Urteil
Aufnahme eines Handlaufes ins Hilfsmittelverzeichnis der GKV

Gericht:

SG Augsburg


Aktenzeichen:

S 12 KR 447/04


Urteil vom:

07.07.2005


Tenor:

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2004 wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, ihre eigenen Auslagen und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten.

III. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufnahme eines Handlaufes FlexoForte bzw. FlexoFit in das Hilfsmittelverzeichnis nach §§ 128, 139 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Die Klägerin ist Herstellerin eines Handlaufes, der nach einem Baukastensystem konzipiert ist und aus flexiblen und massiven Holzdrehteilen und Kugelgelenken besteht. Aufgrund dieser Eigenheit lassen sich Treppen jeder Länge und baulichen Form mit dieser Griffhilfe als Handlauf nachrüsten. Die Griffhilfe passt sich flexibel den örtlichen baulichen Gegebenheiten an, egal ob Kurven, Fenster oder Schrägen vorhanden sind. Sie verfügt über griffige, regelmäßige Einkerbungen und erlaubt einen Rundumgriff. Der Handgriff wird nach den Prospekten beworben als einziger oder zweiter Handlauf an Treppen sowie als gerader Handlauf in Räumen. Das Produkt soll auf Dauer oder auch nur leihweise bei vorübergehender Behinderung montiert werden.

Die Klägerin fragte am 10.05.2002 mit Telefax wegen eines eventuellen Antrages auf Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nach. Die Beklagte zu 3, die die Aufnahme von Produkten in das Hilfsmittelverzeichnis koordiniert, verwies mit Schreiben vom 24.06.2003 darauf, dass eine Produktart für Handläufe nicht vorgesehen sei. Es handle sich um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Zudem würden in eine Wohnung festeingebaute technische Hilfen nicht vom Anwendungsbereich des § 33 SGB V erfasst. Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 26.06.2002 gegen diese Beurteilung. Sie verwies darauf, dass die beiden Chefärzte der Geriatrischen Rehabilitationsklinik in Augsburg von diesem Produkt begeistert gewesen seien, und auch der Unfallchirurg Prof. Dr. R. sich den Handlauf als wesentliche Erleichterung bei Unfallverletzungen vorstellen könne. Der Handlauf sei mit sieben Schrauben in 40 Minuten montiert und in weniger als 10 Minuten auch wieder abmontiert. Damit sei er wieder verwendbar im nächsten Haus. Mit diesem Handlauf könne die Mobilität im eigenen Haus erhalten bleiben.
Mit Telefax vom 13.07.2002 beantragte die Klägerin dann die Aufnahme des Handlaufes in das Hilfsmittelverzeichnis. Zur Information über das Produkt wurden vorgelegt: - Prospekte und Fotos - Presseinformation zu einer Veranstaltung auf der afa 2002 (10.05.2002): Darin wird über Ausführungen eines Anwalts berichtet, der allen Hausbesitzern empfahl, einen zweiten Handlauf in Hinblick auf die Haftungsrechtsprechung bei Unfällen anzubringen. Die Arbeitsgruppe Hilfsmittel der Spitzenverbände der Krankenkassen beriet am 01.10.2002 über den Antrag der Klägerin. Es wurde die Auffassung vertreten, dass es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handle. Am 02. 01.2003 ging eine Firmeninformation (für Handwerkskollegen und Kunden) ein. Darin wird FlexoForte als beliebt bei älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen bezeichnet. FlexoForte sei überall dort, wo zweite Handläufe fehlen, die ideale Ergänzung, sei es im Pfarrheim, Kindergarten, Warenhaus oder Laden, Gaststätte, Hotel, öffentlich zugänglichen Büro- und Verwaltungsgebäuden. Zur Montage wird ausgeführt, dass Tausende von Treppenhäusern nachgerüstet werden müssten, ob zur eigenen Sicherheit oder aufgrund von Gesetzesanforderungen. Außerdem ging eine Presseinformation vom 16.01.2003 ein. Berichtet wird, dass das Produkt FlexoForte mit bestimmten DIN-Normen für barrierefreies Bauen konform sei, dass das System am 15.01.2003 auf der Baumesse München ausgezeichnet wurde und nun als erster Handlauf in Deutschland das DIN-Zeichen barrierefrei nutzen dürfe.

