sich in der Klageerwiderung vom 13.01.2005 wie bereits im Widerspruchsbescheid darauf berufen, dass es sich bei der Griffhilfe um kein Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V handle, weil sie weder vom Behinderten getragen oder mitgeführt noch bei einem Wohnungswechsel mitgenommen und benutzt werden könne. Hilfsmittel dienten dazu, den Behinderten an die Erfordernisse der Umwelt anzupassen, nicht aber das Umfeld an die Bedürfnisse des Behinderten anzugleichen. Die Hilfsmitteleigenschaft hänge auch nicht von den jeweiligen Wohnverhältnissen ab. Demgegenüber haben die Bevollmächtigten mit Schreiben vom 24.01.2005 argumentiert, dass die Hilfsmitteleigenschaft des Handlaufes nicht von individuellen Wohnverhältnissen sondern von der jeweiligen konkreten Behinderung und den entsprechenden Erfordernissen des Leistungsempfängers abhänge. Das einzige Hindernis, das auf einem schnurgeraden Flur überwunden werden müsse, sei die Behinderung. In der mündlichen Verhandlung hat der Geschäftsführer der Klägerin erklärt, dass es sich bei FlexoForte und FlexoFit um dasselbe Produkt handle. FlexoForte sei zum Kauf, FlexoFit auf Mietbasis bei vorübergehender Behinderung gedacht.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.07.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
10.05.2004 zu verurteilen, das Produkt Handlauf FlexoForte bzw. FlexoFit in das Hilfsmittelverzeichnis nach §§ 128, 139 SGB V aufzunehmen.
Der Bevollmächtigte der Beklagten zu 3 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten zu 2, 5, 7 und 8 haben Klageabweisung beantragt. Die Beklagten zu 1 und 4 haben keinen Antrag gestellt, sich jedoch den Ausführungen der federführenden Beklagten zu 3 angeschlossen. Die Beklagte zu 6 hat sich nicht geäußert.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.
R/R2679
Informationsstand: 14.05.2007