Mit Schreiben vom 22.04.2003 hörte die Beklagte zu 3 die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis an. Die Klägerin kündigte daraufhin am 22.05.2003 an, die Argumente durch gutachtliche Stellungnahmen entkräften zu wollen. Dem Schreiben lag eine Produktinformation anlässlich der Messe REHAB in Karlsruhe bei sowie eine Preisliste für Miete. Darin enthalten ist eine Aussage des Unfallchirurgen Prof. Dr. R., Chefarzt am Zentralklinikum A., der sich für einen zweiten vorübergehend angebrachten Handlauf in Treppenhäusern ausspricht bei Patienten, die mit Arm- oder Beinverletzungen entlassen werden. Des Weiteren ging eine gemeinsame Information des Sozialverbandes Bayern (VdK) und der Klägerin zur afa ( ohne Datum; 2003?) ein. Darin wird auf eine beabsichtigte Änderung der Bayer. Bauordnung (BayBO) hingewiesen, wonach öffentlich zugängliche Anlagen künftig in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen so errichtet und Instand gesetzt werden müssten, dass sie von Menschen mit Behinderungen und alten Personen barrierefrei erreicht werden können. Danach müssten an beiden Seiten einer Treppe griffsichere Handläufe angebracht sein. Auch an bereits bestehenden Anlagen fordere das Gesetz, einen gleichwertigen Zustand herzustellen. Danach müssten beispielsweise Treppen zu Arztpraxen, Apotheken künftig mit beidseitigen Handläufen aus- bzw. nachgerüstet werden. Dies gelte auch für Gebäude mit Publikumsverkehr bei den kommunalen und Staatsverwaltungen, Gerichten, Versicherungsgesellschaften, Banken, Kindergärten, Schulen und Alteneinrichtungen. Auch in größeren Gaststätten und Hotels sowie Versammlungsstätten und Verkaufsstätten seien in Hinblick auf das erhöhte Sicherheitsbedürfnis grundsätzlich beidseitige Handläufe an den Treppen gefordert.
Mit Schreiben vom 30.06.2003 verwies die Klägerin nochmals auf die einfache Montage und die Leihgebühr von ca. 449,00 EUR für sechs Wochen. Das Anliegen werde von einer Reihe von bekannten Ärzten und Kliniken unterstützt. Das Produkt werde gerade von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen und Unsicherheiten sehr geschätzt und diene dazu, Unfälle zu vermeiden und eine frühere Entlassung nach Hause zu ermöglichen. Beigelegt waren ein Fragebogen zur Beurteilung durch den Patienten, ein weiterer Prospekt für das Produkt FlexoFit, indem darauf hingewiesen wird, dass eine Kostenbeteiligung der Pflegekasse für Maßnahmen zur Wohnfeldverbesserung möglich ist, sowie ein Rechtsgutachten der Kanzlei B. u. a. vom 12.12.2002 zum Erfordernis beidseitiger Handläufe auf Treppen in öffentlich zugänglichen Gebäuden. Mit Bescheid vom 09.07.2003 wurde der Antrag durch die Beklagte zu 3 im Namen der Spitzenverbände der Krankenkassen abgelehnt.

Hiergegen legten die Bevollmächtigten der Klägerin am 17.07.2003 Widerspruch ein. Zur Begründung haben sie am 06.11.2003 vorgetragen, dass es sich bei dem Handlauf um ein Hilfsmittel für einen Behinderten und nicht um eine fest in einem Gebäude eingebaute technische Hilfe handle. Es müsse auf den konkreten Einsatzort und Einsatzzweck abgestellt werden. Für die meisten Menschen sei ein zweiter Handlauf an engen Wohnungstreppen überflüssig bzw. sogar hinderlich. Daher liege trotz großer Verbreitung von Handläufen allgemein kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand vor, sondern ein Gegenstand, der für die speziellen Bedürfnisse von Kranken oder Behinderten hergestellt werde. Bereits am 23.10.2003 gingen eine CD- ROM sowie ein Flyer der Firma FlexoFit ein. Darin wird behauptet, dass die Krankenversicherung einspringe, wenn der Arzt den zweiten Handlauf verschreibe. Die Arbeitsgruppe Hilfsmittel beriet in ihrer Sitzung vom 11.11.2003 noch vor Eingang der Widerspruchsbegründung über den Antrag und verblieb bei der bisherigen Ablehnung. Am 16.12.2003 befasste sie sich erneut mit dem Antrag und lehnte diesen weiterhin an. Die Bevollmächtigten beriefen sich mit Schreiben vom 02.02.2004 darauf, dass im Hilfsmittelverzeichnis auch sog. Griffhilfen verzeichnet seien und der Handlauf eine solche Griffhilfe darstelle. In einer weiteren Besprechung der Arbeitsgruppe Hilfsmittel vom 26.02.2004 wird die Auffassung vertreten, dass die im Hilfsmittelverzeichnis unter Produktgruppe 4 Badehilfen gelisteten Stütz- und Sicherheitsgriffe nur zum Einsatz in Badezimmern bzw. Toiletten zulässig seien unter dem Gesichtspunkt, dass die Benutzung der Toilette bzw. des Badezimmers Bestandteil der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens sei. Nach Abstimmung mit den übrigen Beklagten erließ die Beklagte zu 3 den Widerspruchsbescheid vom 10.05.2004.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 02.06.2004 hiergegen Klage zum Sozialgericht Köln erhoben. Zur Begründung einer Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis haben sie sich darauf berufen, dass der Handlauf medizinisch erforderlich sei, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern bzw. Behinderungen auszugleichen. Bei der Bewältigung von Treppenstufen lediglich mit einem Handlauf drohe beispielsweise bei einem Beinamputierten die Gefahr von Stürzen, oder bei frisch an der Hüfte Operierten dass durch die zusätzliche Belastung der Erfolg der Krankenbehandlung gefährdet oder verzögert werde. Hinsichtlich der Frage, ob es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand handle, sei auf Zweck und Funktion des Gegenstandes abzustellen. Dieser liege in der griffsicheren Bewältigung von Treppen, wobei ein Nichtbehinderter Treppen auch ohne Griffhilfe problemlos nutzen könne. Beantragt werde nur die Aufnahme als sog. zweiter Handlauf an Treppen und an Wänden in Wohnungen Behinderter, sodass praktisch ausgeschlossen sei, dass diese Gegenstände in dieser Funktion von Nichtbehinderten angeschafft würden. Auch die Verbreitung sei dementsprechend in Privathaushalten gering. Das Sozialgericht Köln hat sich mit Beschluss vom 10.12.2004 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Augsburg verwiesen. Die Beklagte zu 3 hat sich in der Klageerwiderung vom 13.01.2005 wie bereits im Widerspruchsbescheid darauf berufen, dass es sich bei der Griffhilfe um kein Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V handle, weil sie weder vom Behinderten getragen oder mitgeführt noch bei einem Wohnungswechsel mitgenommen und benutzt werden könne. Hilfsmittel dienten dazu, den Behinderten an die Erfordernisse der Umwelt anzupassen, nicht aber das Umfeld an die Bedürfnisse des Behinderten anzugleichen. Die Hilfsmitteleigenschaft hänge auch nicht von den jeweiligen Wohnverhältnissen ab. Demgegenüber haben die Bevollmächtigten mit Schreiben vom 24.01.2005 argumentiert, dass die Hilfsmitteleigenschaft des Handlaufes nicht von individuellen Wohnverhältnissen sondern von der jeweiligen konkreten Behinderung und den entsprechenden Erfordernissen des Leistungsempfängers abhänge. Das einzige Hindernis, das auf einem schnurgeraden Flur überwunden werden müsse, sei die Behinderung. In der mündlichen Verhandlung hat der Geschäftsführer der Klägerin erklärt, dass es sich bei FlexoForte und FlexoFit um dasselbe Produkt handle. FlexoForte sei zum Kauf, FlexoFit auf Mietbasis bei vorübergehender Behinderung gedacht.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

die Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.07.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
10.05.2004 zu verurteilen, das Produkt Handlauf FlexoForte bzw. FlexoFit in das Hilfsmittelverzeichnis nach §§ 128, 139 SGB V aufzunehmen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten zu 3 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten zu 2, 5, 7 und 8 haben Klageabweisung beantragt. Die Beklagten zu 1 und 4 haben keinen Antrag gestellt, sich jedoch den Ausführungen der federführenden Beklagten zu 3 angeschlossen. Die Beklagte zu 6 hat sich nicht geäußert.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Das angerufe Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.

Die Klage auf Aufnahme der Produkte FlexoForte bzw. FlexoFit in das Hilfsmittelverzeichnis gemäß §§ 128, 139 SGB V ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.07.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004 ist rechtmäßig. Denn der Handgriff stellt kein Hilfsmittel im Sinne des Gesetzes dar.

Begehrt wird die Aufnahme der Produkte FlexoForte bzw. FlexoFit in das Hilfsmittelverzeichnis. Dabei handelt es sich um einen Handlauf zum Kauf bzw. zur Miete, der nach Produktbeschreibung des Herstellers als zweiter Handlauf an Treppen oder auch als Griffhilfe in der Ebene für Behinderte oder Kranke, z. B. nach Frakturen oder Operationen, eingesetzt werden soll. Wie sich aus der mündlichen Verhandlung ergibt, wird ein Einsatz als Hilfsmittel vornehmlich als zweiter Handlauf an Treppen angestrebt.

Voraussetzung für eine Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis ist, dass es sich bei den Produkten FlexoForte bzw. FlexoFit um ein von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasstes Hilfsmittel handelt (§ 128 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Nach § 33 Abs. 1 SGB V hat der Krankenversicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Nach § 40 Abs. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbstständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind. Dabei sollen die Pflegekassen technische Hilfsmittel in allen geeigneten Fällen vorrangig leihweise überlassen (§ 40 Abs. 3 Satz 1 SGB XI). Die Pflegekassen können auch finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbstständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird (§ 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI).

Hilfsmittel im Sinne der Kranken- und Pflegeversicherung müssen vom Leistungsempfänger getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können (Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - SGB IX -, § 31 Rdz 8). Für den Bereich der Krankenversicherung hat das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 06.08.1998 (B 3 KR 14/97 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 30) ausgeführt, dass zu den technischen Hilfsmitteln im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V nur solche Hilfsmittel gehören, die wie die ausdrücklich genannten Hilfen (Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücke) vom Behinderten getragen oder mitgeführt, bei einem Wohnungswechsel auch mitgenommen und benutzt werden können, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurechtzufinden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen. Das Hilfsmittel solle die Körperfunktion des Behinderten ersetzen, ergänzen oder verbessern, die für die möglichst selbstständige Durchführung der Alltagsverrichtungen notwendig sind. Der Behinderte werde dadurch den Erfordernissen der Umwelt angepasst, nicht aber das Umfeld an die Bedürfnisse des Behinderten angeglichen. Fest in ein Haus oder eine Wohnung eingebaute technische Hilfen würden folglich nicht in den Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 SGB V fallen. Für den Bereich der Pflegeversicherung hat das BSG in seinem Urteil vom 28.06.2001 (B 3 P 3/00 R in Breith. 2002, 2) bekräftigt, dass zu den technischen Hilfsmitteln nach § 40 Abs. 3 SGB XI jedenfalls nicht die Umbaumaßnahmen in der Wohnung oder der dauerhafte Einbau von Geräten, die ein weitgehend selbstständiges Wohnen des Behinderten ermöglichen sollen, zählen. Wie im Bereich der Krankenversicherung ist die Abgrenzung grundsätzlich nach beweglichen und fest einzubauenden Gegenständen zu treffen. Die Beschränkung der Hilfsmitteleigenschaft auf "bewegliche" Gegenstände wird auch durch die Definition in dem zum 01.07.2001 in Kraft getretenen SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) gestützt, das für sämtliche Sozialleistungsträger anzuwenden ist. Nach § 31 Abs. 1 SGB IX umfasst der Begriff des Hilfsmittels nach § 26 Abs. 2 Nr. 6 die Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind.

Der Handlauf FlexoForte bzw. FlexoFit ist kein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V sondern eine technische Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes (§ 40 Abs. 4 SGB XI).

Der Handlauf FlexoForte bzw. FlexoFit besteht laut Produktbeschreibung aus einem geraden bzw. variablen Handlauf von 50 oder 100 cm Länge, Anfangs- und Endkappen, Kugelgelenk, Verlängerung und Halterungen aus Holz, Edelstahl oder Messing. Der Handlauf wird in die Halterungen eingepasst und an den Halterungen an die Wand angeschraubt. Da der Handlauf durch die Schrauben und Halterungen fest mit dem Gebäude verbunden wird, ist er kein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V.

Die Klägerbevollmächtigten argumentieren, dass der Handlauf abmontierbar sei und damit bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden könne. Es sei praktisch kein anderer Fall dieser Alternative des § 31 Abs. 1 SGB IX denkbar. Dies trifft jedoch nicht zu. Ständig von den Leistungsempfängern getragen werden beispielsweise Prothesen. Ständig mitgeführt werden beispielsweise Rollstühle. Weder ständig getragen noch mitgeführt werden beispielsweise Toilettenrollstühle oder bestimmte Trainingsgeräte. Diese bleiben in einer Wohnung, können aber bei einem Wohnungswechsel problemlos mitgenommen werden.

Soweit sinngemäß argumentiert wird, dass der Handlauf deswegen beweglich und ein Hilfsmittel sei, weil er bei einem Umzug abmontierbar und in einer neuen Wohnung wieder anmontierbar sei, ändert dies nichts daran, dass der Charakter des Hilfsmittels darauf ausgerichtet ist, die Wohnung an die Bedürfnisse des Behinderten anzupassen und nicht umgekehrt. Ein "einfaches" Mitnehmen des Handlaufes bei einem Wohnungswechsel wie bei sonstigen Hilfsmitteln (z. B. Toilettenrollstuhl), wie dies in § 31 SGB IX vorausgesetzt wird, ist nicht möglich. Abbau und Neueinbau erfordern einen Zeitaufwand von 10 bzw. 40 Minuten, sodass also ein bloßes Mitnehmen und sofortiger Einsatz in der neuen Wohnung nicht möglich ist. Es ist auch nicht garantiert, dass das angeschaffte System in einer neuen Wohnung weiterhin notwendig und zweckmäßig ist, da es individuell auf die Bedürfnisse des Versicherten in der jeweiligen Wohnung ausgerichtet ist, und zwar sowohl durch seine Anordnung in den einzelnen Räumen bzw. an der Treppe als auch durch die Länge des Systems insgesamt, sowie der Anordnung der variablen und statischen Elemente und Anzahl der Haltungen. Bei Umzug in eine ebenerdige Wohnung ist auch ein Handlauf, der bisher als zweiter Handlauf an einer Treppe gedient hat, nicht mehr erforderlich. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass eben nicht die Behinderung für die Notwendigkeit des Handlaufes ausschlaggebend ist sondern die individuellen Wohnverhältnisse.

Die Tatsache, dass der Handlauf nicht unauflöslich mit dem Gebäude verbunden ist, bedeutet nicht, dass es sich um ein Hilfsmittel handelt. So hat auch das BSG in seinem Urteil vom 28.06.2001 a.a.O. für den Fall des Einbaus einer Gegensprechanlage, die ebenfalls prinzipiell wieder ausgebaut und in einer anderen Wohnung eingebaut werden könnte, eine Hilfsmitteleigenschaft verneint. Die Tatsache, dass der Handlauf nur mit Halterungen und Schrauben an der Wand angebracht wird und die Befestigung wieder entfernt werden kann, bedingt keine Hilfsmitteleigenschaft. Dies ist auch aus der Gesetzesbegründung zu § 40 Abs. 4 SGB XI zu entnehmen. Danach war in erster Linie an Umbaumaßnahmen in der Wohnung ( Verbreiterung von Türen, Einbau einer behindertengerechten Dusche oder eines Treppenliftes) und an technische Hilfen wie Haltegriffe oder an mit dem Rollstuhl unterfahrbare Einrichtungsgegenstände gedacht (vgl. Udsching, SGB XI, § 40 Randziff. 21). Das Erwähnen der Haltegriffe durch den Gesetzgeber zeigt, dass es nicht auf die Art und Dauerhaftigkeit der Befestigung am Gebäude ankommt.

Das Gericht verneint daher eine Hilfsmitteleigenschaft des Handlaufes FlexoForte bzw. FlexoFit.

Im Übrigen hat das Gericht auch Zweifel daran, ob es sich nicht vielmehr um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, und schon deshalb keine Leistungspflicht der GKV und keine Verpflichtung zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis besteht. Wie das BSG in seinem Urteil vom 16.09.1999, B 3 KR 1/99 R, ausgeführt hat, kommt es für die Eigenschaft als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht auf einen bestimmten Prozentsatz der Verbreitung innerhalb der privaten Haushalte der gesamten Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland an. Im Hinblick auf die Aufgabe der Krankenversicherung, allein die medizinische Rehabilitation sicherzustellen, sind nur solche Gegenstände als Hilfsmittel zu gewähren, die spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dienen. Was daher regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt auch bei hohen Kosten nicht in die Leistungspflicht der Krankenversicherung. Zur Ermittlung der Hilfsmitteleigenschaft ist deshalb alleine auf die Zweckbestimmung des Gegenstands abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt oder hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Umgekehrt ist ein Gegenstand auch trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption her nicht überwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist. Die Klägerin hat zur Begründung der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis argumentiert, dass der Handlauf vorwiegend von Kranken und Behinderten genutzt werden solle, insbesondere bei der vorübergehenden Miete. Ein zweiter Handlauf oder eine Griffhilfe in der Ebene sei für Nichtbehinderte nicht erforderlich. Betrachtet man jedoch die eingereichten Unterlagen (Produktbeschreibung, VdK-Info, Rechtsgutachten, etc.), dann wird deutlich, dass der Handlauf allgemein beworben wird nicht nur als zweiter Handlauf bzw. Griffhilfe für Behinderte, sondern als Handlauf in öffentlichen Gebäuden bzw. Gebäuden mit Publikumsverkehr als Möglichkeit für eine Nachrüstung von Treppen entspechend der BayBO. Offensichtlich ist das Produkt also nicht vorwiegend für eine Benutzung durch Behinderte gedacht und geeignet, sondern auch allgemein für eine Benutzung durch "Gesunde". Nach Ansicht der Kammer ist der Handlauf beispielsweise auch allgemein als erster und einziger Handlauf bei engen Treppen in Wohnhäusern sinnvoll und geeignet. Zur Überzeugung des Gerichts kann es für die Definition der Hilfsmitteleigenschaft nicht allein darauf ankommen, welcher Vertriebsweg vom Hersteller genutzt werden soll und für welche Personengruppen vorwiegend geworben wird. Dass also für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis vorwiegend mit der Nutzung als zweiter Handlauf bzw. Griffhilfe für Behinderte geworben wird und ein Vertriebsweg über Sanitätshäuser angestrebt wird, macht den Handlauf nicht von einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand zu einem Hilfsmittel.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG) . Nach §§ 71 Abs. 1, 72 Abs. 1 GKG in der ab 01.07.2004 geltenden Fassung sind Kosten nach bisherigem Recht zu erheben, soweit der Rechtsstreit vor Inkrafttreten der Neuregelung anhängig war. Die Festsetzung beruht daher auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG alter Fassung. Das Gericht ist davon ausgegangen, dass die Klägerin durch den Vertrieb als Hilfsmittel, insbesondere im Mietbereich, einen jährlichen Gewinn von ca. 5.000,00 EUR ( Minimum) erwarten dürfte, bei drei Jahren also etwa 15.000,00 EUR. Die Bedeutung der Sache ergibt sich nach diesem angestrebten Gewinn, sodass es das Gericht als angemessen erachtet hat, einen Streitwert von 15.000,00 EUR festzusetzen.

Referenznummer:

R/R2679


Informationsstand: 14.05.2007